Der Ankläger und sein Mijatovic

Ein Politiker aus der deutschen Provinz wünscht den israelischen Ministerpräsidenten auf die Anklagebank

Die HNA veröffentlichte am 22. Mai 2024 ein Interview mit dem Abgeordneten der Partei Bündnis 90 / Die Grünen Boris Mijatovic. Der Journalist Matthias Lohr fragte ihn: „Ist es Ihrer Ansicht nach richtig, dass auch ein Antrag auf Haftbefehl gegen Premier Netanjahu gestellt wurde?“ Darauf antwortete der Abgeordnete aus Kassel: „Ja, auf jeden Fall.“

Um die so apodiktische wie abenteuerliche und tiefblickende Antwort des Bundestagsabgeordneten aus Kassel einordnen zu können, sei hier ein Rückblick auf den Krieg gegen Israel erlaubt.

HNA, 22.05.2024

Nach dem Waffenstillstand ist vor dem Waffenstillstand

Am 12. September 2005 verließ der seinerzeit letzte israelische Militärkonvoi den Gazastreifen. Zuvor wurde der von ca. 8.000 Juden bewohnte Siedlungskomplex Gush Katif und einige andere kleinere Ansiedlungen im Gaza zwangsweise geräumt. Seit 2005 besteht also keine Besatzung in Gaza und der von Palästinensern fortan selbst verwaltete Küstenstreifen war, wie fast alle arabischen Staaten „judenfrei“. 2007 übernahm die Hamas im Gaza im Zuge einer zuvor gewonnenen Wahl die Macht. Die Hamas formuliert in ihrer Charta das Ziel, Israel zu vernichten und erklärt Juden für „vogelfrei“. Israel erklärte angesichts der Programmatik der Hamas und der schon vor 2005 immer wieder durchgeführten Terroranschläge auf israelische Bürger den Gaza zum feindlichen Gebiet. Der Gaza wurde abgeriegelt und die Grenzübergänge kontrolliert. Trotzdem wurde der Gaza über Israel mit Wasser, Strom, Lebensmittel und zahlreichen anderen Gütern beliefert.

Die Hamas und die mit ihr verbündeten Milizen, anfangs auch noch die dort operierende Verbände der Fatah, begannen sofort nach dem Abzug der israelischen Truppen mit Terrorangriffen auf Israelis, sowie mit dem wahllosen Raketen- und Mörserbeschuss auf den jüdischen Staat. 2008 versuchte Israel das erste Mal mit einer militärischen Intervention, die militärische Infrastruktur und Kommandozentralen der Hamas und anderer vom Gaza aus operierender Verbände zu zerstören. Es folgte ein Waffenstillstand am 19. Juni 2008. Es sollte nicht der letzte gewesen sein. Am 17. Januar 2009, 22. November 2012, 26. August 2014 und am 21. Mai 2021 wurden Waffenstillstandsvereinbarungen getroffen, sie alle wurden von der Hamas gebrochen. Nach jedem Waffenstillstand beschossen Einheiten der Hamas und ihrer Verbündeten Israel mit Raketen und Mörsergranaten, ließen Brandballons über die Grenze treiben und Kommandoeinheiten drangen nach Israel ein und ermordeten oder entführten Israelis.

Der zuletzt gültige Waffenstillstand wurde am 7. Oktober 2023 von der Hamas gebrochen. Es lag nicht am Willen der Hamas, dass der Vernichtungsfeldzug der Einsatzgruppen der Hamas und des Islamic Jihad, der von zahlreichen Zivilisten begleitet wurde, auf die Grenzregion zum Gaza beschränkt blieb, sondern an der fehlenden militärischen Potenz der bewaffneten Einheiten aus dem Gaza sowie an der Wehrhaftigkeit des jüdischen Staates.

Die Hamas führt einen totalen Krieg

Israel hat es also seit 2005 mit einem schwerbewaffneten Feind zu tun, mit dem alle Vereinbarungen zur Beendigung der zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen nur die Folge hatten, dass sie wenig später wieder gebrochen wurden. Trotz zahlloser Konferenzen zum wirtschaftlichen Aufbau des Gaza, der Bereitschaft vieler Nationen und Organisationen diesen umfassend zu finanzieren und dem ausgesprochenen Willen Israels diesen Prozess zu unterstützen, betrieb die Hamas erwiesener Maßen vor allem den Ausbau einer militärischen Infrastruktur, um Israel anzugreifen. Militärische Kommandozentralen, Abschussrampen, Versorgungs- und Angriffstunnel wurden in den dicht besiedelten Städten platziert, nicht selten in unmittelbarer Nähe von Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten und Moscheen. Zusammengefasst: Die Hamas verfolgt seit ihrer Machtübernahme das, was man einen totalen Krieg bezeichnet. Unter totalem Krieg versteht man die bewusste Einbeziehung der Zivilbevölkerung in die Kampfhandlungen. Die ideologische Grundlage dieses totalen Krieges ist der Antisemitismus. Mit beidem hält die Hamas nicht hinter dem Berg. Die Zustimmung zur Hamas ist unter den Palästinensern hoch. Diese Zustimmung hat auch nach dem 7. Oktober nicht abgenommen, im Gegenteil.1

Erst nach dem 7. Oktober 2023 hat sich die Erkenntnis in Israel durchgesetzt, dass es nicht nur keine Verhandlungsoption mit der Hamas gibt, sondern dass auch keine Hoffnung auf eine mit einer wirtschaftlicher Prosperität verbundenen Zivilisierung der Verhältnisse im Gaza zu erwarten sind, solange die Hamas dort agieren kann. Es liegt auf der Hand, dass eine friedliche und vor allem sichere Zukunft in der Region nur nach der völligen Entwaffnung, Entmachtung und Eliminierung dieser Organisation möglich sein wird. Es verwundert erstens, warum es bis 2023 gedauert, bis man sich darüber in Israel klar wurde, zweitens warum Israel das einzige Land ist, das diese Schlussfolgerung gezogen hat und drittens, warum in einer Täter-Opfer-Umkehr zunehmend Israel vorgeworfen wird, eine unangemessene Kriegsführung gegen die Hamas zu betreiben. Vielleicht liegt das daran, dass bei Vielen, die in Deutschland seit Jahrzehnten in Frieden leben, die Konsequenz aus der bitteren Erkenntnis, das von der Hamas ein totaler Krieg zur Vernichtung des jüdischen Staates geführt wird, gescheut wird. Die Konsequenz nämlich, dass ein Krieg gegen einen solchen Todfeind zu führen, eine so notwendige wie auch fürchterliche Angelegenheit ist. Insbesondere in Deutschland ist die Aversion, gegen die Vernichtungskrieger und ihre Volksgemeinschaft aus dem Gaza mit allen Mitteln vorzugehen auch unschwer als ein Nachhall der deutschen Identifikation als Opfer militärischer Maßnahmen alliierter Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg zu erkennen. Bei Vielen dürfte aber auch das Ressentiment gegen den Juden, resp. gegen den jüdischen Staat eine Rolle spielen. Das Ressentiment vom rachsüchtigen, vom unruhestiftenden und vom kindermordenden Juden.

Die Scheuklappen eines Abgeordneten

Der Abgeordnete Mijatovic befürwortet also „juristische“ Maßnahmen des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (IStGH) gegen die Regierungsverantwortlichen des jüdischen Staates, der gegen einen antisemitischen Feind kämpft, welcher einen totalen Krieg führt und der einen Vernichtungskrieg gegen Juden führen will. Dem Kasseler Bundestagsabgeordneten dürfte zumindest die Geschichte der Operation Deliberate Force bekannt sein, als NATO-Streitkräfte gegen serbische Einheiten vorgingen, die das schlimmste Massaker an Kriegsgefangenen und Zivilisten nach dem 2. Weltkrieg zu verantworten hatten. Die serbischen Einheiten versteckten im Gegensatz zur Hamas ihre militärische Infrastruktur aber nicht in den Städten und positionierten ihre Kanonen und Raketenwerfer nicht in Schulen, Krankenhäusern und Kirchen, die Einheiten mussten von den damals eingesetzten NATO-Truppen nicht bis in die Städte Banja Luca, Novi Grad o.a. verfolgt werden und dort aus der Kanalisation gezerrt werden. Kurz: so verbrecherisch die serbischen Einheiten Krieg führten, sie führten keinen totalen Krieg. Nach ein paar wirksamen Luftschlägen gaben die serbischen Einheiten klein bei und es wurde der Dayton-Vertrag geschlossen, der bis heute Bestand hat. In der Folge kam es zu den Kriegsverbrecherprozessen nicht gegen die NATO, sondern gegen einige, für die Kriegsverbrechen verantwortlichen serbischen Politiker und Militärs.

Seit 2005 muss Israel den Krieg gegen die terroristische und antisemitische Hamas alleine führen. Es gibt keine Verbündeten, die das israelische Militär dabei unterstützten, die schlimmsten Pogromisten und Antisemiten seit 1945 zu verfolgen und auszuschalten, es gibt keinen Staat, der die Hamas zur bedingungslosen Kapitulation auffordert und diese als Voraussetzung für die Versorgung der notleidenden Bevölkerung macht. Im Kampf gegen den mörderischen Antisemitismus steht Israel weitgehend alleine da. Die Staaten der zivilisierten Welt schauen zu und machen sich nicht die Hände schmutzig, sondern erheben in regelmäßigen Abständen in moralinsaurer Absicht die Stimme, bei der Verfolgung der antisemitischen Mörderbanden die Verhältnismäßigkeit wahren zu lassen.

Mit den Wölfen heulen

Die beantragten strafrechtlichen Maßnahmen gegen die israelischen Politiker sind Ausdruck dafür, dass man der Propaganda der Hamas und ihrer weltweit agierenden Verbündeten Glauben schenkt, die seit dem 7. Oktober ohne Pause Israel vorwerfen, einen Genozid an den Palästinensern zu verüben. Ganz so plump kommt Mijatovic natürlich nicht daher, er versteckt sich hinter den Ankläger Karim Khan, dessen zentrale Aussage er einfach nachplappert. Israel „belagere den Gaza“ und habe „Hunger als Waffe“ eingesetzt. Der Ankläger Karim Khan gehört nicht nur der Organisation der Ahmadiyya an, sondern ist Schwiegersohn des vormaligen Kalifen dieser Organisation. Die Ahmadiyya ist eine zwar dissidente, aber totalitäre, antisemitische und israelfeindliche islamische Organisation.2 Der Kasseler Politiker reproduziert unwidersprochen das von einem Angehörigen einer totalitären und antisemitischen Organisation gestreute Gerücht über Israel, es würde „massive Hinweise auf Kriegsverbrechen“ geben und er schließt großsprecherisch, Israel habe die Warnungen des Chefanklägers Karim Khan „offensichtlich ignoriert.“ Ob es ihm einen inneren Reichsparteitag bereiten wird, wenn die beiden angeklagten Politiker Israels Benjamin Netanyahu und Joav Gallant aufgrund eines Haftbefehls in Deutschland verhaftet werden, wissen wir nicht. Was wir jedoch vernommen haben ist, dass die absurden und jede Realität verkehrenden Vorwürfe und Anordnungen der suprantationalen Gerichtsbarkeit, hier des IStGH aber auch die des Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel ihm keine Entgegnung wert sind.

Mijatovic ist Abgeordneter einer Regierungspartei. Auf einer Pressekonferenz wand sich der Regierungssprecher Steffen Hebestreit, ob Deutschland einen etwaig ausgesprochenen Haftbefehl gegen israelischen Politiker vollstrecke lange wie ein Aal. Zum Schluss antwortete er kurz und trocken: „Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“ Ganz so bekam es der Grüne aus Kassel nicht hin. Mijatovic antwortete aufgeregt und bestimmt auf die Frage des Kasseler Journalisten: „Sollten sie [Netanjahu und Gallant] nach Deutschland reisen, müssten sie festgenommen werden. Das will ich mir gar nicht vorstellen.“

Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Mijatovic den „Schutz der Mitarbeitenden von humanitären Hilfsorganisationen“ verlangt. Obwohl Israel einen Krieg mit einer Terrororganisationen führen muss, die erheblichen Rückhalt in der Bevölkerung hat, lässt Israel die Lieferung von Hilfs- und Versorgungsgütern in den Gaza über die Grenzübergänge zu. Das führt in Israel auch zu Protest, der auch schon mal handgreiflich wurde, die Lieferungen in das feindliche Gebiet aber nicht unterbinden konnte. Da die wichtigste Hilfsorganisation, die UNRWA, jedoch mit der Hamas fest verbunden ist und deren Räumlichkeiten auch als Gefängnis und Folterkeller für die Geiseln dienen3, verbietet es sich, pauschal für einen Schutz von Hilfsorganisationen zu sprechen oder gar die UNRWA, wie jüngst von der Bundesregierung verkündet, weiterhin umfangreich mit Geldern zu unterstützen.

Wir sind entsetzt darüber, dass sich ein Kasseler Politiker und „Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe“4 an der „Heuchel-Orgie“ des Chefanklägers beteiligt. „Der Straf- bzw. Haftantrag gegen Israels demokratisch legitimierten Premier Netanjahu sowie seinen Verteidigungsminister Galant […] stellt jedwede Ethik von den Füßen auf den Kopf. Das ist eine Rechtsvorstellung ohne jeden Begriff von Moral.“5 Dass auch ein Abgeordneter einer Regierungspartei, der seit Jahrzehnten manifesten antizionistischen Einheitsfront der „internationalen Gemeinschaft“ und in der UN, die sowohl im internationalen Recht, in deren Institutionen als auch in der zweifelhaften Rolle der Hilfsorganisationen eine Entsprechung findet, nicht entgegentritt, sondern betont, einem mehr als bedenklichen Rechtsverständnis zu folgen, ist besorgniserregend und ein Dementi dessen, was man auch in Kassel auf Sonntagsreden als Staatsräson, für Israels Sicherheit einzutreten und als Verantwortung vor der Geschichte bezeichnet.

  1. Die Zustimmung zur Hamas ist in jüngster Zeit zu den Spitzenwerten nach dem Oktober zwar gesunken , nach wie vor aber hoch. Siehe dazu: Palästinensische Unterstützung für Hamas laut Umfrage gesunken, Die Welt, 21.03.2024. ↩︎
  2. Sigrid Hermann, Der ICC-Chefankläger und die Ahmadiyya-Gemeinde, Islamismus und Gesellschaft, 27.05.2024; zur Ahmadiyya siehe auch: Liebe für alle, nicht für Juden, Chajms Sicht, 30.10.2021. ↩︎
  3. Leiche von Shani Louk befand sich unter UNRWA-Gebäude, Israelnetz, 24.05.2024. ↩︎
  4. Homepage Boris Mijatovic. ↩︎
  5. Michael Wolffsohn, Was für eine Heuchel-Orgie! Mit Netanjahu-Antrag schafft sich das Recht selbst ab, Focus, 21.05.2024. ↩︎

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