75 Jahre Israel

Informationsstand des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel am 15. Mai 2023 ab 14:00 Uhr

Veranstaltung mit Alex Feuerherdt am 15. Mai 2023 um 19:00 Uhr im Philipp-Scheidemann-Haus

Vor 75 Jahren, am 14. Mai 1948, wurde der Staat Israel gegründet. Das hat man in Israel und in den jüdischen Gemeinden Deutschlands nach dem jüdischen Kalender in diesem Jahr schon am 25 April gefeiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen in Israel hat der israelische Präsident an die Erfolge des gemeinsamen Aufbauwerks für ein jüdisches und demokratisches Gemeinwesen erinnert. Uns vom BgA-Kassel geht es darum, am Jahrestag der israelischen Unabhängigkeitserklärung die gesellschaftlichen Hintergründe in unserem Land zu beleuchten, die in den Debatten über den Staat Israel immer wieder zu Tage treten.

Die Gründung des Staates Israel ist Ausdruck der nationalen Selbstbestimmung des jüdischen Volkes. Theodor Herzl schreibt in Der Judenstaat: „Wir sind ein Volk, ein Volk. Wir haben überall ehrlich versucht, in den uns umgebenden Volksgemeinschaften unterzugehen und nur den Glauben der Väter zu bewahren. Man läßt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwengliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut, wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrien; […] Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu […]“.

Trotz Jahrzehnte währender Bemühungen der israelischen Regierungen, mit den arabischen Nachbarn einen Ausgleich zu erzielen und eine friedliche Koexistenz zu entwickeln und obwohl Israel von Beginn an und bis heute der einzige demokratische Staat im Nahen Osten ist, wird bis heute der jüdische Staat – insbesondere von den palästinensischen Gruppierungen als Provokation und die nationale Selbstbestimmung der Juden von vielen Moslems nicht nur im Nahen Osten – als Beleidigung und Provokation angesehen. Diese Haltung wird von einer Mehrheit der in der UN Vollversammlung vertretenen Staaten geteilt. Immer wieder wird Israel dort als Beispiel eines aggressiven Apartheidstaats verteufelt und verurteilt. Trotz einer stabilen Demokratie, erwiesener Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, bleibt Israel auch nach 75 Jahren in den Augen eines bedeutenden Teils der Weltöffentlichkeit ein Unstaat, ein „Jude unter den Staaten“.

Auch in Deutschland dient der Staat Israel dem antijüdischen Ressentiment als Projektionsfläche, das uns in regelmäßigen Abständen die immer wiederkehrende Renaissance eines seit 1945 überwunden geglaubten irrationalen antisemitischen Wahns vor Augen führt. Die Gründung des Staates Israel ist die Antwort auf 2000 Jahre Judenhass und auf den in der Moderne fortexistierenden Antisemitismus. „Die Judenfrage besteht. Es wäre töricht, sie zu leugnen. Sie ist ein verschlepptes Stück Mittelalter, mit dem die Kulturvölker auch heute beim besten Willen noch nicht fertig werden konnten.“ (Theodor Herzl) Bis heute erinnert Israel die nichtjüdischen Gesellschaften – auch und ganz besonders Deutschland – daran, dass in ihnen ein jeder Vernunft spottender, irrationaler Wahn fortbesteht. Es ist also nicht nur der ewige Antisemit, der angesichts der schieren Existenz eines jüdischen Gemeinwesens glaubt, sein Unwesen treiben zu müssen, nein, es ist auch das in Abneigung und oft verkapptem Hass verkehrte schlechte Gewissen der deutschen Gesellschaft zu beklagen, dass das Bild der Gesellschaft vom israelischen Staat vollkommen verzerrt ist.

Wie zur Zeit des Dreyfuss-Prozesses oder des Berliner Antisemitismusstreits im 19. Jahrhundert stößt der Antisemitismus zwar auch heute auf teils deutliche Kritik, dennoch brechen antisemitische Ressentiments bis in die Gegenwart immer wieder aufs Neue hervor,

  • wie man es im deutschen Blätterwald und den sog. Qualitätsmedien allzu oft lesen und in den öffentlich rechtlichen Medien vernehmen kann,
  • wie man es 2022 während der 100 Tage auf der documenta 15 in Kassel sehen und erleben konnte,
  • wie man es z.B. an der ungebrochenen Popularität eines bedeutenden Rockmusikers der Gegenwart deutlich ablesen und/oder
  • wie man es an den regelmäßig wiederkehrenden islamistisch unterlegten und von linken Gruppen und Personen unterstützten Hassdemonstrationen gegen Israel,
  • und wie man es an der in einigen Städten Deutschlands zunehmenden Gefahr für Juden, tätlichen Übergriffen ausgesetzt zu sein und der allgemein hohen Zahl an antisemitischen Vorfällen beobachten kann.

Das deutsch-israelische Verhältnis ist seit Israels Staatsgründung vor 75 Jahren weder störungsfrei noch entspannt. Zum einen erinnern die lebenden Juden Deutschland immer daran, dass der Antisemitismus eine zentrale Rolle bei der Konstituierung der deutschen Volksgemeinschaft einnahm und die deutsche Nation es als Schicksalsaufgabe ansah, eine Welt zu schaffen, in der das Judentum als „Gegenvolk“ ausgerottet werden sollte. Der nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg Jahrzehnte lang währenden Verdrängung der deutschen Verbrechen und der bis heute andauernden Herausstellung, Opfer eines „verdammten Krieges“ (Guido Knopp) zu sein, folgte ab Mitte der Achtziger Jahre das Mantra von der „historischen Verantwortung“ und der „Wiedergutmachung“ deutscher Schuld in Form inbrünstigen Gedenkens. Dieses Gedenken gipfelt regelmäßig darin, dass der Holocaust zu einem Teil eines nationalen Selbstverständnisses erklärt wird. In Verkehrung der klassischen Schuldabwehr der Nachkriegszeit stellt sich diese heute als kaum kaschierte Anmaßung dar, von den Überlebenden der Schoah und ihren Nachkommen Vergebung zu erwarten, ja diese fast einzufordern.

Gänzlich unerträglich wird es, wenn gerade aus der deutschen Ecke – wo man angeblich so mustergültig seine Lektion aus dem Nationalsozialismus gelernt hat – in Oberlehrermanier Verhaltensmaßregeln an Israel erteilt werden. Wie reagiert ein Land „angemessen“, das permanent von unterschiedlichen palästinensischen Terrororganisationen, mit Raketen, Schusswaffen und Messern, angegriffen wird? Wie soll reagiert werden, wenn kein Verhandlungsangebot Grundlage für Gespräche sein kann und darf, u.a. weil der Iran den palästinensischen Terror direkt protegiert und Israel das Existenzrecht radikal abspricht? Was prädestiniert uns Deutsche Israel gegenüber zum Ratgeber? Wollen wir besser wissen, ob Terroristen durch Nachsicht und Toleranz zur Duldung eines israelischen Staates bereit sind oder wären, wo doch Nachgeben der israelischen Seite bisher in fast allen Fällen das Gegenteil erreichte? So hat z.B. 2005 die Räumung des Gazastreifen durch Scharon lediglich die Terroraktivität der Hamas von dort aus erhöht.

Am Tage der Unabhängigkeitserklärung Israels steht für uns die Forderung nach einer unverbrüchlichen und bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel im Vordergrund. Wir fordern von den politischen Vertretern, sich für ein Ende der Finanzierung der palästinensischen Terrororganisationen stark zu machen, deren Aktionen und Organisationen auf deutschem Boden zu verbieten und von der Bundesregierung zu verlangen, endlich wirksame Schritte gegen die antisemitische Mullah-Diktatur im Iran zu unternehmen. Dafür werden wir, wie fast jedes Jahr, mit unserem Info-Stand auf dem Friedrichsplatz in Kassel werben.

Ab 19:00 Uhr haben wir dann Alexander Feuerherdt dazu eingeladen, anlässlich des 14. Mai 1948 einen kritischen Blick auf das Bild Israels in der „internationalen Gemeinschaft“, in der deutschen Gesellschaft und deutschen Politik zu werfen.

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Alex Feuerherdt ist freier Publizist und veröffentlicht regelmäßig Texte zu den Schwerpunktthemen Israel/Nahost, Antisemitismus und Fußball, unter anderem in der Jüdischen Allgemeinen, in der Jungle World und auf Mena-Watch. Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von „Vereinte Nationen gegen Israel“ (2018) sowie „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“ (2020), beide erschienen bei Hentrich & Hentrich.

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Ostermarsch: Gewaltspiralen und Unterwerfung

The Upper Class Twit of every Year in Kassel

Und täglich grüßt das Murmeltier? In Kassel tut es das jährlich, aber man beleidigt ein harmloses Tierchen, wenn man den Marsch der Unbelehrbaren, der jährlich in Kassel zu Ostern abgehalten wird, mit diesem assoziiert. Angesichts des russischen Angriffskrieges, der klar geäußerten Kriegsziele Russlands und des politischen Charakters des russischen Regimes verblüfft das Ausmaß an kognitiver Dissonanz des Aufrufs des diesjährigen Ostermarsches. Dagegen zu argumentieren mutet an, wie Eulen nach Athen zu tragen. Wir tun es trotzdem.

Vor über einem Jahr überfiel Russland die benachbarte Ukraine. Mit dem diesem Krieg zugrundeliegenden großrussischen Nationalchauvinismus hielten weder Putin noch seine Satrapen hinterm Berg. Jeder, der will, kann das nachlesen. „Als Wladimir Putin am 18. März 2014 in seiner Rede vor der Duma anlässlich der Krim-Annektion die Ukrainer als ‚Brudervolk‘ bezeichnete, konnte das für die allermeisten ukrainischen Brüder nur als Drohung zu verstehen sein, weil diese Bezeichnung nicht erst seit dem real existierenden Sozialismus und der Breschnew-Doktrin immer schon die verklausulierte Forderung nach Unterwerfung unter den russischen Hegemon bedeutet hat. Das russische Herrenvolkdenken wurde in der Geschichte nur für den kurzen Moment von 1917 bis in die 1920er Jahre durch Lenins Nationalitätenpolitik etwas zurückgedrängt, die vor allem von der Bekämpfung dieses großrussischen Chauvinismus motiviert war.“1 Auch in Sachen Charakter des russischen Regimes kann man sich höchstens darüber streiten, ob man es mit einem faschistischen Regime postmodernen Zuschnitts zu tun hat oder mit einer Gangsterbande aus den Strukturen des FSB, der es gelang, die staatlichen Strukturen des riesigen Landes zu okkupieren.2 Wir wollen uns aber nicht länger mit diesen Fragen hier aufhalten, denn jeder der möchte, kann auch dies ausgiebig anhand der zur Verfügung stehenden Literatur selbst tun.

Der Ostermarsch wird auch von der VVN-BdA Kassel und ihrem Anführer Dr. Ulrich Schneider unterstützt. Vor dem Hintergrund der von dieser Vereinigung wie eine Monstranz vor sich hergetragenen Losung “ Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ zeigt sich deren wahre Intention einmal mehr in der Interpretation: „Nie wieder Krieg gegen Faschismus!“

Unterwerfung schaffen ohne Waffen

Der diesjährige Aufruf zum Ostermarsch3 beginnt pflichtschuldigst mit der Erklärung: „Der letzte Ostermarsch wurde überschattet vom Einmarsch Russlands in die Ukraine. Damals wie heute verurteilen wir diesen Angriffskrieg und die damit verbundene Annexion ukrainischen Territoriums.“ Ok, von einem Angriffskrieg ist die Rede. Er wird sogar verurteilt. Es scheint den Ostermarschierern wichtig zu sein, das zu betonen. Über die Absichten der russischen Angriffskrieger und wie man sich als ein im Verhältnis zu Russland kleines und bitterarmes Land diesen entgegenstellt, darüber erfahren wir in den nächsten Zeilen aber nichts.

Gleich im nächsten Absatz aber heißt es: „Die Sanktionen und Waffenlieferungen der NATO-Staaten hatten und haben das Ziel, Russland wirtschaftlich massiv zu schaden und militärisch zu besiegen.“ Prima erkannt! Was für eine gute Idee, den Angriffskriegern massiv zu schaden, ihnen also das Handwerk zu legen, indem man dazu beiträgt, dem Aggressor eine militärische Niederlage beizufügen. Haben die Ostermarschierer nach über 62 Jahren die Agitation gegen die NATO endlich aufgegeben und pflichten ihr darin bei, dass den Opfern eines Angriffskrieges beizustehen sei?

No Pasaran? Putin Pasará!

Doch dann heißt es im nächsten Halbsatz der Ostermarschierer, die Waffen und Sanktionen würden den Krieg nicht beenden. Als 1937 die faschistischen Putschisten vor Madrid standen, wurden sie von den bewaffneten Republikanern, die damals entscheidende Unterstützung vieler linker und demokratischer Organisationen und der Sowjetunion erhielten, vor Madrid gestoppt. Die Nichteinmischungspolitik Großbritanniens, Frankreichs und der USA, zu der ein Waffenembargo (gegen alle Kriegsparteien) gehörte, führte jedoch dazu, dass die Republikaner gegenüber den gut ausgerüsteten Faschisten zunehmend ins Hintertreffen gerieten. Der Ausruf „No Pasaran!“ hörte sich mutig und entschlossen an, entscheidend war, dass die Faschisten Waffen und Soldaten von Deutschland und Italien erhielten. Findet sich wenigsten ein „Stoppt Putin!“ im Aufruf? Doch noch nicht einmal das hören wir im Aufruf der Ostermarschierer! Die Republik konnte sich gegen diese Übermacht nicht halten. Die gegen Ende des Bürgerkrieges geführten Verhandlungen mit den übermächtigen Faschisten konnten das Massaker an hunderttausenden Republikanern nicht verhindern.4

Auch der nur bedingt zulässige Vergleich mit dem deutschen Angriffskrieg gegen Dänemark, Norwegen, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien und Griechenland mit dem Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen Polen, Jugoslawien und dann gegen die Sowjetunion zeigt, wie absurd und geschichtsvergessen diese These ist. Die seit 1941 Seite an Seite stehenden Alliierten hielten der Naziwehrmacht nur stand, weil sie in großem Stil von den USA, die UdSSR sogar von dem bedrängten Großbritannien mit Waffen beliefert wurden.5

Der historisch passendere Vergleich ist der mit dem Ersten Weltkrieg. 1914 überfiel Deutschland seine Nachbarnationen Belgien und Frankreich. In Belgien verübten deutsche Soldaten zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung, ganze Landstriche und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. Deutschland beanspruchte in seiner Kriegszielpolitik ganz offen große Gebiete beider Nachbarländer oder stellte die Existenzberechtigung Belgiens als Nation gleich ganz in Frage. Frankreich, Belgien und die sie unterstützenden Briten konnten den Angriff der kaiserlichen Armee nur standhalten, weil sie massiv von den USA unterstützt wurden. Alle Versuche, Verhandlungen aufzunehmen, um das entsetzliche Gemetzel an den Fronten zu beenden, scheiterten vor allem an den Maximalzielen des deutschen Kaiserreiches.6

Der Satz „Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die NATO-Staaten intensiviert und verlängert den Krieg“ stimmt nur insofern, als dass die Unterstützung der Ukraine diese vor dem Zusammenbruch bewahrte, also Russlands Angriffskrieger daran hinderte, nach Kiew durchzumarschieren und dort wie schon im Donbass eine moskauhöriges Regime zu installieren. Die Waffenlieferungen der Nato-Staaten halfen der ukrainischen Armee standzuhalten: No Pasaran! Die Einstellung der Waffenlieferungen würden den russischen Truppen den Weg freimachen, die Forderung der Ostermarschierer bedeutet im Klartext: Putin Pasará!

Damit der deutsche Michel wieder ruhig schlafen kann – Verhandlungen um jeden Preis!

Die Friedensbewegten meinen zu wissen, dass es im Krieg zwischen der Ukraine und Russland anders zugeht. In ihrem Aufruf kann man nachlesen: „Im März 2022 gab es in Istanbul Verhandlungen zur Lösung des Konfliktes.“ Der Krieg ging bekanntlich trotzdem weiter, warum? Ein Schuldiger ist gefunden. Es ist der Westen. Im Aufruf der Ostermarschierer heißt es: „Der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit“. Ob diese Behauptung tatsächlich stimmt, darüber scheinen sich die Verfasser nicht so ganz sicher zu sein, denn sie schieben den Satz hinterher: „So äußerte sich General a.D. Harald Kujat in einem Interview.“ Wo dieses Interview stand, verschweigen die Friedensfreunde vornehm. Es erschien zuerst in der bei vielen Linken als rechtsextrem geltenden Preußische Allgemeine am 30.11.2022.7 Kujats Thesen machten dann aber auch in einigen seriöseren Presseorganen die Runde, obwohl sie jeder Grundlage entbehrten.

Der bisher gewiss nicht als Propagandist des Krieges und der Aufrüstung aufgefallene Soziologe Paul Schäfer8 führt dazu näher aus: „[…] Selenskyj [erklärte] noch am 10. April 2022, dass er trotz der Grausamkeiten der russischen Armee wie in Butscha und Irpin weiter Frieden wolle. […] als Politiker wolle er keine Gelegenheit für eine diplomatische Lösung verpassen. Putin dagegen verkündete am 12. April, Kiew habe die Friedensgespräche zum Scheitern gebracht, indem es in Butscha russische Kriegsverbrechen inszeniert habe. Bereits zuvor gab es entsprechende Aussagen russischer Regierungsvertreter: Am 3. April sagte Wladimir Medinski, Leiter der russischen Verhandlungsdelegation, Russlands Haltung zum Donbass und zur Krim sei unverhandelbar und Gespräche zwischen den Präsidenten seien nicht möglich.“9

Im Folgenden seien die Ausführungen der Wissenschaftlerin Sabine Fischer über die Rahmenbedingungen zitiert, die dazu führten, dass die Verhandlungen in Istanbul abgebrochen wurden. „Für die Beurteilung des Verhandlungsverlaufs im April 2022 muss jedoch der politische und militärische Kontext berücksichtigt werden. Die drastische Verschlechterung der Atmosphäre erklärt sich aus dem Kriegsverlauf. Nach dem Scheitern des Angriffs auf Kyjiw gab Moskau die Nordfront auf und konzentrierte seine Kriegsanstrengungen auf den Donbas und den Süden der Ukraine.10 Schäfer bringt in Auswertung der Gespräche Draghis mit Putin die Situation auf den Nenner, dass Putin deutlich macht, die erreichten und formulierten Kriegsziele stünden nicht zur Disposition. „Die Formel des Kreml lautet seitdem: Friedensverhandlungen Ja, aber zu unseren Bedingungen. Und: Von den Ergebnissen unserer Militäroperation, der Annexion nämlich, rücken wir nicht ab.“11

Der Historiker Hans-Henning Schröder sieht zwar nur in Verhandlungen eine Perspektive den Krieg zu beenden, denn „der Krieg wird [..] voraussichtlich nicht durch einen militärischen Sieg einer Seite beendet, sondern am Verhandlungstisch. Der weitere Verlauf der Kriegshandlungen wird aber unmittelbare Auswirkungen auf den Ablauf der Gespräche und deren Ergebnis haben. Insofern versuchen beide Seiten auf dem Schlachtfeld Vorteile zu erzielen, die sich politisch ummünzen lassen. Für die ukrainische Seite gibt es keinen anderen Weg. Sie kämpft um das Überleben ihres Staates. Ihre Verteidigungserfolge schaffen erst die Voraussetzungen für Verhandlungen.“12 Die Plädoyers aber nach Verhandlungen bei gleichzeitiger Forderung, die Waffenlieferungen einzustellen, bedeuten dagegen nichts anderes, als die Ukraine den Großmachtphantasien Russlands auszuliefern.

Und daher kommen wir jetzt nochmal auf die historischen Analogien zurück. Obwohl Russlands Militärführung Welle auf Welle ihrer schlecht ausgerüsteten und geführten Soldaten in das massive und präzise Abwehrfeuer der Ukrainer treibt, ist ein militärischer Sieg über die Ukraine aktuell nicht in Sicht. Doch die ja tatsächlich schon seit 2014 laufenden Verhandlungen scheitern vor allem daran, woran auch die Versuche mit Friedensverhandlungen im Ersten Weltkrieg scheiterten, an den unverhüllt formulierten Annexionsplänen Moskaus und der bis heute kaum hinter dem Berg gehaltenen Absicht, der Ukraine nur eine Teilsouveränität zuzugestehen.13

Das fleischgewordene Elend der Unterwerfung wird durch den unvermeidlichen Harald Fischer, ehemals Dechant des katholischen Dekanates Kassel-Hofgeismar, verkörpert. Diesem Herrn und dem Ostermarsch widmete die HNA am 04.04.2023 eine ganze Seite. Man kann die überaus peinliche Naivität Fischers auf zwei Sätze zusammendampfen, die er der HNA auf die Frage „Lässt sich Putin ohne Waffen stoppen?“ antwortet: „Die Frage ist zu kurz gestellt. Und zu einfach. Gegenfrage: Lässt er sich mit Waffen stoppen […] Wir brauchen einen Weg raus aus der Gewaltspirale. [….] Ich setze mich ein für einen gewaltfreien Widerstand gegen Unrecht und imperiale Machtgelüste von Verbrechern.“14 Angesichts der Massaker an der wehrlosen Zivilbevölkerung durch russische Truppen in einigen ukrainischen Städten ist diese Aussage nicht nur naiv, sondern skandalös. Wir müssen an dieser Stelle die Ausführungen über die deutsche Sehnsucht nach Unterwerfung der Ukraine beenden. Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Unterstützer und angekündigten Redner des Ostermarsches.

Kassels Frühstücksverleumder: GEW, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, VVN-BdA Kassel, und „Dylans Dream“

Unterstützt wird der Ostermarsch bestürzender Weise von der GEW Kassel-Land und Kassel-Stadt. Wir haben es mit einer Gewerkschaft zu tun, die Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen vertritt, also mit Personen, die man als Multiplikatoren bezeichnet. Weiter finden wir die VVN-BdA Kassel und die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG), die den Aufruf unterstützen. Das ist eine alte Liebe, die wir schon mehrfach beschrieben haben.

Neben dem MLPD-U-Boot, dem „VW-Komitee“ ist die DPG die einzige Gruppe aus Nordhessen, die die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt. Das Thema Israel und Palästina spielt im aktuellen Aufruf keine Rolle. In Kassel wird neben Fischer auch die ehemalige „Chefin“ (HNA) der DPG Brigitte Domes, die mittlerweile unter dem Label „Kasseler Friedensforum“ segelt, eine Rede halten. Frau Domes unterzeichnete u.a. 2017 einen Brief eines „Instituts für Palästinakunde“.15 Ja, so etwas gab oder gibt es tatsächlich. Man muss sich über gar nichts mehr wundern, auch nicht darüber, dass Lokalbarden den Namen Bob Dylan schänden, in dem sie ihr alljährlichen Paktieren mit den deutschen Friedensfroinden als Dylans Traum verkaufen. Aus diesem Grunde schließen auch wir mit Bob Dylan.16

Sing of Sherman – Montgomery and Scott
Sing of Zhukov and Patton and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved out the path for Martin Luther King
Who did what they did and then went on their way
Man, I could tell their stories all day

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1 Das Hilfsvolk der Russen. Zur Geschichte des ukrainischen Nationalismus bis 1945, Bahamas, Heft 69. Die Reden Wladimir Putins und Dmitij Medwedews sind im Heft Osteuropa1-3/2022, „Russlands Krieg gegen die Ukraine. Propaganda, Verbrechen, Widerstand“ nachzulesen.

2 Dazu, Thorsten Fuchshuber / David Hellbrück: Ein Meister der Rackets ist noch kein Gegenhegemon. Gespräch über Russlands Machtgefüge und den Ukraine-Krieg 2022 und Andreas Umland, Aleksandr Dugins Kreuzzug gegen den Liberalismus und seine Verbindungen nach Deutschland, kritiknetz.de, 01.01.2023.

3 Der Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch ist hier nachzulesen: Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg! Aufruf zum Ostermarsch 2023.

4 Einen guten Überblick über den spanischen Bürgerkrieg bietet Antony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006.

5 Hierzu z.B.: Richard Overy, Die Wurzeln des Sieges, Warum die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, Stuttgart 2000.

6 Über die deutschen Kriegsziele, z.B.: Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf, 1961; Deutschland im Ersten Weltkrieg, Berlin 1971; Über die Massaker deutscher Truppen in Belgien: John Horne und Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914, Hamburg 2004.

7 Paul Schäfer, Die Johnson-Legende. Wie der Westen angeblich einen Friedensvertrag verhinderte, Blätter für Deutsche und internationale Politik, April 2023, S. 100. Ob die Bezeichnung „rechtsextrem“ die Preußische Allgemeine Zeitung richtig kategorisiert, ist eine Frage, die wir hier nicht vertiefen wollen. In dem Spektrum dessen, welches die Friedensbewegung bis vor einigen Jahren mobilisierte, war es undenkbar sich auf andere Vertriebenenorganisationen als die des Heldenvolkes im Nahen Osten zu berufen, galten diese doch per mindestens als rechtslastig.

8 Homepage, Paul Schäfer.

9 Schäfer, S. 102.

10 Sabine Fischer, Friedensverhandlungen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Mission impossible, SWP-Aktuell 2022/A 66, 28.10.2022.

11 Schäfer, S. 106.

12 Hans-Henning Schröder, Krieg und Verhandlungen. Voraussetzungen für Frieden in der Ukraine, online-Beitrag Osteuropa, 16.02.2023.

13 Die Verhandlungen im sogenannte Normandieformat und das Minsker Abkommen scheiterten letztendlich daran, dass Moskau weder mit der Ukraine direkt verhandeln wollte, noch die Rückgabe der annektierten Krim und der de facto annektierten ostukrainischen Oblaste in Aussicht stellte. Dazu ausführlich: Desinformationsexpertin. Russland, die Ukraine und Frau Krone-Schmalz, in Osteuropa 9-10/2022; Auch: Hans-Henning Schröder, ob.cit.

14 Waffen sind nicht die Lösung. Interview mit Pfarrer Harald Fischer, HNA, 04.04.2023. Im Frühjahr 2022 kam es in einigen ukrainischen Städten wie in Cherson und Nowa Kachowka zu Protesten der Zivilbevölkerung gegen die russischen Besatzer. Russland zog die Besatzungstruppen nicht ab und ging z. T. gegen die Proteste mit Waffengewalt vor. Befreit wurden die Städte durch vorstoßende ukrainische Truppen. Siehe z.B. Verletzte bei Protesten gegen Besatzer, Tagesschau, 06.03.2022. In anderen Städten kam es bekanntlich zu Massakern an der ukrainischen Zivilbevölkerung durch die russischen Besatzungstruppen.

15 Institut für Palästinakunde, Gegen Verstrickung in Raub und ethnische Säuberung, Neue Rheinische Zeitung, 07.06.2017.

16 Bob Dylan hat sich nicht nur mit seinem Song „Neighborhood Bully“ klar für Israel ausgesprochen, sondern sich dagegen gewandt, sich für die „Sache des Friedens“ vor den Karren spannen zu lassen. Dazu möchten wir auf den Blogbeitrag des Musikjournalisten Thomas Waldherr verweisen: „Bob Dylan, der Frieden, und der Krieg in der Ukraine. Der Songwriter großer Friedenslieder und seine jüdischen Wurzeln in Odessa.“: Dylans klassische Protestsongs sind großartige Hymnen gegen den Wahnwitz des Krieges […]. Sie sind aber nicht die Gedanken eines Pazifisten. […] Von ihm [Bob Dylan] ist auch die interessante Aussage überliefert, dass er sehr wohl sich für den Frieden einsetze, aber nicht für die „Sache des Friedens“.

Atomic-FAZ features Everybody’s Darling Meron Mendel

Phantasien über die Bundeswehr
(vom Gast-Autor Günther Jacob)

Ein Interview mit Meron Mendel hat die Atomic-FAZ1 provokant mit der Headline „Steht die Bundeswehr demnächst an der Klagemauer?“2 versehen. Auch in der gedruckten Ausgabe, wo die riesige Überschrift noch erschreckender wirkt. Man sieht die Überschrift und weiß in dem Moment noch nicht was damit gemeint ist? Wie kommt die Bundeswehr an die Klagemauer? Diese Irritation ist natürlich beabsichtigt: eine deutsche Phantasie steht kurz im Raum und wird dann wieder eingefangen und eingeordnet.

Gleichzeitig erschienen mehrere redaktionelle Artikel, in denen vor einem israelischen Faschismus gewarnt wird. Das Thema kommt an: „Israelkritik“ kann jetzt in der Rolle des besorgten deutschen Antifaschisten vorgetragen werden. Gestern Trump und die Polen, jetzt die Israelis: die Deutschen müssen überall die Brandherde löschen und gefallen sich in dieser selbst erfundenen Rolle. Nur im Iran machen sie eine Ausnahme. Bundeswehr an der Klagemauer? Die Entscheidung für diese widerliche Headline über dem unsäglichen Interview mit dem unsäglichen Mendel ergibt sich nicht zwingend aus dem Text. Es geht dort um die Frage, ob aus der von Merkel formulierten deutschen Verpflichtung zur Unterstützung Israels im Kriegsfall auch eine militärische Beistandsverpflichtung folgt?

Natürlich ist es völlig absurd anzunehmen, dass in einem Kriegsfall die Frontlinie an der Klagemauer verlaufen sollte. Wer sollte die IDF dorthin abdrängen (Hamas, Hisbollah, Assad?) und warum sollte sie dort ausgerechnet von der Bundeswehr geschützt werden müssen?

Das absurde Beispiel kommt von dem „Historiker“ Mendel3. Mendel wuchs in Israel in einem Kibbuz in der Wüste auf und studierte in Haifa, dann in München und war in Israel in der Givʿat Chaviva4 aktiv. Jetzt spricht er als guter Deutscher von „unserer Bundeswehr“. Sollen „wir“ Soldaten nach Jerusalem schicken? Und dann folgt der Satz von der Bundeswehr an der Klagemauer5, von dem die Atomic-FAZ so begeistert ist, dass sie ihn als Artikelüberschrift wählt.

Die Subjektposition „Meron Mendel“, eine Sprechpuppe, die ständig sagt: „ich als Historiker“, obwohl sie nur mit tagespolitischen Kommentaren zitiert wird, ist eine Erfindung der deutschen Medien, die ihn als Kronzeugen gegen den „dogmatischen“ Zentralrat brauchen und einsetzen und zusammen mit seiner muslimischen Frau als Beispiel für „interreligiöse“ Diversität.

Als Kronzeuge gegen die Jüdischen Gemeinden wurde er besonders während der documenta 15 eingesetzt, danach im Fall HFBK.6 Man muss nur die Plattitüden in seiner ersten Antwort auf die erste dumme FAZ-Frage lesen, um zu verstehen was für ein „Historiker“ dieser „Diskursgauner“ (BGA Kassel) ist. Peinliche Phrasen wie: „Jede deutsche Debatte über Israel geschieht vor der Kulisse (!) der Vergangenheit“, sind bei ihm Vorlagen, um von der Atomic-FAZ einem „nüchternen“ Blick auf Israel zu verlangen und in antisemitischer Manier mit einer geschmacklosen Metapher vor einem deutschen „Blankoscheck“ (sic!) für das „nationalistische“ Israel zu warnen.

Man weiß sofort, warum er für die anti-nationalistische FAZ der Traum-Israeli ist. Der Mann grenzt sich nur vom BDS ab, um im gleichen Atemzug die israelische Regierung mit dem BDS gleichzustellen und Deutschland vorzuschlagen, sich gegenüber Israel nicht mehr verpflichtet zu fühlen. Die pro-iranische FAZ, die Trump dafür kritisierte, dass er Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte, heuchelt zurück: „Wegen Trump stellte auch niemand das Existenzrecht der USA in Frage. Bei Israel ist man geneigt zu sagen, die Anerkennung halten wir aufrecht angesichts der Holocaust-Erfahrung, oder nicht?“ (Hervorhebung vom Autor) Auf diesen nicht zufällig verunglückten Satz (wessen „Holocaust-Erfahrung“ meinen sie?) antwortet der „Historiker“: Israel ist bald nur noch „auf dem Papier“ ein sicherer Hafen für Juden! Das diktiert der den Journalisten der FAZ in den Blog, der ständig den Namen „Anne Frank“ für seine Zwecke nutzt. Und die FAZ stimmt begeistert ein: Wenn sich die „religiösen Fanatiker“ dort durchsetzen, ist Israel „nicht mehr der Staat der Geflüchteten“, sondern der Staat der „Siedler“ und dann ist Deutschland, das Millionen an Abbas und indirekt an die Hamas zahlt, endlich raus aus dieser Nummer mit dem nervigem „opferzentriertem Narrativ“ und seinem partikularen „Nie wieder!“.

Da kann die Zeitung für Deutschland dann fragen: „Haben Sie eine Idee für uns Deutsche? Wie wir aus dieser … scheinheiligen Lage herauskommen?“ (Hervorhebung vom Autor) Und der „Historiker“ antwortet: „Ja, mit mehr Ehrlichkeit“, mit mehr „Klartext“ und mehr deutschen NGOs, die in Israel „hineinwirken“.

Dieser Mann schreibt mit Heinz Bude gerade an einem weiteren „Abschlussbericht“ zur documenta.

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1 Seit 2/22 hat die FAZ drei Mal auf der Titelseite die deutsche Atombombe gefordert. Reinhard Müller meint, dadurch könne sich Europa, indem die USA traditionell den Ton angeben, emanzipieren. Atomwaffen für Deutschland? FAZ, 20.04.2020

2 Steht die Bundeswehr demnächst an der Klagemauer? FAZ, 04.03.2023.

3 Mendel promovierte über Lebensrealitäten jüdischer Jugendliche in Deutschland bei Micha Brumlik. (Wikipedia).

4 Givʿat Chaviva wurde 1949 als Kulturstiftung der Bewegung […] Ha-Schomer ha-Zaʿir gegründet […]. Als im Laufe der Zeit immer deutlicher wurde, dass die Freiheit und Gleichheit der Kibbuzbewegung und die Ungleichheit von Israelis und Arabern in einem Widerspruch standen, begann sich die Organisation der jüdisch-arabischen Verständigung zuzuwenden. […] Ziel ist es seither, die Integration der arabischen Minderheit Israels zu fördern, zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Verständnis zwischen Juden und Arabern beizutragen sowie die Friedensforschung im Nahen Osten zu fördern. (Wikipedia).

5 (FAZ): Und die spannende Frage bleibt, was genau gemeint ist damit. (Mendel): Richtig. Heißt das, die Bundeswehr steht demnächst an der Klagemauer? Dass wir Soldaten nach Jerusalem schicken?

6 Vgl.: Dialog mit den Propagandisten des Israel-Hasses in Hamburg und die Ruhe in Kassel.

Hate to say I told you so

Eine Chronologie: Frühe Kritik – Schuldabwehr, Ignoranz und Antisemitismus auf der Weltkunstaustellung in Kassel

Am 07. Januar 2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir die grundlegende Ausrichtung der documenta, die Zusammensetzung der künstlerischen Leitung und des documenta-Beirates und führten am Beispiel der Gruppe The Question of Fundig aus, dass ein systematischer Zusammenhang von Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus besteht, der in den auf der Weltkunstausstellung zu erwartenden Kunstwerken Ausdruck finden wird. Unsere Annahme, dass die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet, war substantiell und wohl begründet.

In dem nun veröffentlichten Abschlussberichtes des vom Aufsichtsrat der documenta GmbH berufenen Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen heißt es:

„Die documenta fifteen fand vom 18. Juni bis 25. September 2022 unter der künstlerischen Leitung des Kurator*innenkollektivs ruangrupa statt. Bereits im Vorfeld der Ausstellungen waren Befürchtungen laut geworden, dass es bei der Ausstellung zu antisemitischen Vorfällen kommen könnte. Diese bewahrheiteten sich bereits am Eröffnungswochenende durch den Fund zweier antisemitischer Darstellungen in dem Werk People’s Justice des Künstler*innenkollektivs Taring Padi. Auch gegen andere Werke wurden in den folgenden Wochen Antisemitismusvorwürfe erhoben.“1

Zunächst nahmen einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (wie Zeit, NZZ,Welt, BILD, FAZ und sogar die TAZ und der Spiegel) unsere Anfang Januar 2022 veröffentlichte Kritik auf2, der sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) anschlossen.3 Ein Problembewusstsein ließen jedoch weder Christian Geselle als Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH und – bis auf die FDP, die Junge Union Kassel, das Sara Nussbaum Zentrum und das Jungen Forum DIG – irgendein anderer relevanter Akteur der Stadt und der „Zivilgesellschaft“ erkennen. Im Gegenteil. Geselle ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.4 In erschütternder Ignoranz oder Ahnungslosigkeit tat dann Geselle vor der Kamera der Hessenschau kund, im Falle der völkisch-nationalistischen und antisemitischen Propaganda des umstrittenen Künstlerkollektivs aus Palästina handele es sich um die künstlerische Befassung mit landwirtschaftlichen Fragen. Dies sei von der Kunstfreiheit gedeckt.5

Am Holocaustgedenktag 27.01.2022 besuchte eine Delegation aus Kassels Partnerstadt Ramat Gan Kassel. Obwohl die Diskussion um die fragliche Ausrichtung der documenta in der überregionalen Presse schon im Gange war und es klar war, wen man nach Kassel geholt hatte, ließ es sich der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Geselle nicht nehmen, sich mit den Teilnehmern der Delegation aus Israel vor dem ruru-Haus abzulichten. Dort, so hieß es in einer Pressemitteilung der Stadt, wurden „sie durch die documenta‐Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann und Reza Afisina, Mitglied der documenta fifteen‐Kuratorengruppe ruangrupa, begrüßt.“6 Reza Afisina unterzeichnete, wie viele andere Protagonisten der documenta 15, die Erklärung A Letter Against Apartheid in der ausdrücklich auch der kulturelle Boykott Israels gefordert wird.

Auch die künstlerische Leitung der documenta 15 wies jede Kritik zurück und versuchte den Spieß umzudrehen. In der ersten ausführlicheren Erklärung wurde am 12.01.2022 dementiert, dass es jemals zu Antisemitismus auf der documenta 15 kommen könnte und man warf den Kritikern vor, rassistisch zu diffamieren und verfälschende Berichte lanciert zu haben. Man erklärte den Hass auf Israel als eine Form sich in lokalen Kontexten angesichts „herausfordernder Fragen unserer Gegenwart“ zu engagieren. Um diesen entsprechend zu kontextualisieren und als legitime Stimme erklären zu können, kündigten die documenta-Macher ein internationales Expertenforum an, das „Stimmen aus verschiedenen Bereichen, darunter Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Holocaust- und Antisemitismusforschung“ versammeln sollte, um in einer Debatte über das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von „steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie zu diskutieren.“7

Nach diesem Potpourri aus Nebelkerzen, postkolonialer Holocaustrelativierung und islamischer Opferideologie verkündete Geselle: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete, dass er keine Anzeichen dafür sehe, „dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta infrage gestellt werde.“ Gleichzeitig war es ihm wichtig darauf hinzuweisen, dass die Menschen in Palästina ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben hätten. In freier Assoziation fügte Geselle hinzu, genau dies sei das Ansinnen der geladenen Künstler nach ökonomischer und sozialer Autonomie.8 Mit Menschen in Palästina meinte Geselle die Palästinenser. Freilich gibt es Palästina nur als geographische Bezeichnung eines Landstriches, zwischen Jordanien und dem Mittelmeer. In der nationalen Ideologie der Palästinenser ist, wenn von Palästina als anzustrebender Staat die Rede ist, genau dieser geographische Raum gemeint. Die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free!“ sagt genau dies aus. Nichts anderes bedeutet die angestrebte ökonomische und soziale Autonomie, die vom Oberbürgermeister den Künstlern als zentrales Anliegen völlig richtig zugeschrieben wird, ohne zu verstehen, was er damit gesagt hat.

An dieser Grundhaltung änderte sich bis zur Eröffnung der documenta 15 nichts. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. „Er appellierte, genau hinzuschauen: Es würden Fragen diskutiert, die bei der Ausstellung überhaupt nicht zur Debatte stünden.“9 (Hervorhebung d.d.V.)

Antisemitismus auf dem Friedrichsplatz und fehlende fachliche Kompetenz

Am 18.06.2022 hängte die Agitprop-Truppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, das – unter anderem – eine bösartige Karikatur eines Juden zeigte, die abgesehen von der SS-Rune am Hut auch im Stürmer hätte stehen können. Das Banner wurde zunächst verhüllt und erinnerte in diesem Zustand – ein Schuft, wer Böses dabei denkt – an die Ka’aba oder doch zumindest an den von Christo verhängten Reichstag als Symbol des wiedergutgewordenen Deutschland. Erst nach diesem dummdreisten Versuch, einen Schandfleck auch noch zu heiligen, musste das Banner schließlich verschwinden. Die „Tokyo Reels“, eine Ansammlung von Propagandafilmchen zum Ruhme der antisemitischen Söldnerbande PFLP, liefen hingegen vom ersten bis zum letzten Tag der documenta.

Nachdem dem Coup der Taring Padi, zeigte sich Geselle zerknirscht und gab sich wütend und enttäuscht. Und wie immer wenn es zu antisemitischen Vorfällen kommt, nicht den Juden wird damit in erster Linie Schaden zugefügt, sondern es sei „ein immenser Schaden für unsere Stadt und die documenta entstanden.“10 Vor dem Hintergrund, dass die Führung der documenta 15 mit Israel-Hassern durchsetzt war, dass es der Gruppe Taring Padi gelang ein „Protest – Banner“11 aufzuhängen, war es dem Oberbürgermeister weiterhin wichtig zu warnen, die „documenta fifteen nicht unter Generalverdacht“ zu stellen, denn die künstlerische Leitung habe „sich ebenfalls klar gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Art von Diskriminierung positioniert.“12 Wie sich eine künstlerische Leitung, die sich überwiegend der Boykottbewegung gegen Israel verbunden fühlt, klar gegen Antisemitismus aussprechen kann – blieb nicht nur das Geheimnis des Oberbürgermeisters und Aufsichtsratsvorsitzenden.

Auf der etwa einen Monat später folgenden Sitzung des Aufsichtsrates war erneut die Rede davon, dass der documenta Schaden zugefügt worden sei, Vertrauen sei verloren gegangen, dies gelte es nun zurückzugewinnen. Man schickte die Generaldirektorin Sabine Schormann in die Wüste. Darüber nachzudenken, dass man die Antisemiten von Taring Padi, The Question of Funding, Hamja Ahsan – um nur die schlimmsten zu nennen – nach Hause schickt und die Kuratoren nun an die kurze Leine nimmt, galt nach wie vor als Sakrileg. Nach dem Motto, wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis, empfahl der Aufsichtsrat der Gesellschafterversammlung „eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen, die sich aus Wissenschaftler*innen zum Gegenwartsantisemitismus, deutschen sowie globalen Kontext und Postkolonialismus sowie der Kunst zusammensetzt.“13 Ein paar Tage später ernannte der Aufsichtsrat Alexander Fahrenholtz zum Nachfolger Schormanns. In einem Interview in der deutschen welle gab der neue Geschäftsführer folgenden bemerkenswerten Satz von sich: „Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz.“14

Die, die genau hinschauten und die, die weiter machten!

Das dann gebildete Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen schaute genau hin, nahm die Arbeit auf und wurde, wie einige Journalisten, Besucher und Kritiker vorher auch, fündig. Am 10.09.2022 veröffentlichen einige Mitglieder des Gremiums eine Erklärung, die sich ausschließlich der Filmvorführung der Gruppe Subversive Film widmete. Dort konnte man dann von denen lesen, die genau hinschauten, was für Fragen auf der Ausstellung im Focus einiger Künstler standen:

„Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen. Hoch problematisch an diesem Werk sind nicht nur die mit antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente, sondern die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler:innen, in denen sie den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren. […] Israel wird ein ‚faschistischer‘ Charakter vorgeworfen und unterstellt, einen ‚Genozid‘ an den Palästinensern zu betreiben – es wird dadurch mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleichgesetzt. Eine solche Gleichsetzung der israelischen Politik mit der der Nationalsozialisten ist etwa nach der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance, die von vielen Nationen, darunter auch einigen Ländern des Globalen Südens, übernommen wurde, als antisemitisch zu bewerten. […] Nach Auffassung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums ist das ‚Tokyo Reels Film Festival‘ das eklatanteste Beispiel für eine Einseitigkeit der documenta fifteen in Hinblick auf den arabisch-israelischen Konflikt, mit dem sich vergleichsweise viele Werke beschäftigen.“15

Auch wenn es diese Personen aus dem Gremium nicht wörtlich ausführen, unsere Einschätzung über die documenta 15, die von zahlreichen anderen Journalisten, Kritikern und jüdischen Verbänden geteilt wurde, war richtig. Doch die harsche Kritik der Experten blieb ohne Konsequenz. Die Standardfloskeln, vor einem Generalverdacht zu warnen und doch erst mal die Ausstellung zu besuchen, blamierten sich vor der Wirklichkeit. Die Argumentation des, von der HNA dreimal ins Feld geführte, Joseph Croitorus bis auf das Banner der Taring Padi nirgends Antisemitismus und Israelhass erkennen zu wollen, erwies sich, wie die früheren Versuche einiger Experten aus der Szene der Kulturschaffenden, die documenta 15 reinzuwaschen, den Israelhass und Antisemitismus zu relativieren und die Kritiker des Rassismus zu überführen, als völlig substanzlos.

Die documenta-Macher stellten ihre Ohren auf Durchzug, gerierten sich als Opfer16 und verbannten die Kritik des Gremiums förmlich vor die Tür. Sie bekannten sich bis zum Schluss trotzig zum palästinensischen Volkstumskampf17 und wie zum Hohn spuckten die von Ruangrupa angeführten Künstler in einer Erklärung allen in Gesicht, die der Meinung waren, man müsse mit den Künstlern den Dialog führen indem sie sich ausdrücklich mit dem Kampf gegen Israel solidarisierten, Plakate mit solidarischem Bezug zu BDS aufhingen und am Porticus des Fridericianums ein Transparent aufhängten, auf dem Solidarität mit dem Palästinensischen Volk gefordert wurde. In einem hellen Moment erkannte selbst der wankelmütige von Busse: „Ihre jüngste Erklärung ist ernüchternd, sogar erschütternd. Sie kehrt sämtliche Vorwürfe um, sieht überall Bösartigkeit und Diskriminierung, […] Sie bekennt sich zum Widerstand gegen den Staat Israel, zum antikolonialen Kampf, der die Künstler vereine.“18

Jubelkasseler, Gastprofessuren und ein verlogenes Lob vom Aufsichtsrat

Die documenta 15 wurde planmäßig zu Ende geführt. Ignoranten, Weichspüler und Jubelkasseler verabschiedeten im Beisein des Oberbürgermeisters die Künstler voller Begeisterung19 und die Israel-Hater unter den Kuratoren von Ruangrupa Iswanto Hartono und Reza Afisina bekamen zu ihrer Gastprofessur an der Uni-Kassel zum Dank dafür, den größten Antisemitismusskandal in der Kulturszene der letzten Jahre arrangiert zu haben, noch die in Hamburg20 obendrauf. Das Expertengremium arbeitete weiter und veröffentlichte dann am 06.02.2023 das 130 Seiten starke Gutachten, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Was wir im Januar 2022 aufgrund eindeutiger Indizien angenommen hatten war eingetreten, bzw. wurde noch übertroffen. Das Gutachten lässt sich genau so zusammenfassen, wie es die ansonsten in unverbrüchlichen Lokalpatriotismus der documenta verbundene HNA – nach reichlicher Überlegung – dann tat: als „Ohrfeige für ein Scheitern aller an der d15 Beteiligten.“21 Freilich ließ es sich der Journalist von Busse nicht nehmen, an der dem Gutachten zugrundeliegenden ausführlich dargelegten und begründeten Antisemitismusdefinition herumzukritteln. Alles ist relativ: Die 2021 erarbeitete Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) sehe die dem Gutachten des Expertengremiums zugrundeliegende Arbeitsdefinition der International Holocaust Rememberence Alliance (IHRA) als zu weit gefasst: „Legitime Kritik an Israel, etwa an der Besatzung palästinensischer Gebiete, werde ungerechtfertigterweise als antisemitisch diskreditiert.“ Ein Vorwurf den die mit dem palästinensischen Volkstumskampf verbundenen engagierten Künstlern und ihre Apologeten ungern hören.22

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens ließ Geselle verlauten: „Der Aufsichtsrat begrüßt insbesondere die klare Einordnung der kritisierten Kunstwerke und die Hinweise zum Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich geschützter Kunstfreiheit und gleichzeitig verantwortlichem Umgang mit antisemitischen Darstellungen in diesem Zusammenhang.“23 Diese Erklärung ist ein skandalöses Ausblenden der von ihm zu verantwortenden massiven Fehlleistungen vor, während und nach der documenta 15. Anstatt selbstkritisch mit sich selbst und seinen Mitverantwortlichen (insbesondere Frau Angela Dorn und Claudia Roth) ins Gericht zu gehen, bemüht sich der Aufsichtsratsvorsitzende nun um die Darstellung seiner selbst, als sei er es gewesen, der sich von Beginn an die Vorbeugung und Bekämpfung von Antisemitismus im Zuge der Kunstschau auf die Fahne geschrieben hatte.

Die Erklärung erstaunt umso mehr, als dass der Aufsichtsrat erneut an die renitente Ruangrupa herantrat, um sie für die Mitarbeit in der Findungskommission der kommenden documenta zu gewinnen. Ruangrupa sagte ab, in Adam Szymczyk fand man jedoch eine weitere einschlägig vorbelastete Person, die Bereitschaft zeigte, in der kommenden Findungskommission mitzuarbeiten. Er hat nicht nur den A Letter Against Apartheid unterschrieben sondern es auf der documenta 14 den Antisemiten Franco Berardi ermöglicht, die Performance „Auschwitz on the Beach“ aufzuführen.24

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1 Abschlussbericht Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, Nicole Deitelhoff u.a. 2023, S.5.

2 So hieß es beispielsweise in der TAZ: „Das Kassler Bündnis gegen Antisemitismus wirft den Verantwortlichen vor, die documenta 15 als Plattform zur Verbreitung israelfeindlicher und antisemitischer Positionen zu missbrauchen. In einem ausführlich mit Belegen gespickten Beitrag des Bündnisses heißt es, dass schon die Findungskommission für die künstlerische Leitung mit entsprechenden Personal besetzt war.“ Kunstfreiheit und Antisemitismus, taz.de, 14.01.2022.

3 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Welt, 25.05.2022.

4 Pressemitteilung, kassel.de, 16.01.2022.

5 Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022.

6 Pressemitteilung, kassel.de, 27.01.2022.

7 Nachdem die documenta zunächst mit einer nichtssagenden Erklärung reagierte, in der es hieß: „Die documenta fifteen unterstützt in keiner Weise Antisemitismus. Sie vertritt die Forderung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und unterstützt das Anliegen, Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten reagierte“, schob sie am 19.01.2022 eine Erklärung nach. Dort konnte man lesen: „Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der documenta fifteen vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte. Für die documenta fifteen haben ruangrupa und das Künstlerische Team Positionen eingeladen, die sich im Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ ().

8 Das sagen … OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022

9 „Geselle nannte die Diskussion voller vorschneller Urteile ‚medial aufoktroyiert‘. .“ Pressekonferenz zum Start der documenta fifteen im Auestadion Kassel, HNA 15.06.2022.

10 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

11 Presseerklärung kassel.de, 20.06.2022.

12 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

13 Erklärung des Aufsichtsrates, 16.07.2022.

14 Interview. Alexander Farenholtz: „Die documenta ist besser als ihr Ruf“, dw.com, 10.08.2022.

15 Presseerklärung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, 10.09.2022. Diese Erklärung wurde von 5 Mitgliedern des Gremiums unterzeichnet. Die am gleichen Tag veröffentlichte Presseerklärung des Gremiums selbst, fiel etwas zurückhaltender aus. Aber auch dort hieß es unmissverständlich wie in der oben zitierten Erklärung: „Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen.“

16 Die Findungskommission (documenta-Beirat) verkündete in einem Statement: „Der von Medien und Politiker*innen auf das gesamte Team der documenta fifteen ausgeübte Druck ist unerträglich geworden“ und sprachen von einer Instrumentalisierung der Kritik des Antisemitismus um „Kritik am Staat Israel“ und „seiner Besatzungspolitik“ abzuwehren. Presseerklärung documenta.de, 15.09.2022.

17 In der Erklärung „We are angry, we are sad, we are tired, we are united. Letter from lumbung community“ führen die Unterzeichner aus, zu der zahlreiche Künstler und ruangrupa gehören: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression. […] The Palestinian anti-colonial struggle emerges in many lumbung artists’ works because of the historical solidarities between these transnational anti-colonial struggles.“ e-flux.com10.09.2022.

18 Standpunkt. Am Ende bleibt ein Scherbenhaufen, HNA 17.09.2022.

19 Wie es sich für Antisemiten gehört, konnten diese auf einen israelischen Juden verweisen, der ihnen die Freundschaft erklärte. „Vor der Abschlussveranstaltung waren noch einmal Tausende Menschen zur d15 gekommen. Am Rande hatte der indonesische Künstler Setulegi vom Künstlerkollektiv Taring Padi eine Performance genau an jener Stelle auf dem Friedrichsplatz veranstaltet, wo zu Beginn der documenta das Banner abgebaut worden war. Setulegi kam nicht allein: Begleitet von dem Berliner Künstler Guy David Briller, einem israelischen Juden, markierte der Indonesier zunächst mit Mehl den Standort des abgehängten Banners.“ Ende der documenta 15: Applaus zum Abschluss, HNA, 25.09.2022.

20 Dazu die Flugschrift des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg „Deutschland spricht. Zeitenwende des Antisemitismus, 1./2. Februar 2023„.

21 Das Gutachten erschien am 06.02.2023 und rief ein großes Echo in den Medien hervor. Die HNA erläuterte 3 Wochen später den Inhalt des Gutachtens in dem Artikel: „Echokammer für Antisemtismus“, HNA, 28.02.2023.

22 „Den AutorInnen der ‚Jerusalem Declaration on Antisemitism‘ geht es nicht um eine Präzisierung der Antisemitismus-Definition der IHRA, sondern um die Freisprechung vom Antisemitismusverdacht, sofern es um Äußerungen oder Aktionen gegen Israel geht. Sie wollen einen Freibrief für israelbezogenen Antisemitismus.“ schreibt Matthias Küntzel in seiner Intervention: Aber irgendwie doch, perlentaucher.de, 30.03.2021.

23 Presseerklärung documenta.de, 06.02.2023.

24 Stefan Laurin, Documenta setzt weiter auf Israelhass, ruhrbarone.de, 11.11.022. Zur Franco Berardi ausführlich unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen, bgakasselblog.wordpress.com, 05.09.2018.

Dialog mit den Propagandisten des Israel-Hasses in Hamburg und die Ruhe in Kassel

Ein Flugblatt des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg

Vorbemerkung:

Ein hochkarätig besetztes documenta-Symposium in Hamburg redete „endlich“ über Antisemitismus, vermeldete am 03.02.2023 die nordhessische Lokalzeitung HNA.1 Es wird u.a. ausgeführt: „Experten trafen auch auf zwei indonesische Kuratoren von Ruangrupa, deren Gastprofessur an der HBFK für viel Empörung in Hamburg gesorgt hat, während Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Kasseler Kunsthochschule in Ruhe arbeiten können.“ Ja das können sie, denn in Kassel herrscht seit dem Ende der documenta 15 weitgehend beredtes Schweigen. Kontroverse Diskussionen über das Versagen der politisch Verantwortlichen für das antizionistische Spektakel im Sommer 2022 mied man in Kassel wie der Teufel das Weihwasser. Uns vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel versuchte man das Maul zu stopfen. Obwohl wir sowohl im Januar den Oberbürgermeister Kassel2, als auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth angeschrieben hatten, blieb jede Nachfrage und jede Anfrage, worin das Problem besteht, aus. Anstatt dessen wurden wir mit einer Abmahnung konfrontiert, man versuchte unsere, schon im Februar angemeldete Kundgebung zu behindern und man brachte uns mit vermeintlichen Morddrohungen gegen Künstler der documenta in Verbindung, um uns zu diskreditieren.3 Nachdem unsere Recherchen von der HNA zunächst ausführlich vorgestellt wurden, versuchte die Lokalpresse uns der Inkompetenz zu überführen, indem sie mit Joseph Croitoru einen „Experten“ präsentierten, der eines unserer zentralen Argumente mit abenteuerlichen Ausflüchten zu begegnen versuchte. Mit Verweis auf die dürftige Argumentation der Elke Buhr und auf Meron Mendels Nebelkerzen zog man sich in Kassel aus der Affäre, die Kritik wurde als von außen kommend vom Tisch gewischt und bis zur Eröffnung der documenta ignoriert.4 Andere Akteure in der Stadt hielten sich vornehm zurück. Kein Wunder, dass die antiisraelischen Agitatoren der Ruangrupa auch an der Kasseler Universität ungestört wirken können.

Als in Hamburg die Berufung der beiden Ruangrupa-Agitatoren Iswanto Hartono und Reza Afinisa an die Hochschule für Bildende Künste (HFBK) bekannt wurde, gab es handfestere Kritik.5 Angesichts des von der HNA gefeierten Symposiums der HFBK verfasste das Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg folgende Flugschrift. Außerdem veröffentlichen wir hier die kritische Schau des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg auf die Teilnehmer des Symposiums.

Flugschrift zum HFBK- Symposium Kontroverse documenta fifteen, 1./2. Februar 2023

Deutschland spricht

Zeitenwende des Antisemitismus

Jede Gesellschaft setzt Konflikte in Szene, deren politische und psychische Dimensionen ihr selbst nicht jederzeit klar sind. Bestimmte Aussagen über Antisemitismus können sich in der Öffentlichkeit nur halten, wenn Interessenfelder bestehen, in die sie sich einschreiben können. Nur dann entsteht für dieses Thema ein Sprechraum.

Die deutsche halbstaatliche Kulturszene hat, ausgehend von staatlichen Kulturinstitutionen (Bundeskulturstiftung, Goethe-Institut, Humbold-Forum etc), eine „postkoloniale“ Diskussion über die BDS- Resolution des Bundestags erzwungen und die Gesellschaft hat entschieden, sich auf diese antisemitische Kampagne einzulassen.

Es gab ähnliche Konstellationen, etwa die Friedenspreis-Rede von Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche 1998, die bei den „Eliten“ für stehende Ovationen sorgte. Aber die Konstellation war damals etwas anders, der Zentralrat der Juden galt noch als moralische Instanz und deshalb konnte Ignatz Bubis dagegenhalten.

Jetzt, 30 Jahre nach der „Vereinigung“, hat sich in der BERLINER REPUBLIK ein sogenanntes weltoffenes Kulturmilieu etabliert. So wie es ohne Weltmarkt keine Weltliteratur gäbe, so ist der Wunsch nach einer „Entprovinzialisierung“ der Holocaust-Erinnerung eine Reaktion auf die wachsende deutsche Weltmacht-Rolle. Zu der, so glaubt man jetzt, würde eine postkoloniale und „multidirektionale“ Innen- und Außenpolitik besser passen. Müsste man Antisemitismus und Rassismus nicht mehr unterscheiden, würde Antizionismus nicht mehr als Antisemitismus gelten. Vergleichende Genozid-Studien und kritische Rassentheorie würden dann zeigen, dass der Holocaust der Deutschen nur ein Unterkapitel der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts war.

Wenn die Shoa auf diese Weise in eine Reihe mit anderen Verbrechen gestellt wird oder gar hinter dem Kolonialismus verblasst und so jegliche Singularitätsvorstellung für den Holocaust ausrangiert ist, sind auch alle Verpflichtungen gegenüber Israel hinfällig, was nicht nur der deutschen Iran-Politik einen prima Aufschwung bescheren würde.

Ohne Anerkennung der Singularität des Holocaust stünde die Existenzberechtigung des jüdischen Staates zur Disposition, der allein den Juden eine existenzielle Sicherheit gibt.

►„Kontroverse“ unter Ausschluss der Jüdischen Gemeinden und des Zentralrates

Diese Veranstaltung ist nicht als Treffpunkt für vom Antisemitismus bedrohte und geschädigte Menschen konzipiert. Es ist dort niemand vertreten, der zentral für jüdische Interessen spricht. Es gibt niemand von einer deutsch-jüdischen Institution.

Martin Köttering, verschärft diesen Affront gegen die Juden noch mit einem zynischen Statement:

„Das Publikum ist ausdrücklich als Part des Symposiums willkommen – womit ich vor allem auch eine sehr ernst gemeinte Einladung an die Jüdischen Gemeinden Hamburgs verbinde. (Abendblatt, 28.1.23)

Um diese Provokation noch zuzuspitzen, schiebt er dies nach: „Zweifelsohne werden verschiedene Perspektiven aus jüdischen Communitys (!) im In- und Ausland auf den Podien vertreten sein. Selbstverständlich sind auch Ruangrupa und das Künstlerkollektiv Taring Padi vor Ort.“

Die „Jüdische Allgemeine“ schreibt dazu:

„Auf dem Podium werden keine Vertreter der Jüdischen Gemeinde Hamburg, des Zentralrats der Juden oder der Antisemitismusbeauftragte sitzen, sondern Hartono und Afisina, Vertreter aus dem Kulturbetrieb, davon Aktivisten der Kampagne gegen den Anti-BDS-Bundestagsbeschluss und natürlich einige jüdische Protagonisten, die weit entfernt von unserer jüdischen Realität und jüdischen Institutionen agieren.“

Diese „jüdischen Protagonisten“ sind Podiums-Teilnehmer wie Natan Sznaider, Gilly Karjevsky, Meron Mendel, Nora Sternfeld und Doron Rabinovici. Vor allem Karjevsky und Mendel gehören zu jenen „israelkritischen Israelis“, die von den deutschen Medien gezielt als Kronzeugen gegen den „dogmatischen“ Zentralrat der Juden instrumentalisiert werden, der als „moralische Instanz“ seit Jahren systematisch de-legitimiert wird.

In Hamburg standen Juden unlängst vor der HFBK, um gegen die Professuren von zwei Antisemiten zu protestieren. Sie wollen diesen Diskurs nicht legitimieren. „Wir wollen nicht mit Leuten diskutieren, die uns als Schweine darstellen, und auch nicht darüber, ob der einzige Staat, der Jüdinnen und Juden im schlimmsten Fall aller Fälle Sicherheit gibt, eine Existenzberechtigung hat“.


►Ein gemeinsames Rollenspiel von Publikum, Referenten und Medien


Alle an diesem Symposium Beteiligten – einschließlich der Journalisten – spielen ihre Rollen nach einem bestimmten Drehbuch. Man könnte auch einfach mit Handzeichen abstimmen. Was gesagt wird und ungesagt bleibt, sind Effekte zugewiesener Diskussionspositionen, die zusammen eine „israelkritische“ Binnensicht ergeben.

Es ist die Inszenierung eines theatralischen Tauschs zwischen Referenten, Publikum und Journalisten, eine vom Austausch zwischen Gleichgesinnten geprägte Mimesis. Es ist eine Geschichte, die eine Gruppe sich über sich selbst erzählt. Der Ritualcharakter dieser HFBK-Veranstaltung zeigt sich bereits im Sich-Dummstellen des Publikums.

Niemand aus dem Hamburger Kulturbetrieb kommt zu dieser Veranstaltung, um sich an die Seite der Hamburger Juden zu stellen und seine Stimme gegen die Zumutungen dieser Veranstaltung zu erheben. Das war schon in Kassel so.

Wenn es um „Rassismus“ geht, sind alle zur Stelle, beim Antisemitismus schweigen sie. Im Gegensatz zu rechtsradikalen oder islam-fundamentalistischen Akteuren, die manifeste Hetzreden bevorzugen, sagt das kulturlinke Publikum mit Hochschulabschluss und akademischen Titeln nicht „Saujude“, sondern bemüht sich um „differenziert“ klingende Argumentationsmuster auf sprachlich-stilistisch gutem Niveau – selbst dann, wenn es um Bilder geht, die Juden als Schweine darstellen.


►Die Priester-Funktion der „Experten“

„Braucht man wirklich sieben Professoren, um festzustellen, dass die Darstellung eines Juden mit einer Hakennase, der mit einer Kippa auf einem Beutel Geld sitzt, antisemitisch ist? Oder das Bild eines Schweins mit einem Judenstern? (…) Man muss sich doch mal anschauen, wer da mit wem debattiert (…) Man darf nicht zulassen, dass sich die Grenzen Stück für Stück verschieben und der Links-Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft ankommt.“ (Ron Prosor, israelischer Botschafter am 28.1.23 im Abendblatt)

Wenn es um „heikle Themen“ wie Israelkritik geht, müssen „Experten“ her, die wie Priester vorgeschoben werden, die deutschen Antisemiten die Absolution erteilen können. Sie sind in Wirklichkeit Komplizen des deutschen Gedächtnisses. Ihre Nüchternheit ist ein Gerücht. Ihr Auftritt richtet sich zuerst gegen die „subjektive“ jüdische Wahrnehmung dieser Zeitenwende.

Die von der HFBK engagierten Priester haben ihre Karrieren überwiegend begonnen, als nach 1990 das vereinte Deutschland wegen seiner neuen weltpolitischen Macht dringend eine „Erinnerungskultur“ brauchte. Viele die hier sitzen, haben ihre Dissertationen über Konzentrationslager oder die SS geschrieben, bevor sie als Israelkritiker auffielen. Sie glauben, als „Gedenkstättenreferenten“ oder Leiter von staatlichen Institutionen, die nach ermordeten Juden benannt sind, hätten sie jetzt ein Recht dazu.


►Die deutsche Liebe zum „globalen Süden“

ist der Versuch, den eigenen Antisemitismus hinter ausländischen Israel-Hassern zu verstecken, die man extra zu diesem Zweck engagiert oder – wie im Fall Mbembe – mit Preisen überhäuft und zu Suhrkamp-Bestseller Autoren hoch lobt.

Die Minderheitenrhetorik der documenta, die alle anderen in paternalistischer Manier zu Repräsentanten fremder Kollektive ernennt, ist klassischer Rassismus und eine abstrakte Anrufung des Globalen, die über Deutschlands Macht und Export-Ökonomie schweigt.

Zudem wird hier von der angeblichen Global-South-Advocacy ein konterrevolutionärer Fake-Internationalismus inszeniert, der sich gegen alle diejenigen im Trikont richtet, die im Gegensatz zum immergleichen antiisraelischen Mantra im globalen Süden – vom Sudan bis zum Iran – gegen Islamismus und Despotie kämpfen. Tatsächlich bedauert man in Deutschland, dass Israel in vielen afrikanischen Ländern und seit den Abraham Accords auch in arabischen Ländern einen guten Ruf hat. Gerade die arabisch-israelische Annäherung – im Lichte der atomaren Bedrohung durch den Iran der Mullahs – ist ein Dorn im Auge der BDS-Bewegung und der Weltoffenen.

►„Pro & Contra Antisemitismus“ – Frenemies 1932 und 2023

Die HfBK nennt die jüdische Documenta-Kritik eine „Kontroverse“. Die Hochschule wolle jetzt unterschiedliche Standpunkte über Antisemitismus ins Gespräch bringen und dabei ganz viel Raum für Zwischentöne und Differenzierungen schaffen.

Von den 22 Teilnehmern dieses für die Jüdischen Gemeinden gesperrten Symposiums sind 15 deutsche Mbembe-Fans, BDS-Versteher und documenta-Verteidiger, drei, kalkuliert von Deutschland als Kronzeugen des „authentischen“ Israel-Hasses, eingeladene südglobale Indonesier und vier mäßig kritische Panel-Profis, geübt in der Kunst der Differenzierung.

Sie alle würden es nicht wagen hier zu sitzen, wenn es gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Zeitenwende zwecks „Entprovinzialisierung“ der Holocaust-Erinnerung gäbe.

In den Feuilletons wird in den nächsten Tagen die zentrale Botschaft dieser HFBK-Veranstaltung millionenfach verbreitet werden: Es darf ab sofort unbefangen über das
Für & Wider des Antisemitismus gestritten werden.

Es gibt dieses „Pro & Contra“ schon seit einiger Zeit. Typisch dafür sind Artikel mit Fragezeichen-Überschriften: „Pro und Contra Israel-Boykott: Antisemitisch oder kritisch?“ (Taz) oder: „Pro und Contra: Ist BDS antisemitisch oder legitimer Protest? (SZ).

Ende November 2022 wurde in der HFBK der von Meron Mendel herausgegebene Sammelband „Frenemies“ vorgestellt. Auch dieses Buch über „Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus“ ist voller Fragezeichen: „Was unterscheidet Antisemitismus und Rassismus? Gibt es Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und Kolonialismus? Ist BDS antisemitisch?

Der Titel „Frenemies“ enthält schon das ganze Programm: Die Relativierung der Judenfeindschaft und besonders die Bagatellisierung des „israelbezogenen Antisemitismus“ werden als ambivalente Mischung aus Freund & Feind inszeniert:

„Beide Seiten geraten immer wieder massiv aneinander, zuletzt in der Documenta-Debatte. Für die einen war klar: Einige der in Kassel gezeigten Kunstwerke seien antisemitisch. Dem entgegnete die andere Seite: „Das ist purer Rassismus, denn diese Kunstausstellung wurde von Menschen aus dem sogenannten globalen Süden kuratiert.“

Die Vorlage für dieses Buch ist ein anderes aus dem Jahr 1932. Es heißt:

„Der Jud ist schuld? – Diskussionsbuch über die Judenfrage“.

In diesem Sammelband kommen die „Frenemies“ der damaligen Zeit zu Wort: Im ersten Drittel Deutschvölkische und Nationalsozialisten, im mittleren Teil, der „Für & Wider“ heißt, unter anderem die Kommunisten und im letzten Drittel überwiegend jüdische Autoren.

Es ist heute offenbar möglich ein Diskussionsbuch zum Thema „Pro & Contra Antisemitismus“ zu machen und in der HFBK vorzustellen, in dem im ersten Drittel „postkoloniale“ Holocaust-Relativierer und BDS-Befürworter das Wort ergreifen, sodann im zweiten Drittel über ein „Für & Wider“ geredet wird und im letzten Drittel handzahme akademische Anti-Antisemiten einige Einwände vorbringen dürfen.

Das heutige HFBK-Symposium ist die Live-Ausgabe von „Frenemies“.
Sein einziger Zweck ist es, Antisemitismus durch die Inszenierung eines Für & Wider-Diskurses als vertretbaren Teil des Meinungsspektrums zu etablieren.

Das ist eine weitere Radikalisierung des Antisemitismus der deutschen Kulturszene, und die HFBK erweist sich als das antijüdische Zentrum einer links-antisemitischen Eskalation.

„Es wird ein Symposium sein, das eine Zeitenwende für Juden sowie jüdische Institutionen zusammenfasst, sichtbar macht und verdeutlicht, dass unsere Meinung, die Meinung von Juden, bloß stört“. (Jüdische Allgemeine, 24.01.2023)

Gegen die Schwerkraft dieses deutschen Willens zum „Pro & Contra Antisemitismus“ scheint jeder Einspruch vergeblich. Die „Kontroverse“ dient nur dazu diese Evidenz kleinzuarbeiten.


1 Endlich wurde geredet. Hochkarätig besetztes documenta-Symposium in Hamburg über Antisemitismus, HNA, 03.02.2023.

2 Siehe unseren Beitrag vom 11.07.2022: Sie wußten was sie taten.

3 Siehe unseren Beitrag vom 02.06.2022: Ein Einbruch und waghalsige Schlussfolgerungen.

4 Joseph Croitoru wurde in der HNA mehrfach angeführt, um mit windigen Argumenten zu belegen, dass die Ausführungen der Kritiker an der Ausrichtung der documenta fifteen und an einzelnen Kunstwerken haltlos seien. Elke Buhr verharmloste die Tatsache, dass die Namensgebung des Khalil Sakakini Cultural Centers als positiver Bezug zum Nationalsozialismus zu interpretieren ist und streute als erste prominente Person das Gerücht, die Kritik des BgA-Kassel sei rassistisch motiviert. Meron Mendel tat sich dahingehend hervor, dass er zunächst abstritt, dass Antisemitismus ein Problem auf der documenta fifteen sein könnte. Der Oberbürgermeister der Stadt Kassel verurteilte auf der Eröffnungsfeier der documenta 15 die Kritik als von außen kommend zurück.

5 z.B. Ruangrupa-Künstler an der HFBK. Proteste bei Semestereröffnung, NDR, 13.10.2022.

Freiheit der Kunst? It‘s politics, stupid!

Knapp daneben ist auch vorbei

Die HNA titelte am Montag, den 23. Januar: „Gutachten des Juristen Christoph Möllers entlastet documenta“.1 Der Autor der HNA fasst die Position des Gutachters wie folgt zusammen: „Meinungs- und Kunstfreiheit sind nur so weit beschränkbar, wie sie andere Rechte verletzen“, was nach Ansicht des Juristen im Fall der vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa verantworteten Ausstellung nicht der Fall gewesen sei. Weiter wird Möllers zitiert: „Jede freiheitliche Verfassung schützt auch Meinungsäußerungen, die uns schrecklich oder obszön erscheinen“ und dann folgt eine zentrale These des Gutachtens: sich antisemitisch oder rassistisch zu äußern erscheine skandalös, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt.“

Abgesehen davon, dass der Autor des Gutachtens die Initiative GG 5.3. Weltoffenheit beriet, also dem Dunstkreis der „israelkritischen“ Szene zuzurechnen ist2, kann den zentralen Aussagen des Gutachtens zugestimmt werden – alleine, die documenta und ihre Verantwortlichen werden durch dieses Gutachten nicht entlastet. Und, viel wichtiger ist: Das Gutachten hat mit dem Problem, welches am Beispiel der documenta zu Tage trat, relativ wenig zu tun. Der Anspruch politisch zu sein, wurde von den documenta-Machern ausdrücklich formuliert. Zur politischen Agenda gehörte für eine beträchtliche Zahl der documenta-Macher der Kampf gegen Israel.3 Zu diesem Kampf gehörte die Forderung Israel auch kulturell zu boykottieren. Dieser politischen Agenda galt (und gilt) es zu widersprechen. Sicher, es gab angesichts dieser politischen Ausrichtung auch die Forderung, die documenta 15 abzubrechen oder zu schließen. Vor dem Hintergrund der impertinenten Abwehr jeglicher Kritik seitens der Verantwortlichen sowie der passiven wie aktiven Unterstützung antiisraelischer Aktivisten und veritabler Antisemiten, denen man eine weltweit beachtete und mit Steuergeldern geförderte Bühne geboten hat, sind diese Stimmen aber eher als verständliche Empörung und Teil des notwendigen politischen Protests zu werten, als eine direkte Aufforderung die künstlerische Freiheit zu unterbinden.

Auch wir vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel haben nicht gefordert, die antizionistischen Aktivisten und Kollektive anzuklagen, zu bestrafen oder gar zu verhaften, also die Meinungsfreiheit von Künstlern und Aktivisten zu beschneiden. Im Mittelpunkt unserer Argumentation stand die Kritik an der politischen Ausrichtung der Kuratoren, der geladenen Künstler und Kollektive und nicht die Forderung, die documenta zu schließen und Ruangrupa nach Hause zu schicken. Der Fokus unser Kritik richtete sich explizit gegen die öffentliche Förderung einer Weltkunstausstellung, die von bekennenden Israelhassern und Antizionisten kuratiert und geleitet wurde.

Die Freiheit der Kunst: Das Banner „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ und der Bezug auf die palästinensische Terrorgruppe PFLP bleiben am Ausstellungsgebäude hängen.

Zur Chronik eines absehbaren Skandals

Der Skandal, der in der Präsentation von im Stil des Stürmers gehaltenen Karikaturen von Juden auf dem zentral gelegenen Friedrichsplatz kulminierte, war nicht nur absehbar, es war ein Skandal mit Ansage!

Vor gut einem Jahr – also fünf Monate vor der Eröffnung der documenta – stellten wir heraus, dass es nicht verwunderlich ist, dass Ausstellungsmacher, die überwiegend als Antizionisten und Israelhasser zu bezeichnen sind, Künstler und Künstlerkollektive engagierten, die die Abschaffung Israels fordern oder sich antisemitisch äußerten und äußern. Wir stellten heraus, dass die Unterstützung und Förderung antisemitischen und antizionistischen Gedankenguts einer Traditionslinie zuzuordnen ist, die man, mit dem SS-Soldaten und Partisanenbekämpfer Werner Haftmann beginnend, über den völkischen Ideologen Joseph Beuys fortführend bis hin zur explizit politischen, postmodernen und poststrukturalistischen Ausrichtung der Ausstellungen, die man spätestens seit Carolyn Christov-Bakargiev und Adam Szymczyk nachverfolgen kann.4

Insbesondere vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung aus dem Jahr 2019, der darauf folgenden Diskussion im deutschen Kulturbetrieb und den politischen Auseinandersetzungen um die Ruhrtriennalen – in Zusammenhang mit der Einladungen des israelfeindlichen Ideologen des Post-Kolonialismus Achille Mbembe und des Auftritts der Band Young Fathers – hielten wir es für geboten, die kuratorische Tätigkeit von Ruangrupa zu hinterfragen, sie öffentlich zu kritisieren und auch dazu beizutragen, dass durch öffentlichen Druck auf die Kuratoren der eine oder andere Künstler wieder nach Hause geschickt wird.5

Am Beispiel der documenta konnte man deutlich den Zusammenhang von offen geäußerter Gesinnung, unverblümtem politischem Aktionismus und der Indienststellung des Kunstwerkes für eine politische Agenda sehen. Wir machten das vor einem Jahr insbesondere am Beispiel der Gruppe The Question of Funding deutlich, die als eines der ersten Kollektive von Ruangrupa für die documenta 15 ausgewählt wurden. Am Beispiel dieser Gruppe und ihrer Protagonisten, die aus dem Umfeld des ursprünglich der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellten Khalil Sakakini Cultural Centers kommen, konnte man die politische Instrumentalisierung des Kunstwerkes im Dienste des Kampfes gegen den jüdischen Staat deutlich aufzeigen. Das Zentrum der Palästinensischen Autonomiebehörde, welches ursprünglich auf der Liste der eingeladenen Künstler stand, das Kollektiv The Question of Funding (das dann an dessen Stelle trat) und seine Protagonisten sind in der Tradition des gewalttätigen Kampfes arabischer Freischärler und Terroristen gegen die jüdischen Einwohner und Einwanderer in Palästina und ihrem Bestreben, einen jüdischen Staat zu gründen und zu verteidigen, zu sehen. Die Begeisterung des Namensgebers des Kulturzentrums für Hitler verweist darauf, dass der palästinensische Nationalismus im Nationalsozialismus einen Verbündeten fand. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt, nur dass deren wichtigste Bündnispartner heute einerseits der politische Islam, andererseits linke und linksextreme Parteien, Gruppen und Personen sind, die sich vor allem im akademischen Betrieb und in der staatlich geförderten Kulturszene, in mächtigen NGOs und Parteienstiftungen tummeln und die bis hinein in die Ministerialbürokratie zu finden sind.

Einer politischen Agenda muss politisch geantwortet werden

Insbesondere angesichts der ausdrücklich gewollten und formulierten politischen Positionierung der Ausstellung und ihrer zahllosen Protagonisten und Aussteller war und ist eine politische Reaktion auf die dort propagierte Agenda vollkommen berechtigt. Protest, Skandalisierung und das Mittel der Polemik waren und sind auch gerade deswegen die einzig adäquate Reaktion, weil sich von Beginn an die politisch Verantwortlichen, von Oberbürgermeister Christian Geselle, bis zur hessischen Ministerin Angela Dorn, zur Staatsministerin Claudia Roth und bis hin zur Direktorin der Ausstellung Sabine Schormann weigerten das offensichtliche Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.6 Sie stemmten sich nicht nur gegen jede Form der Debatte, vielmehr gingen sie so weit, den Kritikern Rassismus und Demokratiefeindlichkeit vorzuwerfen und sie als von außen kommende Störenfriede zu denunzieren.

Gerade der Versuch, das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel mundtot zu machen, indem man uns und den Blog Ruhrbarone mit einer ungerechtfertigten und völlig überzogenen Abmahnung beschwerte und das durchsichtige Manöver, unsere Kundgebung zur Eröffnung der Ausstellung zu unterbinden, zeigte, dass eine Diskussion mit den Kritikern nicht erwünscht war und verwies auf die ignorante und autoritäre Haltung der Verantwortlichen. Den Stellungnahmen der Ausstellungsmacher und der ihnen zur Seite springenden „Experten“ aus den Kulturredaktionen einschlägiger Presseorgane und Rundfunksender, die nicht nur offensichtliche Tatsachen leugneten, sondern den Kritikern der documenta Rassismus, wahlweise die Nähe zum Rechtsextremismus oder Linksextremismus und das Schüren von Gewalt vorwarfen, wurde weder widersprochen noch wurden sie kommentiert. In der HNA präsentierte man angesichts der eindeutig antiisraelischen Propagandastückchen den faktenresistenten Dünnbrettbohrer Joseph Croitoru, der selbst in der Präsentation von Propagandafilmchen über palästinensische und japanische Terroristen keine antisemitische Propaganda sehen wollte. Croitoru und vor allem Elke Buhr dienten mit ihren Methoden der Auslassungen und Verharmlosungen7 nicht nur der nordhessischen Lokalzeitung immer wieder dazu, die Kritiker der Übertreibung, Falschinterpretation und Inkompetenz zu überführen.

Nicht die Freiheit der Kunst ist in Gefahr – Die Ignoranz vor dem Antisemitismus ist die Gefahr

Die Vernichtung der Juden durch die vom Nationalsozialismus geführte deutsche Volksgemeinschaft war und ist ein in der Geschichte der Menschheit einmaliges Ereignis. Dieser deutschen Tat liegt der Antisemitismus als treibendes Element zugrunde. In mannigfaltiger Art und Weise wird seither versucht, den kritischen Blick auf den Antisemitismus zu verwässern. Heute wird das jedoch meist nicht mehr von Historikern und Politikern mit rechts-nationalem Hintergrund betrieben, vielmehr von Agitatoren der postmodernen Linken, die an den Universitäten und im Kulturbetrieb dominant vertreten sind.8 Heute wird Antisemitismus als eine Erscheinung der „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ dem Rassismus, der Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit usw. gleichgestellt, teils sogar untergeordnet. Zum anderen wird Antisemitismus mit dem Verweis auf eine „Multiperspektivität“ und eine angebliche Sichtweise des „Globalen Südens“ relativiert und das Erschrecken angesichts dessen Artikulation als Ausdruck einer zu vernachlässigenden, weil eurozentristischen, deutschen (im Grunde genommen jüdischen) Empfindlichkeit deklariert. Derlei Manöver tragen immer dazu bei, dass die deutsche Geschichte und die in ihr zu Tage tretende Quintessenz des Antisemitismus relativiert und aus dem Blick genommen wird.9

Wenn die Verantwortung vor der deutschen Geschichte, wenn das „Nie wieder!“, wenn der Bundestagsbeschluss gegen die antisemitische BDS-Bewegung und die Behauptung einer Staatsräson, Israel, den Staat der Holocaustüberlebenden und ihrer Nachkommen, gegen Bestrebungen ihn zu vernichten, zur Seite zu stehen, irgendeine Bedeutung haben sollen, dann ist und bleibt es wichtig und völlig legitim, allen Propagandisten des Israelhasses entgegenzutreten und dafür einzutreten, dass diesen nicht auch noch zu einem mit Steuergeldern finanzierten Renommee des Erhabenen im Kulturbetrieb und Seriösen an den Universitäten verholfen wird.

Das einzufordern und darauf zu beharren, bedeutet keine Einschränkung der Kunstfreiheit, sondern hätte im letzten Jahr nur bedeutet, die Kuratoren der documenta 15, also Ruangrupa und ihre Spießgesellen nicht als Bereicherung und willkommene Gäste Kassels zu feiern, ihnen nicht ob ihrer vermeintlichen Freundlichkeit und Fröhlichkeit Honig um‘s Maul zu schmieren, sie nicht mit Posten an den Universitäten in Kassel und Hamburg zu belohnen, sondern ihnen klar und unmissverständlich zu verdeutlichen: Wir stehen fest an der Seite Israels, wir verachten und verurteilen jede antisemitische Propaganda, auch wenn sie im Mäntelchen der Kunst und als „Israelkritik“ daherkommt. Es hätte heißen müssen: Wir weisen jeden Versuch zurück, die kritische Debatte über Antisemitismus und den Zusammenhang von Israelhass, Antizionismus und Antisemitismus mit einer Agenda über „Islamophobie“ und „antipalästinensischen Rassismus“ zu kontern oder Kritik am Antisemitismus als Rassismus zu denunzieren.

Die Rede Frank-Walter Steinmeiers zur Eröffnung der documenta 15 oder die Weigerung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, die documenta zu besuchen und ebenso die vielfach und fundiert geäußerte Kritik in renommierten, überregional erscheinenden Presseorganen10 machten deutlich, dass in der politischen Klasse und in der öffentlichen Diskussion bis zu einem gewissen Grade die Einsicht vorherrscht, Israelhass und Antisemitismus ist nicht kommentarlos zu übergehen.

Davon ist man im Kulturbetrieb meilenweit entfernt. Das beweist das Bestreben, nicht nur Ruangrupa, sondern auch Adam Szymczyk in die kommende Findungskommission berufen zu wollen. Deren Aufgabe wird es sein, den Kurator oder das Kuratorenteam für die nächste documenta auszuwählen.11 Nicht zuletzt die von den Aufsichtsorganen der documenta 15 bzw. die vom Bundesministerium beauftragten Gutachten verweisen auf den Holzweg, auf dem sich der semistaatliche Kulturbetrieb befindet. Angesichts des mit großen Summen öffentlicher Gelder finanzierten Kulturbetriebes ist es widersinnig, von staatlicher Einflussnahme zu fabulieren, die die Freiheit der Kunst gefährde. Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland nicht gefährdet, vielmehr besteht die Gefahr, dass die Kritik an der politischen Ausrichtung des staatlich protegierten Kulturbetriebs als unliebsam, als Nestbeschmutzung, wenn nicht gar als jüdische Einflussnahme denunziert wird. Es stellt sich also die Frage, warum Kritik an der selbst gewählten ideologischen Ausrichtung des staatsnahen Kulturbetriebes in die Nähe verfassungsfeindlicher Bestrebungen gerückt wird, oder als Gefahr angesehen wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken und die Freiheit der Kunst in Frage zu stellen. Es geht weiter um die Frage, warum in einer vom Kulturbetrieb geführten politischen Auseinandersetzung Widerspruch nicht geduldet wird, oder dieser erst dann statthaft sein soll, wenn staatlich veranlasste Gutachten das bestätigen, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen oder das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel von Beginn an formulierte.12

Am Beispiel der documenta wird und wurde deutlich: Es geht um das schamlose Ignorieren eines gesellschaftlichen Problems in Deutschland und das Problem heißt Antisemitismus, Antizionismus und Israelhass.

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1 Am 20. Januar 2023 erschien in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Lehren aus dem Documenta-Skandal. Zwischen Antisemitismus und Kunstfreiheit“ ein Artikel mit dem Titel „Einmischung unerwünscht. Was in Möllers‘ Kunstfreiheits-Gutachten steht“ und ein Interview mit dem Juristen Christoph Möllers, der das Gutachten geschrieben hat. In der HNA fasste der Autor der HNA Mark-Christian Busse am 23. Januar 2022 die zentralen Aussagen des Gutachtens unter dem Titel „Kunstfreiheit geht sehr weit. Gutachten entlastet documenta“ zusammen.

2 Die Initiative GG 5.3., die auch in Kassel Anhänger fand, wendete sich explizit gegen den Bundestagsbeschluss zur BDS-Bewegung, siehe unseren Beitrag: Israel zur Rechenschaft ziehen – Unterstützer auch in Kassel. Zur Rolle Möllers: Stefan Laurin, Documenta: Gutachten und Wirklichkeit, Ruhrbarone, 25.01.2023.

3 Der von zahlreichen in der künstlerischen Leitung der documenta tätigen Personen sowie von 4 der 10 Mitglieder des Kollektivs Ruangrupa, unterzeichnete „A Letter against Apartheid“ fordert unter anderem den kulturellen Boykott Israels. Siehe dazu mehr in unserem Beitrag: Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?

4 Dem Antizionismus und der „Israelkritik“ verpflichteter Agit-Prop wurde mindestens seit der documenta X präsentiert. Die von Catherine David kuratierte documenta X veranstaltete die Gesprächsreihe „100 Tage – 100 Gäste“. Zu einem der Gespräche wurde der Israel feindlich gesinnte Wissenschaftler und Begründer des Postkolonialismus Edward Said geladen. Dieses aufgezeichnete Gespräch sollte dann Auftakt der Gesprächsreihe „We need to talk“ sein, mit der die Macher der documenta 15 versuchten, die Kritik an der antizionistischen und israelfeindlichen Ausrichtung der documenta 15 zu konterkarieren. (Zu Edward Said, vgl., Andreas Harstel, Das Gründungsdokument des Postkolonialismus. Edward Saids Orientalism und Israel, in: Die Untiefen des Postkolonialismus, 2021, S. 184 – 197.) Auf der documenta 12 präsentierte Peter Friedel mit „Brownie“ die „Giraffe gegen Zionismus„, mit ausdrücklicher Erlaubnis der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev konnten während der documenta 13 Aktivisten der Aktivisten-Gruppe doccupy den dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ nachempfundenen Slogan „Konsum macht froh“ mitten auf dem Friedrichsplatz präsentieren (vgl. unseren Beitrag: Doccupy – It’s antisemitism, Stupid!) und den kulturpolitischen Skandal um die Performance „Auschwitz on the beach“ auf der documenta 14 hatte Adam Szymczyk zu verantworten. (Vgl. hierzu unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen).

5 Die aktuelle Diskussion über den geplanten Auftritts der Band Pantera auf dem Festival Rock am Ring zeigt, dass ein solches Vorgehen durchaus als legitim erachtet wird. Obwohl der Bassist der Gruppe Pantera Phil Anselmo sich mehrfach für seinen Auftritt im Jahr 2016 entschuldigte und von seinem Gebahren distanziert hat, wurde die Band wegen dieses Auftritts aus dem Programm genommen. (Vgl.: Pantera. Metalband tritt doch nicht bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ auf, Spiegel 24.01.2023) Eine öffentlich wahrnehmbare Position, die hier die Freiheit der Kunst reklamierte, ist uns nicht bekannt. Die israelfeindlichen Akteure haben ihre Positionen nie revidiert, im Gegenteil, in mehreren Erklärungen wurden sie sogar bekräftigt. Der auch von der Ruangrupa mit unterzeichnete Aufruf „We are angry, we are sad, we are tired, we are united“ spricht sich mit dem Satz „The question is not the right of Israel to exist; the question is how it exists“deutlich gegen den jüdischen Staat aus.

6 Der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta GmbH sprach völlig kenntnisfrei von agrarischen Themen, der sich die auf der documenta vertretenen palästinensischen Gruppen angenommen hätten. Siehe: Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022. Die Staatsministerin Claudia Roth sah nach der Veröffentlichung der windigen Apologie des Khalilis durch Croitorus in der FAZ (die ein paar Tage später auch in der HNA erschien) alle Vorwürfe als entkräftet an. Vgl., Das Humboldtforum ist nicht der Vatikan. Ein Gespräch mit der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, FAZ, 07.02.2022.

7 In der HNA wurden mehrere Statements von Joseph Croitorus veröffentlicht, in denen dieser gegen jede Evidenz antizionistische und antisemitische Inhalte in Aussagen von Künstlern und Kunstwerken leugnete. So wurde von Croitoru z.B. der ehemalige Präsident des Khalil Sakakini Cultural Centers und Sprecher der Gruppe The Question of Funding Yazan Khalili davon freigesprochen, mit seinem Engagement für die Abschaffung Israels einzutreten. Er äußere sich kritisch gegen jeden Nationalismus, auch gegen den palästinensischen. (Joseph Croitoru: Künstler Yazan Khalili zum Antisemitismus-Vorwurf. Gründlich missverstanden, HNA, 10.02.2022) Die in einigen renommierten Sendungen herumgereichte Kulturjournalistin Elke Buhr meinte den Tatbestand, dass die Verantwortung eines Kulturzentrums, das sich nach einem Verehrer Hitler benennt mit der Verantwortung von Bewohnern einer Straße auf eine Stufe zu stellen, die nach Wagner benannt ist. Wenn jemand wie Khalili unter Emanzipation der Juden versteht, dass diese sich vom Zionismus zu lösen hätten, ist das ein Plädoyer gegen den jüdischen Staat. Die vermeintliche auch gegen den palästinensischen Nationalismus gerichtete Kritik läuft dagegen ins Leere, weil es gar keinen palästinensischen Staat gibt. An anderer Stelle meinte Croitoru es gebe in dem Filmprojekt Tokyo Reals keine Verbindungen von Japanischer Roter Armee zu palästinensischen Terrorgruppen (Joseph Croitoru, Pauschale Vorwürfe so nicht haltbar, HNA, 15.09.2022), obwohl sogar im documenta-Handbuch klar formuliert wurde, dass die Gruppe Subversive Film die „transnationalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Befreiungsbewegungen durch eine Institutionalisierung der Archivierungsarbeit“ wiederaufbauten und damit heutige „Solidaritäts-Konstellationen“ reaktiviere. (documenta fifteen Handbuch, S. 190). Die HNA wiederholte daher immer wieder die Behauptung „die documenta-Kritiker haben einige Fehler gemacht. Sie legten mit immer neuen Vorwürfen nach (von denen ein Großteil widerlegt wurde).“ (z.B., Matthias Lohr, Kritiker von Ruangrupa müssen zuhören, HNA, 14.10.2022)

8 Dazu z.B.: Ingo Elbe, „…it’s not systemic“ Antisemitismus im postmodernen Antirassismus, in: ders., Gestalten der Gegenaufklärung. Untersuchungen zu Konservatismus, politischem Existentialismus und Postmoderne, Würzburg 2020, S. 242 – 275.

9 Grundlegend dazu: Steffen Klävers, Decolonizing Auschwitz. Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Oldenburg 2019.

10 In den großen überregionalen Zeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Neue Züricher Zeitung, in den gewöhnlich eher „israelkritischen“ Organen Süddeutsche Zeitung und TAZ und vor allem in der Die Welt wurden – freilich erst nachdem wir unseren Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“ hier und auf dem Blog Ruhrbarone veröffentlichten – sowohl die israelkritische Schlagseite der documenta 15, die Tatenlosigkeit der Aufsichtsorgane, als auch verschiedene Kunstwerke kritisch rezipiert.

11 Adam Szymczyk soll neben Carolyn Christov-Bakargiev, Roger Buergel und anderen in der neuen Findungskommission vertreten sein. Die Ruangrupa wurde angefragt, lehnte ein Beteiligung aber ab. Vgl.: Bewährte Kräfte, in SZ, 11.11.2022. Dass diese Auswahl Besorgnis in der Jüdischen Allgemeinen hervorrief, verleitete den Kulturredakeur der HNA zur kenntnisfreien Behauptung die Kollegin des jüdischen Presseorgans würden reflexartig reagieren, denn Szymczyk sei in Sachen Antisemitismus nichts vorzuwerfen. Das „Schnüffeln“ nach öffentlichen Bekenntnissen der Kulturfunktionäre gegen Israel sei eine Reminiszenz an die McCarthy Ära. (Mark-Christian von Busse, Reflexhafte Urteile, HNA, 19.01.2023)

12 Der Aufsichtsrat der documenta GmbH (in dem Vertreter der Stadt Kassel, des Landes Hessens und dem Grunde nach auch des Bundes sitzen) beauftragte eine Expertenkommission, einige Kunstwerke zu überprüfen, ob sie antisemitische oder israelfeindliche Propagandawerke sind. Es gab zwar eine unterschiedliche Gewichtung in den Stellungnahmen der Mitglieder des „Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen“. In der am 10.09.2022 (also kurz vor dem Ende der Ausstellung) veröffentlichten Presseerklärung spricht das Gremium im Zusammenhang der „Kompilation pro-palästinensischer Propagandafilmen“ des Kollektivs Subersive Film von mit „antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente[n]“ und von „Israelhass und Glorifizierung von Terrorismus“ in den eingefügten Kommentaren.

Karl Pfeifer 28.08.1928 – 06.01.2023

Karl Pfeifer war mehrfach zu Gast in Kassel. Seine Erinnerungen und politischen Schlussfolgerungen aus seinem langen und bewegten Leben verstand er in lebhaften und spannenden Vorträgen zur Diskussion zu stellen. Wir werden unsere Veranstaltungen mit Karl in ehrenhafter Erinnerung behalten und sind sehr traurig über seinen Tod. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehörigen.

Baruch Dayan Ha’emet

„Der 5. Januar 1943 war ein kalter Tag und es schneite, als wir uns vor unserer Abreise in der Turnhalle der jüdischen Hauptschule am Bethlenplatz versammelten, um uns von unseren Verwandten zu verabschieden. […] Mein Vater brachte es nicht über das Herz mitzugehen. Er weinte bitterlich und ich sah in zum letzten Mal. Der Abschied war für mich schmerzlich. Ich verließ meinen Vater und viele Verwandte, die ich nie wieder sehen sollte. Die Tatsache aber, dass mein um 15 Jahre älterer Bruder bereits 1935 ins Heilige Land gekommen war, ließ mich hoffen, nicht ohne Familie leben zu müssen. […]

Meine Cousine Juci begleitete mich zum Ostbahnhof, wo wir – 50 Kinder und Jugendliche – uns vor dem Zug aufstellten und die Hatikva, die zionistische Hymne, sangen:

Solange ist unsere Hoffnung noch nicht verloren,
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk in unsrem Land,
im Land Zion und Jerusalem!

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs stelle ich mir selbst oft die Frage, wie war es möglich, dass Du überlebt hast, wenn so viele Deiner nächsten Angehörigen ermordet wurden? […] Ich erlebte eine glückliche Kindheit in Baden bei Wien und verstand erst später, wieso meine Eltern nostalgisch an die Habsburgermonarchie zurückdachten […] Obwohl ich nie [israelischer] Staatsbürger war, fühle ich eine tiefe Verbundenheit mit Israel.“

Aus: Karl Pfeifer, Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg, Wien 2013, S. 6, 46

Am 29.11.2022 veröffentlichte die Jüdische Allgemeine einen seiner letzten Beiträge, auf den wir hier gerne hinweisen: Karl Pfeifer, Für Herzls Vision, JA, 29.11.2022.

documenta 15 auf der Liste der 10 schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2022

Wie jedes Jahr, so präsentierte am 29.12.2022 das Simon Wiesenthal Center die Liste der zehn schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2022. Die documenta 15 wird neben anderen Organisationen und Personen auf Platz 8 der Top-Ten-Liste geführt: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen; Mahmud Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde; Gewalttätige Angriffe auf Juden in New York, Chicago, London und Deutschland; das Black Hebrew Israelite Movement.1

Im Folgenden übersetzen wir den Teil des aktuellen Textes des Simon Wiesental Centers, der die documenta 15 als Nummer 8 der Liste nennt:

Die Top-Ten-Liste des Simon Wiesental Center bekräftigt die Beobachtung, dass sich die Geißel des Antisemitismus in den sozialen Medien rasant ausbreitet. In Deutschland wird dabei der Schwellenwert des Salonfähigen in Bezug auf Judenhass immer weiter nach oben korrigiert. Dieser Hass wird dabei selbst aus Kreisen der deutschen Regierung und der Szene der Kulturschaffenden angeheizt. So wurde auf der renommierten Documenta in künstlerischen Motiven ausgedrückter Antisemitismus von Gruppen und Künstlern präsentiert, die die BDS-Bewegung unterstützen.

Den Besuchern der Documenta wurden bösartige Karikaturen von Juden präsentiert. So wurde ein israelischer Geheimagent mit Schweinekopf gezeigt, der ein rotes Halsband trägt, auf dem ein Davidstern zu sehen ist. Auf dem gleichen Banner ist ein Jude mit Peyot (Seitenlocken) zu sehen, der einen mit SS-Symbolen versehenen Hut trägt. Die Vorgänge um die Präsentation des Banners erwiesen sich als Höhepunkt einer seit Monaten andauernden Diskussion über Antisemitismus auf der Kunstausstellung. Das skandalöse Banner wurde entfernt und die Verantwortlichen der Kunstausstellung wurden von zahlreichen Kritikern und Initiativen gegen Antisemitismus verurteilt, insbesondere dafür, dass es überhaupt so weit kam, ein antisemitisches Banner auf einer Weltkulturausstellung zu präsentieren. Und als wäre das alles nicht genug, wurde in einer Broschüre ein israelischer Soldat mit dem Gesicht eines Affen gezeigt, der einen Davidstern trägt. Die Ministerin Claudia Roth erklärte damals: „Das ist aus meiner Sicht eine antisemitische Bildsprache.“

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte kürzlich, der Antisemitismus sei das Problem der gesamten Gesellschaft. Dass dies so ist, dafür kann sich die Ministerin und die von ihr repräsentierte Gesellschaft bei den Machenschaften der kulturellen Elite bedanken, die mit den sattsam bekannten Parolen Israel = Apartheid und Israel = Nazis hausieren gehen. Das Versagen der deutschen Behörden zeigt sich darin, dass nicht über die Erfassung von Zahlen zu Hassverbrechen hinausgegangen und dem Antisemitismus nur unzureichend entgegengetreten wird. Sie sind mitverantwortlich für die zunehmend düstere Zukunft auch des deutschen Judentums. (Siehe auch #3, #5).

Die documenta hat bewiesen, dass es Deutsche gibt, die glauben, sie könnten Juden ungestraft verspotten, verunglimpfen, bedrohen und angreifen. Es liegt am Rest der Deutschen, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Die Antisemiten und der Rest

Zu diesem Rest kann man einen Kasseler Buchhändler wohl nicht zählen. Während also die documenta 15 als Beispiel besonders schlimmer antisemitischer Vorfälle genannt wird, präsentiert die nordhessische Lokalzeitung HNA den Buchhändler Lothar Röse als eine Person, für die die documenta 15 einem 100-tägigen Rausch glich.2 Der Buchhändler gehört zu den Deutschen, die in der vorsichtigen Kritik des Bundespräsidenten an der documenta einen Skandal sahen und nicht im präsentierten antisemitischen Banner der Gruppe Taring Padi. Nicht die Macher der Ausstellung hätten sich dafür zu entschuldigen, dass die Gruppe Taring Padi öffentlichkeitswirksam Juden antisemitisch angreifen und beleidigen konnte, sondern der Bundespräsident bei den Machern der Ausstellung. Gegen diese, der Buchhändler nennt hier die, die neben Oberbürgermeister Christian Geselle wichtigste Verantwortliche, Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann, sei eine „Hexenjagd“ betrieben worden.

1 Simon Wiesenthal Center, Top Ten List of Worst Anti-Semitic Incidents of 2022.

2 documenta-Buchhändler: Kritik an Sabine Schormann war eine Hexenjagd, HNA, 29.12.2022.

Vortrag und Diskussion mit Danyal Casar: Zum Aufstand gegen den islamischen Staat im Iran

17.10.2022, 19:00 Uhr, Ort: Philipp-Scheidemann-Haus, Holländische Str. 74, Raum 106

Der Aufstand gegen die islamische Republik im Iran ist ein revolutionärer Aufstand gegen die islamische Herrschaft und für die Freiheit, der weit über die Grenzen des Irans hinaus Bedeutung haben wird. Der Aufstand richtet sich gegen das 1979 errichtete Regime der Mullahs, die eine dunkle Inspiration für die islamischen Konterrevolutionäre von Indonesien bis nach Marokko ist. Die Revolutionäre im Iran, Frauen wie Männer, treten unter den Slogans „Frau, Leben, Freiheit“ und „Ich werde denjenigen töten, der meine Schwester getötet hat“ der totalitären und mörderischen „Islamischen Republik“ als ebenso antijüdischen wie frauenfeindlichen Männerbund entschieden entgegen. Es ist zugleich die erste revolutionäre Erhebung überhaupt, die ihren Beginn als feministischen Protest nahm.

In der gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland wird der Charakter der gegenwärtigen Erhebung vielfach verkannt. Im Gegensatz zur seit Jahren praktizierten mörderischen Praxis des iranischen Regimes, die auf ein erschütterndes Schweigen sowohl in der „Zivilgesellschaft“ als auch in der Politik stieß, führte der Tod Mahsa Aminis nach ihrer Verschleppung von iranischen Sittenwächtern zu einer allgemeinen Empörung in der deutschen Politik. Sie wurde auch von jenen geäußert, die die Frauenfeindlichkeit des islamischen Regimes jahrelang verharmlost haben. Anders als oftmals behauptet, fordern die Frauen im Iran nicht die Anerkennung ihrer „unumstößlichen Menschenrechte“ durch das misogyne Regime ein, auch wird nicht, wie in der deutschen Berichterstattung unbeirrt behauptet, gefordert, dass der Staat, also der Mörder selbst, den Tod von Mahsa Amini aufzuklären habe. In keinem einzigen der Slogans, die gerufen werden, dient die islamische Republik, deren Institutionen und Repräsentanten, weder Reformer noch Erzkonservative, als Appellationsinstanz. Es wird der Sturz der islamischen Terrorherrschaft gefordert.

Wir wollen auf unserer Veranstaltung sowohl die gesellschaftspolitischen Hintergründe des Aufstandes gegen das islamische Regime im Iran als auch die Reaktionen in der deutschen Gesellschaft beleuchten.

Danyal Casar ist Autor des Blogs „Cosmoproletarian Solidarity“ und schreibt u.a. für die Jungle World und sans phrase. Schwerpunkt seiner publizistischen Tätigkeit ist die Türkei und der Iran.

Zwei ausgewiesene Antizionisten an der Kunsthochschule Kassel

Von der Öffentlichkeit nahezu unbeachtet, berief auch die Uni Kassel zwei antizionistische Aktivisten als Gastprofessoren für zwei Semester.1 Die Internetseite der Kunsthochschule Kassel führt folgendes aus: „Reza Afisina und Iswanto Hartono, Mitglieder des Künstler*innenkollektivs ruangrupa, künstlerische Leitung der documenta fifteen in Kassel, lehren im Sommersemester 2022 und im folgenden Wintersemester an der Kunsthochschule Kassel. Im Rahmen der Lehrveranstaltung erhalten Studierende der Kunsthochschule Kassel die Möglichkeit, die theoretischen und praktischen Grundlagen der documenta fifteen aus unterschiedlichsten Perspektiven kennenzulernen, dabei mit beteiligten Künstler*innen und -Gruppen zu diskutieren und sich mit dem kuratorischen Team auszutauschen.“

An der Uni Kassel geht es um Kunst und künstlerischen Aktivismus (aus: Publik, Magazin der Uni Kassel, 14.06.2022)

Zu den „theoretischen und praktischen Grundlagen der documenta fifteen“ gehörte es antizionistischen Aktivisten und Kollektiven eine Bühne zu bieten, was dazu führte, dass z.T. antisemitische und antiisraelische Exponate unter den Augen der Weltöffentlichkeit in Kassel präsentiert wurden. Zur Perspektive, die hier angesprochen wird, gehört die des „antikolonialen Kampfes“ der Palästinenser gegen Israel. Die Ruangrupa hatte als Gruppe das Pamphlet „We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from lumbung community“ unterzeichnet, in dem Israel der Kampf angesagt wird. Israel sei ein Staat des „settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression.“ Dieser Staat dürfe nicht existieren. Persönlich haben die jetzt als Gastprofessoren an der Uni Kassel agitierenden Reza Afisina und Iswanto Hartono neben drei weiteren Mitgliedern der Ruangrupa den antisemitischen Brandbrief „A Letter Against Apartheid“2 unterzeichnet.

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1 Afisina und Hartono wurden auch an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg als DAAD-Gastprofessoren berufen. Vgl., Antisemitismus verpflichtet: Ruangrupa-Mitglieder lehren künftig in Hamburg, Ruhrbarone, 06.10.2022.

2 Siehe dazu: Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?