Ostermarsch: Gewaltspiralen und Unterwerfung

The Upper Class Twit of every Year in Kassel

Und täglich grüßt das Murmeltier? In Kassel tut es das jährlich, aber man beleidigt ein harmloses Tierchen, wenn man den Marsch der Unbelehrbaren, der jährlich in Kassel zu Ostern abgehalten wird, mit diesem assoziiert. Angesichts des russischen Angriffskrieges, der klar geäußerten Kriegsziele Russlands und des politischen Charakters des russischen Regimes verblüfft das Ausmaß an kognitiver Dissonanz des Aufrufs des diesjährigen Ostermarsches. Dagegen zu argumentieren mutet an, wie Eulen nach Athen zu tragen. Wir tun es trotzdem.

Vor über einem Jahr überfiel Russland die benachbarte Ukraine. Mit dem diesem Krieg zugrundeliegenden großrussischen Nationalchauvinismus hielten weder Putin noch seine Satrapen hinterm Berg. Jeder, der will, kann das nachlesen. „Als Wladimir Putin am 18. März 2014 in seiner Rede vor der Duma anlässlich der Krim-Annektion die Ukrainer als ‚Brudervolk‘ bezeichnete, konnte das für die allermeisten ukrainischen Brüder nur als Drohung zu verstehen sein, weil diese Bezeichnung nicht erst seit dem real existierenden Sozialismus und der Breschnew-Doktrin immer schon die verklausulierte Forderung nach Unterwerfung unter den russischen Hegemon bedeutet hat. Das russische Herrenvolkdenken wurde in der Geschichte nur für den kurzen Moment von 1917 bis in die 1920er Jahre durch Lenins Nationalitätenpolitik etwas zurückgedrängt, die vor allem von der Bekämpfung dieses großrussischen Chauvinismus motiviert war.“1 Auch in Sachen Charakter des russischen Regimes kann man sich höchstens darüber streiten, ob man es mit einem faschistischen Regime postmodernen Zuschnitts zu tun hat oder mit einer Gangsterbande aus den Strukturen des FSB, der es gelang, die staatlichen Strukturen des riesigen Landes zu okkupieren.2 Wir wollen uns aber nicht länger mit diesen Fragen hier aufhalten, denn jeder der möchte, kann auch dies ausgiebig anhand der zur Verfügung stehenden Literatur selbst tun.

Der Ostermarsch wird auch von der VVN-BdA Kassel und ihrem Anführer Dr. Ulrich Schneider unterstützt. Vor dem Hintergrund der von dieser Vereinigung wie eine Monstranz vor sich hergetragenen Losung “ Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ zeigt sich deren wahre Intention einmal mehr in der Interpretation: „Nie wieder Krieg gegen Faschismus!“

Unterwerfung schaffen ohne Waffen

Der diesjährige Aufruf zum Ostermarsch3 beginnt pflichtschuldigst mit der Erklärung: „Der letzte Ostermarsch wurde überschattet vom Einmarsch Russlands in die Ukraine. Damals wie heute verurteilen wir diesen Angriffskrieg und die damit verbundene Annexion ukrainischen Territoriums.“ Ok, von einem Angriffskrieg ist die Rede. Er wird sogar verurteilt. Es scheint den Ostermarschierern wichtig zu sein, das zu betonen. Über die Absichten der russischen Angriffskrieger und wie man sich als ein im Verhältnis zu Russland kleines und bitterarmes Land diesen entgegenstellt, darüber erfahren wir in den nächsten Zeilen aber nichts.

Gleich im nächsten Absatz aber heißt es: „Die Sanktionen und Waffenlieferungen der NATO-Staaten hatten und haben das Ziel, Russland wirtschaftlich massiv zu schaden und militärisch zu besiegen.“ Prima erkannt! Was für eine gute Idee, den Angriffskriegern massiv zu schaden, ihnen also das Handwerk zu legen, indem man dazu beiträgt, dem Aggressor eine militärische Niederlage beizufügen. Haben die Ostermarschierer nach über 62 Jahren die Agitation gegen die NATO endlich aufgegeben und pflichten ihr darin bei, dass den Opfern eines Angriffskrieges beizustehen sei?

No Pasaran? Putin Pasará!

Doch dann heißt es im nächsten Halbsatz der Ostermarschierer, die Waffen und Sanktionen würden den Krieg nicht beenden. Als 1937 die faschistischen Putschisten vor Madrid standen, wurden sie von den bewaffneten Republikanern, die damals entscheidende Unterstützung vieler linker und demokratischer Organisationen und der Sowjetunion erhielten, vor Madrid gestoppt. Die Nichteinmischungspolitik Großbritanniens, Frankreichs und der USA, zu der ein Waffenembargo (gegen alle Kriegsparteien) gehörte, führte jedoch dazu, dass die Republikaner gegenüber den gut ausgerüsteten Faschisten zunehmend ins Hintertreffen gerieten. Der Ausruf „No Pasaran!“ hörte sich mutig und entschlossen an, entscheidend war, dass die Faschisten Waffen und Soldaten von Deutschland und Italien erhielten. Findet sich wenigsten ein „Stoppt Putin!“ im Aufruf? Doch noch nicht einmal das hören wir im Aufruf der Ostermarschierer! Die Republik konnte sich gegen diese Übermacht nicht halten. Die gegen Ende des Bürgerkrieges geführten Verhandlungen mit den übermächtigen Faschisten konnten das Massaker an hunderttausenden Republikanern nicht verhindern.4

Auch der nur bedingt zulässige Vergleich mit dem deutschen Angriffskrieg gegen Dänemark, Norwegen, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien und Griechenland mit dem Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen Polen, Jugoslawien und dann gegen die Sowjetunion zeigt, wie absurd und geschichtsvergessen diese These ist. Die seit 1941 Seite an Seite stehenden Alliierten hielten der Naziwehrmacht nur stand, weil sie in großem Stil von den USA, die UdSSR sogar von dem bedrängten Großbritannien mit Waffen beliefert wurden.5

Der historisch passendere Vergleich ist der mit dem Ersten Weltkrieg. 1914 überfiel Deutschland seine Nachbarnationen Belgien und Frankreich. In Belgien verübten deutsche Soldaten zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung, ganze Landstriche und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. Deutschland beanspruchte in seiner Kriegszielpolitik ganz offen große Gebiete beider Nachbarländer oder stellte die Existenzberechtigung Belgiens als Nation gleich ganz in Frage. Frankreich, Belgien und die sie unterstützenden Briten konnten den Angriff der kaiserlichen Armee nur standhalten, weil sie massiv von den USA unterstützt wurden. Alle Versuche, Verhandlungen aufzunehmen, um das entsetzliche Gemetzel an den Fronten zu beenden, scheiterten vor allem an den Maximalzielen des deutschen Kaiserreiches.6

Der Satz „Die militärische Unterstützung der Ukraine durch die NATO-Staaten intensiviert und verlängert den Krieg“ stimmt nur insofern, als dass die Unterstützung der Ukraine diese vor dem Zusammenbruch bewahrte, also Russlands Angriffskrieger daran hinderte, nach Kiew durchzumarschieren und dort wie schon im Donbass eine moskauhöriges Regime zu installieren. Die Waffenlieferungen der Nato-Staaten halfen der ukrainischen Armee standzuhalten: No Pasaran! Die Einstellung der Waffenlieferungen würden den russischen Truppen den Weg freimachen, die Forderung der Ostermarschierer bedeutet im Klartext: Putin Pasará!

Damit der deutsche Michel wieder ruhig schlafen kann – Verhandlungen um jeden Preis!

Die Friedensbewegten meinen zu wissen, dass es im Krieg zwischen der Ukraine und Russland anders zugeht. In ihrem Aufruf kann man nachlesen: „Im März 2022 gab es in Istanbul Verhandlungen zur Lösung des Konfliktes.“ Der Krieg ging bekanntlich trotzdem weiter, warum? Ein Schuldiger ist gefunden. Es ist der Westen. Im Aufruf der Ostermarschierer heißt es: „Der Westen sei für ein Kriegsende nicht bereit“. Ob diese Behauptung tatsächlich stimmt, darüber scheinen sich die Verfasser nicht so ganz sicher zu sein, denn sie schieben den Satz hinterher: „So äußerte sich General a.D. Harald Kujat in einem Interview.“ Wo dieses Interview stand, verschweigen die Friedensfreunde vornehm. Es erschien zuerst in der bei vielen Linken als rechtsextrem geltenden Preußische Allgemeine am 30.11.2022.7 Kujats Thesen machten dann aber auch in einigen seriöseren Presseorganen die Runde, obwohl sie jeder Grundlage entbehrten.

Der bisher gewiss nicht als Propagandist des Krieges und der Aufrüstung aufgefallene Soziologe Paul Schäfer8 führt dazu näher aus: „[…] Selenskyj [erklärte] noch am 10. April 2022, dass er trotz der Grausamkeiten der russischen Armee wie in Butscha und Irpin weiter Frieden wolle. […] als Politiker wolle er keine Gelegenheit für eine diplomatische Lösung verpassen. Putin dagegen verkündete am 12. April, Kiew habe die Friedensgespräche zum Scheitern gebracht, indem es in Butscha russische Kriegsverbrechen inszeniert habe. Bereits zuvor gab es entsprechende Aussagen russischer Regierungsvertreter: Am 3. April sagte Wladimir Medinski, Leiter der russischen Verhandlungsdelegation, Russlands Haltung zum Donbass und zur Krim sei unverhandelbar und Gespräche zwischen den Präsidenten seien nicht möglich.“9

Im Folgenden seien die Ausführungen der Wissenschaftlerin Sabine Fischer über die Rahmenbedingungen zitiert, die dazu führten, dass die Verhandlungen in Istanbul abgebrochen wurden. „Für die Beurteilung des Verhandlungsverlaufs im April 2022 muss jedoch der politische und militärische Kontext berücksichtigt werden. Die drastische Verschlechterung der Atmosphäre erklärt sich aus dem Kriegsverlauf. Nach dem Scheitern des Angriffs auf Kyjiw gab Moskau die Nordfront auf und konzentrierte seine Kriegsanstrengungen auf den Donbas und den Süden der Ukraine.10 Schäfer bringt in Auswertung der Gespräche Draghis mit Putin die Situation auf den Nenner, dass Putin deutlich macht, die erreichten und formulierten Kriegsziele stünden nicht zur Disposition. „Die Formel des Kreml lautet seitdem: Friedensverhandlungen Ja, aber zu unseren Bedingungen. Und: Von den Ergebnissen unserer Militäroperation, der Annexion nämlich, rücken wir nicht ab.“11

Der Historiker Hans-Henning Schröder sieht zwar nur in Verhandlungen eine Perspektive den Krieg zu beenden, denn „der Krieg wird [..] voraussichtlich nicht durch einen militärischen Sieg einer Seite beendet, sondern am Verhandlungstisch. Der weitere Verlauf der Kriegshandlungen wird aber unmittelbare Auswirkungen auf den Ablauf der Gespräche und deren Ergebnis haben. Insofern versuchen beide Seiten auf dem Schlachtfeld Vorteile zu erzielen, die sich politisch ummünzen lassen. Für die ukrainische Seite gibt es keinen anderen Weg. Sie kämpft um das Überleben ihres Staates. Ihre Verteidigungserfolge schaffen erst die Voraussetzungen für Verhandlungen.“12 Die Plädoyers aber nach Verhandlungen bei gleichzeitiger Forderung, die Waffenlieferungen einzustellen, bedeuten dagegen nichts anderes, als die Ukraine den Großmachtphantasien Russlands auszuliefern.

Und daher kommen wir jetzt nochmal auf die historischen Analogien zurück. Obwohl Russlands Militärführung Welle auf Welle ihrer schlecht ausgerüsteten und geführten Soldaten in das massive und präzise Abwehrfeuer der Ukrainer treibt, ist ein militärischer Sieg über die Ukraine aktuell nicht in Sicht. Doch die ja tatsächlich schon seit 2014 laufenden Verhandlungen scheitern vor allem daran, woran auch die Versuche mit Friedensverhandlungen im Ersten Weltkrieg scheiterten, an den unverhüllt formulierten Annexionsplänen Moskaus und der bis heute kaum hinter dem Berg gehaltenen Absicht, der Ukraine nur eine Teilsouveränität zuzugestehen.13

Das fleischgewordene Elend der Unterwerfung wird durch den unvermeidlichen Harald Fischer, ehemals Dechant des katholischen Dekanates Kassel-Hofgeismar, verkörpert. Diesem Herrn und dem Ostermarsch widmete die HNA am 04.04.2023 eine ganze Seite. Man kann die überaus peinliche Naivität Fischers auf zwei Sätze zusammendampfen, die er der HNA auf die Frage „Lässt sich Putin ohne Waffen stoppen?“ antwortet: „Die Frage ist zu kurz gestellt. Und zu einfach. Gegenfrage: Lässt er sich mit Waffen stoppen […] Wir brauchen einen Weg raus aus der Gewaltspirale. [….] Ich setze mich ein für einen gewaltfreien Widerstand gegen Unrecht und imperiale Machtgelüste von Verbrechern.“14 Angesichts der Massaker an der wehrlosen Zivilbevölkerung durch russische Truppen in einigen ukrainischen Städten ist diese Aussage nicht nur naiv, sondern skandalös. Wir müssen an dieser Stelle die Ausführungen über die deutsche Sehnsucht nach Unterwerfung der Ukraine beenden. Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Unterstützer und angekündigten Redner des Ostermarsches.

Kassels Frühstücksverleumder: GEW, Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, VVN-BdA Kassel, und „Dylans Dream“

Unterstützt wird der Ostermarsch bestürzender Weise von der GEW Kassel-Land und Kassel-Stadt. Wir haben es mit einer Gewerkschaft zu tun, die Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen vertritt, also mit Personen, die man als Multiplikatoren bezeichnet. Weiter finden wir die VVN-BdA Kassel und die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft (DPG), die den Aufruf unterstützen. Das ist eine alte Liebe, die wir schon mehrfach beschrieben haben.

Neben dem MLPD-U-Boot, dem „VW-Komitee“ ist die DPG die einzige Gruppe aus Nordhessen, die die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt. Das Thema Israel und Palästina spielt im aktuellen Aufruf keine Rolle. In Kassel wird neben Fischer auch die ehemalige „Chefin“ (HNA) der DPG Brigitte Domes, die mittlerweile unter dem Label „Kasseler Friedensforum“ segelt, eine Rede halten. Frau Domes unterzeichnete u.a. 2017 einen Brief eines „Instituts für Palästinakunde“.15 Ja, so etwas gab oder gibt es tatsächlich. Man muss sich über gar nichts mehr wundern, auch nicht darüber, dass Lokalbarden den Namen Bob Dylan schänden, in dem sie ihr alljährlichen Paktieren mit den deutschen Friedensfroinden als Dylans Traum verkaufen. Aus diesem Grunde schließen auch wir mit Bob Dylan.16

Sing of Sherman – Montgomery and Scott
Sing of Zhukov and Patton and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved out the path for Martin Luther King
Who did what they did and then went on their way
Man, I could tell their stories all day

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1 Das Hilfsvolk der Russen. Zur Geschichte des ukrainischen Nationalismus bis 1945, Bahamas, Heft 69. Die Reden Wladimir Putins und Dmitij Medwedews sind im Heft Osteuropa1-3/2022, „Russlands Krieg gegen die Ukraine. Propaganda, Verbrechen, Widerstand“ nachzulesen.

2 Dazu, Thorsten Fuchshuber / David Hellbrück: Ein Meister der Rackets ist noch kein Gegenhegemon. Gespräch über Russlands Machtgefüge und den Ukraine-Krieg 2022 und Andreas Umland, Aleksandr Dugins Kreuzzug gegen den Liberalismus und seine Verbindungen nach Deutschland, kritiknetz.de, 01.01.2023.

3 Der Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch ist hier nachzulesen: Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg! Aufruf zum Ostermarsch 2023.

4 Einen guten Überblick über den spanischen Bürgerkrieg bietet Antony Beevor, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006.

5 Hierzu z.B.: Richard Overy, Die Wurzeln des Sieges, Warum die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewannen, Stuttgart 2000.

6 Über die deutschen Kriegsziele, z.B.: Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht, Düsseldorf, 1961; Deutschland im Ersten Weltkrieg, Berlin 1971; Über die Massaker deutscher Truppen in Belgien: John Horne und Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914, Hamburg 2004.

7 Paul Schäfer, Die Johnson-Legende. Wie der Westen angeblich einen Friedensvertrag verhinderte, Blätter für Deutsche und internationale Politik, April 2023, S. 100. Ob die Bezeichnung „rechtsextrem“ die Preußische Allgemeine Zeitung richtig kategorisiert, ist eine Frage, die wir hier nicht vertiefen wollen. In dem Spektrum dessen, welches die Friedensbewegung bis vor einigen Jahren mobilisierte, war es undenkbar sich auf andere Vertriebenenorganisationen als die des Heldenvolkes im Nahen Osten zu berufen, galten diese doch per mindestens als rechtslastig.

8 Homepage, Paul Schäfer.

9 Schäfer, S. 102.

10 Sabine Fischer, Friedensverhandlungen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Mission impossible, SWP-Aktuell 2022/A 66, 28.10.2022.

11 Schäfer, S. 106.

12 Hans-Henning Schröder, Krieg und Verhandlungen. Voraussetzungen für Frieden in der Ukraine, online-Beitrag Osteuropa, 16.02.2023.

13 Die Verhandlungen im sogenannte Normandieformat und das Minsker Abkommen scheiterten letztendlich daran, dass Moskau weder mit der Ukraine direkt verhandeln wollte, noch die Rückgabe der annektierten Krim und der de facto annektierten ostukrainischen Oblaste in Aussicht stellte. Dazu ausführlich: Desinformationsexpertin. Russland, die Ukraine und Frau Krone-Schmalz, in Osteuropa 9-10/2022; Auch: Hans-Henning Schröder, ob.cit.

14 Waffen sind nicht die Lösung. Interview mit Pfarrer Harald Fischer, HNA, 04.04.2023. Im Frühjahr 2022 kam es in einigen ukrainischen Städten wie in Cherson und Nowa Kachowka zu Protesten der Zivilbevölkerung gegen die russischen Besatzer. Russland zog die Besatzungstruppen nicht ab und ging z. T. gegen die Proteste mit Waffengewalt vor. Befreit wurden die Städte durch vorstoßende ukrainische Truppen. Siehe z.B. Verletzte bei Protesten gegen Besatzer, Tagesschau, 06.03.2022. In anderen Städten kam es bekanntlich zu Massakern an der ukrainischen Zivilbevölkerung durch die russischen Besatzungstruppen.

15 Institut für Palästinakunde, Gegen Verstrickung in Raub und ethnische Säuberung, Neue Rheinische Zeitung, 07.06.2017.

16 Bob Dylan hat sich nicht nur mit seinem Song „Neighborhood Bully“ klar für Israel ausgesprochen, sondern sich dagegen gewandt, sich für die „Sache des Friedens“ vor den Karren spannen zu lassen. Dazu möchten wir auf den Blogbeitrag des Musikjournalisten Thomas Waldherr verweisen: „Bob Dylan, der Frieden, und der Krieg in der Ukraine. Der Songwriter großer Friedenslieder und seine jüdischen Wurzeln in Odessa.“: Dylans klassische Protestsongs sind großartige Hymnen gegen den Wahnwitz des Krieges […]. Sie sind aber nicht die Gedanken eines Pazifisten. […] Von ihm [Bob Dylan] ist auch die interessante Aussage überliefert, dass er sehr wohl sich für den Frieden einsetze, aber nicht für die „Sache des Friedens“.

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Sie wussten was sie taten

Die Probleme einer Weltanschauung und die Ignoranz der politisch Verantwortlichen

Am 09.01.2022 schrieben wir dem Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH eine E-Mail. Hier der Text:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Christian Geselle,

Sie stehen persönlich dafür ein, dass Kassel eine besondere Verbundenheit zu Israel und zur Partnerstadt Ramat Gan auszeichnet. Seit zwei Jahren wird zum Zeichen der Verbundenheit mit Israel am 14. Mai die Fahne Israels am Rathaus gehisst. Wir begrüßen diese auch heute nicht selbstverständliche Haltung in der Kommunalpolitik.

Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der documenta-GmbH können Sie sicherlich nicht alle Persönlichkeiten und Künstler kennen, die im Rahmen der kommenden documenta fifteen kuratiert werden und dort in den diversen Gremien sitzen. Der Bundestag fordert in seinem Beschluss vom 17. Mai 2019, „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“, Organisationen und Personen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen nicht mit öffentlichen Geldern finanziell zu fördern und hat Länder, Städte und Gemeinden aufgefordert, sich dieser Haltung anzuschließen.

Mit der „Künstlergruppe“ „The Question of Funding“ aus Ramallah, die zunächst als „Cultural-Center Khalil Sakakini (KSCC)“ vorgestellt wurde, ist jedoch genau eine Gruppe als „member“ des „lumbung“ geladen worden, die die BDS-Bewegung und ähnliche Initiativen unterstützt. Auch weitere Künstler, die sich in dieser Richtung engagieren, werden als member des lumbung genannt. Das verwundert nicht, weil in den verschiedenen Gremien der documenta fifteen Unterstützer der Boykottbewegung gegen Israel agieren.

Das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel hat eine Presse-Erklärung und einen ausführlichen Blogbeitrag zu dem unmittelbar dem KSCC zuzurechnenden Personenkreis, zu den zu verurteilenden Bezügen des KSCC und zu weiteren Personen aus dem Unterstützerkreis der Boykottbewegung gegen Israel veröffentlicht.

Wir wünschen uns eine klare Stellungnahme und Intervention von Seiten der Stadt und von Ihnen als Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-GmbH, der Absicht von BDS-Unterstützern und anderen Boykottbefürwortern gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“ im Rahmen der international beachteten documenta auszustellen und zu agieren, entgegenzutreten.

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Eine Antwort gab es nicht.

Inkompetenz, Desinteresse und Abwehr der Kritik auf allen Ebenen

Was war der Anlass unserer E-Mail?

Am 07. 01.2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir in einigen Sätzen die grundlegende Ausrichtung der documenta, die unseres Erachtens in einem systematischen Zusammenhang mit Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus steht. Wir nannten Gründe dafür, warum die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet. In der Findungskommission, die als documenta-Beirat während der documenta 15 fortgeführt wird, sitzt mit Amar Kanwar eine Person, die die Boykottbewegung gegen Israel unterstützt und mit Charles Esche eine, die den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung kritisierte. Im aus fünf Personen bestehenden „Artistic Team“, der künstlerischen Leitung der documenta 15, unterstützen vier den antiisraelischen Hassbrief „A Letter Against Apartheid“. Die von der Findungskommission berufene ruangrupa besteht aus zehn Personen. Sie soll die kuratorische Arbeit der documenta 15 übernehmen. Vier, davon die beiden führend tätigen Ade Darmawan und Farid Rakun gehören zu den Unterstützern dieses Briefes oder andere antiisraelische Pamphlete. Der „A Letter Against Apartheid“, und das ist in diesem Kontext das Entscheidende, fordert auch den kulturellen Boykott Israels. Er steht für die Parole: Israelis raus!

Wir stellten am Beispiel der kuratierten palästinensischen Gruppe „The Question of Funding“ heraus, dass deren Protagonisten, insbesondere einer der beiden bekannten Akteure dieser Gruppe, Yazan Khalili, sich in antisemitischer Art und Weise öffentlich geäußert hat und zu den Unterstützern der BDS-Bewegung zählt. Ferner stellten wir heraus, dass diese Gruppe aus dem Umfeld des „Khalil Sakakini Cultural Centers“ kommt, das zu den Mitgründern der antisemitischen BDS-Bewegung gehört und sich nach einem palästinensischen Pädagogen und Nationalisten benennt, der sowohl antisemitische Aussagen getroffen als auch sich lobend über Hitler geäußert hat.

Sofern der Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung und die Bekenntnisse der Stadt Kassel und ihrer Repräsentanten zu Israel, zu den hier lebenden Juden und zur deutschen Vergangenheit irgendeine politische Bedeutung haben sollen, gab es zu diesem Zeitpunkt genug Gründe, erstens mit uns in Kontakt zu treten, zweitens darauf hinzuwirken, dass die Arbeit der Kuratoren kritisch begleitet wird und drittens vielleicht sogar zu erwägen, das „Artistic Team“ abzulösen und die Gruppe „The Question of Funding“ nach Hause zu schicken.

Ein Problembewusstsein ließen weder Christian Geselle noch irgendein anderer Akteur der Stadt erkennen. Im Gegenteil. Der Oberbürgermeister ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.1

Nachdem zunächst die CDU-Fraktion eine Resolution für die Stadtverordnetenversammlung entwarf, in der die Überprüfung der von uns geschilderten Tatsachen gefordert wurde, zog die CDU nach der Stellungnahme des Oberbürgermeisters und der dünnen Erklärung der documenta, sie wende sich auch gegen Antisemitismus, diese Resolutionsentwurf zurück.2

Die documenta reagierte am 12.01.2022 mit einem vollkommen inhaltsleeren Dementi, das in der überregionalen Presse auf Unverständnis stieß.3 Einige Tage später, am 19.01.2022 folgte dann eine ausführlichere Stellungnahme in der zunächst die Rede von rassistischen Diffamierungen und von Falschmeldungen war: man habe Künstler eingeladen, die sich im „Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemtismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ Die Macher der documenta kündigten dann an, unter dem Titel „We need to talk! Art – Freedom – Limits“ eine vielstimmige Debatte zu führen.4 Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gmbH Christian Geselle war damit alles erledigt. In dem ihm eigenen Stil ließ er am verlautbaren: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete am 20.01.2022, der Kasseler Oberbürgermeister sehe keine Anzeichen dafür, dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta fifteen infrage gestellt werde. Die Menschen in Palästina hätten ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben – ein Wunsch, den die Künstler mit ihrem Ansinnen einer ökonomischen und sozialen Autonomie zum Ausdruck brächten.“ Geselle und die hessische Kunstministerin Angela Dorn sahen keine Notwendigkeit, das Gremium des Aufsichtsrates einzuberufen.5

Am 16. März besuchte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth Kassel. Auf sie dürfte zurückgehen, dass sich die documenta-Macher dazu herabließen, eine Diskussion zu simulieren. In der HNA führte sie aus, dass sie es gewesen sei, die diese Gesprächsreihe angeregt hätte. Die HNA zitiert Roth: „Antisemitismus ist keine Meinung, für Antisemitismus, für Rassismus, für jede Form der Menschenfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft überhaupt kein Platz. Das ist nicht verhandelbar. Das Existenzrecht Israels infrage zu stellen, ist absolut inakzeptabel.“ Man müsse sich zwar auch auf Menschen aus Weltregionen wie Indonesien einlassen, die einen anderen kulturellen und religiösen Hintergrund haben. […] Nach dem Gespräch mit Ruangrupa teilte Roth gestern mit, sie habe sich ein Bild von den Vorbereitungen gemacht und wolle den Verantwortlichen sowie den Gesellschaftern Dank und Respekt aussprechen: „Das Engagement aller Beteiligter im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist noch einmal deutlich unterstrichen worden, und ich messe den Versuchen aller Beteiligter, die notwendigen Diskussionen offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ich würde mich freuen, wenn deren Gesprächsangebot zu einer friedlichen und lösungsorientierten Debatte breite Zustimmung erhält.“6

Dieses Statement nahmen wir dann wiederum zum Anlass, der Kulturstaatsministerin am 21.03.2022 eine E-Mail zu schreiben:

Sehr geehrte Frau Staatministerin Claudia Roth,

am 16.03.2022 besuchten Sie, Frau Staatsministerin Roth, Kassel. Anlass war ein Gespräch mit den künstlerischen Leitern der documenta fifteen, Ruangrupa. Gegen das Künstler- und Kuratorenkollektiv aus Indonesien hatte es wegen der Nähe zur israelkritischen BDS-Bewegung Antisemitismusvorwürfe gegeben. In einem Gespräch mit der HNA verkündeten Sie, dass Sie „den Versuchen aller Beteiligten, die notwendige Diskussion offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit“ beimessen. Die documenta stehe „beispielhaft als geschützter Raum für eine offene Debatte.“

Wir, die Mitglieder des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (BgA-Kassel), hatten in einem am 07.01.2022 veröffentlichten Blogartikel nachgewiesen, dass zahlreiche Personen in wichtigen Gremien der documenta 15 dem Umfeld der Israel-Boykott-Bewegung angehören oder zu den Kritikern des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung zählen. Ferner hatten wir darauf hingewiesen, dass mit „The Question of Funding“ eine Personengruppe aus dem unmittelbaren Umfeld des palästinensischen „Khalil Sakakini Cultural Centrum (KSCC)“ von den Documenta – Verantwortlichen zur Weltausstellung eingeladen wurde. Das KSCC war, bevor es sich in eine NGO wandelte, eine Institution der Palästinensischen Autonomiebehörde und ist nach dem palästinensischen Nationalisten, einem Anhänger Hitlers und einem Befürworter des Terrors, Khalil al-Sakakini benannt. Die beiden Personen, Yazan Khalili und Fayrouz Sharkawi, die bisher für diese Gruppe in Erscheinung getreten sind, sind Anhänger der Boykottbewegung gegen Israel. Deren Sprecher, Yazan Khalili, hat sich außerdem mit antisemitischen Äußerungen und Gewaltfantasien hervorgetan.Unsere Recherche fand große Beachtung in den Medien.

Versuche, die Argumentation des BgA-Kassel zu entkräften, erwiesen sich als substanzlos.

[…]

Wir vom BgA-Kassel interpretieren die gegen uns an den Tag gelegte Gesprächsverweigerung und die gleichzeitig gegen uns unternommenen rechtlichen Schritte jedoch als Verweigerung, sich mit unangenehmen Fragen auseinander zu setzten. Uns drängt sich der Verdacht auf, dass es nicht darum geht, eine offene Debatte zu führen, sondern die angeschlagene Reputation der documenta 15 zu retten. Es ist offensichtlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus, Boykott-Bewegung gegen Israel unter den „Kulturschaffenden“ und in der postmodernen Kunst-Szene nicht stattfinden soll. Diese Auseinandersetzung ist jedoch notwendig und falsche Rücksichtnahme wäre hier fehl am Platz.

[…].

Wir jedenfalls werden diese Debatte öffentlich führen! Außerdem gehen wir davon aus, wenn Sie dabei bleiben, dass eine offene und transparent zu führende Diskussion notwendig sei, dass am Ende auch an uns vom BgA-Kassel seitens der Stadt und den Verantwortlichen der documenta und aus Kunst und Kultur ein Gesprächsangebot gerichtet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Antwort gab es auch auf dieser Ebene nicht.

Dass genau der von allen Beteiligten angeführte postkoloniale Ansatz, vulgo „Sichtweise des globalen Südens“ oder die sogenannte Multiperspektivität problematisch ist, sollte seit den Ereignissen um die Ruhrtriennale 2020 und der darauf folgenden Debatte bekannt sein. Uns ist klar, dass es nicht die Aufgabe eines Bürgermeisters einer Provinzstadt ist, die verschiedenen Facetten der Diskussionen und Auseinandersetzungen zum zeitgenössischen Antisemitismus, zur postmodernen Ideologie im Allgemeinen und zum Postkolonialismus im Besonderen zu kennen. Vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses und spätestens nach unserer E-Mail hätte es aber gute Gründe gegeben, einfach mal beim BgA-Kassel nachzufragen, anstatt dieses dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit auszusetzen. Aber es kam noch schlimmer. Weil wir angeblich eine urheberrechtlich geschützte Zeichnung des lumbung verfremdeten und zur Illustration unseres Blogbeitrages nutzten, erreichte uns am 07.02.2022 ein Abmahnschreiben einer renommierten Anwaltskanzlei im Auftrag der documenta-gGmbH. Aus dem Text des Abmahnschreibens ging hervor, dass man wohl zuerst versuchte, uns der „unzulässigen Meinungsäußerung“ zu überführen. Zusammengefasst, man nahm uns zwar ernst, versuchte uns aber mundtot zu machen.

Obwohl dann einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (Die Zeit, NZZ, FAZ, TAZ und Die Welt und zuletzt sogar Spiegel) so etwas wie ein Problembewusstsein hatten7 und sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) sehr deutlich zu Wort meldeten8, fochten dies weder die Verantwortlichen und die Leitung der documenta 15, noch die lokale Politik oder andere Akteure der sogenannten Zivilgesellschaft in Kassel an. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und Kassel und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. Wie zum Trotz überließen sie dem Israelfeind Agus Nur Amal (Pmtoh) die Bühne.

Der offene Antisemitismus war kein Zufall

Am 18.06.2022 hängte die Gruppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, dessen Mitte eine im Stil des Stürmers gehaltenen Karikatur eines Juden zeigte. Hätte die Partei „Der Dritte Weg“ oder „Die Rechte“ ein solches Banner aufgehängt, halb Kassel hätte auf den Beinen gestanden und „No Pasaran!“ skandiert. Man hätte nicht nur die Entfernung des Plakats, sondern mit dem sattsam bekannten Slogan „Nazis raus!“ die Verbannung der Gruppe aus Kassel gefordert. Nichts dergleichen passierte anlässlich des Propaganda-Coups durch die Gruppe Taring Padi. Man nahm die fadenscheinige Entschuldigung der Gruppe hin, die im Duktus fast gleichlautend daher kam, wie man ihn von rechten Politikern vernehmen kann, wenn sie bei antisemitischen Rülpsern erwischt werden. Man suchte den Diskurs und war froh, dass zunächst mit Meron Mendel ein Experte engagiert werden konnte, der sowohl weiß, wovon er spricht, wenn er sich zum Thema Antisemitismus äußert und der gleichzeitig, sich dem von der documenta verkündeten Dogma der Multiperspektivität unterwerfend, die palästinensische Perspektive als legitim betrachtet und keinen strukturellen Zusammenhang von Postkolonialismus und Antisemitismus erkennen will.9

Allen, bis auf den Anführer der VVN-BdA Kassel, Ulrich Schneider10, war klar, dass die Karikatur des Juden auf dem indonesischen Banner antisemitisch ist. Dennoch, die einhellige Verurteilung des Banners – wohlgemerkt nicht der Gruppe – verstellt die Debatte, um die es eigentlich gehen müsste: Warum war es möglich und was hat es zu bedeuten, dass eine sich progressiv gebende Gruppe einen Juden im Stürmer-Stil als Repräsentant für das Schlechte in der Welt präsentiert?

Das jetzt abgehängte Banner der Gruppe Taring Padi wäre ohne die Judenkarikatur und ohne den Mossad-Mann genauso unbeanstandet goutiert worden, wie das am Opernplatz aufgehängte Bild, in dem die Ami-Sau unten rechts im Bild zu finden ist, oder die zahllosen Papp-Aufsteller am Hallenbad Ost, die in bisweilen rassistischer Überzeichnung, Kapitalisten und Politiker als Ratten und Schweine darstellen. In diesen vermeintlich kritischen Darstellungen von Unterdrückung und Ausbeutung sowie der Illustration des Kampfes für eine angeblich bessere Welt zeigt sich die gemeinsame Grundlage der Ideologie der umworbenen Aktivisten aus dem Süden und der saturierten Kunstschaffenden und -konsumenten in den Metropolen des sich selbst hassenden Westens.

Die Ideologie, die sich im Banner der Gruppe Taring Padi mit oder ohne Jude in der Mitte darstellt, ist geprägt von einem simplen Gut-Böse-Dualismus, der Personalisierung abstrakter Herrschaftsverhältnisse, einem zivilisationsfeindlichen Zurück-zur-Natur-Mythos und in der Verherrlichung des Landlebens. Die als Befreiung interpretierte Anbetung des Kollektivs und autochtone Tradition und die letztendlich autoritäre Verachtung des Individuums paart sich mit der auf der documenta allenthalben gefeierten Ursprünglichkeit, die sich in der politischen Aufladung der präsentierten Kollektive, Gemüsebeete, und Komposthaufen darstellt. Heraus kommt dabei ein Gebräu einer Weltanschauung, die sich durch die Feindschaft gegenüber der Moderne und ihrer Ideen von der Freiheit des Individuums, der Aufklärung, von der Befreiung aus der Knechtschaft und aus den Zwängen der Natur auszeichnet und die der Nährboden antisemitischer Weltanschauung ist. Dieses Konglomerat an Vorstellungen von einer „anderen Welt“ der ruangrupa und ihrer Protegés und Anhänger kommt als eine Weltanschauung der Antimoderne daher, die schlicht und ergreifend eine offene Flanke zum Antisemitismus hat. Und zu dieser Weltanschauung gehört das Bündnis mit den Antizionisten aus dem Nahen Osten, wie der Komposthaufen zum Gemüsebeet an der documenta-Halle. Aus diesen Gründen war die von Mendel erwogene Schnüffelei nach weiteren offen antisemitischen Exponaten fehl am Platze.

Es ist kein Wunder, dass so lupenreine Antisemiten wie Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, dass beinharte Israelfresser wie Khalid Albaih, Jumana Emil Abboud, das Party-Office und mindestens 60 weitere Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“ auf der documenta präsentiert werden11, nur dass diese es im Gegensatz zu den Indonesiern vielleicht verinnerlicht haben, dass man nach 1945 in Deutschland den Juden nicht (mehr) mit Hakennase und blutunterlaufenen Augen, ihn nicht als Gottesmörder oder blutrünstigen Militär präsentiert. Das macht man zuhause, wenn die Weltöffentlichkeit nicht hinschaut. Sie wissen, dass man es ihnen als „Israelkritik“ durchgehen lässt, wenn die einzige Demokratie im Nahen Osten als Apartheid-Regime bezeichnet wird und wenn Israel selbst dafür verantwortlich gemacht wird, wenn die Hamas Israel mit Raketen beschießt. In der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien des Bundestages konnte man nachvollziehen wie das funktioniert. Einer der beiden Sprecher der ruangrupa, Ade Darmawan, äußerte sich gemäß eines Artikels des Tagesspiegels wie folgt: „‘Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel oder gegen Juden.‘ Jüdische und israelische Künstler seien bei der documenta vertreten, würden auf eigenen Wunsch namentlich nicht genannt, da sie mit dem Konzept des Nationalstaates nicht in Verbindung gebracht werden möchten.“12 Damit dürfte er den antizionistischen Konsens der documenta 15 ausgedrückt haben, den Yazan Khalili so ausdrückte, dass er die Juden vom Zionismus emanzipieren wolle. Nach der Expertise der Elke Buhr und eines Joseph Croitoru ist das kein Antisemitismus, nach Meron Mendel Ausdruck des legitimen Widerstandes gegen die „Besatzung“ und als Äußerung mindestens von der Kunstfreiheit gedeckt. Zwar ist Antizionismus nicht das gleiche, wie Antisemitismus, aber es gibt keinen Antizionismus ohne Antisemitismus. Dieser Zusammenhang wurde nirgends deutlicher als auf der aktuellen documenta. Dafür stehen die Gruppe Taring Padi, die Personen Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, Khalid Albaih, das Party-Office u.a.

Die offensichtliche Hoffnung der Ausstellungsmacher, dass man zwar die Judenkarikatur des Taring-Padi-Banners von Experten und Juristen als antisemitisch definieren lässt, die Bildreihe Gaza-Guernica aber als schlechte Kunst, als „Israelkritik“ oder im Rahmen der Multiperspektivität als künstlerischen Ausdruck des legitimen Widerstands gegen die „Besatzung“ durchgehen lässt, dürfte also nicht ganz abseitig sein. Zudem werden die Bilder Gaza-Guernica an einem Ort präsentiert, der den traditionsbewussten Kasseler Bürger an die „Luftgangster“ erinnert, die in ihrer Vorstellung gleich der Legion Condor, die wunderschöne Stadt Kassel aus Rachsucht in Schutt und Asche legten.

Es stellt sich die Frage, ob es die Sache besser gemacht hätte, wenn man, wie es sich mittlerweile herausgestellt hat, auf den Rat Claudia Roths gehört hätte, die Arbeit der Kuratoren kritisch zu begleiten.13 Die HNA berichtete jüngst, dass auch die documenta-Generaldirektorin versuchte, einen Dialog mit dem Zentralrat der Juden mit Vertretern des „Artistic Teams“ über den Ansatz der Multiperspektivität zu initiieren. Ob man über die Naivität, die den Versuch auszeichnet, Vertreter des Zentralrats der Juden mit Israelhassern an einen Tisch zu setzen, lachen oder weinen soll, ist die eine Frage. Dass man es gleichzeitig für eine probate Maßnahme hält, die Gegner und Feinde Israels durch die Teilhabe an der Erinnerungskultur Deutschland davon abzuhalten, ihrem Hass Ausdruck zu verleihen ist die andere Frage.14 Dass darüber hinaus der Zentralrat der Juden, oder die örtliche Jüdische Gemeinde herangezogen werden, wenn es um die Frage Antisemitismus, Antizionismus, Israelhass und „Israelkritik“ geht, verdeutlicht, dass man Antisemitismus offensichtlich für ein jüdisches Problem hält.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Oberbürgermeister Christian Geselle, die hessische Ministerin Angela Dorn und die Bundesministerin Claudia Roth, sie alle wussten vom Problem und schwiegen oder taten so, als ob die Luftnummern Hauensteins, Buhrs und des Dünnbrettbohrers Croitorus und letztlich auch die Versuche der tragischen Figur Mendels die Quadratur des Kreises hinzubekommen, irgendeine Substanz gehabt hätten. Obwohl Mendel bekanntlich die palästinensische Sichtweise für legitim hält, immer wieder davor warnte, die documenta unter Generalverdacht zu stellen, musste er erfahren, dass man im WH22 mit Juden nicht spricht und dass auf seiner Diskussionsveranstaltung der Vertreter der ruangrupa (und Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“) Ade Darmawan sich frech hinstellte und bekundete: Hier bin ich.15

Geselle, Dorn und Roth sind für das Desaster, dass vor den Augen der Weltöffentlichkeit faktisch Nazi-Propaganda gegen Juden und Israel betrieben wurde, politisch verantwortlich. Als Generaldirektorin steht Frau Sabine Schormann im engeren Sinne in der Verantwortung dafür, was im Namen der documenta der Öffentlichkeit präsentiert wird. Direkt dafür verantwortlich sind die Künstlerische Leitung, also die ruangrupa und das leitend tätige „Artistic Team“. Während Schormann sich vielleicht nicht ganz der Tragweite ihrer den Antisemitismus relativierenden und verharmlosenden Ideologie von der Multiperspektivität bewusst ist, sind die Vertreterinnen des „Artistic Teams“ und Teile des documenta-Beirats, sowie der ruangrupa Überzeugungstäter. Letzteres war durch unsere Veröffentlichung seit Januar bekannt.

Wollte man das, was mit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung intendiert wurde, ernst nehmen, müssten alle hier genannten Beteiligten von ihren Funktionen entbunden werden. Die ruangrupa und alle hier genannten members of the lumbung müssten schlicht nach Hause geschickt werden.

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1 Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen: Stellungnahme von Oberbürgermeister und documenta-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Geselle, Pressemitteilung, 16.01.2022

2 Die Resolution der CDU ist am 13.01.2022 formuliert worden. Dort hieß es: „Die Stadtverordnetenversammlung distanziert sich von jeglichen antisemitischen Umtrieben, die möglicherweise im Umfeld der Organisation der documenta 15 Raum greifen. Die Organisatoren der documenta 15 mögen Stellung dazu nehmen, ob der Vorwurf zutrifft, dass Unterstützer der so genannten BDS-Bewegung und andere Boykottbefürworter gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“, im Rahmen der international beachteten documenta ausstellen und agieren. Falls das der Fall ist, verwahrt sich die Stadtverordnetenversammlung ausdrücklich und nachdrücklich gegen antisemitische Tendenzen im Rahmen des Programms der documenta 15.

3 Statement zu den Antisemitismusvorwürfen, 12.01.2022.

4 Stellungnahme zu Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen, 19.01.2022.

5 Das sagen OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022.

6 „Für die Freiheit kämpfe ich wie eine Löwin“, Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf Ruangrupa und war bei der HNA zum Gespräch, HNA, 17.03.2022.

7 Israelkritik, Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit sind keineswegs dasselbe, Die Zeit, 02.02.2022; Documenta in der Kritik. Hetzkunst, FAZ, 13.01.2022; Kassel. Antisemiten, Sexisten und falsche Indianer?, NZZ, 10.01.2022; Kunstfreiheit und Antisemitismus. Debatte um BDS und documenta 15, taz, 14.01.2022; Wie man die rote Linie klar und deutlich markiert, Die Welt, 22.01.2022. In der Folge war es vor allem Die Welt, die kontinuierlich Kritik an der documenta 15 formulierte.

8 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Die Welt, 25.05.2022.

9 Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sieht den Vorwurf des Antisemitismus gegen das Kollektiv nicht begründet. Klaren Antisemitismus würde er der NGO „auf keinen Fall“ vorwerfen, sagt er. Es gebe sicherlich Grauzonen, wo sich der legitime Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung mit antisemitischen Narrativen vermische, so Mendel. Doch habe sich die Organisation nicht besonders durch Antisemitismus hervorgetan. Palästinenser hätten sehr wohl das Recht, die Forderung zu stellen, dass Israel boykottiert werde, unterstreicht der Bildungsstättendirektor. „Diese Forderung würde ich nicht per se als antisemitisch sehen.“ Vorwürfe gegen Kasseler Kunstschau. Hat die Documenta ein Antisemitismusproblem?, Deutschland Funk, 13.01.2022.

10 Die HNA zitiert am 23.06.2022 Dr. Ulrich Schneider wie folgt: „Dagegen verteidigt der Historiker Ulrich Schneider (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) das Kollektiv und weist darauf hin, dass die ‚Figur mit einem Schweinegesicht‘ und einem Helm, auf dem Mossad steht, Teil einer Gruppe von Geheimdiensten ist. Es würde aber nur die Mossad-Figur kritisiert. Die Antisemitismusvorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.“

11 Hier sind die Unterzeichner des „Letter Against Apartheid“ und anderer Pamphlete aufgelistet, die als Künstler auf der documenta 15 präsentiert werden oder für diese tätig sind. Die Liste wurde von Markus Hartmann zusammengestellt, dem wir an dieser Stelle zu danken haben. https://bgakasselblog.files.wordpress.com/2022/07/documenta-fifteen-beteiligte-an-antisemitischen-briefen-1.pdf

12 Documenta-Skandal ist Thema im Bundestag. Kasseler Verantwortliche bleiben fern, Tagesspiegel, 06.07.2022.

13 Skandal um antisemitische Kunstwerke. Documenta-Leitung ließ Claudia Roth abblitzen, Spiegel, 27.06.2022.

14 Was Schormann unternommen hat, HNA, 09.07.2022 In der HNA wird berichtet, dass Schormann für die Künstlerische Leitung einen Besuch an den Kasseler Gedenkstätten initiierte. Den toten Juden zu gedenken, den Antizionismus jedoch mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung zu begegnen, sind typisch für die deutsche Erinnerungskultur. Nichts verdeutlicht das so, wie die Kombination der Stolpersteine vor dem Kasseler Kino Gloria indem den japanischen und palästinensischen Terroristen unter dem Motto „antiimperialistischen Solidaritätsbeziehungen“ zwischen Japan und Palästina gehuldigt wird. Die Attentäter der japanischen „Roten Armee“ und palästinensischer Terroristen ermordeten am 30.05.1972 auf dem israelischen Flughafen Lod 26 Menschen. Vgl.: Documenta ehrt Initiatoren eines Selbstmordattentats, Mena-Watch, 24.06.2022.

15 Obwohl Meron Mendel mehrfach Verständnis für Sache der Palästinenser geäußert hat, die Kritik des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel als unzutreffend zurückgewiesen hat, musste er erfahren, dass der Künstler Al Hawajri aus dem Gazastreifen nicht mit Juden reden wolle und biss mit seinem Vorhaben, sich als Experte der documenta 15 zum Zwecke der Sensibilisierung in Sachen Antisemitismus anzudienen auf Granit und . Vgl.: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen“, Meron Mendel über das Versagen der Documenta-Verantwortlichen – und den antisemitismus-Vorwurf als politisches Spiel, Tagesspiegel 24.06.2022; Eine Unverschämtheit, die keiner bemerkte, FAZ, 01.07.2022; Antisemitismus-Eklat. Meron Mendel nicht länger Berater der documenta, hessenschau, 08.07.2022.

Illustrationen: There ist no Antizionism without Antisemitism!

Der durch die im WH22 ausgestellte Bilderserie „Guernica-Gaza“ bekannt gewordene Künstler aus dem Gaza-Streifen Mohammed Al Hawajri (Eltiqa) hat hier ein Bild geschaffen, das eindeutig das antisemitische Stereoptyp vom Juden als Christusmörder bemüht und dieses antijüdische Feindbild auf die aktuelle Situation des Konflikts zwischen Israel und Palästinensern überträgt. Jesus tritt mit dem Schlüssel auf dem Rücken vor seine Mörder. Der Schlüssel steht für den Anspruch der Palästinenser auf das israelische Staatsgebiet. Das Bild ist nicht auf der documenta 15 ausgestellt, verbürgt aber die Weltanschauung des ausstellenden Künstlers, der vom Kollektiv The Question of Funding eingeladen wurde.

Der Künstler Khalid Albaih, der für das Kollektiv Trampolin House auf der documenta ausstellt, hat sich auch als israelfeindlicher Karikaturist versucht. Einige seiner Karikaturen präsentieren seine Weltsicht von der Grausamkeit und von dem mörderischen Wesen der israelischen Politik. Hier wird Palästina tranchiert.

Jumana Emil Abboud ist eine der wenigen Künstlerinnen, die als Personen und nicht als Kollektiv als member des Lumbung auf der documenta 15 kuratiert wurden. Auch sie hat den „A Letter Against Apartheid“ unterzeichnet und verbreitet durch Steuern finanziert im documenta-Handbuch und auf der Ausstellung anitiisraelische Propaganda: „Abbouds Arbeit für die documenta fifteen erweitert ihre bisherige künstlerische Praxis um das Thema Wasser. […] In den sogenannten ‚Wünschelruten-gänger*innen‘-Workshops […] ging es darum, den hier lebenden Menschen ihr Recht auf Wasser symbolisch zurückzugeben. Der Verlust von Wasserrechten erscheint hier als Bestandteil der Siedlungspolitik des israelischen Staates: Wasser wird von den Quellen in Palästina abgezapft und in nahe gelegene Neusiedlungen umgeleitet. […] Um ‚Rückgabe des Wassers‘ geht es sowohl in konkreter als auch in kultureller Hinsicht.“

Der 8. Mai und die Instrumentalisierung einer Auschwitz-Überlebenden

Eine ausgewiesene Antizionistin als Gewährsfrau einer Initiative, die Fragen aufwirft.

Der 1990 gestorbene Jude Josef Ginsburg überlebte den Holocaust. Er war nach 1945 der Meinung, Zionisten und Alliierte hätten den Holocaust in Kauf genommen und unterstellte später den Zionisten die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. Er publizierte in rechtsextremen Zeitungen, trat in solchen Zusammenhängen auf, stand Holocaustleugnern nahe und verteidigte sie öffentlich. Keiner würde auf die Idee kommen, seinen Thesen Gehör zu verleihen oder sie für historisch korrekt halten, weil er ein Überlebender des Holocaust war. Auch ist es schwer vorstellbar, dass er als Zeitzeuge zu den Themen Verfolgung und Ausrottung der Juden in Rumänien und Transnistrien und sein Leben im Untergrund eingeladen wird. Zurecht war er wegen der Ideologie der er anhing isoliert und seine Schriften zum Teil indiziert.1

„Aber meiner Meinung nach haben die Palästinenser das Recht, sich dem zu widersetzen, was die Israelis ihnen antun. Sie haben ein Recht darauf“, antwortet eine andere Holocaustüberlebende in einem Interview der The Electronic Intifada2 über die Aktionen der Hamas, Israel aus Gaza zu beschießen und den Grenzzaun zu überwinden. „Oder sollten sie einfach von den Israelis getötet werden? Sie [die Israelis, d.V.] sagen, die Hamas hätte ihre Raketen nach Israel geschossen hat und sie [seien] für den Krieg verantwortlich [..]“, führt die Holocaustüberlebende im Konjunktiv aus. Der suggeriert, dass es eigentlich anders sein müsse. Die Begründung der israelischen Regierung für die militärischen Maßnahmen gegen die Hamas seien daher auch „Ausreden Israels“, denn „wer hat denn damit angefangen? Nicht die Palästinenser. Es sind die Israelis, die die Palästinenser aus dem Land vertrieben haben.“ Das ist eine Sichtweise, die nur möglich ist, wenn alle antijüdischen Aktionen der Araber seit 1948 und sämtliche Kriege gegen Israel ignoriert werden. So kann nur jemand reden, der die antijüdische und antisemitische Weltanschauung arabischer und palästinensischer Organisationen und Staaten ausblendet, verleugnet oder sich gar zu eigen macht. Und wie zum Beweis führt die Überlebende des Holocaust, die wie Ginsburg einige Jahre in Israel lebte, in einem anderen Interview aus: „Ich dachte, dort [nach Israel, d.V.] gehöre ich hin. Dann begannen die vielen Kriege. Den ersten gegen das britische Mandat fand ich noch gerecht, aber dann kam Ben-Gurion, und es folgten nur noch Angriffskriege.“3

Und weil es ihrer Meinung nach Angriffskriege sind, kann ihre Botschaft an die jungen Palästinenser auch nur lauten: „Ich möchte, dass ihr weitermacht, und ich hoffe, dass ihr bald euer eigenes Land haben werdet.“ Gemäß ihrer Logik sind Benjamin Netanyahu wie auch der ehemalige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman Angriffskrieger und sie „sind Faschisten. Es ist eine faschistische Regierung. Ich habe keinen anderen Namen dafür.“ Gegen diese faschistische Regierung sei dann nicht nur der Widerstand der Palästinenser, sondern auch eine Bewegung wie BDS4 legitim. „Wenn es hilfreich ist, der schrecklichen [israelischen d.V.] Politik etwas entgegenzusetzen, dann bin ich dafür. Weil ich erlebt habe, was Faschismus ist.“ In dem sie die demokratische Regierung Israels als faschistisch bezeichnet und ihr Angriffskriege unterstellt, benutzt sie klassische Topoi des israelbezogenen Antisemitismus5, es verwundert daher nicht, dass sie auch Unterstützerin der antisemitischen BDS-Bewegung ist. Der DDR, die bekanntlich einen mehr oder weniger verdeckten Krieg gegen Israel führte und die Terroristen aktiv unterstützte, die auch gezielt Juden ermordeten, hält sie dagegen zum Beispiel zugute, dass es dort Jugendverbände gab, die die Jugendlichen davon abgehalten hätten, arbeitslos auf der Straße rumzuhängen und sich Rechtsextremisten anzuschließen.6

The Electronic Intifada fasst ihre Haltung so zusammen: „Bejarano kennt keine Angst, sondern erhebt weiterhin ihre Stimme. Sie nennt die israelische Regierung ‚faschistisch‘ und sagt, sie unterstütze die Bewegung für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) wenn das dabei hilft, Israels Verfolgung der Palästinenser anzufechten.“

Die hier zitierte Esther Bejanaro überlebte den Holocaust. Sie war Insassin des Vernichtungslagers Auschwitz. Sie ist ein Opfer des deutschen Nationalsozialismus und sie ist, wie sie selbst von sich sagt, gleichzeitig Antizionistin. Ihr schreckliches Schicksal und ihre Auffassung zu Israel und zum Zionismus dienen dazu, sich auf sie in der Agitation gegen Israel zu berufen, um der eigenen Argumentation den unwiderlegbaren Anschein moralischer Erhabenheit und Unangreifbarkeit zu verleihen. Indem man sie für sich sprechen lässt, benutzt man ihr Schicksal als Ersatz von stichhaltigen Argumenten. Ihr Schicksal, nicht die Inhalte ihrer Aussagen, dienen dazu, diese als unhinterfragbar zu erklären.

Aktuell ist sie das Zugpferd einer Initiative, die den 8. Mai zum Feiertag erklären möchte. Eine Initiative, die auch in Kassel mit der VVN, dem Friedensforum und dem DGB-Nordhessen einschlägige Unterstützer hat. Der HNA gegenüber beklagt sich die Vorsitzende des DGB-Nordhessen, dass der Hessische Ministerpräsident eine entsprechende Anfrage unbeantwortet ließ.7 Dabei tritt die Initiative in der Politik offene Türen ein. Zum 8. Mai sollte es einen Staatsakt geben. Die Rede des Bundespräsidenten Steinmeier macht deutlich, worin das Problem besteht, wenn am 8. Mai die Versöhnung, das Gedenken, Aufarbeitung und Aufklärung im Land der Täter beschworen werden. Neben allerlei nichtssagenden Allgemeinplätzen führt er aus: „Unser Land, von dem so viel Unheil ausgegangen war, ist über die Jahre vom Gefährder dieser internationalen Ordnung zu ihrem Förderer geworden. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Friedensordnung heute vor unseren Augen zerrinnt.“8 Diese Aussage muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass viele Menschen in Deutschland bis in die Regierungsparteien hinein die USA und Israel als Gefährder des Weltfriedens ansehen.9 Diejenigen, die wie der Iran Israel mit der Vernichtung drohen, oder die, die wie die Palästinensische Autonomiebehörde sich jeder Kompromisslösung mit Israel verweigern sind nicht gemeint, wenn der Bundespräsident davon spricht, dass eine Friedensordnung zerrinnt.

Inwiefern der 8. Mai in Deutschland als Tag der Befreiung verstanden werden kann und ob der Tag in einem Land wie Deutschland ein Feiertag sein soll: Darüber kann sicher gestritten werden.10 Angesichts der Tatsache, dass der Kern der nationalsozialistischen Ideologie der Antisemitismus war und ist, und das zentrale Anliegen des deutschen Nationalsozialismus die Vernichtung des Judentums war, wirft der Tatbestand, eine bekennende Antizionistin für die Kampagne einzuspannen, um einen nationalen Feiertag zur Erinnerung an die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus zu etablieren, ein bezeichnendes, irritierendes Licht auf die Initiatoren.

Ist der Streit um den Zionismus, in dem diejenigen, die für eine Assimilation der Juden in den demokratischen und aufgeklärten modernen Gesellschaften eintraten sowie diejenigen, die eine Aufhebung aller gesellschaftlichen Widersprüche in einer sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaft erhofften, den Anhängern einer jüdischen Nationalbewegung gegenüberstanden noch bis 1933 nachvollziehbar, so bleibt nach 1933 kein einziges rationales Argument gegen den Zionismus. Der Zionismus ist als nationale Selbstbestimmung und Selbstermächtigung des jüdischen Volkes vor dem Hintergrund einer Jahrtausende währenden und in allen Gesellschaftsformen zu beobachtenden Verfolgung der Juden und vor dem Hintergrund der Kulmination des Jahrtausende alten Judenhasses in dem mörderischen Antisemitismus der Moderne der einzig logische und einzig verbliebene Ausweg.

Der Antizionismus ist dagegen heute „ein ungesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie [oder im Namen des Antifaschismus] Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischerweise [und antifaschistischerweise] Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient.“ (Vladimir Jankélévitch) Und weil eine Holocaustüberlebende festgestellt hat, dass Israel seit Ben Gurion Angriffskriege führt und sogar einen faschistischen Ministerpräsidenten hat, kann man ohne mit der Wimper zu zucken den Palästinensern und ihrem Anliegen, die Juden ins Meer zu treiben, viel Erfolg wünschen und gleichzeitig den 8. Mai als Befreiung vom Faschismus feiern. Dass die Initiative mit Organen wie Die Zeit, die Jüdische Allgemeine, die Jungle World usw. bis weit über das übliche antizionistische Medienkartell (UZ, junge welt, Spiegel usw.) hinaus, organisatorische und publizistische Unterstützung und kritiklose Rezeption findet, ist bestürzend.

1 Zu Josef Ginsburg näheres bei Wikipedia.

2 The Electronic Intifada ist ein Online-Portal. Das am 6. Dezember 2018 veröffentlichte Interview „Why Auschwitz survivor Esther Bejanaro supports BDS“ wurde von dem Palästinakomitee Stuttgart mit „Warum Esther_Bejerano, die Auschwitz überlebte, BDS unterstützt“ überschrieben und übersetzt. Die Zitate sind dieser Übersetzung entnommen. Die Antonio Amadeu Stiftung ist der Auffassung, dass das Organ „The Electronic Intifada“ nach den Kriterien der Arbeitsdefinition Antisemitismus des European Centre on Racism and Xenophobia vielfach antisemitische Propaganda betreibt. „Bereits der Name ‚Electronic Intifada‘ suggeriert eine Unterstützung für die gezielte Tötung israelischer Zivilisten.“ (Offener Brief an Arte Deutschland, 2. August 2017)

3 Esther Bejarano in einem Interview „Alles ist nahtlos weitergegangen …“ vom 8. Januar 2016 der „Rosa-Luxemburg-Konferenz“, eine Veranstaltung der Zeitung junge welt.

4 BDS steht für Boycott, Divestment and Sanctions. Diese Bewegung gilt gemeinhin als antisemitisch. Der Deutsche Bundestag verurteilte in einem Beschluss im Mai 2019 Boykottaufrufe gegen Israel und bewertete BDS als antisemitisch. Am 9. Juli 2005 beschlossen 171 Organisationen den gemeinsamen BDS-Aufruf. Erstunterzeichner des Aufrufs ist auch das Council for the National and Islamic Forces in Palestine (PNIF). Dazu gehören fünf international als Terrororganisationen eingestufte Gruppen, die Israels Zerstörung anstreben: Hamas, Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), deren Generalkommando (PFLP-GC), Palästinensische Befreiungsfront (PLF) und Islamischer Dschihad in Palästina (PIJ). (Wikipedia) Aus Kassel unterstützten U-Boot-Organisationen der MLPD und die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft Kassel e.V. die Initiative. (vgl. dazu unseren Beitrag: Auch in Kassel #unteilbar mit Antizionisten)

5 Die sogenannte Israelkritik gilt dann als antisemitisch, „wenn sie mit antisemitischen Stereotypen aufgeladen ist, Vergleiche zum Nationalsozialismus herstellt, in denen sich die für den Antisemitismus so typische Umkehr von Tätern und Opfern spiegelt.“ (Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus, Antisemitische Einstellungen in Deutschland, S. 63, Bundesministerium des Inneren, 2018)

6 So Esther Bejarano im Interview der Rosa-Luxemburg-Gesellschaft. Zur Rolle der DDR im Kampf gegen Israel vgl. Jeffrey Herf, Unerklärte Kriege gegen Israel.

7 In einer Anzeige des Kasseler Friedensforums, des DGB-Nordhessen und der VVN-BdA am 8. Mai in der HNA heißt es: „‘Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!‘ […] Das fordert die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano.“ Im Artikel „Gegen Gewalt und Faschismus“ in der HNA am 9. Mai 2020 heißt es „Frank Skischus vom Friedensforum appelliert, Demokraten müssen sich für den bedrohten Frieden, für Abrüstung, gegen neue Formen der Gewalt […] überall in der Welt einsetzen.“ Es ist nicht bekannt, dass das Friedensforum jemals die Raketenangriffe der Hamas auf Israel, jemals die Androhung der Vernichtung Israels durch den Iran verurteilt hat.

8 Der Bundespräsident: „75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges“.

9 41 Prozent der Befragten waren in einer Umfrage des YouGov in 2019 der Aufassung, Trump sei die größte Gefahr für den Weltfrieden. 17 Prozent entschieden sich für Kim, jeweils 8 Prozent für Putin und Chamenei sowie 7 Prozent für Xi. (dw.com, 26.12.2019) 2003 sahen gemäß einer Umfrage 59 Prozent der Befragten Europäer in Israel noch vor den USA eine Gefahr für den Weltfrieden. (Welt.de, 4.11.2003) Im Zusammenhang des Gaza-Konfliktes im Jahr 2014 war der Anstieg bei der Schuldzuweisung auffallend, in der sich die typische Täter-Opfer-Umkehr wiederfindet. Rund zehn Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: „Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig.“ Der Anteil der Zustimmung stieg im September 2014 auf 18 Prozent. (Unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus, S. 65)

10 Michael Wolffsohn plädiert in einem Artikel des Magazins The European für eine historische Sichtweise auf den 8. Mai und schreibt: Der 8. Mai ist aus der Sicht der überwiegenden Mehrheit der Deutschen ein Tag der Befreiung. „Er war, das weiß man heute und wusste es damals nicht, der Anfang deutscher Freiheit und Demokratie – im deutschen Westen“ und fügt hinzu: „Aus damaliger Sicht war der 8. Mai 1945 für die meisten gewiss keineswegs nur Befreiung. Sehr wohl und eindeutig befreit fühlten sich die NS-Opfer: die wenigen überlebenden Juden in Europa und die noch geringere Zahl der überlebenden deutschen Juden. Befreit fühlten sich diejenigen Deutschen, die wirklich Widerstand gegen die NS-Verbrecher geleistet hatten. Hand aufs Herz: Es waren wenige, zu wenige.“ (wolffsohn.de, War der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung?)

75 Jahre nach der Befreiung – Die USA sind Schuld!

2020 fällt der Ostermarsch aus. „Corona sei dank!“, könnte man meinen, würde sich nicht jede Häme – angesichts der von dieser Seuche bedrohten Menschen und angesichts der drohenden Verwerfungen in Gesellschaft, Politik und Ökonomie – verbieten! Zwei Daten fallen in die Zeit des jährlich statt findenden Marsches, der sich gerne geschichtsbewusst gebenden „Friedensaktivisten“. Am 4. April 1945 beendete die US-Armee in Kassel die Naziherrschaft. Einige Tage später, am 11. April 1945, erreichten Einheiten der US-Armee Buchenwald. Angesichts der heranrückenden US-Truppen floh das Wachpersonal der SS und das Widerstandskomitee im Lager konnte das Lagertor besetzen, durch das einige Stunden später die US-Armee das Lager betrat.1 So widersprüchlich die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik und so verabscheuungswürdig das gesellschaftliche Klima der postnazistischen Gesellschaft in Teilen waren: Der Sieg über Nazideutschland und die Besatzung Westdeutschlands durch die Westalliierten, allen voran die USA, bescherte und sicherte Westdeutschland eine demokratische und freie Gesellschaft, in der es auch dazu gehört, dass Politik und gesellschaftliche Verfasstheit Gegenstand der Kritik sein kann. Dafür stehen die USA bis heute.

Gleichwohl lassen es sich die Ostermarschierer nicht nehmen, sich gegen die seit 1969 zum Lieblingsfeind des vermeintlich anderen Deutschlands avancierten USA zu positionieren. Sie appellieren darüber hinaus an die Bundesregierung, sich gegen die Politik der USA unter Trump zu stellen. Die sich gern nonkonformistisch gebenden Marschierer machen sich so zu Erfüllungsgehilfen der immer wieder in Gegensatz zu den USA stehenden Außenpolitik Deutschlands. Sie nennen einzig die von Präsident Trump geführte USA als Schuldigen an mehr Kriegen, scheiternden Staaten, Terrorismus, Umweltzerstörung und Flüchtlingselend. Auch wenn die Außenpolitik der USA durchaus Fragen aufwirft – ob das die Verhandlungspolitik mit den Taliban, der Rückzug aus Syrien oder die seltsame Haltung gegenüber dem zum Buddy erklärten Kim Yong-un ist: Wer die USA für alle Übel der Welt verantwortlich macht, unterscheidet sich nur wenig von denen, für die die USA der große Satan ist und der übersieht, dass es zu den Grundprinzipien der US-amerikanischen Gesellschaft gehört, die eigene Politik immer wieder in Frage zu stellen.

Der Aufruf zum Ostermarsch 2020 in Kassel

Der Iran, der erwiesenermaßen den Terrorismus fördert, verantwortlich für einige failed-states ist, Israel mit der Vernichtung droht und im eigenen Land eine Terrorherrschaft führt, findet in den Ostermarschierern dagegen sichere Verbündete. So ist die Forderung nach dem Erhalt und der Umsetzung des Atomvertrages mit dem Iran einer der Punkte, der von den Ostermarschierern explizit genannt wird. Dieser Vertrag ermöglichte es dem Iran jedoch ohne Einschränkungen, Trägerwaffen für Atomsprengköpfe weiter zu entwickeln. Dieser Vertrag trug nicht dazu bei, den Iran dazu zu zwingen, das Atomprogramm etwa komplett einzustellen, sondern erlaubte es ihm, dieses auf einem Level fortzuführen, der jederzeit die Wiederaufnahme der Entwicklung von Atomwaffen ermöglichte. Nicht zuletzt thematisierte und tangierte dieser Vertrag nie die Förderung der Hisbollah, die die weltweit größte und finanzstärkste antisemitische Terrorgruppe und Drogenhändlerbande ist.

Zu den Unterstützern des Ostermarsches gehören die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft Kassel, ihre Vorsitzende Brigitte Domes und die Palästinensische Gemeinde. Ihre Gefolgschaft präsentiert sich bei jedem Ostermarsch prominent ganz oben auf der der Rathaustreppe mit dem Transparent „Schluss mit Vertreibung und Besatzung“ und der palästinensischen Nationalfahne. Beide Organisationen gehören direkt oder indirekt zu den Unterstützern der antisemitischen BDS-Bewegung und zum Sympathisantenumfeld der terroristischen Gruppen PFLP oder DFLP.2 Auch wenn die Agenda des Israel-Hasses aktuell nicht im Forderungskatalog der Marschierer auftaucht, so wird allein durch diese Unterstützer deutlich, woher der Wind weht, wenn der Ostermarsch zu „Verständigung, Abrüstung und Frieden!“ bläst. Über das notorische Friedensforum Kassel, der wichtigste Initiator des Marsches, muss man hier keine weiteren Worte verlieren.

Zu den Unterstützern des Ostermarsches gehört auch die VVN-BdA: als Organisation und personell repräsentiert durch ihren Lokalmatadoren, Herrn Dr. Ulrich Schneider. Durch die Kollaboration mit den Feinden Israels und mit Antiamerikanern aller Schattierungen dementieren sie ihren vermeintlichen Anspruch, den sie wie eine Monstranz vor sich hertragen und an den sie medienwirksam auch in Kassel erinnern, dem Schwur Buchenwalds zu folgen.3

1 Der Verlauf der Befreiung Buchenwalds wird hier genau dargestellt: Chronologie der Befreiung des KZ Buchenwald im April 1945. (https://www.buchenwald.de/399/)

2 Näheres zu beiden Gruppen in unserem Beitrag „Antisemiten und Völkische auf Kassels Sommer- und Straßenfesten“ aus.

3 Die VVN-BdA führt seit ihrer Gründung einen Kampf gegen alte und neue Nazis. Dieses Engagement soll angesichts der deutschen Geschichte und der terroristischen Umtriebe von Nazis hier nicht kleingeredet werden. Auch der von uns immer wieder kritisierte Dr. Schneider war Ziel eines Anschlages, der mutmaßlich von Nazis begangen wurde. Die immer wieder aufgedeckten Schlampereien und Fragwürdigkeiten in der Verfolgung rechtsextremer Umtriebe durch die Organe der Exekutive verweisen darauf, dass Initiativen die sich dem Kampf gegen Nazis widmen notwendig sind. In Paraphrasierung eines Ausspruchs eines berühmten Sozialwissenschaftlers sei hier jedoch folgendes vermerkt: „Wer aber vom Antisemitismus und Islamismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“. Zur Kritik der Kasseler VVN verweisen wir auf unsere Beiträge „Gedenken in Kassel – VVN und andere Lügen“ und „Die VhS Region Kassel gedenkt mit der Bewegung des Kasseler Antizionismus dem Beginn des 2. Weltkrieges“.

Gedenken in Kassel – VVN und andere Lügen

In Kassel fand am 27. Januar 2020, wie in den letzten Jahren auch, eine Gedenkveranstaltung der Stadt Kassel statt. Die Stadt Kassel hat in manchen Punkten dazugelernt. Dies fand nicht nur Zustimmung. Ein Vertreter der Partei „Die Linke“ stieß sich daran, dass der Oberbürgermeister Kassels Christian Geselle angesichts des antisemitischen Terroranschlags eines Nazis in Halle die Fahne Israels hisste. Die Fahne der VVN wurde jetzt auf einer kleinen Gedenkveranstaltung präsentiert, zu der die Gruppe „Offenes Antifa Treffen“ und die „VVN Kreisvereinigung Kassel“ lud. An dieser Fahne nahm bisher keiner Anstoß.

Auf dem Veranstaltungsplakat hieß es, den „Schwur von Buchenwald“ zitierend: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Liest man den Aufruf, so findet man dort folgende Ausführungen: „Wir führten in vielen Sprachen den gleichen Kampf […] und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen! […]“ Der Schwur sei hier in Gänze dokumentiert.

Heute wehen im Gaza Hakenkreuzfahnen, präsentieren Kämpfer der Hisbollah und der PFLP den Hitlergruß, sind „Mein Kampf“ und die „Protokolle der Weisen von Zion“ Bestseller in den palästinensischen Autonomiegebieten. Geführt wird von dort ein Krieg gegen die Bevölkerung Israels – gegen Juden. Der Kampf zur Vernichtung des Geist des Nazismus – der Antisemitismus – ist noch nicht zu Ende, er wird heute von der IDF geführt.

Auf der Veranstaltung selbst wurde ein Flugblatt der Veranstalter verbreitet. Dort hieß es „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“. Einer der Redner war Dr. Ulrich Schneider, Vorsitzender der VVN in Kassel, Autor der Zeitung der DKP „Unsere Zeit“ (UZ)1 und jemand, der als Gast auf Parteitagen eben dieser Partei auch schon mal Grußworte entrichtet.2 Was man von dieser Partei zu halten hat, sollte spätestens seit der detaillierten Untersuchung Jeffrey Herfs über den Krieg der DDR gegen Israel klar sein.3

Selbstverständlich ist mit „Nie wieder Krieg!“ nicht der gegen Israel gemeint, das kann auf jedem von Ulrich Schneider (und der VVN-Kassel) unterzeichneten Ostermarsch-Aufruf nachgelesen werden. Dass dieser Satz der absolute falsche Schluss aus der Erfahrung ist, dass die alle menschlichen Werte negierende deutsche Volksgemeinschaft nur mit Gewalt niederzuwerfen war, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterungen und es sei sich daher auf die Bemerkung beschränkt: Dieser Satz ist, angesichts der Tatsache, dass es die bewaffnete Rote Armee war, die Auschwitz befreite, mindestens geschichtsvergessen.

An anderer Stelle des Flugblatts heißt es: „Wenige leisteten Widerstand. Auch ihre Geschichte muss erzählt werden.“ – Als ob dies nicht spätestens seit der Rede Weizsäckers zum 8. Mai 1945 häufig genug passiert. Aber gut, es spricht nichts dagegen sich diesem Thema zu widmen. Als Beispiel des Widerstandes wird im Flugblatt die „Rüstungssabotage der Kommunist*innen in den Kasseler Rüstungsbetrieben“ angeführt. Das ist ein schlechtes Beispiel, wenn es nicht schlicht falsch ist. Der Wissenschaftler Prof. Jörg Kammler resümierte über den Widerstand in Nordhessen: „Von Widerstand wird in den Berichten jener Kommunisten, die in den Kriegsjahren in Kassel lebten, jedoch nicht gesprochen. Der Zusammenhalt unter engen Gesinnungsgenossen war ein eher defensives Schutzbündnis, sowie das Einstehen für schikanierte und misshandelte ausländische Zwangsarbeiter […] In ungleich höherem Maße als bei den deutschen Arbeitskräften kam es unter den in Kassel arbeitenden ausländischen Arbeitern und Kriegsgefangenen zu Akten der Verweigerung und des Widerstandes. […] Verweigerung und Aufbegehren in der Kasseler Arbeiterschaft während des Krieges [war] in erster Linie die Sache der ausländischen Arbeiter.“4

Auf dem Flugblatt wird einen Satz später noch die „Selbstbefreiung des Konzentrationslagers Buchenwald“ angeführt. Der Mythos von der Selbstbefreiung Buchenwalds entstammt der Propaganda der SED und hat wenig mit den historischen Vorgängen der Befreiung Buchenwalds zu tun. Buchenwald wurde von US-Truppen befreit. Die Häftlinge Buchenwalds übernahmen, nachdem der Großteil der SS-Truppen vor den herannahenden US-Truppen Reißaus nahmen und einige Stunden bevor die US-Truppen das Lager erreichten, die Kontrolle über Teile des Lagers und über das Lagertor.5 Aufstände oder bewaffnete Ausbrüche gab es in Sobibor, Treblinka, Mauthausen und in Auschwitz.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass an der Veranstaltung einige anwesend und wohl auch Veranstalter waren, die darauf pochten, dass „Nie wieder!“ heißen muss für das Existenzrecht des jüdischen Staates einzutreten, „der fähig ist, sich selbst zu verteidigen.“ Das ist richtig, es bleibt die Frage, warum nicht verhindert wurde, diesen schlechten Text zu schreiben und Dr. Schneider reden zu lassen.

Die Kasseler VVN ist auf Gedenkveranstaltungen zum 27. Januar und 9. November nichts anderes als ein Affront. Mit der Kasseler VVN gemeinsam gegen Antisemitismus einzutreten kann daher nicht richtig sein.

3 „Die überlebenden Kommunisten im Osten Deutschlands hatten nie wirklich das Wesen und die Ursprünge des Judenhasses begriffen. Ihre lange währende Feindseligkeit gegenüber Israel steckte voller Klischees und Stereotypen über die Boshaftigkeit des jüdischen Staates, seine Arglist und sein enormes konspiratives Potenzial – allesamt vertraute antisemitische Motive.“ (S. 483) Herf beschreibt nicht nur die ideologische Feindschaft sondern stellt ausführlich die auch von der DDR massiv betriebene Bewaffnung von Israels Feinden dar, Staaten die Israel liquidieren wollten und arabische Terroristen, denen es oft nur darum ging, Juden zu töten. In: Jeffry Herf, Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke. 1967 – 1989, Göttingen 2019.

4 Jörg Kammler: Widerstand und Verfolgung – illegale Arbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime, in: Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933 – 1945, Bd. 2, Kassel 1987, S. 352ff

5 Zur „Selbstbefreiung Buchenwalds“ vgl.: Chronologie der Befreiung es KZ Buchenwalds im April 1945.