Die jüngste UN-Resolution, die Israel wegen des sogenannten Siedlungsbaus verurteilte, hat ein großes Echo in der Politik und in den Medien hervorgerufen. Die Grundlage dieser Resolution ist eine mehr als schiefe Wahrnehmung eines Konfliktes und seiner historischen und aktuellen Ursachen. Sie ist Ausdruck des international Ressentiments gegen den jüdischen Staat, gegen den Juden unter den Staaten. Darauf rekurrieren nur wenige. Im Gegenteil, die Enthaltung der USA, die diese Resolution möglich machte, hat nicht nur bei den üblichen Verdächtigen Zustimmung ausgelöst, sondern überwiegend auch bei denen, die behaupten, die Sicherheit Israels sei Teil der Staatsräson.
Die Standpunkte aus Politik und Gesellschaft sind schon hinreichend u.a. von Alex Feuerherd und dem unermüdlichen Gerd Buurmann kritisiert worden. Interessant sind in der aktuellen Angelegenheit weniger die Positionen, wie sie zum Beispiel von einer Palästinasolidarität, von antiimperialistischen Gruppierungen oder der BDS vertreten werden, sondern das, was gemeinhin als freundschaftlicher Rat gegenüber Israel oder als guter Dienst an der Sache, dem Frieden im Nahen Osten gilt.
Es ist, bis hinein in Kreise, die Israel prinzipiell wohlgesonnen sind, common sense, unbenommen von Besatzung zu sprechen, wenn der völkerrechtlich unklare Status der Westbank gemeint ist, von Siedlungen, wenn von Wohnungsbau für Juden in Teilen eben dieses Territoriums die Rede ist oder von rechtsextremen Politikern, wenn diese die Interessen der sogenannten Siedler vertreten. Die Siedlungspolitik als Friedenshindernis zu bezeichnen, ist running gag der Kommentatoren in der Politik und in den Medien, egal ob sie nun in der Süddeutschen Zeitung das schreiben was man dort vermutet, in der Zeit oder der FAZ.
Auch wenn die hiesige Zeitung, die HNA, nicht zu den „israelkritischen“ Stimmen gehört, in Sachen Siedlungen unterscheidet sie sich nicht wesentlich vom Mainstream. Und weil diese Zeitung eben in der hiesigen Region als meinungsbildend gelten kann, verdienen die dort geäußerten Positionen durchaus Beachtung. Zeigt sich Israel mal nicht von seiner wohlgelittenen Seite als Rechtsstaat, als multikulturelle und liberale Gesellschaft, sondern als Exekutor kühl kalkulierter Realpolitik, ist möglicherweise der künftige US-Präsident sogar solidarischer Bündnispartner Israels, dann darf man auch mal als Kommentator der HNA in die Vollen hauen. Der HNA-Journalist Jörg S. Carl führt am 30.12.2016* in der Zeitung aus, dass Netanjahu eine auch nach israelischem Recht illegale Expansionspolitik betreibe – also ein Straftäter ist? Weiter behauptet er, dass weitere Annexionen eine weitere Intifada hervorrufen würden. Unklar bleibt bei der letzten Bemerkung was genau damit gemeint ist, die durchaus nicht abwegige Annexion der Westbank oder der Bau weiterer Siedlungen? Klar an dem Weltbild des Kommentators jedenfalls ist, eine Intifada hat damit etwas zu tun, wie sich Israel verhält und ist nicht etwa Bestandteil einer Strategie der Fatah, das formulierte Ziel eines Palästinas vom Jordan bis zum Mittelmeer zu erreichen.** Auch der Herausgeber der HNA, Dr. Ippen, beeilt sich einen Tag später*** in seinem Wort zum Sonntag zu betonen, mit dem Strom zu schwimmen, denn „jeder weiß, dass sie [Israels Siedlungspolitik] völkerrechtswidrig ist.“
Es gibt sicherlich Gründe, die gegen eine Politik sprechen, den Wohnungsneubau gerade in den Gebieten, deren zukünftiger Status nach wie vor unklar ist, oder zu Lasten des subventionierten Wohnungsbaus im israelischen Kerngebiet, so er denn überhaupt noch stattfindet, zu forcieren. Auch die Überlegung, ob es Sinn macht in einer den Juden feindlich gesinnten Umgebung Wohnungsbau zu betreiben, dessen Bewohner mit unverhältnismäßig hohem Aufwand dann zu schützen sind, wäre ein pragmatischer Einwand. Auch die politische Haltung, die signalisiert, dass die Westbank, also Judäa und Samaria, eigentlich zu Israel gehören würde, weil es in biblischen Zeiten so gewesen sei, hat mit einer vernunftgeleiteten politischen Haltung wenig zu tun, ist aber nicht weniger rational als das was in der Charta der PLO formuliert ist, nur das letzteres kein Thema in der allgemeinen Diskussion ist.
Die im Plädoyer gegen israelische Siedlungen auf der der Westbank zugrundeliegende Haltung kann auch heißen, sich für eine judenfreie Westbank auszusprechen, auch das hat nichts mit rationaler Politik zu tun, sondern ist Ausdruck von Antisemitismus. Es gibt dagegen viele Gründe, die dafür sprechen, die Zweistaatenlösung auf unabsehbare Zeit als hinfällig zu betrachten, denn es gibt bis heute leider keinen Grund zur Annahme, dass es Israel nach dem Scheitern der Camp-David-II-Verhandlung mit politisch Verantwortlichen aus der Westbank zu tun hat, die an einer Verhandlungslösung interessiert sind. Diese seit über ein dutzend Jahren objektive Ausweglosigkeit hat dazu geführt, dass all die Stimmen, die nach wie vor für eine Zweistaatenlösung plädieren, zwar nach wie vor als sympathisch aber zunehmend als wirklichkeitsfremd gelten. In dieser Hinsicht wäre eine Annektion der Westbank dann jedoch eine als rational zu begreifende Schlußfolgerung aus einer seit Jahrzehnten ausweglosen politischen Situation.
Trotzdem ist aber der Gedanke der Annektion der Westbank ein Sakrileg. Wenn nun Israel tatsächlich die Westbank annektieren würde, dann so die einhellige Meinung, sei dies das Ende nicht nur des nicht existenten Friedensprozesses sondern auch der israelischen Demokratie. Warum eigentlich? In Israel haben muslimische, christliche und nicht gläubige Araber, Drusen, Alawiten etc. als Staatsbürger die gleichen Rechte wie alle Israelis auch. Sie leben in einer freien Gesellschaft unter rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen. Eine Annektion der Westbank, wäre das Ende einer in Teilen der Westbank auf unklarer Grundlage bestehendem Militärrecht und würde die Bewohner der gesamten Westbank politisch, rechtlich, kulturell und ökonomisch besser stellen, als sie es in den letzten 70 Jahren je haben erleben können. Vor dem Hintergrund des mehrfach gescheiterten und absolut toten Friedensprozesses und der tatsächlichen politischen Verhältnisse in der Autonomiebehörde ist diese Variante nicht völlig abwegig
Da Jordanien keine territorialen Ansprüche an der Westbank hat und ein Friedensvertrag mit diesem Staat besteht, würde die Annexion auch keinen real existierenden Frieden gefährden. Der aktuelle Konflikt zwischen Israel und den politischen Gruppierungen der palästinensischen Autonomiebehörde würde sich in einen innerisraelischen verwandeln. Ein solcher Schritt würde auch der israelischen Gesellschaft (sicherheitspolitisch, sozialpolitisch und finanziell) viel abverlangen, aber die gesellschaftliche Praxis in Israel zeigt, dass diese Variante zur Zufriedenheit Vieler ausfallen kann. Dieses Gedankenspiel hat einen Haken: Man kann Keinen zu seinem Glück zwingen – wenn also die Mehrheit der arabischen Bewohner der Westbank in einem eigenen Staat leben will, dann muss sie dafür sorgen, dass dies möglich sein wird. Voraussetzung ist, dass sie für eine friedliche Umsetzung dieser Politik eintritt, dafür, dass auch Juden in diesem Territorium unbehelligt und entgegen der in der Charta der PLO formulierten Grundsätze auch gleichberechtigt leben können und dafür, dass das Nachbarland als jüdischer Staat anerkannt wird – dazu müsste sie aber zu allererst einmal ihre eigene politische Führung zum Teufel jagen. Alles das ist nicht absehbar.
Israel findet, wie es scheint, aktuell in Donald Trump einen Fürsprecher. Egal was von ihm und den den Gründen seiner Wahl zu halten ist, in der Einschätzung der politischen Verhältnisse um Israel herum geht Trump und der designierte Botschafter nicht vom Wunschdenken der aktuell noch amtierenden Administration sondern von den realen Verhältnissen aus. Das bewegt den Kommentator in der HNA, Carl, zu meinen, sich nicht auszumalen, was passiere, wenn es eine Trump-Initiative gebe. Auch für viele andere ist es ganz und gar ungehörig, dass Trump für Israel Partei ergreift. Doch das spricht nicht gegen Israel, sondern gegen jene, die trotz der undurchsichtigen Haltung der palästinensischen Führung diese milliardenschwer unterstützen, die solch unsinnige Resolutionen, wie die aktuelle nicht vereiteln oder verurteilen. Es spricht gegen jene, die unbenommen aller möglichen anderen Sichtweisen von einer illegalen Besatzungspolitik reden, die von einer israelischen Expansionspolitik faseln, einen Stopp der Siedlungspolitik verlangen und damit einer judenfreien Westbank das Wort reden, die in der kompromisslosen Haltung der PLO und der Hamas nicht das Friedenshindernis im Nahen Osten sehen, sondern in einer Politik, die Israels Interessen zunehmend illusionslos in den Vordergrund rückt. Warum Trump eine eindeutige Haltung zu Israel formuliert, soll hier nicht debattiert werden. Für Israels wäre mehr getan, wenn diejenigen die vorgeben für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte oder für eine gerechte und friedliche Gesellschaft einzutreten kompromisslos Partei für Israel einnehmen würden. Die Stärke Trumps rührt aus dem diesbezüglichen Versagen und der Indifferenz der letzteren.
(jd)