„Ja, hallo, ich bin Jana aus Kassel, und ich fühle mich wie Sophie Scholl“, hieß es auf einer Kundgebung in Hannover gegen die Pandemie-Politik der Bundesregierung. Jana führte aus, sie sei „seit Monaten im Widerstand […] Ich bin 22 Jahre alt, genau wie Sophie Scholl, bevor sie den Nationalsozialisten zum Opfer fiel.“
So wie alle anderen Medien, Pressorgane, Lautsprecher aus Politik, Zivilgesellschaft und Kultur echauffierten sich auch die Kommentatoren und Artikelschreiber aus der nordhessischen Zeitung HNA über den unerträglichen Quatsch, den diese Jana in Hannover von sich gab. Gegen ihre aberwitzige Gleichsetzung Einspruch zu erheben, wäre dann richtig, wenn die fast unisono vorgetragenen Interventionen nicht so durchsichtig wären. Eine Kommentatorin der nordhessischen Lokalzeitung HNA verwies mit folgenden Zeilen darauf, was hinter der allgemeinen Empörung steht: „Man könnte an der kruden Szene in Hannover und geschichtsblinden Menschen […] schier verzweifeln, wären da nicht Menschen wie der Mann, der die Rednerin unterbricht […]. Ihm gebührt Respekt für sein entschlossenes Aufbegehren gegen Geschichtsrevisionismus. Um mit den Worten Sophie Scholls zu sprechen: Einer musste ja doch mal schließlich damit anfangen.“ (1) Nicht eine Jana der in der Gesellschaft fast einhellig verurteilten Gegner der Corona-Politik darf sich in der Tradition der Scholls wähnen, sondern der vermeintliche Ordner soll es sein, der im Namen der Nation empörter „Antifaschisten“ den Staffelstab aufnimmt und dafür sorgt, dass die Welt weiß, Deutschland hat aus der Geschichte gelernt.
Vom Mantel der Geschichte umweht sehen sich auch gerne die tapferen Streiterlein für den Frieden und auch sie bemühen wie Jana gerne die Tradition des Antifaschismus. Jedes Jahr geben sie sich als „Friedensratschlag“ ein Stell-Dich-Ein in Kassel, auch 2020 wieder. (2) Der Friedensratschlag behauptet in seinen Grundsätzen: „Wir führen unseren Kampf gegen alte und neue Kriege, für Abrüstung und Völkerverständigung vor dem Hintergrund eines historischen Bewusstseins, wozu vor allem der konsequente Antifaschismus gehört. ‚Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg‘ ist für uns die Schlussfolgerung aus dem Zweiten Weltkrieg, der wir uns verpflichtet fühlen.“ Der den Friedensratschlag wie die Friedensbewegung auszeichnende Antizionismus, der sich immer wieder bis zum Hass auf Israel auswächst und Grundlage für immer wieder gesuchte Kooperationen mit Antisemiten ist, straft diesen hehren, aber auf ein interessiertes Missverständnis verweisenden, Ansatz (3) Lügen.
Das kulturelle Rahmenprogramm zum diesjährigen Friedensratschlag steuerte Konstantin Wecker bei. Mit ihm führte die HNA am 04.12.2020 ein Interview. (4) Eine Frage der Zeitung lautete: „Warum befürchten Sie Angst vor einem Atomkrieg?“ (sic!)
Wecker antwortete: „Weil in der Welt Wahnsinnige wie Bolsonaro, Orbán und Trump und viele andere Patriarchen an der Macht sind.“ Bekanntlich sind weder Brasilien noch Ungarn gefährliche Atommächte und Donald Trump dürfte bald zwar noch als Person der Zeitgeschichte für einigen Zoff sorgen, aber eben auch als der Präsident in die Annalen der Geschichte eingehen, der am entschlossensten dem iranischen Atomprogramm entgegentrat. (5) Dass dem um eine „herrschaftsfreie und friedvolle Welt“ besorgten Sänger angesichts des globalen Herrschaftsanspruchs der autoriären und totalitären Atommächte China, die verniedlichende, abgeschmackte Formel vom Patriarchen einfällt, ist das Gegenteil von witzig. Vollkommen aberwitzig jedoch ist diese Art der Bezeichnung in Bezug auf den auf fast allen Kontinenten sich ausbreitenden totalitären Islamismus, der mit Pakistan eine Atommacht und mit dem Iran eine Nation im Rücken hat, die anstrebt eine Atommacht zu sein.
Aber Wecker traut den US-Amerikanern nicht. „Für unberechenbare Diktatoren ist ein Atomschlag immer eine Option“, führt er weiter aus und ihm fällt auch gleich ein Beispiel ein: „Als US-Präsident Harry Truman im August den Befehl gab, Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen, starben weit über 200.000 Menschen.“ Wecker, der sich einst schützend vor Saddam Hussein stellte (6), erklärt also Harry Truman zum unberechenbaren Diktatoren. Den Präsidenten der Nation, die zusammen mit Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion gegen Nazideutschland Krieg führte, um die Welt von der schlimmsten Diktatur zu befreien, die die Menschheit jemals erleben musste. Es waren die Streitmächte der Alliierten und keine deutschen Pazifisten, die den Versuch, der von den Nazis angeführten deutschen Volksgemeinschaft ein tausendjähriges Reich zu errichten, vereitelte. Die US-Armee war auch die maßgebliche Kraft, die den Bündnispartner Deutschlands, das mörderische und terroristische Japan, das im Fernen Osten für Abermillionen von Toten verantwortlich war, in die Knie zwang.
Wecker kennt jedoch noch andere Grundübel: „Es geht immer nur ums Geld. […] Das Militär ist ein Grundübel. Dort wird den Menschen die Humanität genommen und blinder Gehorsam antrainiert. Dieser blinde Gehorsam hat uns in den Wahnsinn der Nazizeit getrieben.“ Bekanntlich gab es in Deutschland 1933 zwar einen monarchistisch und preußisch geprägten Militarismus, aber kaum Militär. Grundlage der Naziherrschaft war weniger der Militarismus, der für das alte Reich stand, sondern der Antisemitismus, die Idee von einer völkisch-nationalen Revolution und der unbedingten Wille, die „Gegenrasse“ zu vernichten, das Alte zu stürzen und auf den Trümmern des Alten eine Volksgemeinschaft der Arier zu etablieren.
Es ist weniger bemerkenswert, dass der „Kollateralnutzer“ Wecker (Henryk M. Broder) beim Friedensratschlag für das Rahmenprogramm sorgt, das dieser verdient, sondern, dass der Künstler mit Geldern einer Universität Unterstützung findet und seinen geschichtsklitternden und hanebüchenen Thesen in einer Tageszeitung mit großer Leserschaft eine Bühne geboten wird.
(1) Nicole Schippers, Beleidigung aller Opfer von Diktaturen, in: HNA, 23.Nov. 2020
(2) Der Friedensratschlag wird zum wiederholten Male mit Unterstützung der Universität Kassel, also unter Verwendung von Steuergeldern, abgehalten. Verantwortlich ist Prof. Dr. Klaus Moegling, der zu allem Überfluss auch noch Studiendirektor im Studienseminar für Gymnasien in Kassel, also direkt an der Ausbildung von Lehrern beteiligt ist. Mit dabei sind das besonders israelfeindliche Bremer Friedensforum und wie fast jedes Jahr der notorische Norman Paech.
(3) Im Buchenwaldschwur wurde noch dem Einsatz der Alliierten Truppen, insbesondere der Vereinigten Staaten gedacht: „Wir gedenken an dieser Stelle des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt, F.D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken.“ Begreift man den Antisemitismus als den ideologischen Kern des Nationalsozialismus, wodurch sich dieser auch klar vom Faschismus unterscheidet, so symbolisiert auch weniger Buchenwald den deutschen Nationalsozialismus, sondern die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Treblinka u. a.. Vor diesem Hintergrund kann das „Nie wieder!“ auch nicht „Nie wieder Krieg!“ bedeuten, sondern muss in logischer Konsequenz nur die „Wiederaneignung von Kraft und Gewalt durch die Juden“ (Claude Lanzmann) heißen, die sich im wehrhaften Staat Israel darstellt. Die Vernichtung Israels ist heute Staatsräson des Iran.
(4) „Ich bin gern ein Träumer“. Interview – Liedermacher Konstantin Wecker über den Kasseler Friedensratschlag, in: HNA, 4. Dez. 2020.
(5) Die Vernichtungsdrohungen gegen Israel und das iranische Atomprogramm ficht den Friedensratschlag bekanntlich nicht an. Im Gegenteil. In einem am 3. Dez. 2020 auf der Internetseite des Friedensratschlages hochgeladenen Artikel werden den USA und Israel Staatsterrorismus und Donald Trump die Kündigung des „Nuklearvertrages“ vorgeworfen. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, die USA nicht in die Schranken verweisen zu haben, dadurch sei verhindert worden, dass der Iran in eine Vertragsgemeinschaft integriert und wie noch nie seit der Islamischen Revolution von 1979 rehabilitiert worden wäre. Lutz Herden, Iran/USA: Allmacht und Ohnmacht.
(6) Henryk M. Broder, Hundekekse für den Frieden, in: SPON, 11. Jan. 2003