Hate to say I told you so

Eine Chronologie: Frühe Kritik – Schuldabwehr, Ignoranz und Antisemitismus auf der Weltkunstaustellung in Kassel

Am 07. Januar 2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir die grundlegende Ausrichtung der documenta, die Zusammensetzung der künstlerischen Leitung und des documenta-Beirates und führten am Beispiel der Gruppe The Question of Fundig aus, dass ein systematischer Zusammenhang von Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus besteht, der in den auf der Weltkunstausstellung zu erwartenden Kunstwerken Ausdruck finden wird. Unsere Annahme, dass die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet, war substantiell und wohl begründet.

In dem nun veröffentlichten Abschlussberichtes des vom Aufsichtsrat der documenta GmbH berufenen Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen heißt es:

„Die documenta fifteen fand vom 18. Juni bis 25. September 2022 unter der künstlerischen Leitung des Kurator*innenkollektivs ruangrupa statt. Bereits im Vorfeld der Ausstellungen waren Befürchtungen laut geworden, dass es bei der Ausstellung zu antisemitischen Vorfällen kommen könnte. Diese bewahrheiteten sich bereits am Eröffnungswochenende durch den Fund zweier antisemitischer Darstellungen in dem Werk People’s Justice des Künstler*innenkollektivs Taring Padi. Auch gegen andere Werke wurden in den folgenden Wochen Antisemitismusvorwürfe erhoben.“1

Zunächst nahmen einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (wie Zeit, NZZ,Welt, BILD, FAZ und sogar die TAZ und der Spiegel) unsere Anfang Januar 2022 veröffentlichte Kritik auf2, der sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) anschlossen.3 Ein Problembewusstsein ließen jedoch weder Christian Geselle als Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH und – bis auf die FDP, die Junge Union Kassel, das Sara Nussbaum Zentrum und das Jungen Forum DIG – irgendein anderer relevanter Akteur der Stadt und der „Zivilgesellschaft“ erkennen. Im Gegenteil. Geselle ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.4 In erschütternder Ignoranz oder Ahnungslosigkeit tat dann Geselle vor der Kamera der Hessenschau kund, im Falle der völkisch-nationalistischen und antisemitischen Propaganda des umstrittenen Künstlerkollektivs aus Palästina handele es sich um die künstlerische Befassung mit landwirtschaftlichen Fragen. Dies sei von der Kunstfreiheit gedeckt.5

Am Holocaustgedenktag 27.01.2022 besuchte eine Delegation aus Kassels Partnerstadt Ramat Gan Kassel. Obwohl die Diskussion um die fragliche Ausrichtung der documenta in der überregionalen Presse schon im Gange war und es klar war, wen man nach Kassel geholt hatte, ließ es sich der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Geselle nicht nehmen, sich mit den Teilnehmern der Delegation aus Israel vor dem ruru-Haus abzulichten. Dort, so hieß es in einer Pressemitteilung der Stadt, wurden „sie durch die documenta‐Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann und Reza Afisina, Mitglied der documenta fifteen‐Kuratorengruppe ruangrupa, begrüßt.“6 Reza Afisina unterzeichnete, wie viele andere Protagonisten der documenta 15, die Erklärung A Letter Against Apartheid in der ausdrücklich auch der kulturelle Boykott Israels gefordert wird.

Auch die künstlerische Leitung der documenta 15 wies jede Kritik zurück und versuchte den Spieß umzudrehen. In der ersten ausführlicheren Erklärung wurde am 12.01.2022 dementiert, dass es jemals zu Antisemitismus auf der documenta 15 kommen könnte und man warf den Kritikern vor, rassistisch zu diffamieren und verfälschende Berichte lanciert zu haben. Man erklärte den Hass auf Israel als eine Form sich in lokalen Kontexten angesichts „herausfordernder Fragen unserer Gegenwart“ zu engagieren. Um diesen entsprechend zu kontextualisieren und als legitime Stimme erklären zu können, kündigten die documenta-Macher ein internationales Expertenforum an, das „Stimmen aus verschiedenen Bereichen, darunter Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Holocaust- und Antisemitismusforschung“ versammeln sollte, um in einer Debatte über das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von „steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie zu diskutieren.“7

Nach diesem Potpourri aus Nebelkerzen, postkolonialer Holocaustrelativierung und islamischer Opferideologie verkündete Geselle: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete, dass er keine Anzeichen dafür sehe, „dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta infrage gestellt werde.“ Gleichzeitig war es ihm wichtig darauf hinzuweisen, dass die Menschen in Palästina ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben hätten. In freier Assoziation fügte Geselle hinzu, genau dies sei das Ansinnen der geladenen Künstler nach ökonomischer und sozialer Autonomie.8 Mit Menschen in Palästina meinte Geselle die Palästinenser. Freilich gibt es Palästina nur als geographische Bezeichnung eines Landstriches, zwischen Jordanien und dem Mittelmeer. In der nationalen Ideologie der Palästinenser ist, wenn von Palästina als anzustrebender Staat die Rede ist, genau dieser geographische Raum gemeint. Die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free!“ sagt genau dies aus. Nichts anderes bedeutet die angestrebte ökonomische und soziale Autonomie, die vom Oberbürgermeister den Künstlern als zentrales Anliegen völlig richtig zugeschrieben wird, ohne zu verstehen, was er damit gesagt hat.

An dieser Grundhaltung änderte sich bis zur Eröffnung der documenta 15 nichts. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. „Er appellierte, genau hinzuschauen: Es würden Fragen diskutiert, die bei der Ausstellung überhaupt nicht zur Debatte stünden.“9 (Hervorhebung d.d.V.)

Antisemitismus auf dem Friedrichsplatz und fehlende fachliche Kompetenz

Am 18.06.2022 hängte die Agitprop-Truppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, das – unter anderem – eine bösartige Karikatur eines Juden zeigte, die abgesehen von der SS-Rune am Hut auch im Stürmer hätte stehen können. Das Banner wurde zunächst verhüllt und erinnerte in diesem Zustand – ein Schuft, wer Böses dabei denkt – an die Ka’aba oder doch zumindest an den von Christo verhängten Reichstag als Symbol des wiedergutgewordenen Deutschland. Erst nach diesem dummdreisten Versuch, einen Schandfleck auch noch zu heiligen, musste das Banner schließlich verschwinden. Die „Tokyo Reels“, eine Ansammlung von Propagandafilmchen zum Ruhme der antisemitischen Söldnerbande PFLP, liefen hingegen vom ersten bis zum letzten Tag der documenta.

Nachdem dem Coup der Taring Padi, zeigte sich Geselle zerknirscht und gab sich wütend und enttäuscht. Und wie immer wenn es zu antisemitischen Vorfällen kommt, nicht den Juden wird damit in erster Linie Schaden zugefügt, sondern es sei „ein immenser Schaden für unsere Stadt und die documenta entstanden.“10 Vor dem Hintergrund, dass die Führung der documenta 15 mit Israel-Hassern durchsetzt war, dass es der Gruppe Taring Padi gelang ein „Protest – Banner“11 aufzuhängen, war es dem Oberbürgermeister weiterhin wichtig zu warnen, die „documenta fifteen nicht unter Generalverdacht“ zu stellen, denn die künstlerische Leitung habe „sich ebenfalls klar gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Art von Diskriminierung positioniert.“12 Wie sich eine künstlerische Leitung, die sich überwiegend der Boykottbewegung gegen Israel verbunden fühlt, klar gegen Antisemitismus aussprechen kann – blieb nicht nur das Geheimnis des Oberbürgermeisters und Aufsichtsratsvorsitzenden.

Auf der etwa einen Monat später folgenden Sitzung des Aufsichtsrates war erneut die Rede davon, dass der documenta Schaden zugefügt worden sei, Vertrauen sei verloren gegangen, dies gelte es nun zurückzugewinnen. Man schickte die Generaldirektorin Sabine Schormann in die Wüste. Darüber nachzudenken, dass man die Antisemiten von Taring Padi, The Question of Funding, Hamja Ahsan – um nur die schlimmsten zu nennen – nach Hause schickt und die Kuratoren nun an die kurze Leine nimmt, galt nach wie vor als Sakrileg. Nach dem Motto, wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis, empfahl der Aufsichtsrat der Gesellschafterversammlung „eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen, die sich aus Wissenschaftler*innen zum Gegenwartsantisemitismus, deutschen sowie globalen Kontext und Postkolonialismus sowie der Kunst zusammensetzt.“13 Ein paar Tage später ernannte der Aufsichtsrat Alexander Fahrenholtz zum Nachfolger Schormanns. In einem Interview in der deutschen welle gab der neue Geschäftsführer folgenden bemerkenswerten Satz von sich: „Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz.“14

Die, die genau hinschauten und die, die weiter machten!

Das dann gebildete Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen schaute genau hin, nahm die Arbeit auf und wurde, wie einige Journalisten, Besucher und Kritiker vorher auch, fündig. Am 10.09.2022 veröffentlichen einige Mitglieder des Gremiums eine Erklärung, die sich ausschließlich der Filmvorführung der Gruppe Subversive Film widmete. Dort konnte man dann von denen lesen, die genau hinschauten, was für Fragen auf der Ausstellung im Focus einiger Künstler standen:

„Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen. Hoch problematisch an diesem Werk sind nicht nur die mit antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente, sondern die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler:innen, in denen sie den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren. […] Israel wird ein ‚faschistischer‘ Charakter vorgeworfen und unterstellt, einen ‚Genozid‘ an den Palästinensern zu betreiben – es wird dadurch mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleichgesetzt. Eine solche Gleichsetzung der israelischen Politik mit der der Nationalsozialisten ist etwa nach der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance, die von vielen Nationen, darunter auch einigen Ländern des Globalen Südens, übernommen wurde, als antisemitisch zu bewerten. […] Nach Auffassung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums ist das ‚Tokyo Reels Film Festival‘ das eklatanteste Beispiel für eine Einseitigkeit der documenta fifteen in Hinblick auf den arabisch-israelischen Konflikt, mit dem sich vergleichsweise viele Werke beschäftigen.“15

Auch wenn es diese Personen aus dem Gremium nicht wörtlich ausführen, unsere Einschätzung über die documenta 15, die von zahlreichen anderen Journalisten, Kritikern und jüdischen Verbänden geteilt wurde, war richtig. Doch die harsche Kritik der Experten blieb ohne Konsequenz. Die Standardfloskeln, vor einem Generalverdacht zu warnen und doch erst mal die Ausstellung zu besuchen, blamierten sich vor der Wirklichkeit. Die Argumentation des, von der HNA dreimal ins Feld geführte, Joseph Croitorus bis auf das Banner der Taring Padi nirgends Antisemitismus und Israelhass erkennen zu wollen, erwies sich, wie die früheren Versuche einiger Experten aus der Szene der Kulturschaffenden, die documenta 15 reinzuwaschen, den Israelhass und Antisemitismus zu relativieren und die Kritiker des Rassismus zu überführen, als völlig substanzlos.

Die documenta-Macher stellten ihre Ohren auf Durchzug, gerierten sich als Opfer16 und verbannten die Kritik des Gremiums förmlich vor die Tür. Sie bekannten sich bis zum Schluss trotzig zum palästinensischen Volkstumskampf17 und wie zum Hohn spuckten die von Ruangrupa angeführten Künstler in einer Erklärung allen in Gesicht, die der Meinung waren, man müsse mit den Künstlern den Dialog führen indem sie sich ausdrücklich mit dem Kampf gegen Israel solidarisierten, Plakate mit solidarischem Bezug zu BDS aufhingen und am Porticus des Fridericianums ein Transparent aufhängten, auf dem Solidarität mit dem Palästinensischen Volk gefordert wurde. In einem hellen Moment erkannte selbst der wankelmütige von Busse: „Ihre jüngste Erklärung ist ernüchternd, sogar erschütternd. Sie kehrt sämtliche Vorwürfe um, sieht überall Bösartigkeit und Diskriminierung, […] Sie bekennt sich zum Widerstand gegen den Staat Israel, zum antikolonialen Kampf, der die Künstler vereine.“18

Jubelkasseler, Gastprofessuren und ein verlogenes Lob vom Aufsichtsrat

Die documenta 15 wurde planmäßig zu Ende geführt. Ignoranten, Weichspüler und Jubelkasseler verabschiedeten im Beisein des Oberbürgermeisters die Künstler voller Begeisterung19 und die Israel-Hater unter den Kuratoren von Ruangrupa Iswanto Hartono und Reza Afisina bekamen zu ihrer Gastprofessur an der Uni-Kassel zum Dank dafür, den größten Antisemitismusskandal in der Kulturszene der letzten Jahre arrangiert zu haben, noch die in Hamburg20 obendrauf. Das Expertengremium arbeitete weiter und veröffentlichte dann am 06.02.2023 das 130 Seiten starke Gutachten, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Was wir im Januar 2022 aufgrund eindeutiger Indizien angenommen hatten war eingetreten, bzw. wurde noch übertroffen. Das Gutachten lässt sich genau so zusammenfassen, wie es die ansonsten in unverbrüchlichen Lokalpatriotismus der documenta verbundene HNA – nach reichlicher Überlegung – dann tat: als „Ohrfeige für ein Scheitern aller an der d15 Beteiligten.“21 Freilich ließ es sich der Journalist von Busse nicht nehmen, an der dem Gutachten zugrundeliegenden ausführlich dargelegten und begründeten Antisemitismusdefinition herumzukritteln. Alles ist relativ: Die 2021 erarbeitete Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) sehe die dem Gutachten des Expertengremiums zugrundeliegende Arbeitsdefinition der International Holocaust Rememberence Alliance (IHRA) als zu weit gefasst: „Legitime Kritik an Israel, etwa an der Besatzung palästinensischer Gebiete, werde ungerechtfertigterweise als antisemitisch diskreditiert.“ Ein Vorwurf den die mit dem palästinensischen Volkstumskampf verbundenen engagierten Künstlern und ihre Apologeten ungern hören.22

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens ließ Geselle verlauten: „Der Aufsichtsrat begrüßt insbesondere die klare Einordnung der kritisierten Kunstwerke und die Hinweise zum Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich geschützter Kunstfreiheit und gleichzeitig verantwortlichem Umgang mit antisemitischen Darstellungen in diesem Zusammenhang.“23 Diese Erklärung ist ein skandalöses Ausblenden der von ihm zu verantwortenden massiven Fehlleistungen vor, während und nach der documenta 15. Anstatt selbstkritisch mit sich selbst und seinen Mitverantwortlichen (insbesondere Frau Angela Dorn und Claudia Roth) ins Gericht zu gehen, bemüht sich der Aufsichtsratsvorsitzende nun um die Darstellung seiner selbst, als sei er es gewesen, der sich von Beginn an die Vorbeugung und Bekämpfung von Antisemitismus im Zuge der Kunstschau auf die Fahne geschrieben hatte.

Die Erklärung erstaunt umso mehr, als dass der Aufsichtsrat erneut an die renitente Ruangrupa herantrat, um sie für die Mitarbeit in der Findungskommission der kommenden documenta zu gewinnen. Ruangrupa sagte ab, in Adam Szymczyk fand man jedoch eine weitere einschlägig vorbelastete Person, die Bereitschaft zeigte, in der kommenden Findungskommission mitzuarbeiten. Er hat nicht nur den A Letter Against Apartheid unterschrieben sondern es auf der documenta 14 den Antisemiten Franco Berardi ermöglicht, die Performance „Auschwitz on the Beach“ aufzuführen.24

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1 Abschlussbericht Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, Nicole Deitelhoff u.a. 2023, S.5.

2 So hieß es beispielsweise in der TAZ: „Das Kassler Bündnis gegen Antisemitismus wirft den Verantwortlichen vor, die documenta 15 als Plattform zur Verbreitung israelfeindlicher und antisemitischer Positionen zu missbrauchen. In einem ausführlich mit Belegen gespickten Beitrag des Bündnisses heißt es, dass schon die Findungskommission für die künstlerische Leitung mit entsprechenden Personal besetzt war.“ Kunstfreiheit und Antisemitismus, taz.de, 14.01.2022.

3 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Welt, 25.05.2022.

4 Pressemitteilung, kassel.de, 16.01.2022.

5 Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022.

6 Pressemitteilung, kassel.de, 27.01.2022.

7 Nachdem die documenta zunächst mit einer nichtssagenden Erklärung reagierte, in der es hieß: „Die documenta fifteen unterstützt in keiner Weise Antisemitismus. Sie vertritt die Forderung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und unterstützt das Anliegen, Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten reagierte“, schob sie am 19.01.2022 eine Erklärung nach. Dort konnte man lesen: „Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der documenta fifteen vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte. Für die documenta fifteen haben ruangrupa und das Künstlerische Team Positionen eingeladen, die sich im Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ ().

8 Das sagen … OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022

9 „Geselle nannte die Diskussion voller vorschneller Urteile ‚medial aufoktroyiert‘. .“ Pressekonferenz zum Start der documenta fifteen im Auestadion Kassel, HNA 15.06.2022.

10 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

11 Presseerklärung kassel.de, 20.06.2022.

12 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

13 Erklärung des Aufsichtsrates, 16.07.2022.

14 Interview. Alexander Farenholtz: „Die documenta ist besser als ihr Ruf“, dw.com, 10.08.2022.

15 Presseerklärung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, 10.09.2022. Diese Erklärung wurde von 5 Mitgliedern des Gremiums unterzeichnet. Die am gleichen Tag veröffentlichte Presseerklärung des Gremiums selbst, fiel etwas zurückhaltender aus. Aber auch dort hieß es unmissverständlich wie in der oben zitierten Erklärung: „Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen.“

16 Die Findungskommission (documenta-Beirat) verkündete in einem Statement: „Der von Medien und Politiker*innen auf das gesamte Team der documenta fifteen ausgeübte Druck ist unerträglich geworden“ und sprachen von einer Instrumentalisierung der Kritik des Antisemitismus um „Kritik am Staat Israel“ und „seiner Besatzungspolitik“ abzuwehren. Presseerklärung documenta.de, 15.09.2022.

17 In der Erklärung „We are angry, we are sad, we are tired, we are united. Letter from lumbung community“ führen die Unterzeichner aus, zu der zahlreiche Künstler und ruangrupa gehören: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression. […] The Palestinian anti-colonial struggle emerges in many lumbung artists’ works because of the historical solidarities between these transnational anti-colonial struggles.“ e-flux.com10.09.2022.

18 Standpunkt. Am Ende bleibt ein Scherbenhaufen, HNA 17.09.2022.

19 Wie es sich für Antisemiten gehört, konnten diese auf einen israelischen Juden verweisen, der ihnen die Freundschaft erklärte. „Vor der Abschlussveranstaltung waren noch einmal Tausende Menschen zur d15 gekommen. Am Rande hatte der indonesische Künstler Setulegi vom Künstlerkollektiv Taring Padi eine Performance genau an jener Stelle auf dem Friedrichsplatz veranstaltet, wo zu Beginn der documenta das Banner abgebaut worden war. Setulegi kam nicht allein: Begleitet von dem Berliner Künstler Guy David Briller, einem israelischen Juden, markierte der Indonesier zunächst mit Mehl den Standort des abgehängten Banners.“ Ende der documenta 15: Applaus zum Abschluss, HNA, 25.09.2022.

20 Dazu die Flugschrift des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg „Deutschland spricht. Zeitenwende des Antisemitismus, 1./2. Februar 2023„.

21 Das Gutachten erschien am 06.02.2023 und rief ein großes Echo in den Medien hervor. Die HNA erläuterte 3 Wochen später den Inhalt des Gutachtens in dem Artikel: „Echokammer für Antisemtismus“, HNA, 28.02.2023.

22 „Den AutorInnen der ‚Jerusalem Declaration on Antisemitism‘ geht es nicht um eine Präzisierung der Antisemitismus-Definition der IHRA, sondern um die Freisprechung vom Antisemitismusverdacht, sofern es um Äußerungen oder Aktionen gegen Israel geht. Sie wollen einen Freibrief für israelbezogenen Antisemitismus.“ schreibt Matthias Küntzel in seiner Intervention: Aber irgendwie doch, perlentaucher.de, 30.03.2021.

23 Presseerklärung documenta.de, 06.02.2023.

24 Stefan Laurin, Documenta setzt weiter auf Israelhass, ruhrbarone.de, 11.11.022. Zur Franco Berardi ausführlich unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen, bgakasselblog.wordpress.com, 05.09.2018.

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Dialog mit den Propagandisten des Israel-Hasses in Hamburg und die Ruhe in Kassel

Ein Flugblatt des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg

Vorbemerkung:

Ein hochkarätig besetztes documenta-Symposium in Hamburg redete „endlich“ über Antisemitismus, vermeldete am 03.02.2023 die nordhessische Lokalzeitung HNA.1 Es wird u.a. ausgeführt: „Experten trafen auch auf zwei indonesische Kuratoren von Ruangrupa, deren Gastprofessur an der HBFK für viel Empörung in Hamburg gesorgt hat, während Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Kasseler Kunsthochschule in Ruhe arbeiten können.“ Ja das können sie, denn in Kassel herrscht seit dem Ende der documenta 15 weitgehend beredtes Schweigen. Kontroverse Diskussionen über das Versagen der politisch Verantwortlichen für das antizionistische Spektakel im Sommer 2022 mied man in Kassel wie der Teufel das Weihwasser. Uns vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel versuchte man das Maul zu stopfen. Obwohl wir sowohl im Januar den Oberbürgermeister Kassel2, als auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth angeschrieben hatten, blieb jede Nachfrage und jede Anfrage, worin das Problem besteht, aus. Anstatt dessen wurden wir mit einer Abmahnung konfrontiert, man versuchte unsere, schon im Februar angemeldete Kundgebung zu behindern und man brachte uns mit vermeintlichen Morddrohungen gegen Künstler der documenta in Verbindung, um uns zu diskreditieren.3 Nachdem unsere Recherchen von der HNA zunächst ausführlich vorgestellt wurden, versuchte die Lokalpresse uns der Inkompetenz zu überführen, indem sie mit Joseph Croitoru einen „Experten“ präsentierten, der eines unserer zentralen Argumente mit abenteuerlichen Ausflüchten zu begegnen versuchte. Mit Verweis auf die dürftige Argumentation der Elke Buhr und auf Meron Mendels Nebelkerzen zog man sich in Kassel aus der Affäre, die Kritik wurde als von außen kommend vom Tisch gewischt und bis zur Eröffnung der documenta ignoriert.4 Andere Akteure in der Stadt hielten sich vornehm zurück. Kein Wunder, dass die antiisraelischen Agitatoren der Ruangrupa auch an der Kasseler Universität ungestört wirken können.

Als in Hamburg die Berufung der beiden Ruangrupa-Agitatoren Iswanto Hartono und Reza Afinisa an die Hochschule für Bildende Künste (HFBK) bekannt wurde, gab es handfestere Kritik.5 Angesichts des von der HNA gefeierten Symposiums der HFBK verfasste das Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg folgende Flugschrift. Außerdem veröffentlichen wir hier die kritische Schau des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg auf die Teilnehmer des Symposiums.

Flugschrift zum HFBK- Symposium Kontroverse documenta fifteen, 1./2. Februar 2023

Deutschland spricht

Zeitenwende des Antisemitismus

Jede Gesellschaft setzt Konflikte in Szene, deren politische und psychische Dimensionen ihr selbst nicht jederzeit klar sind. Bestimmte Aussagen über Antisemitismus können sich in der Öffentlichkeit nur halten, wenn Interessenfelder bestehen, in die sie sich einschreiben können. Nur dann entsteht für dieses Thema ein Sprechraum.

Die deutsche halbstaatliche Kulturszene hat, ausgehend von staatlichen Kulturinstitutionen (Bundeskulturstiftung, Goethe-Institut, Humbold-Forum etc), eine „postkoloniale“ Diskussion über die BDS- Resolution des Bundestags erzwungen und die Gesellschaft hat entschieden, sich auf diese antisemitische Kampagne einzulassen.

Es gab ähnliche Konstellationen, etwa die Friedenspreis-Rede von Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche 1998, die bei den „Eliten“ für stehende Ovationen sorgte. Aber die Konstellation war damals etwas anders, der Zentralrat der Juden galt noch als moralische Instanz und deshalb konnte Ignatz Bubis dagegenhalten.

Jetzt, 30 Jahre nach der „Vereinigung“, hat sich in der BERLINER REPUBLIK ein sogenanntes weltoffenes Kulturmilieu etabliert. So wie es ohne Weltmarkt keine Weltliteratur gäbe, so ist der Wunsch nach einer „Entprovinzialisierung“ der Holocaust-Erinnerung eine Reaktion auf die wachsende deutsche Weltmacht-Rolle. Zu der, so glaubt man jetzt, würde eine postkoloniale und „multidirektionale“ Innen- und Außenpolitik besser passen. Müsste man Antisemitismus und Rassismus nicht mehr unterscheiden, würde Antizionismus nicht mehr als Antisemitismus gelten. Vergleichende Genozid-Studien und kritische Rassentheorie würden dann zeigen, dass der Holocaust der Deutschen nur ein Unterkapitel der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts war.

Wenn die Shoa auf diese Weise in eine Reihe mit anderen Verbrechen gestellt wird oder gar hinter dem Kolonialismus verblasst und so jegliche Singularitätsvorstellung für den Holocaust ausrangiert ist, sind auch alle Verpflichtungen gegenüber Israel hinfällig, was nicht nur der deutschen Iran-Politik einen prima Aufschwung bescheren würde.

Ohne Anerkennung der Singularität des Holocaust stünde die Existenzberechtigung des jüdischen Staates zur Disposition, der allein den Juden eine existenzielle Sicherheit gibt.

►„Kontroverse“ unter Ausschluss der Jüdischen Gemeinden und des Zentralrates

Diese Veranstaltung ist nicht als Treffpunkt für vom Antisemitismus bedrohte und geschädigte Menschen konzipiert. Es ist dort niemand vertreten, der zentral für jüdische Interessen spricht. Es gibt niemand von einer deutsch-jüdischen Institution.

Martin Köttering, verschärft diesen Affront gegen die Juden noch mit einem zynischen Statement:

„Das Publikum ist ausdrücklich als Part des Symposiums willkommen – womit ich vor allem auch eine sehr ernst gemeinte Einladung an die Jüdischen Gemeinden Hamburgs verbinde. (Abendblatt, 28.1.23)

Um diese Provokation noch zuzuspitzen, schiebt er dies nach: „Zweifelsohne werden verschiedene Perspektiven aus jüdischen Communitys (!) im In- und Ausland auf den Podien vertreten sein. Selbstverständlich sind auch Ruangrupa und das Künstlerkollektiv Taring Padi vor Ort.“

Die „Jüdische Allgemeine“ schreibt dazu:

„Auf dem Podium werden keine Vertreter der Jüdischen Gemeinde Hamburg, des Zentralrats der Juden oder der Antisemitismusbeauftragte sitzen, sondern Hartono und Afisina, Vertreter aus dem Kulturbetrieb, davon Aktivisten der Kampagne gegen den Anti-BDS-Bundestagsbeschluss und natürlich einige jüdische Protagonisten, die weit entfernt von unserer jüdischen Realität und jüdischen Institutionen agieren.“

Diese „jüdischen Protagonisten“ sind Podiums-Teilnehmer wie Natan Sznaider, Gilly Karjevsky, Meron Mendel, Nora Sternfeld und Doron Rabinovici. Vor allem Karjevsky und Mendel gehören zu jenen „israelkritischen Israelis“, die von den deutschen Medien gezielt als Kronzeugen gegen den „dogmatischen“ Zentralrat der Juden instrumentalisiert werden, der als „moralische Instanz“ seit Jahren systematisch de-legitimiert wird.

In Hamburg standen Juden unlängst vor der HFBK, um gegen die Professuren von zwei Antisemiten zu protestieren. Sie wollen diesen Diskurs nicht legitimieren. „Wir wollen nicht mit Leuten diskutieren, die uns als Schweine darstellen, und auch nicht darüber, ob der einzige Staat, der Jüdinnen und Juden im schlimmsten Fall aller Fälle Sicherheit gibt, eine Existenzberechtigung hat“.


►Ein gemeinsames Rollenspiel von Publikum, Referenten und Medien


Alle an diesem Symposium Beteiligten – einschließlich der Journalisten – spielen ihre Rollen nach einem bestimmten Drehbuch. Man könnte auch einfach mit Handzeichen abstimmen. Was gesagt wird und ungesagt bleibt, sind Effekte zugewiesener Diskussionspositionen, die zusammen eine „israelkritische“ Binnensicht ergeben.

Es ist die Inszenierung eines theatralischen Tauschs zwischen Referenten, Publikum und Journalisten, eine vom Austausch zwischen Gleichgesinnten geprägte Mimesis. Es ist eine Geschichte, die eine Gruppe sich über sich selbst erzählt. Der Ritualcharakter dieser HFBK-Veranstaltung zeigt sich bereits im Sich-Dummstellen des Publikums.

Niemand aus dem Hamburger Kulturbetrieb kommt zu dieser Veranstaltung, um sich an die Seite der Hamburger Juden zu stellen und seine Stimme gegen die Zumutungen dieser Veranstaltung zu erheben. Das war schon in Kassel so.

Wenn es um „Rassismus“ geht, sind alle zur Stelle, beim Antisemitismus schweigen sie. Im Gegensatz zu rechtsradikalen oder islam-fundamentalistischen Akteuren, die manifeste Hetzreden bevorzugen, sagt das kulturlinke Publikum mit Hochschulabschluss und akademischen Titeln nicht „Saujude“, sondern bemüht sich um „differenziert“ klingende Argumentationsmuster auf sprachlich-stilistisch gutem Niveau – selbst dann, wenn es um Bilder geht, die Juden als Schweine darstellen.


►Die Priester-Funktion der „Experten“

„Braucht man wirklich sieben Professoren, um festzustellen, dass die Darstellung eines Juden mit einer Hakennase, der mit einer Kippa auf einem Beutel Geld sitzt, antisemitisch ist? Oder das Bild eines Schweins mit einem Judenstern? (…) Man muss sich doch mal anschauen, wer da mit wem debattiert (…) Man darf nicht zulassen, dass sich die Grenzen Stück für Stück verschieben und der Links-Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft ankommt.“ (Ron Prosor, israelischer Botschafter am 28.1.23 im Abendblatt)

Wenn es um „heikle Themen“ wie Israelkritik geht, müssen „Experten“ her, die wie Priester vorgeschoben werden, die deutschen Antisemiten die Absolution erteilen können. Sie sind in Wirklichkeit Komplizen des deutschen Gedächtnisses. Ihre Nüchternheit ist ein Gerücht. Ihr Auftritt richtet sich zuerst gegen die „subjektive“ jüdische Wahrnehmung dieser Zeitenwende.

Die von der HFBK engagierten Priester haben ihre Karrieren überwiegend begonnen, als nach 1990 das vereinte Deutschland wegen seiner neuen weltpolitischen Macht dringend eine „Erinnerungskultur“ brauchte. Viele die hier sitzen, haben ihre Dissertationen über Konzentrationslager oder die SS geschrieben, bevor sie als Israelkritiker auffielen. Sie glauben, als „Gedenkstättenreferenten“ oder Leiter von staatlichen Institutionen, die nach ermordeten Juden benannt sind, hätten sie jetzt ein Recht dazu.


►Die deutsche Liebe zum „globalen Süden“

ist der Versuch, den eigenen Antisemitismus hinter ausländischen Israel-Hassern zu verstecken, die man extra zu diesem Zweck engagiert oder – wie im Fall Mbembe – mit Preisen überhäuft und zu Suhrkamp-Bestseller Autoren hoch lobt.

Die Minderheitenrhetorik der documenta, die alle anderen in paternalistischer Manier zu Repräsentanten fremder Kollektive ernennt, ist klassischer Rassismus und eine abstrakte Anrufung des Globalen, die über Deutschlands Macht und Export-Ökonomie schweigt.

Zudem wird hier von der angeblichen Global-South-Advocacy ein konterrevolutionärer Fake-Internationalismus inszeniert, der sich gegen alle diejenigen im Trikont richtet, die im Gegensatz zum immergleichen antiisraelischen Mantra im globalen Süden – vom Sudan bis zum Iran – gegen Islamismus und Despotie kämpfen. Tatsächlich bedauert man in Deutschland, dass Israel in vielen afrikanischen Ländern und seit den Abraham Accords auch in arabischen Ländern einen guten Ruf hat. Gerade die arabisch-israelische Annäherung – im Lichte der atomaren Bedrohung durch den Iran der Mullahs – ist ein Dorn im Auge der BDS-Bewegung und der Weltoffenen.

►„Pro & Contra Antisemitismus“ – Frenemies 1932 und 2023

Die HfBK nennt die jüdische Documenta-Kritik eine „Kontroverse“. Die Hochschule wolle jetzt unterschiedliche Standpunkte über Antisemitismus ins Gespräch bringen und dabei ganz viel Raum für Zwischentöne und Differenzierungen schaffen.

Von den 22 Teilnehmern dieses für die Jüdischen Gemeinden gesperrten Symposiums sind 15 deutsche Mbembe-Fans, BDS-Versteher und documenta-Verteidiger, drei, kalkuliert von Deutschland als Kronzeugen des „authentischen“ Israel-Hasses, eingeladene südglobale Indonesier und vier mäßig kritische Panel-Profis, geübt in der Kunst der Differenzierung.

Sie alle würden es nicht wagen hier zu sitzen, wenn es gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Zeitenwende zwecks „Entprovinzialisierung“ der Holocaust-Erinnerung gäbe.

In den Feuilletons wird in den nächsten Tagen die zentrale Botschaft dieser HFBK-Veranstaltung millionenfach verbreitet werden: Es darf ab sofort unbefangen über das
Für & Wider des Antisemitismus gestritten werden.

Es gibt dieses „Pro & Contra“ schon seit einiger Zeit. Typisch dafür sind Artikel mit Fragezeichen-Überschriften: „Pro und Contra Israel-Boykott: Antisemitisch oder kritisch?“ (Taz) oder: „Pro und Contra: Ist BDS antisemitisch oder legitimer Protest? (SZ).

Ende November 2022 wurde in der HFBK der von Meron Mendel herausgegebene Sammelband „Frenemies“ vorgestellt. Auch dieses Buch über „Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus“ ist voller Fragezeichen: „Was unterscheidet Antisemitismus und Rassismus? Gibt es Verbindungen zwischen Nationalsozialismus und Kolonialismus? Ist BDS antisemitisch?

Der Titel „Frenemies“ enthält schon das ganze Programm: Die Relativierung der Judenfeindschaft und besonders die Bagatellisierung des „israelbezogenen Antisemitismus“ werden als ambivalente Mischung aus Freund & Feind inszeniert:

„Beide Seiten geraten immer wieder massiv aneinander, zuletzt in der Documenta-Debatte. Für die einen war klar: Einige der in Kassel gezeigten Kunstwerke seien antisemitisch. Dem entgegnete die andere Seite: „Das ist purer Rassismus, denn diese Kunstausstellung wurde von Menschen aus dem sogenannten globalen Süden kuratiert.“

Die Vorlage für dieses Buch ist ein anderes aus dem Jahr 1932. Es heißt:

„Der Jud ist schuld? – Diskussionsbuch über die Judenfrage“.

In diesem Sammelband kommen die „Frenemies“ der damaligen Zeit zu Wort: Im ersten Drittel Deutschvölkische und Nationalsozialisten, im mittleren Teil, der „Für & Wider“ heißt, unter anderem die Kommunisten und im letzten Drittel überwiegend jüdische Autoren.

Es ist heute offenbar möglich ein Diskussionsbuch zum Thema „Pro & Contra Antisemitismus“ zu machen und in der HFBK vorzustellen, in dem im ersten Drittel „postkoloniale“ Holocaust-Relativierer und BDS-Befürworter das Wort ergreifen, sodann im zweiten Drittel über ein „Für & Wider“ geredet wird und im letzten Drittel handzahme akademische Anti-Antisemiten einige Einwände vorbringen dürfen.

Das heutige HFBK-Symposium ist die Live-Ausgabe von „Frenemies“.
Sein einziger Zweck ist es, Antisemitismus durch die Inszenierung eines Für & Wider-Diskurses als vertretbaren Teil des Meinungsspektrums zu etablieren.

Das ist eine weitere Radikalisierung des Antisemitismus der deutschen Kulturszene, und die HFBK erweist sich als das antijüdische Zentrum einer links-antisemitischen Eskalation.

„Es wird ein Symposium sein, das eine Zeitenwende für Juden sowie jüdische Institutionen zusammenfasst, sichtbar macht und verdeutlicht, dass unsere Meinung, die Meinung von Juden, bloß stört“. (Jüdische Allgemeine, 24.01.2023)

Gegen die Schwerkraft dieses deutschen Willens zum „Pro & Contra Antisemitismus“ scheint jeder Einspruch vergeblich. Die „Kontroverse“ dient nur dazu diese Evidenz kleinzuarbeiten.


1 Endlich wurde geredet. Hochkarätig besetztes documenta-Symposium in Hamburg über Antisemitismus, HNA, 03.02.2023.

2 Siehe unseren Beitrag vom 11.07.2022: Sie wußten was sie taten.

3 Siehe unseren Beitrag vom 02.06.2022: Ein Einbruch und waghalsige Schlussfolgerungen.

4 Joseph Croitoru wurde in der HNA mehrfach angeführt, um mit windigen Argumenten zu belegen, dass die Ausführungen der Kritiker an der Ausrichtung der documenta fifteen und an einzelnen Kunstwerken haltlos seien. Elke Buhr verharmloste die Tatsache, dass die Namensgebung des Khalil Sakakini Cultural Centers als positiver Bezug zum Nationalsozialismus zu interpretieren ist und streute als erste prominente Person das Gerücht, die Kritik des BgA-Kassel sei rassistisch motiviert. Meron Mendel tat sich dahingehend hervor, dass er zunächst abstritt, dass Antisemitismus ein Problem auf der documenta fifteen sein könnte. Der Oberbürgermeister der Stadt Kassel verurteilte auf der Eröffnungsfeier der documenta 15 die Kritik als von außen kommend zurück.

5 z.B. Ruangrupa-Künstler an der HFBK. Proteste bei Semestereröffnung, NDR, 13.10.2022.

documenta 15 auf der Liste der 10 schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2022

Wie jedes Jahr, so präsentierte am 29.12.2022 das Simon Wiesenthal Center die Liste der zehn schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2022. Die documenta 15 wird neben anderen Organisationen und Personen auf Platz 8 der Top-Ten-Liste geführt: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen; Mahmud Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde; Gewalttätige Angriffe auf Juden in New York, Chicago, London und Deutschland; das Black Hebrew Israelite Movement.1

Im Folgenden übersetzen wir den Teil des aktuellen Textes des Simon Wiesental Centers, der die documenta 15 als Nummer 8 der Liste nennt:

Die Top-Ten-Liste des Simon Wiesental Center bekräftigt die Beobachtung, dass sich die Geißel des Antisemitismus in den sozialen Medien rasant ausbreitet. In Deutschland wird dabei der Schwellenwert des Salonfähigen in Bezug auf Judenhass immer weiter nach oben korrigiert. Dieser Hass wird dabei selbst aus Kreisen der deutschen Regierung und der Szene der Kulturschaffenden angeheizt. So wurde auf der renommierten Documenta in künstlerischen Motiven ausgedrückter Antisemitismus von Gruppen und Künstlern präsentiert, die die BDS-Bewegung unterstützen.

Den Besuchern der Documenta wurden bösartige Karikaturen von Juden präsentiert. So wurde ein israelischer Geheimagent mit Schweinekopf gezeigt, der ein rotes Halsband trägt, auf dem ein Davidstern zu sehen ist. Auf dem gleichen Banner ist ein Jude mit Peyot (Seitenlocken) zu sehen, der einen mit SS-Symbolen versehenen Hut trägt. Die Vorgänge um die Präsentation des Banners erwiesen sich als Höhepunkt einer seit Monaten andauernden Diskussion über Antisemitismus auf der Kunstausstellung. Das skandalöse Banner wurde entfernt und die Verantwortlichen der Kunstausstellung wurden von zahlreichen Kritikern und Initiativen gegen Antisemitismus verurteilt, insbesondere dafür, dass es überhaupt so weit kam, ein antisemitisches Banner auf einer Weltkulturausstellung zu präsentieren. Und als wäre das alles nicht genug, wurde in einer Broschüre ein israelischer Soldat mit dem Gesicht eines Affen gezeigt, der einen Davidstern trägt. Die Ministerin Claudia Roth erklärte damals: „Das ist aus meiner Sicht eine antisemitische Bildsprache.“

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte kürzlich, der Antisemitismus sei das Problem der gesamten Gesellschaft. Dass dies so ist, dafür kann sich die Ministerin und die von ihr repräsentierte Gesellschaft bei den Machenschaften der kulturellen Elite bedanken, die mit den sattsam bekannten Parolen Israel = Apartheid und Israel = Nazis hausieren gehen. Das Versagen der deutschen Behörden zeigt sich darin, dass nicht über die Erfassung von Zahlen zu Hassverbrechen hinausgegangen und dem Antisemitismus nur unzureichend entgegengetreten wird. Sie sind mitverantwortlich für die zunehmend düstere Zukunft auch des deutschen Judentums. (Siehe auch #3, #5).

Die documenta hat bewiesen, dass es Deutsche gibt, die glauben, sie könnten Juden ungestraft verspotten, verunglimpfen, bedrohen und angreifen. Es liegt am Rest der Deutschen, ihnen das Gegenteil zu beweisen.

Die Antisemiten und der Rest

Zu diesem Rest kann man einen Kasseler Buchhändler wohl nicht zählen. Während also die documenta 15 als Beispiel besonders schlimmer antisemitischer Vorfälle genannt wird, präsentiert die nordhessische Lokalzeitung HNA den Buchhändler Lothar Röse als eine Person, für die die documenta 15 einem 100-tägigen Rausch glich.2 Der Buchhändler gehört zu den Deutschen, die in der vorsichtigen Kritik des Bundespräsidenten an der documenta einen Skandal sahen und nicht im präsentierten antisemitischen Banner der Gruppe Taring Padi. Nicht die Macher der Ausstellung hätten sich dafür zu entschuldigen, dass die Gruppe Taring Padi öffentlichkeitswirksam Juden antisemitisch angreifen und beleidigen konnte, sondern der Bundespräsident bei den Machern der Ausstellung. Gegen diese, der Buchhändler nennt hier die, die neben Oberbürgermeister Christian Geselle wichtigste Verantwortliche, Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann, sei eine „Hexenjagd“ betrieben worden.

1 Simon Wiesenthal Center, Top Ten List of Worst Anti-Semitic Incidents of 2022.

2 documenta-Buchhändler: Kritik an Sabine Schormann war eine Hexenjagd, HNA, 29.12.2022.

Kassel: 100 Tage Israelhass – 100 Tage Antizionismus – 100 Tage Antisemitismus

Am 10.09.2022 erklärten Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen es zur dringlichsten Aufgabe „die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigte Kompilation von propalästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen“. Eine richtige Erklärung, die fast drei Monate zu spät kommt und angesichts der Tatsache, dass die documenta am 25.09.2022 die Tore schließt schlicht deplatziert wirkt.

Die Autoren sehen die Ursache für die monierte Einseitigkeit der präsentierten Positionen im kuratorischen Konzept der künstlerischen Leitung, „das bewusst auf Kontrolle über die Zusammenstellung und Präsentation der Ausstellung verzichtet hat.“ Das ist nur die halbe Wahrheit, denn im Fall der Kuratoren, sprich mit der Ruangrupa haben wir es mit Überzeugungstätern zu tun.

Wer Antizionisten kuratieren lässt bekommt Antisemitismus geliefert

Am 07.01.2022 und in den folgenden Tagen und Wochen deckten wir auf, dass in den leitenden Gremien der documenta (Ruangrupa, Artistic Team, documenta-Beirat) bekennende Israelgegner, Befürworter antiisraelischer Boykottinitiativen und Antizionisten vertreten waren.

Die Verantwortung für die insgesamt problematische Ausrichtung der documenta 15 lässt sich am folgenden Beispiel darstellen. Mit der unter Beteiligung Christian Geselles erfolgten Berufung der Findungskommission wurde das faule Ei in das Nest gelegt. In dieser Findungskommission, die später als documenta-Beirat fortgeführt wurde, sind mit Amar Kanwar, Charles Esche, Gabi Ngcobo, Elvira Dyangani Ose, Ute Meta Bauer mindestens fünf Personen dem antizionistischem Spektrum zuzuordnen.1 Auch der Städeldirektor Philippe Pirotte fiel zumindest mit indifferenten Positionen zum Thema Israel, Antizionismus und Antisemitismus auf.2 Dieses Gremium berief die Ruangrupa, von der mindestens vier Personen dem antizionistischen Spektrum oder der Szene der Israel-Boykottbewegungen zuzuordnen sind. Die Ruangrupa kuratierte das palästinensische und antiisraelische Kollektiv The Question of Funding, welches wiederum dem Antisemiten Mohammed Al Hawajris die Möglichkeit bot, seine Machwerke der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Angesichts dieser auch von uns dargelegten Problematik organisierten wir am 18.06.2022, dem Eröffnungstag der documenta, zusammen mit Malca Goldstein-Wolf eine Kundgebung. Aus Kassel schlossen sich lediglich das Junge Forum DIG und die Junge Union Kassel dieser Kundgebung an.

Dort sagten wir in unserem Beitrag:

„Die documenta GmbH ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die von der Stadt Kassel und dem Land Hessen als Gesellschafter getragen und zudem durch die Kulturstiftung des Bundes finanziell unterstützt wird. Akteure wie Ruangrupa wurden von einer Expertenkommission explizit eingeladen und vom Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle bestätigt. Dass die Dämonisierung Israels im Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts nicht die Ausnahme sondern die Norm ist, hätte umso mehr eine vorherige Kontrolle bedingen müssen, die zum Resultat hat, dass es nicht öffentlich als solche erkennbare Antisemiten sind, deren Arbeit man mit zigmillionen Euro an Steuergeldern fördert und deren Ressentiments man eine internationale Bühne bietet.“3

Im Redebeitrag vom Jungen Forum DIG hieß es:

„Auch unter den Künstlern der jetzigen Documenta sind eingefleischte Israelhasser, die Kunst anfertigen, die mit dem Begriff ‚BDS-Kunst‘ noch milde umschrieben ist. […] Es ist also zu befürchten, dass die Documenta durch das Agieren ihrer Leitung und ihrer Künstler den Beschluss des Bundestages de Facto untergräbt und so einer antisemitischen Bewegung verhilft, weiter salonfähig zu werden. Dieser Antisemitismus des Kulturbetriebs darf nicht unwidersprochen bleiben, […]“4

Dieses Bild steht für das Verhältnis des Aufsichtsrates zum Kuratorenteam Ruangrupa bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Erklärung der fachwissenschaftlichen Begleitung. Das Bild zeigt Christian Geselle mit den beiden Antizionisten Ade Darmawan und Farid Rakun

Es war also schon vor der Eröffnung der documenta klar, was zu erwarten war. Denn wer Antizionisten einlädt, eine Ausstellung zu kuratieren, darf sich nicht wundern, dass Antisemitismus präsentiert wird. Den absehbaren antisemitischen Umtrieben auf der documenta 15 wurde, als es noch sinnvoll und notwendig war, von den politisch Verantwortlichen nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil der Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-GmbH Christian Geselle, die hessische Ministerin Angela Dorn und die Bundesministerin Claudia Roth wischten die Kritik mit den Hinweisen auf die Kunstfreiheit und auf eine Multiperspektivität seit Januar vom Tisch und widerholten diesen Standpunkt auch auf der Pressekonferenz am 16.06.2022. Der Tenor der Kritikabwehr seitens der Kuratoren, der ausstellenden Künstler und Kunstkollektive lautete damals wie heute: Die Kritik am Antisemitismus und Israelhass der Kuratoren und einiger Künstler sei eine rassistische Kampagne der Medien, der Antizionismus und Antisemitismus sei „legitime Kritik“ an Israel als Kolonial- oder Apartheidstaat.

Es kam, wie es von uns und verschiedenen anderen kritischen Stimmen befürchtet wurde. Der „Guernica – Gaza – Zyklus“ des antisemitischen Künstlers Mohammed Al Hawajris wurde schon kurz vor der Eröffnung bekannt. Am Eröffnungstag kam es zu dem krassesten Fall, als die Gruppe Taring Padi das Banner „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz präsentierte, das einen Juden im Stil des Stürmers karikierte. Die antisemitischen und israelfeindlichen Graphiken, die die Gruppe Archives des luttes des femmes en Algérie präsentierte und die Anleihen an ein Logo der Terrorgruppe PFLP, die der antisemitischen Künstler Hamja Ahsan direkt am Eingang des Fridericianums präsentierte, wurden einige Tage später bekannt und kritisiert.

Dass auf der documenta 15 antisemitische Propaganda-Filme gezeigt werden ist nicht neu

Am 20.06.2022 erschien in der Süddeutschen Zeitung der Artikel „Hinter den Propaganda-Filmen in Kassel steht ein Ex-Terrorist und RAF-Freund“.5 Dort konnte man unter anderem lesen: „Besonders problematisch sind Filmarbeiten des Kollektivs Subversive Films aus Brüssel und Ramallah, zu sehen an den Documenta-Spielorten Hübner-Areal und Gloria-Kino unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival. Das Künstlerkollektiv um Mohanad Yaqubi und Reem Shillem traf sich, wie sie auf der Website der Documenta schreiben, vor dem Projekt mit dem japanischen Agit Prop-Filmemacher und ehemaligem Mitglied von Terrororganisationen Masao Adachi, dies war demnach der Ausgangspunkt ihres Projekts. Danach erhielten sie Filme aus den Siebzigern diverser Regisseure mit Propaganda auch für die palästinensische Sache. Der 1939 geborene Adachi war lange führender Kader der Japanischen Roten Armee. Diese trainierte in den Siebzigerjahren im Libanon für einen ‚revolutionären Krieg‘. Die Terrorgruppe verübte eine Reihe von Anschlägen in etlichen Ländern, darunter den Anschlag auf den Flughafen in Tel Aviv am 30. Mai 1972. Dabei starben 26 Menschen, 80 wurden verletzt. […] Problematisch sind die Werke nicht, weil sie die palästinensische Binnenperspektive einnähmen – das tun sie gerade nicht. Zu sehen ist Propaganda, und zwar eine in Demokratien gewachsene. In einem heute unfassbaren Revolutionskitsch werden etwa wild geschnittene Bilder aus US-Western assoziiert mit den Palästinensern, diese also implizit als moralisch angeblich überlegene Ureinwohner verherrlicht. Was ein vergiftetes Kompliment ist, transportiert es doch alle Stereotypen vom edlen Wilden und läuft damit der Intention der Documenta entgegen, Menschen des globalen Südens eine Stimme zu geben. […] Den Film „The Urgent Call of Palestine“ hat der damalige Direktor der PLO-Organisation für Kunst und Nationale Kultur Ismail Shammout verantwortet. Es zeigt die Sängerin Zeinab Shaath, wie sie auf Englisch singt, die Alternative zum Kämpfen sei der Tod. Andere Filmausschnitte preisen die japanischen Unterstützer palästinensischer Kämpfer wie eine schlechte Dauerwerbesendung. Das Kollektiv beruft sich auf den Archivgedanken, es will bewahren. Wer aber in die Werke hereinschaut, bekommt den Eindruck, dass die Künstler auf der Documenta auch eine neue radikale Unterstützerwelle für Palästinenser initiieren möchten. […] Und da fragt sich dann doch, ob das Oberkollektiv Ruangrupa kuratiert, also die Arbeiten mit ausgewählt und begleitet hat. Wenn ja, haben sie diese Propaganda so gewollt. Und wenn nein: ist es ohnehin ein Fehler.“

Die ausführliche Kritik Kia Vahlands an den Machwerken der Tokyo Reels Film Festival war also schon lange bekannt und blieb auch nicht unbeachtet. Verschiedene andere überregionale Zeitungen, u.a. Die Welt, griffen das Thema auf. Dagegen sind die Ausführungen des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung, die zwei Wochen vor dem Ende der documenta veröffentlicht wurden, recht dürr.

Die Erklärungen der Gesellschafter der documenta, also Christian Geselles, Angela Dorns und Claudia Roths, die sich dem Votum des Gremiums anschließen, dürften, weil viel zu spät, folgenlos bleiben oder der Kosmetik dienen. Sie liefern, weil sie die Ursachen des kulturpolitischen Skandals ersten Ranges nicht benennen, letztendlich auch keine Erklärung, sondern beschreiben, wie es schon nach der Präsentation der Nazi-Ästhetik durch Taring Padi geschah, nur das, was nicht mehr zu leugnen ist. Nicht nur „dass die Documenta GmbH zuvor immer betont hatte, dass die Entscheidungen für den künstlerischen Teil der Ausstellung allein bei Ruangrupa liege, wirkt zunehmend bizarr.“6

In zwölf Tagen schließt die sogenannte Weltkunstausstellung. Angesichts dieser Tatsache ist es jetzt für wirksame Schritte gegen die Präsentation antisemitischer und antizionistischer Machwerke zu spät. Angemessen wäre es die Ruangrupa und ihre Spießgesellen „unehrenhaft zu entlassen“, sprich sie nach Beendigung der „Weltkunstausstellung“ ohne Verabschiedung zum Gehen aufzufordern. Und Kassel sollte der Schandtitel „Antisemita-Stadt“ zuerkannt werden.

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1 Entscheiderin nannte Israel „Apartheidstaat“. Der Antisemitismusskandal auf der documenta war absehbar, in: Tagesspiegel, 12.07.2022.

2 Pirotte äußerte sich laut HNA wie folgt: „Die Antisemitismusvorwürfe gegen Künstler und Kuratoren der documenta fifteen seien eine Instrumentalisierung, um das Projekt zu diskreditieren“, in: Antisemitismus auf drei Ebenen, HNA, 13.09.2022.

3 Siehe unseren Beitrag: Solidarität mit Israel – Dem Antisemitismus entgegentreten – Stoppt BDS.

4 Siehe Fußnote 1

5 Hinter den Propaganda-Filmen in Kassel steht ein Ex-Terrorist und RAF-Freund, in: SZ, 20.06.2022.

6 Documenta. „Die Gesellschafter schließen sich dem Votum“ an, in: FR, 13.09.2022.

documenta 15: Werke, die die Existenz Israels in Frage stellen

Zwei Wochen vor dem Ende der documenta 15, am 10.09.2022 erklären es Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen zur dringlichsten Aufgabe „die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigte Kompilation von propalästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen“. Die Mitglieder begründen diese Forderung damit, dass nicht nur „die antisemitischen und antizionistischen Versatzstücke“ in den Filmen „hoch problematisch“ seien, sondern auch die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler, weil diese „den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren. […] Nach Auffassung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums ist das ‚Tokyo Reels Film Festival‘ das eklatanteste Beispiel für eine Einseitigkeit der documenta fifteen in Hinblick auf den arabisch-israelischen Konflikt, mit dem sich vergleichsweise viele Werke beschäftigen. Nahezu in allen diesen Werken werden einseitig kritische bis hin zu dezidiert israelfeindlichen Haltungen zum Ausdruck gebracht. Diese schlagen sich in den bildlichen Darstellungen und Aussagen nieder, die nach gängigen Kriterien als antisemitisch bewertet werden können.“ Die Autoren sehen die Ursache für die monierte Einseitigkeit der präsentierten Positionen im kuratorischen Konzept der künstlerischen Leitung, „das bewusst auf Kontrolle über die Zusammenstellung und Präsentation der Ausstellung verzichtet hat.“1

Der Befund der fachwissenschaftlichen Begleitung bestätigt unsere Kritik und widerlegt die kolportierte Redewendung, bei unseren Darlegungen habe es sich um Antisemitismusvorwürfe gehandelt, die nicht aufrecht zu erhalten seien, oder die gar als widerlegt galten. Anfang Januar 2022 hatten wir in einer Presseerklärung dargelegt, dass es, wie schon auf der Documenta 14, nun erneut zu befürchten ist, „dass Kassel während der documenta ein Ort der antiisraelischen und antisemitischen Agitation wird.“ Unsere Annahme hatte sich bereits am Eröffnungstag der documenta 15 bestätigt, als es der Gruppe Taring Padi gelang, auf dem zentral gelegenen Friedrichsplatz ein großes Banner aufzuhängen, in dessen Mitte eine im Stil des Stürmers gehaltene Karikatur eines Juden prangte. Weitere antisemitische oder israelfeindliche Ausstellungsstücke, wie der Zyklus „Guernica-Gaza“ folgten.

Im Gegensatz zu den Mitgliedern der fachwissenschaftlichen Begleitung sehen wir jedoch die Verantwortung für die Tatsache, dass israelfeindliche und z.T. antisemitische Machwerke auf der documenta 15 präsentiert werden und wurden darin, dass in der künstlerischen Leitung, sowohl in der Ruangrupa, im ArtisticTeam als auch im documenta-Beirat Verteidiger der Israel-Boykott-Bewegung, deren Unterstützer, ja z.T. sogar deren Aktivisten agieren. Diesen Tatbestand hatten wir in unserem Beitrag „Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?“ am 06. Juni 2022 nochmals ausführlich dargelegt. Dass der Zyklus „Guernica-Gaza“ des antisemitischen Künstlers Mohammed al Hawajris im WH22 präsentiert wurde, ist von der Gruppe The Question of Funding zu verantworten, die Anlass unserer ausführlichen Kritik „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“ im Januar 2022 war. Dass das Banner der Gruppe Taring Padi der Ruangrupa nicht bekannt gewesen sei, ist höchst unglaubwürdig. Beide Gruppen kommen aus Indonesien, Mitglieder beider Gruppen sind aktiv in der Israel-Boykottbewegung.

Die Illustration des Briefes der „lumbung community“. Die Poster „BDS: Being in Documenta is a Struggle“ und „Free Palestine from German guilt“ hängen im Fridericianum.

Und als bedürfte es eines Beweises, dass wir in der Annahme recht hatten, wer Antizionisten die Kuratierung einer Ausstellung überlässt, bekommt Israelhass und Antisemitismus geliefert, veröffentlichte am 10.09.2022 eine „lumbung community“ eine Antwort auf die Erklärung der Mitglieder der fachwissenschaftlichen Begleitung. Der Brief zeugt davon, dass diese Community aus Personen, Aktivisten oder Kollektiven besteht, denen nicht nur jedes Problembewusstsein in Sachen Israelhass und Antisemitismus fehlt, sondern dass von ihnen wie zum Trotz darüber hinaus Israel als jüdischer Staat infrage gestellt und diffamiert wird. So heißt es in der Erklärung z.B.: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression.“ Der Kampf der Palästinenser gegen Israel wird zum antikolonialen Kampf erklärt und die Kritik der fachwissenschaftlichen Begleitung wird als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Sie sehen in der Stellungnahme der Mitglieder der fachwissenschaftlichen Begleitung eine rassistische Tendenz und schädliche Zensur. In der Kritik am Antisemitismus der Israelfeinde sehen sie einen Ausdruck deutscher Schuld, die auf den Kampf der Palästinenser und andere antikoloniale Kämpfe übertragen werde.2 Zu den Unterzeichnern gehören die Ruangrupa – also die Kuratoren der „Weltkunstausstellung“ – und drei Personen aus dem Artistic Team, Frederikke Hansen, Gertud Flentge und Lara Khaldi, sprich die künstlerischen Leitung der documenta, u.a. die Kollektive Archives des luttes des femmes en Algérie, INLAND, Party Office, Subversive Film, Taring Padi, The Question of Funding und Trampoline House sowie die Einzelpersonen Graziela Kunsch, Jumana Emil Abboud, Kiri Dalena, Lara Khaldi, Safdar Ahmed und viele andere mehr. Die trotzige und höchst larmoyante Erklärung der Unterzeichner beweist, dass man es mit Überzeugungstätern zu tun hat, die sich zu allem Überfluss auch noch als Opfer stilisieren.

Die fachwissenschaftliche Begleitung der documenta 15 hat mit der Forderung die Terrorismus propagierende Filmvorführung des Kollektivs Subversive Film zu stoppen eine dringende Konsequenz gefordert. Die Forderung wäre zu erweitern: Die Liste der Unterzeichner verweist darauf, wer dringend nach Hause geschickt werden sollte.

Die Erklärung des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen kommt freilich zu spät, insbesondere wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Problematik der israelfeindlichen Ausrichtung der documenta 15 seit Januar 2022 bekannt ist und die Beispiele, die unsere Darlegungen bewiesen haben, seit der Ausstellungeröffnung vielfach dokumentiert und diskutiert wurden. Für Konsequenzen ist es jetzt zu spät.

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1 Presserklärung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen. Siehe auch den Eintrag am 10.09.2022: Pressemitteilungen – documenta

2 We are angry, we are sad, we are tired, we are united: „A new line [is] crossed. This line marks a racist drift in a pernicious structure of censorship. […] The Palestinian anti-colonial struggle emerges in many lumbung artists’ works because of the historical solidarities between these transnational anti-colonial struggles. […] We refuse the simplistic, oppressive, pseudo-scientific approach of the Supervisory Board and the preliminary report’s lack of rigour. We understand this as a way of projecting onto and transposing German guilt and history into the Palestinian and other anti-colonial struggles.“

Sie wussten was sie taten

Die Probleme einer Weltanschauung und die Ignoranz der politisch Verantwortlichen

Am 09.01.2022 schrieben wir dem Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH eine E-Mail. Hier der Text:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Christian Geselle,

Sie stehen persönlich dafür ein, dass Kassel eine besondere Verbundenheit zu Israel und zur Partnerstadt Ramat Gan auszeichnet. Seit zwei Jahren wird zum Zeichen der Verbundenheit mit Israel am 14. Mai die Fahne Israels am Rathaus gehisst. Wir begrüßen diese auch heute nicht selbstverständliche Haltung in der Kommunalpolitik.

Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der documenta-GmbH können Sie sicherlich nicht alle Persönlichkeiten und Künstler kennen, die im Rahmen der kommenden documenta fifteen kuratiert werden und dort in den diversen Gremien sitzen. Der Bundestag fordert in seinem Beschluss vom 17. Mai 2019, „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“, Organisationen und Personen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen nicht mit öffentlichen Geldern finanziell zu fördern und hat Länder, Städte und Gemeinden aufgefordert, sich dieser Haltung anzuschließen.

Mit der „Künstlergruppe“ „The Question of Funding“ aus Ramallah, die zunächst als „Cultural-Center Khalil Sakakini (KSCC)“ vorgestellt wurde, ist jedoch genau eine Gruppe als „member“ des „lumbung“ geladen worden, die die BDS-Bewegung und ähnliche Initiativen unterstützt. Auch weitere Künstler, die sich in dieser Richtung engagieren, werden als member des lumbung genannt. Das verwundert nicht, weil in den verschiedenen Gremien der documenta fifteen Unterstützer der Boykottbewegung gegen Israel agieren.

Das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel hat eine Presse-Erklärung und einen ausführlichen Blogbeitrag zu dem unmittelbar dem KSCC zuzurechnenden Personenkreis, zu den zu verurteilenden Bezügen des KSCC und zu weiteren Personen aus dem Unterstützerkreis der Boykottbewegung gegen Israel veröffentlicht.

Wir wünschen uns eine klare Stellungnahme und Intervention von Seiten der Stadt und von Ihnen als Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-GmbH, der Absicht von BDS-Unterstützern und anderen Boykottbefürwortern gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“ im Rahmen der international beachteten documenta auszustellen und zu agieren, entgegenzutreten.

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Eine Antwort gab es nicht.

Inkompetenz, Desinteresse und Abwehr der Kritik auf allen Ebenen

Was war der Anlass unserer E-Mail?

Am 07. 01.2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir in einigen Sätzen die grundlegende Ausrichtung der documenta, die unseres Erachtens in einem systematischen Zusammenhang mit Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus steht. Wir nannten Gründe dafür, warum die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet. In der Findungskommission, die als documenta-Beirat während der documenta 15 fortgeführt wird, sitzt mit Amar Kanwar eine Person, die die Boykottbewegung gegen Israel unterstützt und mit Charles Esche eine, die den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung kritisierte. Im aus fünf Personen bestehenden „Artistic Team“, der künstlerischen Leitung der documenta 15, unterstützen vier den antiisraelischen Hassbrief „A Letter Against Apartheid“. Die von der Findungskommission berufene ruangrupa besteht aus zehn Personen. Sie soll die kuratorische Arbeit der documenta 15 übernehmen. Vier, davon die beiden führend tätigen Ade Darmawan und Farid Rakun gehören zu den Unterstützern dieses Briefes oder andere antiisraelische Pamphlete. Der „A Letter Against Apartheid“, und das ist in diesem Kontext das Entscheidende, fordert auch den kulturellen Boykott Israels. Er steht für die Parole: Israelis raus!

Wir stellten am Beispiel der kuratierten palästinensischen Gruppe „The Question of Funding“ heraus, dass deren Protagonisten, insbesondere einer der beiden bekannten Akteure dieser Gruppe, Yazan Khalili, sich in antisemitischer Art und Weise öffentlich geäußert hat und zu den Unterstützern der BDS-Bewegung zählt. Ferner stellten wir heraus, dass diese Gruppe aus dem Umfeld des „Khalil Sakakini Cultural Centers“ kommt, das zu den Mitgründern der antisemitischen BDS-Bewegung gehört und sich nach einem palästinensischen Pädagogen und Nationalisten benennt, der sowohl antisemitische Aussagen getroffen als auch sich lobend über Hitler geäußert hat.

Sofern der Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung und die Bekenntnisse der Stadt Kassel und ihrer Repräsentanten zu Israel, zu den hier lebenden Juden und zur deutschen Vergangenheit irgendeine politische Bedeutung haben sollen, gab es zu diesem Zeitpunkt genug Gründe, erstens mit uns in Kontakt zu treten, zweitens darauf hinzuwirken, dass die Arbeit der Kuratoren kritisch begleitet wird und drittens vielleicht sogar zu erwägen, das „Artistic Team“ abzulösen und die Gruppe „The Question of Funding“ nach Hause zu schicken.

Ein Problembewusstsein ließen weder Christian Geselle noch irgendein anderer Akteur der Stadt erkennen. Im Gegenteil. Der Oberbürgermeister ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.1

Nachdem zunächst die CDU-Fraktion eine Resolution für die Stadtverordnetenversammlung entwarf, in der die Überprüfung der von uns geschilderten Tatsachen gefordert wurde, zog die CDU nach der Stellungnahme des Oberbürgermeisters und der dünnen Erklärung der documenta, sie wende sich auch gegen Antisemitismus, diese Resolutionsentwurf zurück.2

Die documenta reagierte am 12.01.2022 mit einem vollkommen inhaltsleeren Dementi, das in der überregionalen Presse auf Unverständnis stieß.3 Einige Tage später, am 19.01.2022 folgte dann eine ausführlichere Stellungnahme in der zunächst die Rede von rassistischen Diffamierungen und von Falschmeldungen war: man habe Künstler eingeladen, die sich im „Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemtismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ Die Macher der documenta kündigten dann an, unter dem Titel „We need to talk! Art – Freedom – Limits“ eine vielstimmige Debatte zu führen.4 Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gmbH Christian Geselle war damit alles erledigt. In dem ihm eigenen Stil ließ er am verlautbaren: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete am 20.01.2022, der Kasseler Oberbürgermeister sehe keine Anzeichen dafür, dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta fifteen infrage gestellt werde. Die Menschen in Palästina hätten ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben – ein Wunsch, den die Künstler mit ihrem Ansinnen einer ökonomischen und sozialen Autonomie zum Ausdruck brächten.“ Geselle und die hessische Kunstministerin Angela Dorn sahen keine Notwendigkeit, das Gremium des Aufsichtsrates einzuberufen.5

Am 16. März besuchte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth Kassel. Auf sie dürfte zurückgehen, dass sich die documenta-Macher dazu herabließen, eine Diskussion zu simulieren. In der HNA führte sie aus, dass sie es gewesen sei, die diese Gesprächsreihe angeregt hätte. Die HNA zitiert Roth: „Antisemitismus ist keine Meinung, für Antisemitismus, für Rassismus, für jede Form der Menschenfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft überhaupt kein Platz. Das ist nicht verhandelbar. Das Existenzrecht Israels infrage zu stellen, ist absolut inakzeptabel.“ Man müsse sich zwar auch auf Menschen aus Weltregionen wie Indonesien einlassen, die einen anderen kulturellen und religiösen Hintergrund haben. […] Nach dem Gespräch mit Ruangrupa teilte Roth gestern mit, sie habe sich ein Bild von den Vorbereitungen gemacht und wolle den Verantwortlichen sowie den Gesellschaftern Dank und Respekt aussprechen: „Das Engagement aller Beteiligter im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist noch einmal deutlich unterstrichen worden, und ich messe den Versuchen aller Beteiligter, die notwendigen Diskussionen offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ich würde mich freuen, wenn deren Gesprächsangebot zu einer friedlichen und lösungsorientierten Debatte breite Zustimmung erhält.“6

Dieses Statement nahmen wir dann wiederum zum Anlass, der Kulturstaatsministerin am 21.03.2022 eine E-Mail zu schreiben:

Sehr geehrte Frau Staatministerin Claudia Roth,

am 16.03.2022 besuchten Sie, Frau Staatsministerin Roth, Kassel. Anlass war ein Gespräch mit den künstlerischen Leitern der documenta fifteen, Ruangrupa. Gegen das Künstler- und Kuratorenkollektiv aus Indonesien hatte es wegen der Nähe zur israelkritischen BDS-Bewegung Antisemitismusvorwürfe gegeben. In einem Gespräch mit der HNA verkündeten Sie, dass Sie „den Versuchen aller Beteiligten, die notwendige Diskussion offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit“ beimessen. Die documenta stehe „beispielhaft als geschützter Raum für eine offene Debatte.“

Wir, die Mitglieder des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (BgA-Kassel), hatten in einem am 07.01.2022 veröffentlichten Blogartikel nachgewiesen, dass zahlreiche Personen in wichtigen Gremien der documenta 15 dem Umfeld der Israel-Boykott-Bewegung angehören oder zu den Kritikern des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung zählen. Ferner hatten wir darauf hingewiesen, dass mit „The Question of Funding“ eine Personengruppe aus dem unmittelbaren Umfeld des palästinensischen „Khalil Sakakini Cultural Centrum (KSCC)“ von den Documenta – Verantwortlichen zur Weltausstellung eingeladen wurde. Das KSCC war, bevor es sich in eine NGO wandelte, eine Institution der Palästinensischen Autonomiebehörde und ist nach dem palästinensischen Nationalisten, einem Anhänger Hitlers und einem Befürworter des Terrors, Khalil al-Sakakini benannt. Die beiden Personen, Yazan Khalili und Fayrouz Sharkawi, die bisher für diese Gruppe in Erscheinung getreten sind, sind Anhänger der Boykottbewegung gegen Israel. Deren Sprecher, Yazan Khalili, hat sich außerdem mit antisemitischen Äußerungen und Gewaltfantasien hervorgetan.Unsere Recherche fand große Beachtung in den Medien.

Versuche, die Argumentation des BgA-Kassel zu entkräften, erwiesen sich als substanzlos.

[…]

Wir vom BgA-Kassel interpretieren die gegen uns an den Tag gelegte Gesprächsverweigerung und die gleichzeitig gegen uns unternommenen rechtlichen Schritte jedoch als Verweigerung, sich mit unangenehmen Fragen auseinander zu setzten. Uns drängt sich der Verdacht auf, dass es nicht darum geht, eine offene Debatte zu führen, sondern die angeschlagene Reputation der documenta 15 zu retten. Es ist offensichtlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus, Boykott-Bewegung gegen Israel unter den „Kulturschaffenden“ und in der postmodernen Kunst-Szene nicht stattfinden soll. Diese Auseinandersetzung ist jedoch notwendig und falsche Rücksichtnahme wäre hier fehl am Platz.

[…].

Wir jedenfalls werden diese Debatte öffentlich führen! Außerdem gehen wir davon aus, wenn Sie dabei bleiben, dass eine offene und transparent zu führende Diskussion notwendig sei, dass am Ende auch an uns vom BgA-Kassel seitens der Stadt und den Verantwortlichen der documenta und aus Kunst und Kultur ein Gesprächsangebot gerichtet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Antwort gab es auch auf dieser Ebene nicht.

Dass genau der von allen Beteiligten angeführte postkoloniale Ansatz, vulgo „Sichtweise des globalen Südens“ oder die sogenannte Multiperspektivität problematisch ist, sollte seit den Ereignissen um die Ruhrtriennale 2020 und der darauf folgenden Debatte bekannt sein. Uns ist klar, dass es nicht die Aufgabe eines Bürgermeisters einer Provinzstadt ist, die verschiedenen Facetten der Diskussionen und Auseinandersetzungen zum zeitgenössischen Antisemitismus, zur postmodernen Ideologie im Allgemeinen und zum Postkolonialismus im Besonderen zu kennen. Vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses und spätestens nach unserer E-Mail hätte es aber gute Gründe gegeben, einfach mal beim BgA-Kassel nachzufragen, anstatt dieses dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit auszusetzen. Aber es kam noch schlimmer. Weil wir angeblich eine urheberrechtlich geschützte Zeichnung des lumbung verfremdeten und zur Illustration unseres Blogbeitrages nutzten, erreichte uns am 07.02.2022 ein Abmahnschreiben einer renommierten Anwaltskanzlei im Auftrag der documenta-gGmbH. Aus dem Text des Abmahnschreibens ging hervor, dass man wohl zuerst versuchte, uns der „unzulässigen Meinungsäußerung“ zu überführen. Zusammengefasst, man nahm uns zwar ernst, versuchte uns aber mundtot zu machen.

Obwohl dann einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (Die Zeit, NZZ, FAZ, TAZ und Die Welt und zuletzt sogar Spiegel) so etwas wie ein Problembewusstsein hatten7 und sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) sehr deutlich zu Wort meldeten8, fochten dies weder die Verantwortlichen und die Leitung der documenta 15, noch die lokale Politik oder andere Akteure der sogenannten Zivilgesellschaft in Kassel an. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und Kassel und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. Wie zum Trotz überließen sie dem Israelfeind Agus Nur Amal (Pmtoh) die Bühne.

Der offene Antisemitismus war kein Zufall

Am 18.06.2022 hängte die Gruppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, dessen Mitte eine im Stil des Stürmers gehaltenen Karikatur eines Juden zeigte. Hätte die Partei „Der Dritte Weg“ oder „Die Rechte“ ein solches Banner aufgehängt, halb Kassel hätte auf den Beinen gestanden und „No Pasaran!“ skandiert. Man hätte nicht nur die Entfernung des Plakats, sondern mit dem sattsam bekannten Slogan „Nazis raus!“ die Verbannung der Gruppe aus Kassel gefordert. Nichts dergleichen passierte anlässlich des Propaganda-Coups durch die Gruppe Taring Padi. Man nahm die fadenscheinige Entschuldigung der Gruppe hin, die im Duktus fast gleichlautend daher kam, wie man ihn von rechten Politikern vernehmen kann, wenn sie bei antisemitischen Rülpsern erwischt werden. Man suchte den Diskurs und war froh, dass zunächst mit Meron Mendel ein Experte engagiert werden konnte, der sowohl weiß, wovon er spricht, wenn er sich zum Thema Antisemitismus äußert und der gleichzeitig, sich dem von der documenta verkündeten Dogma der Multiperspektivität unterwerfend, die palästinensische Perspektive als legitim betrachtet und keinen strukturellen Zusammenhang von Postkolonialismus und Antisemitismus erkennen will.9

Allen, bis auf den Anführer der VVN-BdA Kassel, Ulrich Schneider10, war klar, dass die Karikatur des Juden auf dem indonesischen Banner antisemitisch ist. Dennoch, die einhellige Verurteilung des Banners – wohlgemerkt nicht der Gruppe – verstellt die Debatte, um die es eigentlich gehen müsste: Warum war es möglich und was hat es zu bedeuten, dass eine sich progressiv gebende Gruppe einen Juden im Stürmer-Stil als Repräsentant für das Schlechte in der Welt präsentiert?

Das jetzt abgehängte Banner der Gruppe Taring Padi wäre ohne die Judenkarikatur und ohne den Mossad-Mann genauso unbeanstandet goutiert worden, wie das am Opernplatz aufgehängte Bild, in dem die Ami-Sau unten rechts im Bild zu finden ist, oder die zahllosen Papp-Aufsteller am Hallenbad Ost, die in bisweilen rassistischer Überzeichnung, Kapitalisten und Politiker als Ratten und Schweine darstellen. In diesen vermeintlich kritischen Darstellungen von Unterdrückung und Ausbeutung sowie der Illustration des Kampfes für eine angeblich bessere Welt zeigt sich die gemeinsame Grundlage der Ideologie der umworbenen Aktivisten aus dem Süden und der saturierten Kunstschaffenden und -konsumenten in den Metropolen des sich selbst hassenden Westens.

Die Ideologie, die sich im Banner der Gruppe Taring Padi mit oder ohne Jude in der Mitte darstellt, ist geprägt von einem simplen Gut-Böse-Dualismus, der Personalisierung abstrakter Herrschaftsverhältnisse, einem zivilisationsfeindlichen Zurück-zur-Natur-Mythos und in der Verherrlichung des Landlebens. Die als Befreiung interpretierte Anbetung des Kollektivs und autochtone Tradition und die letztendlich autoritäre Verachtung des Individuums paart sich mit der auf der documenta allenthalben gefeierten Ursprünglichkeit, die sich in der politischen Aufladung der präsentierten Kollektive, Gemüsebeete, und Komposthaufen darstellt. Heraus kommt dabei ein Gebräu einer Weltanschauung, die sich durch die Feindschaft gegenüber der Moderne und ihrer Ideen von der Freiheit des Individuums, der Aufklärung, von der Befreiung aus der Knechtschaft und aus den Zwängen der Natur auszeichnet und die der Nährboden antisemitischer Weltanschauung ist. Dieses Konglomerat an Vorstellungen von einer „anderen Welt“ der ruangrupa und ihrer Protegés und Anhänger kommt als eine Weltanschauung der Antimoderne daher, die schlicht und ergreifend eine offene Flanke zum Antisemitismus hat. Und zu dieser Weltanschauung gehört das Bündnis mit den Antizionisten aus dem Nahen Osten, wie der Komposthaufen zum Gemüsebeet an der documenta-Halle. Aus diesen Gründen war die von Mendel erwogene Schnüffelei nach weiteren offen antisemitischen Exponaten fehl am Platze.

Es ist kein Wunder, dass so lupenreine Antisemiten wie Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, dass beinharte Israelfresser wie Khalid Albaih, Jumana Emil Abboud, das Party-Office und mindestens 60 weitere Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“ auf der documenta präsentiert werden11, nur dass diese es im Gegensatz zu den Indonesiern vielleicht verinnerlicht haben, dass man nach 1945 in Deutschland den Juden nicht (mehr) mit Hakennase und blutunterlaufenen Augen, ihn nicht als Gottesmörder oder blutrünstigen Militär präsentiert. Das macht man zuhause, wenn die Weltöffentlichkeit nicht hinschaut. Sie wissen, dass man es ihnen als „Israelkritik“ durchgehen lässt, wenn die einzige Demokratie im Nahen Osten als Apartheid-Regime bezeichnet wird und wenn Israel selbst dafür verantwortlich gemacht wird, wenn die Hamas Israel mit Raketen beschießt. In der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien des Bundestages konnte man nachvollziehen wie das funktioniert. Einer der beiden Sprecher der ruangrupa, Ade Darmawan, äußerte sich gemäß eines Artikels des Tagesspiegels wie folgt: „‘Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel oder gegen Juden.‘ Jüdische und israelische Künstler seien bei der documenta vertreten, würden auf eigenen Wunsch namentlich nicht genannt, da sie mit dem Konzept des Nationalstaates nicht in Verbindung gebracht werden möchten.“12 Damit dürfte er den antizionistischen Konsens der documenta 15 ausgedrückt haben, den Yazan Khalili so ausdrückte, dass er die Juden vom Zionismus emanzipieren wolle. Nach der Expertise der Elke Buhr und eines Joseph Croitoru ist das kein Antisemitismus, nach Meron Mendel Ausdruck des legitimen Widerstandes gegen die „Besatzung“ und als Äußerung mindestens von der Kunstfreiheit gedeckt. Zwar ist Antizionismus nicht das gleiche, wie Antisemitismus, aber es gibt keinen Antizionismus ohne Antisemitismus. Dieser Zusammenhang wurde nirgends deutlicher als auf der aktuellen documenta. Dafür stehen die Gruppe Taring Padi, die Personen Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, Khalid Albaih, das Party-Office u.a.

Die offensichtliche Hoffnung der Ausstellungsmacher, dass man zwar die Judenkarikatur des Taring-Padi-Banners von Experten und Juristen als antisemitisch definieren lässt, die Bildreihe Gaza-Guernica aber als schlechte Kunst, als „Israelkritik“ oder im Rahmen der Multiperspektivität als künstlerischen Ausdruck des legitimen Widerstands gegen die „Besatzung“ durchgehen lässt, dürfte also nicht ganz abseitig sein. Zudem werden die Bilder Gaza-Guernica an einem Ort präsentiert, der den traditionsbewussten Kasseler Bürger an die „Luftgangster“ erinnert, die in ihrer Vorstellung gleich der Legion Condor, die wunderschöne Stadt Kassel aus Rachsucht in Schutt und Asche legten.

Es stellt sich die Frage, ob es die Sache besser gemacht hätte, wenn man, wie es sich mittlerweile herausgestellt hat, auf den Rat Claudia Roths gehört hätte, die Arbeit der Kuratoren kritisch zu begleiten.13 Die HNA berichtete jüngst, dass auch die documenta-Generaldirektorin versuchte, einen Dialog mit dem Zentralrat der Juden mit Vertretern des „Artistic Teams“ über den Ansatz der Multiperspektivität zu initiieren. Ob man über die Naivität, die den Versuch auszeichnet, Vertreter des Zentralrats der Juden mit Israelhassern an einen Tisch zu setzen, lachen oder weinen soll, ist die eine Frage. Dass man es gleichzeitig für eine probate Maßnahme hält, die Gegner und Feinde Israels durch die Teilhabe an der Erinnerungskultur Deutschland davon abzuhalten, ihrem Hass Ausdruck zu verleihen ist die andere Frage.14 Dass darüber hinaus der Zentralrat der Juden, oder die örtliche Jüdische Gemeinde herangezogen werden, wenn es um die Frage Antisemitismus, Antizionismus, Israelhass und „Israelkritik“ geht, verdeutlicht, dass man Antisemitismus offensichtlich für ein jüdisches Problem hält.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Oberbürgermeister Christian Geselle, die hessische Ministerin Angela Dorn und die Bundesministerin Claudia Roth, sie alle wussten vom Problem und schwiegen oder taten so, als ob die Luftnummern Hauensteins, Buhrs und des Dünnbrettbohrers Croitorus und letztlich auch die Versuche der tragischen Figur Mendels die Quadratur des Kreises hinzubekommen, irgendeine Substanz gehabt hätten. Obwohl Mendel bekanntlich die palästinensische Sichtweise für legitim hält, immer wieder davor warnte, die documenta unter Generalverdacht zu stellen, musste er erfahren, dass man im WH22 mit Juden nicht spricht und dass auf seiner Diskussionsveranstaltung der Vertreter der ruangrupa (und Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“) Ade Darmawan sich frech hinstellte und bekundete: Hier bin ich.15

Geselle, Dorn und Roth sind für das Desaster, dass vor den Augen der Weltöffentlichkeit faktisch Nazi-Propaganda gegen Juden und Israel betrieben wurde, politisch verantwortlich. Als Generaldirektorin steht Frau Sabine Schormann im engeren Sinne in der Verantwortung dafür, was im Namen der documenta der Öffentlichkeit präsentiert wird. Direkt dafür verantwortlich sind die Künstlerische Leitung, also die ruangrupa und das leitend tätige „Artistic Team“. Während Schormann sich vielleicht nicht ganz der Tragweite ihrer den Antisemitismus relativierenden und verharmlosenden Ideologie von der Multiperspektivität bewusst ist, sind die Vertreterinnen des „Artistic Teams“ und Teile des documenta-Beirats, sowie der ruangrupa Überzeugungstäter. Letzteres war durch unsere Veröffentlichung seit Januar bekannt.

Wollte man das, was mit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung intendiert wurde, ernst nehmen, müssten alle hier genannten Beteiligten von ihren Funktionen entbunden werden. Die ruangrupa und alle hier genannten members of the lumbung müssten schlicht nach Hause geschickt werden.

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1 Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen: Stellungnahme von Oberbürgermeister und documenta-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Geselle, Pressemitteilung, 16.01.2022

2 Die Resolution der CDU ist am 13.01.2022 formuliert worden. Dort hieß es: „Die Stadtverordnetenversammlung distanziert sich von jeglichen antisemitischen Umtrieben, die möglicherweise im Umfeld der Organisation der documenta 15 Raum greifen. Die Organisatoren der documenta 15 mögen Stellung dazu nehmen, ob der Vorwurf zutrifft, dass Unterstützer der so genannten BDS-Bewegung und andere Boykottbefürworter gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“, im Rahmen der international beachteten documenta ausstellen und agieren. Falls das der Fall ist, verwahrt sich die Stadtverordnetenversammlung ausdrücklich und nachdrücklich gegen antisemitische Tendenzen im Rahmen des Programms der documenta 15.

3 Statement zu den Antisemitismusvorwürfen, 12.01.2022.

4 Stellungnahme zu Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen, 19.01.2022.

5 Das sagen OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022.

6 „Für die Freiheit kämpfe ich wie eine Löwin“, Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf Ruangrupa und war bei der HNA zum Gespräch, HNA, 17.03.2022.

7 Israelkritik, Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit sind keineswegs dasselbe, Die Zeit, 02.02.2022; Documenta in der Kritik. Hetzkunst, FAZ, 13.01.2022; Kassel. Antisemiten, Sexisten und falsche Indianer?, NZZ, 10.01.2022; Kunstfreiheit und Antisemitismus. Debatte um BDS und documenta 15, taz, 14.01.2022; Wie man die rote Linie klar und deutlich markiert, Die Welt, 22.01.2022. In der Folge war es vor allem Die Welt, die kontinuierlich Kritik an der documenta 15 formulierte.

8 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Die Welt, 25.05.2022.

9 Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sieht den Vorwurf des Antisemitismus gegen das Kollektiv nicht begründet. Klaren Antisemitismus würde er der NGO „auf keinen Fall“ vorwerfen, sagt er. Es gebe sicherlich Grauzonen, wo sich der legitime Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung mit antisemitischen Narrativen vermische, so Mendel. Doch habe sich die Organisation nicht besonders durch Antisemitismus hervorgetan. Palästinenser hätten sehr wohl das Recht, die Forderung zu stellen, dass Israel boykottiert werde, unterstreicht der Bildungsstättendirektor. „Diese Forderung würde ich nicht per se als antisemitisch sehen.“ Vorwürfe gegen Kasseler Kunstschau. Hat die Documenta ein Antisemitismusproblem?, Deutschland Funk, 13.01.2022.

10 Die HNA zitiert am 23.06.2022 Dr. Ulrich Schneider wie folgt: „Dagegen verteidigt der Historiker Ulrich Schneider (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) das Kollektiv und weist darauf hin, dass die ‚Figur mit einem Schweinegesicht‘ und einem Helm, auf dem Mossad steht, Teil einer Gruppe von Geheimdiensten ist. Es würde aber nur die Mossad-Figur kritisiert. Die Antisemitismusvorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.“

11 Hier sind die Unterzeichner des „Letter Against Apartheid“ und anderer Pamphlete aufgelistet, die als Künstler auf der documenta 15 präsentiert werden oder für diese tätig sind. Die Liste wurde von Markus Hartmann zusammengestellt, dem wir an dieser Stelle zu danken haben. https://bgakasselblog.files.wordpress.com/2022/07/documenta-fifteen-beteiligte-an-antisemitischen-briefen-1.pdf

12 Documenta-Skandal ist Thema im Bundestag. Kasseler Verantwortliche bleiben fern, Tagesspiegel, 06.07.2022.

13 Skandal um antisemitische Kunstwerke. Documenta-Leitung ließ Claudia Roth abblitzen, Spiegel, 27.06.2022.

14 Was Schormann unternommen hat, HNA, 09.07.2022 In der HNA wird berichtet, dass Schormann für die Künstlerische Leitung einen Besuch an den Kasseler Gedenkstätten initiierte. Den toten Juden zu gedenken, den Antizionismus jedoch mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung zu begegnen, sind typisch für die deutsche Erinnerungskultur. Nichts verdeutlicht das so, wie die Kombination der Stolpersteine vor dem Kasseler Kino Gloria indem den japanischen und palästinensischen Terroristen unter dem Motto „antiimperialistischen Solidaritätsbeziehungen“ zwischen Japan und Palästina gehuldigt wird. Die Attentäter der japanischen „Roten Armee“ und palästinensischer Terroristen ermordeten am 30.05.1972 auf dem israelischen Flughafen Lod 26 Menschen. Vgl.: Documenta ehrt Initiatoren eines Selbstmordattentats, Mena-Watch, 24.06.2022.

15 Obwohl Meron Mendel mehrfach Verständnis für Sache der Palästinenser geäußert hat, die Kritik des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel als unzutreffend zurückgewiesen hat, musste er erfahren, dass der Künstler Al Hawajri aus dem Gazastreifen nicht mit Juden reden wolle und biss mit seinem Vorhaben, sich als Experte der documenta 15 zum Zwecke der Sensibilisierung in Sachen Antisemitismus anzudienen auf Granit und . Vgl.: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen“, Meron Mendel über das Versagen der Documenta-Verantwortlichen – und den antisemitismus-Vorwurf als politisches Spiel, Tagesspiegel 24.06.2022; Eine Unverschämtheit, die keiner bemerkte, FAZ, 01.07.2022; Antisemitismus-Eklat. Meron Mendel nicht länger Berater der documenta, hessenschau, 08.07.2022.

Illustrationen: There ist no Antizionism without Antisemitism!

Der durch die im WH22 ausgestellte Bilderserie „Guernica-Gaza“ bekannt gewordene Künstler aus dem Gaza-Streifen Mohammed Al Hawajri (Eltiqa) hat hier ein Bild geschaffen, das eindeutig das antisemitische Stereoptyp vom Juden als Christusmörder bemüht und dieses antijüdische Feindbild auf die aktuelle Situation des Konflikts zwischen Israel und Palästinensern überträgt. Jesus tritt mit dem Schlüssel auf dem Rücken vor seine Mörder. Der Schlüssel steht für den Anspruch der Palästinenser auf das israelische Staatsgebiet. Das Bild ist nicht auf der documenta 15 ausgestellt, verbürgt aber die Weltanschauung des ausstellenden Künstlers, der vom Kollektiv The Question of Funding eingeladen wurde.

Der Künstler Khalid Albaih, der für das Kollektiv Trampolin House auf der documenta ausstellt, hat sich auch als israelfeindlicher Karikaturist versucht. Einige seiner Karikaturen präsentieren seine Weltsicht von der Grausamkeit und von dem mörderischen Wesen der israelischen Politik. Hier wird Palästina tranchiert.

Jumana Emil Abboud ist eine der wenigen Künstlerinnen, die als Personen und nicht als Kollektiv als member des Lumbung auf der documenta 15 kuratiert wurden. Auch sie hat den „A Letter Against Apartheid“ unterzeichnet und verbreitet durch Steuern finanziert im documenta-Handbuch und auf der Ausstellung anitiisraelische Propaganda: „Abbouds Arbeit für die documenta fifteen erweitert ihre bisherige künstlerische Praxis um das Thema Wasser. […] In den sogenannten ‚Wünschelruten-gänger*innen‘-Workshops […] ging es darum, den hier lebenden Menschen ihr Recht auf Wasser symbolisch zurückzugeben. Der Verlust von Wasserrechten erscheint hier als Bestandteil der Siedlungspolitik des israelischen Staates: Wasser wird von den Quellen in Palästina abgezapft und in nahe gelegene Neusiedlungen umgeleitet. […] Um ‚Rückgabe des Wassers‘ geht es sowohl in konkreter als auch in kultureller Hinsicht.“