Netanyahus Sätze und die Volten deutscher Israelsolidarität

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ einst verlauten, die Sicherheit Israels gehöre zur Staatsräson Deutschlands. In Schönwetterzeiten kostet diese deklamierte Solidarität zum jüdischen Staat nicht viel, sondern bringt für die deutsche Industrie sogar etwas ein, wenn deutsche U-Boote auch nach Israel geliefert werden oder auch sonst gute Handelsbeziehungen zu Israel existieren. Die sogenannte Zivilgesellschaft begnügt sich damit, von Israel als einem prima Reiseland zu schwärmen, Schüleraustausche zu organisieren, auf Empfängen leckeren israelischer Wein zu goutieren, zerknirschte Miene beim Besuch von Yad Vashem zu machen und das Mantra aus der Geschichte gelernt und Verantwortung übernommen zu haben gerade gegenüber israelischen Gesandten und Gästen zu äußern, usw. Das alles pinselt den Bauch des deutschen Kollektivbedürfnisses endlich zu den Guten zu gehören – wenn dann noch Lob aus Israel kommt hervorragend!

Diese Wohlfühlverhältnis, das in erster Linie dem Gefühlshaushalt der vielen „Freunde Israels“ dient, bekommt immer dann Risse, wenn die israelischen Sicherheitskräfte gegen randalierende oder gar mordende Palästinenser vorgeht, wenn Wohnungen für Juden in den umstrittenen Gebieten jenseits der sogenannten grünen Linie gebaut werden, wenn sich Israelis angesichts des palästinensischen Straßenterrors bewaffnen, wenn angesichts Raketenangriffe der Hamas oder der Hisbollah Bomber oder Haubitzen der IDF ebendiese häufig inmitten von Wohngebieten befindlichen Raketenabschussbasen beschießen. Wenn dann noch Raketen nach Israel fliegen, Selbstmordattentäter und Messerstecher die Städte unsicher machen, Israels Politiker sich als renitent gegenüber dem ehrlichen Makler Deutschland und anderen Vermittlern im Nah-Ost-Konflikt erweisen und Juden sich selbst bewaffnen, dann dürfte auch die Bereitschaft Israel zu besuchen, das Verständnis über Israels Methoden, die Sicherheit seiner Bürger und des Landes zu verteidigen, israelische Produkte zu kaufen etc. zurückgehen, dann ist die Zeit der Kritiker unter Freunden angesagt.

der hässliche Jude

Wer will etwa mit dem hässlichen Juden befreundet sein? Die Illustration eines Artikels der HNA vom 18.10.15 über israelische Reaktionen angesichts des palästinensischen Terrors.

Noch kritischer wird es mit der viel beschworenen Freundschaft, wenn die israelische Regierung durchblicken lässt, dass angesichts des Unwillens (oder auch Unvermögens) der palästinensischen Autonomiebehörde, die Voraussetzung eines der vielen Friedenspläne umzusetzen, nämlich gegen Israel keine Gewalt mehr zu propagieren oder auszuüben, die Zweistaatenlösung keine realistische Perspektive mehr ist.

Nun hat der israelische Ministerpräsident Netanyahu in einer Rede verlauten lassen: He [el-Husseini, der Mufti von Jerusalem] flew to Berlin. Hitler didn’t want to exterminate the Jews at the time, he wanted to expel the Jews. And Haj Amin al-Husseini went to Hitler and said, “If you expel them, they’ll all come here.” “So what should I do with them?” he asked. He said, “Burn them.” An diesen Sätzen stimmt nichts. Der Mufti besuchte Berlin 1941, da war die Vernichtung der europäischen Juden nach allem was man weiß, bereits beschlossene Sache des deutschen Nazifaschismus. Die sehr wohl existierende und geäußerte Befürchtung des Muftis und seiner Satrapen, Juden könnten angesichts der deutschen Vernichtungswut nach Palästina fliehen, was dringlichst zu unterbinden sei, tat zur Umsetzung der deutschen Politik nichts zur Sache. Dass bereits Pläne der in die Richtung Palästina marschierenden Truppen unter Rommel und dem SS-Mann Rauff existierten, die Juden in Nordafrika und Palästina mit Hilfe der palästinensischen Araber umzubringen und dass der Mufti gegen existierende Überlegungen und Planungen in den Jahren 1942 und 1943 eine geringe Anzahl an Juden dem Holocaust entkommen zu lassen, intervenierte, dazu sagte Netanyahu nichts.

Das hätte von Netanyahu alles benannt werden können, wurde es aber nicht. Landauf, landab, bis in die sich mit Israel verbunden fühlenden Kreise, führten die Sätze Netanyahus zu einem Aufschrei und zur einhelligen Verurteilung. Netanyahu wälze die Verantwortung für den Holocaust auf die Palästinenser ab, hätte behauptet, der Mufti hätte Hitler zum Judenmord angestiftet, Netanyahu wurde die Instrumentalisierung, wenn nicht sogar die Relativierung des Holocaust vorgeworfen, die geäußerte Schlussfolgerung, er sei ein Holocaustleugner setzte dieser Argumentationslogik noch einen oben drauf. Wie immer, wenn es darum geht, Israel ans Bein zu pissen, konnten sich einige auf Gewährsmänner und -frauen in Israel stützen, diesmal sogar auf renommierte Historiker, wichtige Politiker, der Sprecherin von Yad Vashem u.a..

In dem Aufschrei gingen sowohl die spätere Richtigstellung Netanyahus als auch drei wesentliche Punkte seiner Rede unter, zum einen der Zusammenhang, indem diese Sätze geäußert wurden, nämlich, dass Netanyahu darauf hinwies, dass entgegen der palästinensischen Propaganda und der europäischen Wahrnehmung Israel keineswegs die Absicht habe, am Status des Tempelberges irgendetwas zu verändern, zum anderen die kaum zu bestreitenden Tatsache, dass die Juden in Israel aktuell einer mörderischen Kampagne ausgesetzt sind, die in einer langen Tradition des Judenhasses steht. Dass dieser Judenhass nicht zuletzt vom, vom antisemitischen Wahn verfolgten, nach wie vor in Palästina als Gewährsmann palästinensischer Unabhängigkeit angepriesenen, Mufti von Jerusalem formuliert und innerhalb der palästinensischen Community politisch durchgesetzt wurde.

Natürlich könnte man – wenn man außenpolitischer Berater Israels wäre, oder einer ist, der Bescheid weiß – diese Wahrnehmung auch Netanyahus fatalen Sätzen anlasten, der nun gerade kein Anfänger in der Politik ist und eigentlich um die Wirkung seiner Sätze Bescheid wissen müsste. Doch dies passiert in Israel, dem Land, das sich durch eine funktionierende Öffentlichkeit und Debatte auszeichnet. Trotzdem gerieren sich gerade auch mit Israel verbundene Gruppierungen, Kreise und Personen als wohlgesinnte Ratgeber israelischer Politik und „solidarische Kritiker“. Der hinlänglich bekannten Leier, man möge doch endlich den „Siedlungsbau“ einschränken, die Zweistaatenlösung umsetzten, den Rassismus im eigenen Land bekämpfen, auf Terror der Palästinenser rechtsstaatlich und „angemessen“ reagieren usw. usf., konnte nun der Tadel der auch in Geschichte und um die deutsche Verantwortung für den Holocaust Bescheidwissenden folgen.

Herr Natürlich

Nicht nur Herr Natürlich weiss Bescheid.

Merkwürdig, dass die Vielen nicht als offiziell bestallte Ratgeber der vielen Parteien in der Knesset oder gar als israelische Botschafter des guten Willens fungieren. Die Aufgabe einer Israelsolidarität ist es jedoch nicht, Israel im Guten beraten zu wollen, Häppchen auf Empfängen zu goutieren, Schüleraustausche zu organisieren, das Lied der Deutsch-Israelischen Freundschaft zu singen oder Deutschland angesichts der selbst bekundeten Verantwortung vor der Geschichte einen Orden für Versöhnung auszustellen und den eigenen Gefühlshaushalt in Ordnung zu bringen, nein die einzige Aufgabe ist es, den deutschen Diskurs über Israel rücksichtslos zu kritisieren, Israel gegen gut gemeinte Ratschläge, Kritik unter Freunden, Israelkritik und Antizionismus zu verteidigen, und das gerade auch dann, wenn der israelische Ministerpräsident von der deutschen Volksgemeinschaft mal wieder als frecher Jude erkannt wird. (jd)

Eine gute Auseinandersetzung findet sich auf Nichtidentisches: Hitler kennen, Netanyahu hassen – der reduzierte Antisemitismus.

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