Knapp daneben ist auch vorbei
Die HNA titelte am Montag, den 23. Januar: „Gutachten des Juristen Christoph Möllers entlastet documenta“.1 Der Autor der HNA fasst die Position des Gutachters wie folgt zusammen: „Meinungs- und Kunstfreiheit sind nur so weit beschränkbar, wie sie andere Rechte verletzen“, was nach Ansicht des Juristen im Fall der vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa verantworteten Ausstellung nicht der Fall gewesen sei. Weiter wird Möllers zitiert: „Jede freiheitliche Verfassung schützt auch Meinungsäußerungen, die uns schrecklich oder obszön erscheinen“ und dann folgt eine zentrale These des Gutachtens: sich antisemitisch oder rassistisch zu äußern erscheine skandalös, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt.“
Abgesehen davon, dass der Autor des Gutachtens die Initiative GG 5.3. Weltoffenheit beriet, also dem Dunstkreis der „israelkritischen“ Szene zuzurechnen ist2, kann den zentralen Aussagen des Gutachtens zugestimmt werden – alleine, die documenta und ihre Verantwortlichen werden durch dieses Gutachten nicht entlastet. Und, viel wichtiger ist: Das Gutachten hat mit dem Problem, welches am Beispiel der documenta zu Tage trat, relativ wenig zu tun. Der Anspruch politisch zu sein, wurde von den documenta-Machern ausdrücklich formuliert. Zur politischen Agenda gehörte für eine beträchtliche Zahl der documenta-Macher der Kampf gegen Israel.3 Zu diesem Kampf gehörte die Forderung Israel auch kulturell zu boykottieren. Dieser politischen Agenda galt (und gilt) es zu widersprechen. Sicher, es gab angesichts dieser politischen Ausrichtung auch die Forderung, die documenta 15 abzubrechen oder zu schließen. Vor dem Hintergrund der impertinenten Abwehr jeglicher Kritik seitens der Verantwortlichen sowie der passiven wie aktiven Unterstützung antiisraelischer Aktivisten und veritabler Antisemiten, denen man eine weltweit beachtete und mit Steuergeldern geförderte Bühne geboten hat, sind diese Stimmen aber eher als verständliche Empörung und Teil des notwendigen politischen Protests zu werten, als eine direkte Aufforderung die künstlerische Freiheit zu unterbinden.
Auch wir vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel haben nicht gefordert, die antizionistischen Aktivisten und Kollektive anzuklagen, zu bestrafen oder gar zu verhaften, also die Meinungsfreiheit von Künstlern und Aktivisten zu beschneiden. Im Mittelpunkt unserer Argumentation stand die Kritik an der politischen Ausrichtung der Kuratoren, der geladenen Künstler und Kollektive und nicht die Forderung, die documenta zu schließen und Ruangrupa nach Hause zu schicken. Der Fokus unser Kritik richtete sich explizit gegen die öffentliche Förderung einer Weltkunstausstellung, die von bekennenden Israelhassern und Antizionisten kuratiert und geleitet wurde.

Zur Chronik eines absehbaren Skandals
Der Skandal, der in der Präsentation von im Stil des Stürmers gehaltenen Karikaturen von Juden auf dem zentral gelegenen Friedrichsplatz kulminierte, war nicht nur absehbar, es war ein Skandal mit Ansage!
Vor gut einem Jahr – also fünf Monate vor der Eröffnung der documenta – stellten wir heraus, dass es nicht verwunderlich ist, dass Ausstellungsmacher, die überwiegend als Antizionisten und Israelhasser zu bezeichnen sind, Künstler und Künstlerkollektive engagierten, die die Abschaffung Israels fordern oder sich antisemitisch äußerten und äußern. Wir stellten heraus, dass die Unterstützung und Förderung antisemitischen und antizionistischen Gedankenguts einer Traditionslinie zuzuordnen ist, die man, mit dem SS-Soldaten und Partisanenbekämpfer Werner Haftmann beginnend, über den völkischen Ideologen Joseph Beuys fortführend bis hin zur explizit politischen, postmodernen und poststrukturalistischen Ausrichtung der Ausstellungen, die man spätestens seit Carolyn Christov-Bakargiev und Adam Szymczyk nachverfolgen kann.4
Insbesondere vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung aus dem Jahr 2019, der darauf folgenden Diskussion im deutschen Kulturbetrieb und den politischen Auseinandersetzungen um die Ruhrtriennalen – in Zusammenhang mit der Einladungen des israelfeindlichen Ideologen des Post-Kolonialismus Achille Mbembe und des Auftritts der Band Young Fathers – hielten wir es für geboten, die kuratorische Tätigkeit von Ruangrupa zu hinterfragen, sie öffentlich zu kritisieren und auch dazu beizutragen, dass durch öffentlichen Druck auf die Kuratoren der eine oder andere Künstler wieder nach Hause geschickt wird.5
Am Beispiel der documenta konnte man deutlich den Zusammenhang von offen geäußerter Gesinnung, unverblümtem politischem Aktionismus und der Indienststellung des Kunstwerkes für eine politische Agenda sehen. Wir machten das vor einem Jahr insbesondere am Beispiel der Gruppe The Question of Funding deutlich, die als eines der ersten Kollektive von Ruangrupa für die documenta 15 ausgewählt wurden. Am Beispiel dieser Gruppe und ihrer Protagonisten, die aus dem Umfeld des ursprünglich der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellten Khalil Sakakini Cultural Centers kommen, konnte man die politische Instrumentalisierung des Kunstwerkes im Dienste des Kampfes gegen den jüdischen Staat deutlich aufzeigen. Das Zentrum der Palästinensischen Autonomiebehörde, welches ursprünglich auf der Liste der eingeladenen Künstler stand, das Kollektiv The Question of Funding (das dann an dessen Stelle trat) und seine Protagonisten sind in der Tradition des gewalttätigen Kampfes arabischer Freischärler und Terroristen gegen die jüdischen Einwohner und Einwanderer in Palästina und ihrem Bestreben, einen jüdischen Staat zu gründen und zu verteidigen, zu sehen. Die Begeisterung des Namensgebers des Kulturzentrums für Hitler verweist darauf, dass der palästinensische Nationalismus im Nationalsozialismus einen Verbündeten fand. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt, nur dass deren wichtigste Bündnispartner heute einerseits der politische Islam, andererseits linke und linksextreme Parteien, Gruppen und Personen sind, die sich vor allem im akademischen Betrieb und in der staatlich geförderten Kulturszene, in mächtigen NGOs und Parteienstiftungen tummeln und die bis hinein in die Ministerialbürokratie zu finden sind.
Einer politischen Agenda muss politisch geantwortet werden
Insbesondere angesichts der ausdrücklich gewollten und formulierten politischen Positionierung der Ausstellung und ihrer zahllosen Protagonisten und Aussteller war und ist eine politische Reaktion auf die dort propagierte Agenda vollkommen berechtigt. Protest, Skandalisierung und das Mittel der Polemik waren und sind auch gerade deswegen die einzig adäquate Reaktion, weil sich von Beginn an die politisch Verantwortlichen, von Oberbürgermeister Christian Geselle, bis zur hessischen Ministerin Angela Dorn, zur Staatsministerin Claudia Roth und bis hin zur Direktorin der Ausstellung Sabine Schormann weigerten das offensichtliche Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.6 Sie stemmten sich nicht nur gegen jede Form der Debatte, vielmehr gingen sie so weit, den Kritikern Rassismus und Demokratiefeindlichkeit vorzuwerfen und sie als von außen kommende Störenfriede zu denunzieren.
Gerade der Versuch, das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel mundtot zu machen, indem man uns und den Blog Ruhrbarone mit einer ungerechtfertigten und völlig überzogenen Abmahnung beschwerte und das durchsichtige Manöver, unsere Kundgebung zur Eröffnung der Ausstellung zu unterbinden, zeigte, dass eine Diskussion mit den Kritikern nicht erwünscht war und verwies auf die ignorante und autoritäre Haltung der Verantwortlichen. Den Stellungnahmen der Ausstellungsmacher und der ihnen zur Seite springenden „Experten“ aus den Kulturredaktionen einschlägiger Presseorgane und Rundfunksender, die nicht nur offensichtliche Tatsachen leugneten, sondern den Kritikern der documenta Rassismus, wahlweise die Nähe zum Rechtsextremismus oder Linksextremismus und das Schüren von Gewalt vorwarfen, wurde weder widersprochen noch wurden sie kommentiert. In der HNA präsentierte man angesichts der eindeutig antiisraelischen Propagandastückchen den faktenresistenten Dünnbrettbohrer Joseph Croitoru, der selbst in der Präsentation von Propagandafilmchen über palästinensische und japanische Terroristen keine antisemitische Propaganda sehen wollte. Croitoru und vor allem Elke Buhr dienten mit ihren Methoden der Auslassungen und Verharmlosungen7 nicht nur der nordhessischen Lokalzeitung immer wieder dazu, die Kritiker der Übertreibung, Falschinterpretation und Inkompetenz zu überführen.
Nicht die Freiheit der Kunst ist in Gefahr – Die Ignoranz vor dem Antisemitismus ist die Gefahr
Die Vernichtung der Juden durch die vom Nationalsozialismus geführte deutsche Volksgemeinschaft war und ist ein in der Geschichte der Menschheit einmaliges Ereignis. Dieser deutschen Tat liegt der Antisemitismus als treibendes Element zugrunde. In mannigfaltiger Art und Weise wird seither versucht, den kritischen Blick auf den Antisemitismus zu verwässern. Heute wird das jedoch meist nicht mehr von Historikern und Politikern mit rechts-nationalem Hintergrund betrieben, vielmehr von Agitatoren der postmodernen Linken, die an den Universitäten und im Kulturbetrieb dominant vertreten sind.8 Heute wird Antisemitismus als eine Erscheinung der „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ dem Rassismus, der Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit usw. gleichgestellt, teils sogar untergeordnet. Zum anderen wird Antisemitismus mit dem Verweis auf eine „Multiperspektivität“ und eine angebliche Sichtweise des „Globalen Südens“ relativiert und das Erschrecken angesichts dessen Artikulation als Ausdruck einer zu vernachlässigenden, weil eurozentristischen, deutschen (im Grunde genommen jüdischen) Empfindlichkeit deklariert. Derlei Manöver tragen immer dazu bei, dass die deutsche Geschichte und die in ihr zu Tage tretende Quintessenz des Antisemitismus relativiert und aus dem Blick genommen wird.9
Wenn die Verantwortung vor der deutschen Geschichte, wenn das „Nie wieder!“, wenn der Bundestagsbeschluss gegen die antisemitische BDS-Bewegung und die Behauptung einer Staatsräson, Israel, den Staat der Holocaustüberlebenden und ihrer Nachkommen, gegen Bestrebungen ihn zu vernichten, zur Seite zu stehen, irgendeine Bedeutung haben sollen, dann ist und bleibt es wichtig und völlig legitim, allen Propagandisten des Israelhasses entgegenzutreten und dafür einzutreten, dass diesen nicht auch noch zu einem mit Steuergeldern finanzierten Renommee des Erhabenen im Kulturbetrieb und Seriösen an den Universitäten verholfen wird.
Das einzufordern und darauf zu beharren, bedeutet keine Einschränkung der Kunstfreiheit, sondern hätte im letzten Jahr nur bedeutet, die Kuratoren der documenta 15, also Ruangrupa und ihre Spießgesellen nicht als Bereicherung und willkommene Gäste Kassels zu feiern, ihnen nicht ob ihrer vermeintlichen Freundlichkeit und Fröhlichkeit Honig um‘s Maul zu schmieren, sie nicht mit Posten an den Universitäten in Kassel und Hamburg zu belohnen, sondern ihnen klar und unmissverständlich zu verdeutlichen: Wir stehen fest an der Seite Israels, wir verachten und verurteilen jede antisemitische Propaganda, auch wenn sie im Mäntelchen der Kunst und als „Israelkritik“ daherkommt. Es hätte heißen müssen: Wir weisen jeden Versuch zurück, die kritische Debatte über Antisemitismus und den Zusammenhang von Israelhass, Antizionismus und Antisemitismus mit einer Agenda über „Islamophobie“ und „antipalästinensischen Rassismus“ zu kontern oder Kritik am Antisemitismus als Rassismus zu denunzieren.
Die Rede Frank-Walter Steinmeiers zur Eröffnung der documenta 15 oder die Weigerung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, die documenta zu besuchen und ebenso die vielfach und fundiert geäußerte Kritik in renommierten, überregional erscheinenden Presseorganen10 machten deutlich, dass in der politischen Klasse und in der öffentlichen Diskussion bis zu einem gewissen Grade die Einsicht vorherrscht, Israelhass und Antisemitismus ist nicht kommentarlos zu übergehen.
Davon ist man im Kulturbetrieb meilenweit entfernt. Das beweist das Bestreben, nicht nur Ruangrupa, sondern auch Adam Szymczyk in die kommende Findungskommission berufen zu wollen. Deren Aufgabe wird es sein, den Kurator oder das Kuratorenteam für die nächste documenta auszuwählen.11 Nicht zuletzt die von den Aufsichtsorganen der documenta 15 bzw. die vom Bundesministerium beauftragten Gutachten verweisen auf den Holzweg, auf dem sich der semistaatliche Kulturbetrieb befindet. Angesichts des mit großen Summen öffentlicher Gelder finanzierten Kulturbetriebes ist es widersinnig, von staatlicher Einflussnahme zu fabulieren, die die Freiheit der Kunst gefährde. Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland nicht gefährdet, vielmehr besteht die Gefahr, dass die Kritik an der politischen Ausrichtung des staatlich protegierten Kulturbetriebs als unliebsam, als Nestbeschmutzung, wenn nicht gar als jüdische Einflussnahme denunziert wird. Es stellt sich also die Frage, warum Kritik an der selbst gewählten ideologischen Ausrichtung des staatsnahen Kulturbetriebes in die Nähe verfassungsfeindlicher Bestrebungen gerückt wird, oder als Gefahr angesehen wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken und die Freiheit der Kunst in Frage zu stellen. Es geht weiter um die Frage, warum in einer vom Kulturbetrieb geführten politischen Auseinandersetzung Widerspruch nicht geduldet wird, oder dieser erst dann statthaft sein soll, wenn staatlich veranlasste Gutachten das bestätigen, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen oder das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel von Beginn an formulierte.12
Am Beispiel der documenta wird und wurde deutlich: Es geht um das schamlose Ignorieren eines gesellschaftlichen Problems in Deutschland und das Problem heißt Antisemitismus, Antizionismus und Israelhass.
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1 Am 20. Januar 2023 erschien in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Lehren aus dem Documenta-Skandal. Zwischen Antisemitismus und Kunstfreiheit“ ein Artikel mit dem Titel „Einmischung unerwünscht. Was in Möllers‘ Kunstfreiheits-Gutachten steht“ und ein Interview mit dem Juristen Christoph Möllers, der das Gutachten geschrieben hat. In der HNA fasste der Autor der HNA Mark-Christian Busse am 23. Januar 2022 die zentralen Aussagen des Gutachtens unter dem Titel „Kunstfreiheit geht sehr weit. Gutachten entlastet documenta“ zusammen.
2 Die Initiative GG 5.3., die auch in Kassel Anhänger fand, wendete sich explizit gegen den Bundestagsbeschluss zur BDS-Bewegung, siehe unseren Beitrag: Israel zur Rechenschaft ziehen – Unterstützer auch in Kassel. Zur Rolle Möllers: Stefan Laurin, Documenta: Gutachten und Wirklichkeit, Ruhrbarone, 25.01.2023.
3 Der von zahlreichen in der künstlerischen Leitung der documenta tätigen Personen sowie von 4 der 10 Mitglieder des Kollektivs Ruangrupa, unterzeichnete „A Letter against Apartheid“ fordert unter anderem den kulturellen Boykott Israels. Siehe dazu mehr in unserem Beitrag: Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?
4 Dem Antizionismus und der „Israelkritik“ verpflichteter Agit-Prop wurde mindestens seit der documenta X präsentiert. Die von Catherine David kuratierte documenta X veranstaltete die Gesprächsreihe „100 Tage – 100 Gäste“. Zu einem der Gespräche wurde der Israel feindlich gesinnte Wissenschaftler und Begründer des Postkolonialismus Edward Said geladen. Dieses aufgezeichnete Gespräch sollte dann Auftakt der Gesprächsreihe „We need to talk“ sein, mit der die Macher der documenta 15 versuchten, die Kritik an der antizionistischen und israelfeindlichen Ausrichtung der documenta 15 zu konterkarieren. (Zu Edward Said, vgl., Andreas Harstel, Das Gründungsdokument des Postkolonialismus. Edward Saids Orientalism und Israel, in: Die Untiefen des Postkolonialismus, 2021, S. 184 – 197.) Auf der documenta 12 präsentierte Peter Friedel mit „Brownie“ die „Giraffe gegen Zionismus„, mit ausdrücklicher Erlaubnis der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev konnten während der documenta 13 Aktivisten der Aktivisten-Gruppe doccupy den dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ nachempfundenen Slogan „Konsum macht froh“ mitten auf dem Friedrichsplatz präsentieren (vgl. unseren Beitrag: Doccupy – It’s antisemitism, Stupid!) und den kulturpolitischen Skandal um die Performance „Auschwitz on the beach“ auf der documenta 14 hatte Adam Szymczyk zu verantworten. (Vgl. hierzu unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen).
5 Die aktuelle Diskussion über den geplanten Auftritts der Band Pantera auf dem Festival Rock am Ring zeigt, dass ein solches Vorgehen durchaus als legitim erachtet wird. Obwohl der Bassist der Gruppe Pantera Phil Anselmo sich mehrfach für seinen Auftritt im Jahr 2016 entschuldigte und von seinem Gebahren distanziert hat, wurde die Band wegen dieses Auftritts aus dem Programm genommen. (Vgl.: Pantera. Metalband tritt doch nicht bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ auf, Spiegel 24.01.2023) Eine öffentlich wahrnehmbare Position, die hier die Freiheit der Kunst reklamierte, ist uns nicht bekannt. Die israelfeindlichen Akteure haben ihre Positionen nie revidiert, im Gegenteil, in mehreren Erklärungen wurden sie sogar bekräftigt. Der auch von der Ruangrupa mit unterzeichnete Aufruf „We are angry, we are sad, we are tired, we are united“ spricht sich mit dem Satz „The question is not the right of Israel to exist; the question is how it exists“deutlich gegen den jüdischen Staat aus.
6 Der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta GmbH sprach völlig kenntnisfrei von agrarischen Themen, der sich die auf der documenta vertretenen palästinensischen Gruppen angenommen hätten. Siehe: Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022. Die Staatsministerin Claudia Roth sah nach der Veröffentlichung der windigen Apologie des Khalilis durch Croitorus in der FAZ (die ein paar Tage später auch in der HNA erschien) alle Vorwürfe als entkräftet an. Vgl., Das Humboldtforum ist nicht der Vatikan. Ein Gespräch mit der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, FAZ, 07.02.2022.
7 In der HNA wurden mehrere Statements von Joseph Croitorus veröffentlicht, in denen dieser gegen jede Evidenz antizionistische und antisemitische Inhalte in Aussagen von Künstlern und Kunstwerken leugnete. So wurde von Croitoru z.B. der ehemalige Präsident des Khalil Sakakini Cultural Centers und Sprecher der Gruppe The Question of Funding Yazan Khalili davon freigesprochen, mit seinem Engagement für die Abschaffung Israels einzutreten. Er äußere sich kritisch gegen jeden Nationalismus, auch gegen den palästinensischen. (Joseph Croitoru: Künstler Yazan Khalili zum Antisemitismus-Vorwurf. Gründlich missverstanden, HNA, 10.02.2022) Die in einigen renommierten Sendungen herumgereichte Kulturjournalistin Elke Buhr meinte den Tatbestand, dass die Verantwortung eines Kulturzentrums, das sich nach einem Verehrer Hitler benennt mit der Verantwortung von Bewohnern einer Straße auf eine Stufe zu stellen, die nach Wagner benannt ist. Wenn jemand wie Khalili unter Emanzipation der Juden versteht, dass diese sich vom Zionismus zu lösen hätten, ist das ein Plädoyer gegen den jüdischen Staat. Die vermeintliche auch gegen den palästinensischen Nationalismus gerichtete Kritik läuft dagegen ins Leere, weil es gar keinen palästinensischen Staat gibt. An anderer Stelle meinte Croitoru es gebe in dem Filmprojekt Tokyo Reals keine Verbindungen von Japanischer Roter Armee zu palästinensischen Terrorgruppen (Joseph Croitoru, Pauschale Vorwürfe so nicht haltbar, HNA, 15.09.2022), obwohl sogar im documenta-Handbuch klar formuliert wurde, dass die Gruppe Subversive Film die „transnationalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Befreiungsbewegungen durch eine Institutionalisierung der Archivierungsarbeit“ wiederaufbauten und damit heutige „Solidaritäts-Konstellationen“ reaktiviere. (documenta fifteen Handbuch, S. 190). Die HNA wiederholte daher immer wieder die Behauptung „die documenta-Kritiker haben einige Fehler gemacht. Sie legten mit immer neuen Vorwürfen nach (von denen ein Großteil widerlegt wurde).“ (z.B., Matthias Lohr, Kritiker von Ruangrupa müssen zuhören, HNA, 14.10.2022)
8 Dazu z.B.: Ingo Elbe, „…it’s not systemic“ Antisemitismus im postmodernen Antirassismus, in: ders., Gestalten der Gegenaufklärung. Untersuchungen zu Konservatismus, politischem Existentialismus und Postmoderne, Würzburg 2020, S. 242 – 275.
9 Grundlegend dazu: Steffen Klävers, Decolonizing Auschwitz. Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Oldenburg 2019.
10 In den großen überregionalen Zeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Neue Züricher Zeitung, in den gewöhnlich eher „israelkritischen“ Organen Süddeutsche Zeitung und TAZ und vor allem in der Die Welt wurden – freilich erst nachdem wir unseren Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“ hier und auf dem Blog Ruhrbarone veröffentlichten – sowohl die israelkritische Schlagseite der documenta 15, die Tatenlosigkeit der Aufsichtsorgane, als auch verschiedene Kunstwerke kritisch rezipiert.
11 Adam Szymczyk soll neben Carolyn Christov-Bakargiev, Roger Buergel und anderen in der neuen Findungskommission vertreten sein. Die Ruangrupa wurde angefragt, lehnte ein Beteiligung aber ab. Vgl.: Bewährte Kräfte, in SZ, 11.11.2022. Dass diese Auswahl Besorgnis in der Jüdischen Allgemeinen hervorrief, verleitete den Kulturredakeur der HNA zur kenntnisfreien Behauptung die Kollegin des jüdischen Presseorgans würden reflexartig reagieren, denn Szymczyk sei in Sachen Antisemitismus nichts vorzuwerfen. Das „Schnüffeln“ nach öffentlichen Bekenntnissen der Kulturfunktionäre gegen Israel sei eine Reminiszenz an die McCarthy Ära. (Mark-Christian von Busse, Reflexhafte Urteile, HNA, 19.01.2023)
12 Der Aufsichtsrat der documenta GmbH (in dem Vertreter der Stadt Kassel, des Landes Hessens und dem Grunde nach auch des Bundes sitzen) beauftragte eine Expertenkommission, einige Kunstwerke zu überprüfen, ob sie antisemitische oder israelfeindliche Propagandawerke sind. Es gab zwar eine unterschiedliche Gewichtung in den Stellungnahmen der Mitglieder des „Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen“. In der am 10.09.2022 (also kurz vor dem Ende der Ausstellung) veröffentlichten Presseerklärung spricht das Gremium im Zusammenhang der „Kompilation pro-palästinensischer Propagandafilmen“ des Kollektivs Subersive Film von mit „antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente[n]“ und von „Israelhass und Glorifizierung von Terrorismus“ in den eingefügten Kommentaren.