4. April 1945: US-Truppen beenden die Naziherrschaft in Kassel

Am 4. April 1945 marschierten US-Truppen in Kassel ein und beendeten die Naziherrschaft in dieser Stadt und setzten der deutschen Volksgemeinschaft ein Ende.

Die Truppen der Alliierten stießen bis in die letzten Tage auf Widerstand deutscher Einheiten, auch im Raum um Kassel. Bis in die letzten Tage produzierten Kasseler Rüstungskonzerne Panzer, die gegen die vorrückenden Alliierten eingesetzt wurden. Das lag daran, dass dem Nazi-Regime von der deutschen Bevölkerung kein entscheidender Widerstand entgegengesetzt wurde und dass dieses Regime bis in die letzten Wochen hinein, von einem großen Teil der deutschen Bevölkerung getragen wurde. So war es auch möglich, dass in den letzten Tagen der Naziherrschaft sowohl im Kasseler Gefängnis Wehlheiden politische Gegner und Zwangsarbeiter in Wilhelmshöhe ermordet wurden. (Hierzu im Überblick: Orte_der_Erinnerung)

Die Kasseler Geschichte ist dabei für Deutschland typisch. Kurz vor Kriegsbeginn – vom 3.- 5. Juni 1939 – kommt es in Kassel zu einem Massenspektakel. Über 200.000 ehemalige Soldaten und Angehörige der Deutschen Wehrmacht kommen, um das militärische Spektakel des „Großdeutschen Reichskriegertags 1939“ zu erleben.

In Kassel gab es eine Tradition des Nationalismus, Militarismus, Autoritarismus und des Revanchismus. Rechte Parteien, wie die DNVP und die DVP, Krieger- und Vaterländische Vereine und der Stahlhelm beherrschten das politische Klima mit Massenaufmärschen, Gedenktagen und Versammlungen. Die NSDAP griff das Gedankengut dieser Gruppierungen in verschärfter und zugespitzter Form auf und fand daher auch in Kassel schnell eine breite Zustimmung. In einigen Stadtteilen erhielt sie weit über 50 % der abgegebenen Stimmen. 1932 wurde die NSDAP mit knapp unter 50% der Wählerstimmen dann die stärkste Partei in Kassel.

Kassel war die Stadt Roland Freislers. Freisler war ein hoher Funktionär im NS-Staat, an der Wannseekonferenz beteiligt und dann berüchtigter Präsident des Volksgerichtshofes. Er war verantwortlich für etliche Todesurteile (z.B. gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“). Freislers Karriere begann in Kassel als gewählter Stadtverordneter.

In Nordhessen war Antisemitismus en vogue. Bei den Reichstagswahlen 1907 und 1912 setzte sich der Kasseler Kandidat der „Wirtschaftspartei“, ein bekennender Antisemit, durch. Die Hälfte der 1907 und 1911 in den deutschen Reichstag gewählten Vertreter der Antisemiten, kam aus dem Kasseler Regierungsbezirk. Schon seit Mitte der zwanziger Jahre kam es in Kassel immer wieder zu antisemitischen Übergriffen gegen Juden. Der offene Terror gegen die Kasseler Juden begann mit der Machtergreifung des Nationalsozialismus 1933. Der erste Höhepunkt der Verfolgung fand mit dem Pogrom am 07. November 1938 in Kassel statt, zwei Tage vor der reichsweiten Reichspogromnacht. 1941 setzte die Deportation der Kassler Juden nach den Osten ein, wo sie umgehend ermordet wurden. Eine organisierte Form, ihre jüdischen Nachbarn vor der Ermordung zu schützen, gab es wie in ganz Deutschland auch in Kassel nicht. Vielmehr profitierten auch in Kassel viele vom „Verschwinden“ ihrer jüdischen Nachbarn.

Kassel war eine wichtige Stadt der Rüstung. Bis in die letzten Kriegstage wurden in den Kasseler Firmen Rüstungsgüter produziert, die die Wehrmacht für den Angriffs- und Vernichtungskrieg ausrüsteten. Panzer und Lastwagen durch die Firmen Henschel, Credé & Co. und Wegmann sowie Flugzeuge, Flugzeugmotoren und Flugbomben durch die Firmen Henschel, Fieseler und Junkers. Doch nicht nur das Kapital, sondern das auch deutsche Proletariat produzierte weitgehend reibungslos in den Fabriken die erforderlichen Waffen, sofern es nicht als Vernichtungskrieger seinem Handwerk in den Reihen der Wehrmacht nachging. Verweigerung, Sabotage und Aufbegehren leisteten trotz massiven Terrors der Gestapo in erster Linie die ausländischen Zwangsarbeiter in den Kasseler Fabriken.

Kassel war Garnisonsstadt der Wehrmacht. Mehrere Wehrmachtseinheiten waren in den verschiedenen Kasernen Kassels stationiert. Sie wurden gegen Polen eingesetzt. Von dort wiederkehrend, wurden sie von mehreren Tausend Bürgern in Kassel feierlich begrüßt. Danach wurden sie in Frankreich und dann im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion eingesetzt. Die Blutspur dieser Einheiten reichte bis kurz vor Moskau, bis sie dann in Stalingrad von der Roten Armee vernichtet wurden. Nur etwa 100 Nordhessen machten den Vernichtungskrieg nicht mit, desertierten oder liefen über.

Wie überall in Deutschland leisteten einige mutige Nordhessen (Kommunisten, einzelne Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Humanisten, Christen, Anarchisten u.a.) Widerstand gegen das NS-Regime. Es wurden Flugblätter und Zeitungen verteilt, Plakate geklebt und Parolen gegen die Nazipolitik an die Wände gemalt. Die gesellschaftliche Isolierung des Widerstandes, Zerwürfnisse untereinander, aber auch ihre häufig fatalen Fehleinschätzungen des Nationalsozialismus führten dazu, dass der Widerstand schnell zerschlagen wurde und wirkungslos blieb.

Es war nicht der antifaschistische Widerstand in Deutschland der die Naziherrschaft in Europa und Deutschland beendete, sondern die Truppen der Alliierten. Es waren die Truppen der Westalliierten die demokratische und freiheitliche Verhältnisse in Kassel, in den westlichen Besatzungszonen und in Westeuropa durchsetzten. In Kassel waren es Einheiten der 80. US-Infanteriedivision.

Naidoo und die Eier in der Hose

Die Stadthalle Kassel, so heißt es auf der Homepage derselben, sei einzigartig, zukunftsweisend und in der Mitte. Am 14.05.2017 tritt dort Xavier Naidoo mit seinen Söhnen Mannheims auf. Xavier Naidoo hat viele Fans unter anderem auch in der NPD, die meint, Naidoo sei der einzige Promi Deutschlands, der noch Eier in der Hose hat. Heute mokiert sich Maja Yüce in einem launigen Artikel in der HNA darüber, dass die Stadt Mannheim rumeiere und dass sich Künstlerkollegen wie Sarah Connor, Gregor Meyle, Sasha Moses Pelham und BossHoss über Naidoos musikalische Qualitäten überschwänglich lobend äußerten, zu seinen fragwürdigen Texten aber schweigen würden. Zu diesen Leuten gehört auch die Kasseler Sängerin Katja Friedenberg, die es eine Schande fand, dass man 2015 Naidoo aus dem Sängerwettbewerb warf.

Zurück zu den Eiern in der Hose, die hat auch die Stadt Kassel nicht. Die HNA stellt in einem anderen Beitrag zu dem Lied „Marionetten“ der Söhne Mannheims am 05.05.2017 völlig richtig fest: „Wer sind die Marionetten, wer die Steigbügelhalter? Indirekt könnte diese harmlos wirkenden Passage jedoch ein altes antijüdisches Vorurteil enthalten – darauf weist unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung hin. Das Bild des jüdischen „Puppenspielers“, der die Fäden im Hintergrund zieht, ist schließlich ein bekanntes Element des Antisemitismus. Die Bundeszentrale für politische Bildung warnt, dass „Verschwörungstheorien, die Juden Macht und Einfluss in der Finanz- oder Medienwelt“ zuschreiben, häufig nur unterschwellig und teilweise auch unbewusst transportiert würden.“

Die Stadt Kassel vermarktet und bewirtschaftet die Stadthalle. Die Initiative zum Bau der Stadthalle Kassel geht auf den jüdischen Textilunternehmer und Gründer des Vorderen Westens Sigmund Aschrott zurück. Er stellte seiner Heimatstadt den Bauplatz kostenlos zur Verfügung, mit der Auflage, dort für die Bürger Kassels ein kulturelles Zentrum zu schaffen. Zur Kultur im Verständnis der Stadt Kassel gehören wohl auch solche Bänkelsänger und Wahnmichel wie Naidoo, denn die Stadt hat offensichtlich keine Probleme damit, diesem Propagandisten des völkischen Wahns „das passende Ambiente“ zu bieten, denn egal ob „groß, glamourös und repräsentativ oder klein, gemütlich und geradlinig – wir kreieren die passende Atmosphäre für Ihren Anlass!“ und sei es dafür, dem Volk die Augen zu öffnen, dem wütenden Bauer die Forke in die Hand zu drücken und die Strippenzieher in Fetzen zu zerreißen.

Am Abend des Konzertes, werden ein paar von uns zugegen sein und mit angefügtem Flugblatt die Besucher behelligen: Naidoo

Siehe auch grundsätzlich: Jonas Engelmann: Am seidenen Faden. Xavier Naidoos Song „Marionetten“ steht in der schlechten Tradition populistischer Kapitalismuskritik im Popsong.

(jd)

Der Marsch und ein Mahnmal

 

In Kassel gibt es ein Mahnmal, das regelmäßig von der Friedensbewegung heimgesucht wird. Das ist kein Zufall, weil dieses „Ehrenmal“ in so bestimmt unbestimmter Art und Weise an „die Opfer des Faschismus“ erinnert, dass es geradezu prädestiniert dafür ist, als Wallfahrtsort der Ostermarschierer und anderer Frühstücksverleumder zu dienen.

Im Portal der Stadt werden „unsere“ – wie es geradezu anmaßend heißt – „Interpretationen“ des Mahnmals wie folgt formuliert. Der Zugang zum Mahnmal wird von zwei Figuren flankiert. Die linke Figur symbolisiere die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Wenn man die Inschrift „Den Vernichteten“ liest, kann einem schon übel werden, dass den Interpreten der Begriff „Zukunft“ einfällt. Den Vernichteten wurde die Zukunft genommen und selbst die wenigen, die den Vernichtungsfuror überlebten, sahen alles andere als hoffnungsfroh in die Zukunft. Einen Neuanfang gab es in Deutschland, dank der Gnade der Sieger und der Unterwürfigkeit der Besiegten vor allem für diese.

Die Vernichteten, Hoffnung und Trauer

Die rechte Figur stehe für die Trauer um die Opfer und die Toten. Der Text auf dem Portal betont noch einmal ausdrücklich: „Also für alle Menschen: die Gefallenen im Krieg (Soldaten, Zivilbevölkerung in Deutschland und in den Kampfgebieten), die Zwangsarbeiter, die Widerstandskämpfer und die Verfolgten.“ Dass alle Opfer der NS-Zeit gemeint sind, würde dem Besucher durch die Inschrift „Den Vernichteten“ deutlich gemacht. Im Tode sind demnach alle gleich, diejenigen, die zur Vernichtung schritten und diejenigen, die Vernichtet wurden. Der industrielle Mord in Auschwitz, das massenhafte Abschlachten von wehrlosen Menschen im Osten, der geplante Hungermord in den Ghettos einerseits, der Tod der Volksgenossen in den Bombennächten, im Schützengraben und im Gefangenenlager andererseits, alles ist nach dieser Lesart Vernichtung. Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass die Trauer eines einzelnen über den gefallenen Bruder, den Vater oder den Sohn, über die bei den Bombardierungen ums Leben gekommenen Angehörigen berechtigt ist. Was denjenigen jedoch gut zu Gesicht stehen würde, die die Chance auf einen Neuanfang hatten, ist über die, die beim Verrichten ihrer Vernichtungsabsicht oder beim Bereiten der dafür notwendigen Voraussetzungen ums Leben kamen, öffentlich zu schweigen.

Dann, so das Portal der Stadt, gibt es eine Mahnung an die Lebenden. „Derartiges Unrecht (Unterdrückung, Morde und Ausbeutung) wie es sich in der NS-Zeit vollzog,“ soll sich nicht wiederholen. Solange man nicht diejenigen benennt, die ausnahmslos ermordet werden sollten und die dazu angewandte Praxis der industriellen Vernichtungslager beim Namen nennt, knüpft dieser Passus problemlos an den Konnex zur x-beliebigen Verwendung des Erinnerns in der Gegenwart an. Unterdrückung und Ausbeutung sind Merkmale kapitalistischer Vergesellschaftung, als Begriffe des auf den Nationalsozialismus bezogenen Gedenkens führen sie dazu, dem Protest gegen alles und jedes eine Absolution zu erteilen und sich auch guten Gewissens jenen zuwenden zu können, die heute ganz besonders ausbeuten und unterdrücken, nämlich Israel, hilfsweise den USA oder dem Westen. Und damit klar ist, dass man auch nie selbst gemeint ist und stets auf der Seite der Guten steht, wenn man gegen Unterdrückung, Morde und Ausbeutung mahnt und kämpft, wird es unten auf dem Portal dann noch mal betont, das „Vergiss nicht die Toten“ richte sich insbesondere an die „politisch rechts gesinnten Menschen“.

Aber die „Rechten“ sind bekanntlich die Anderen, nur wenige und sie gehören nicht zu den Guten. Das sind die Massen, das Volk, wir – und das waren die, die nicht gewesen sein können was sie waren, eine auf den Gemeinnutz setzende Volksgemeinschaft. Also wurden sie mit Schein, Betrug und falschem Glanz verleitet und hinters Licht geführt und es war ihnen erst nach dem Krieg möglich, die Wahrheit zu erkennen.

Die Hypostasierung einer Opfergemeinschaft und eines unschuldigen Volkes und andererseits einer bösen Rechten bietet eben jene Schablonen, die es den Friedensmarschierern erlaubt, mit Parolen, die vor 100 Jahren eine eingeschränkte Berechtigung gehabt haben, noch heute hausieren zu gehen, die es ihnen erlaubt sich immer auf der Seite der Guten zu wähnen und tatsächlich mit denen zu paktieren, die (mit oder ohne Bezug auf eine angemaßte antifaschistische Tradition) den jüdischen Staat vernichtet (oder kritisiert) sehen wollen und die in der Verteidigung einer (durchaus unvollkommenen, widersprüchlichen) Gesellschaftsform, deren Grundlage die demokratische Verfasstheit, Freiheit und Recht, das Recht auf Leben und Eigentum ist, gegen ihre erklärten Feinde Imperialismus und Kriegstreiberei sehen.

„Vielleicht könnte der Dornenkranz auch ein Zeichen sein, wie der Judenstern.“

Das zentrale Element des deutschen Nationalsozialismus war der Antisemitismus, dadurch unterscheidet sich der deutsche Nationalsozialismus von anderen Formen des Faschismus. Eine zentrale Rolle im Mahnmal nimmt jedoch ein Dornenkranz ein. Laut der Bibel wurde dieser Jesus vor der Kreuzigung ihm von spottenden römischen Soldaten aufgesetzt. Die Dornen stehen in der Bibel für den Fluch der Sünde. Jesus nahm gemäß der christlichen Theologie im Tod am Kreuz die Sünden der Welt auf sich, um diese zu erlösen, die Dornenkrone symbolisiert zusätzlich die Erlösung von dem Fluch der Sünde. Die Stadt meint nun, der Dornenkranz könnte entweder ein Symbol für die Nazis sein, die andere Menschen umbrachten, die anderen Glaubens waren (als wäre der deutsche Vernichtungskrieg ein Glaubenskrieg gewesen) oder anders dachten, oder es könnte auch ein Judenstern sein, denn man habe Jesus bekanntlich umbringen lassen, weil er einen anderen Glauben hatte und weil man Angst hatte, Jesus könnte die Mächtigen aus ihrer Position stürzen. Wer die Mächtigen zu Jesu Lebzeiten waren, ist in der volkstümlichen Rezeption des christlichen Glaubens durchaus nicht eindeutig, wer Jesus umgebracht hat auch nicht. Die Melange aus deplatzierter Symbolik und volkstümliche Interpretationen Jesus Tod eröffnen schnell Abgründe des christlichen Antijudaismus, der trotz aller Versöhnungsbestrebungen der Kirchenoberen Bestandteil politischer Ideologie diverser Gruppen ist, die sich im Namen des Glaubens für den Weltfrieden engagieren und fester Bündnispartner der Friedensbewegung sind.

Die Friedensmarschierer und „Palästinabefreier“ haben in diesem sogenannten Ehrenmal einen Platz gefunden, den sie verdient haben.

(jd)

Triumph des Guten Willens

Filmvorführung und Diskussion am Mo., d. 13.06.2016 17.30 Uhr

Der Film Triumph des Guten Willens ist der vorerst letzte Teil der Reihe Wie erinnern? der Gegenfeuer Produktionen. Er setzt sich mit den Texten des Publizisten Eike Geisel auseinander. Im Zentrum stehen Geisels Kritiken an der deutschen Erinnerungspolitik und seine These über die „Wiedergutwerdung der Deutschen“.

Waren die Juden Europas vordem wegen nichts und für nichts ermordet worden, so sollen sie nun, ein halbes Jahrhundert nach Auschwitz, endlich Profit abwerfen, den man damals nicht aus ihnen hatte ziehen können … Alle beteuern ihr gute Absicht. Und genau die gilt es zu fürchten. Niemand hat bei dem Dreischritt von der Humanität über die Nationalität zur Frivolität je die Frage gestellt, mit welchem Recht sich Deutsche so fürsorglich an den Ermordeten vergreifen.“ (Eike Geisel)

eike_geisel_presse_1

Eike Geisel (Foto: Wolfgang Pohrt)

Im Film werden Texte Geisels aus den 1990er Jahren, unter anderem über die Neue Wache und das Holocaust-Mahnmal, den heutigen Bilder der beschriebenen Gedenkstätten gegenübergestellt.

Sie zeigen eine Normalität, die es eigentlich nicht geben dürfte. Zudem analysieren ausführliche Interviews mit Alex Feuerherdt, Klaus Bittermann, Hermann L. Gremliza und Henryk M. Broder Geisels Thesen in Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse heute. Von der politischen Biografie Eike Geisels ausgehend, zeichnet Triumph des guten Willens ein Bild linker Debatten der letzten Jahrzehnte und fragt schließlich nach der Möglichkeit von Kritik in unmöglichen Zeiten.

Nach der Filmaufführung besteht die Möglichkeit mit dem Regisseur Mikko Linnemann zu diskutieren.

Flyer: Triumph des Guten Willens

Ort: Filmladen Kassel e.v., Goethestr. 31 / Ecke Querallee, Beginn: 17.30 Uhr, Eintritt: 6,50 EUR

Oster(n-a)m-Arsch 2016 in Kassel – Alter Wein in alten Schläuchen

Gedenken – Gedenken – Gedenken

Bemerkenswert am Ostermarsch 2016 in Kassel war, dass zum einen im Aufruf das Wort Israel nicht vorkam, in den Reden dann auch nur einmal fiel und zum anderen, dass das Gedenken gleich dreimal Programm des Marsches war, sowie mit Dietfrid Krause-Vilmar der Doyen des Kasseler Erinnerungsbetriebes engagiert werden konnte. Krause-Vilmar ist Mitherausgeber der lokalen und bis heute beachtenswerten Studie „Volksgemeinschaft und Volksfeinde“(1) sowie Autor diverser Publikationen zum Thema nationalsozialistische Vergangenheit in Kassel und Nordhessen und von Aufsätzen u.a. über Juden in Kassel. (2) Er gehörte mit zu denen, die 1984 die Forschungsgruppe „IAG Nationalsozialismus in Nordhessen“ an der Uni Kassel einrichteten. Die Arbeit dieser Forschungsgruppe trug maßgeblich dazu bei, dass – so Krause-Vilmar in einem Aufsatz selbst – in Kassel mit „zahlreichen Gedenkveranstaltungen, Einladungen an ehemalige jüdische Bürger und Bürgerinnen sowie an ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, in Gedenktafeln an Orten nationalsozialistischer Verbrechen und in Förderung von Intitiativen … die Erinnerung an die verfolgten und ermordeten Bürger und Bürgerinnen Kassels lebendig“ bewahrt wird. (3)

Das Schweigen über den zentralen Punkt

Wie jedes Jahr macht ein Teil der Ostermarschierer halt an einem Denkmal, dass Die Rampe genannt wird. Schon einmal führte das Denkmal  und der Anlass der dort gehaltenen Rede dazu, dass eine Rednerin die politisch gebotene Orientierung verlor, indem sie Auschwitz mit dem Krieg in Afghanistan auf eine Stufe stellte. Als diesjähriger Redner war o.g. Krause-Vilmar vorgesehen. Wer an einem Mahnmal, das „Die Rampe“ genannt wird und das sich auf den Nationalsozialismus bezieht, eine Rede hält, wird, auch wenn die Künstlerin etwas anderes intendiert hat, schwerlich ignorieren können, dass der Begriff „Rampe“ etwas mit Auschwitz zu tun hat. Auschwitz steht nicht für Rassismus, Ausgrenzung, Faschismus und Krieg, Auschwitz ist das Symbol für die Massenvernichtung der europäischen Juden. Die Massenvernichtung der Juden war das konsequente Projekt des Antisemitismus, war Ziel und Zweck des deutschen Nationalsozialismus. Man sollte also annehmen, dass ein Wissenschaftler, der sich mit der Geschichte des NS intensiv befasst hat, in seinem Beitrag etwas zum zentralen Inhalt der Naziideologie und –praxis beisteuert und vielleicht auch den Mut aufbringt, den Zuhörern aufzuerlegen, die Widersprüche in ihrer Ideologie und in ihren einfachen Parolen zu reflektieren, sowie ihre zentrale These „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“ in Frage zu stellen. Und wenn er sie aufgefordert hätte, angesichts ihrer Bündnispartner (4) und ihrem Friedensbrett vor dem Kopf einmal innezuhalten und einfach nach Hause zu gehen, dann wäre er der Schlußfolgerung, die aus der Befassung mit dem Nationalsozialismus zu ziehen wäre, gerecht geworden.

An einem Mahnmal, das sich „Die Rampe“ nennt, wäre es auch angebracht, sich auf Israel zu beziehen und den Zuhörern zu verdeutlichen, dass der Zionismus und Israel die Konsequenz aus 2000 Jahren Judenverfolgung sind. Dass durch Zionismus und Israel Juden das erste Mal seit der Zerstörung des jüdischen Tempels wieder Subjekt der Geschichte sind, dass mit Israel das erste Mal in der Geschichte ein Staat den Schutz vor antisemitischer Verfolgung zu seinem Zweck und Ziel erklärt hat. Dieses Mahnmal wäre also der Ort gewesen, den Zuhörern anheim zu geben, ihren Israelhass zu überwinden oder ihnen diesen um die Ohren zu hauen und sie – spätestens jetzt – nach Hause zu schicken.

Weit gefehlt. Krause-Vilmar stellte in seinem Beitrag einen Konnex zur Friedensbewegung von heute dadurch her, indem er behauptete, der Nationalsozialismus, dessen wichtigstes Ziel der Krieg gewesen sei, sei erst dadurch möglich geworden, dass schon in der Weimarer Republik gegen den Pazifismus agitiert wurde und der Nationalsozialismus auch dadurch über den Pazifismus siegen konnte. Im Zuge des Krieges sei es dann zum Holocaust und zur Verschleppung von zahllosen Zwangsarbeitern gekommen. Auf Kassel bezogen erinnerte er an das Schicksal des Friedenskämpfers Hein Herbers, der nach 1933 in die Niederlande emigrierte und nach 1945 bis zu seinem Tode 1968 in der Friedensbewegung aktiv war. (5) Im Bezug auf das Mahnmal insistierte Krause-Vilmar, dass das Engagement gegen Rechts und für den Frieden zusammengehöre und dazu beitragen würde, jenes zu verhindern, an das das Mahnmal erinnere.

Wenn traditionell Israel ein zentrales Thema des Ostermarsches in Kassel ist, zum Thema Israel schwieg der professionelle Erinnerungsarbeiter dieses mal jedoch beredt – in Umkehrung Claussens (6) kann man schlussfolgern, die Massenvernichtung der Juden war kein Thema des Gedenkens.

Juden raus aus Palästina - nach wie vor ein zentrales Anliegen der Kasseler Friedensfreunde

Juden raus aus Palästina – nach wie vor ein zentrales Anliegen der Kasseler Friedensfreunde

Verhandeln mit dem gewählten Präsidenten

Es soll hier nicht der Platz sein, ausführlich über den Unfug zu berichten, den die anderen Redner unter wehender Flagge Palästinas, unter dem Logo „Nie wieder Faschismus, Nie wieder Krieg“ usw. von sich gaben. Hier nur soviel: Wehmütig erinnerte sich der Hauptredner Dr. Johannes M. Becker an die Zeiten von Ruhe und Ordnung unter den Diktatoren S. Hussein, M. Gaddafi und H. & B. Assad. Zeiten, die durch die vom Westen initiierten Kriege vorbei seien, in denen es nur um Öl, strategischen Vorteil, Gas und Wasser gegangen sei (bzw. ginge). Der Krieg des Westens in Syrien sei ein Krieg gegen einen Quertreiber und gewählten Präsidenten, mit dem doch endlich verhandelt werden müsste.

Immerhin gewann Becker der aktuellen Situation noch etwas Gutes ab. Da Deutschland nicht der wichtigste Kriegsakteur sei, oder sich im Falle des Irak und Libyens gar geweigert habe, sich an den Einsätzen zu beteiligen, sei Deutschland, ganz im Gegensatz zu den Kriegstreibern USA und Frankreich als Handelspartner im Mittleren Osten sehr gefragt. Im übrigen sei Krieg noch nie eine Antwort gewesen, das sei auch die Lehre aus dem 2. Weltkrieg. So trügen die Westmächte ein gehöriges Maß an Mitschuld, dass der Nationalsozialismus den Krieg entfacht habe, weil die Westmächte ein Interesse daran gehabt hätten, das Deutschland Krieg gegen die Sowjetunion führte. (7) Womit der Kreis zum Lob des Pazifismus eines Krause-Vilmars geschlossen ist.

Ostermarsch 2016 in Kassel, alles wie gehabt: Auch ohne die übliche Hetze gegen Israel eine runde Sache der politischen Einfalt und Demagogie für einen deutschen Frieden. (jd)

Das Flugblatt zum Marsch: Wer von Israel spricht, …

(1) Jörg Kammler, Dietfrid Krause-Vilmar u.a. (Hg), Volksgemeinschaft und Volksfeinde. Kassel 1933 – 1945. Eine Dokumentation. 2 Bde, Fuldabrück 1984

(2) zuletzt: Dietfrid Krause-Vilmar, Juden in Kassel. Ein Blick in die Vergangenheit der älteren jüdischen Gemeinde, in: Kassel in der Moderne. Studien und Forschungen zur Stadtgeschichte, (Hg.) J. Flemming u. D. Krause-Vilmar, Marburg 2013, S. 161 – 181.

(3) Dietfrid Krause-Vilmar, Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus in Kassel. Forschungsbianz und Erinnerungsarbeit. Ein Essay, in: Kassel in der Moderne. ob. cit., S. 583 – 595.

(4) Zu den Unterzeichnern gehören u.a. das notorische Café Buchoase, die Deutsch-Palästinensische-Gesellschaft, MLPD, SAV, DKP usw.

(5) zu Hein Herbers und der erbärmlichen Rolle der Kasseler Presse und eines sozialdemokratischen Ministers, vgl.: Jörg Kammler, Dietfrid Krause-Vilmar u.a. (Hg), Volksgemeinschaft und Volksfeinde. ob. cit., S. S. 38 – 45.

(6) vgl. unser Flugblatt: Wer von Israel spricht, … (s.o.)

(7) An dieser These ist soviel dran, dass die Appeasementpolitik vor allem Englands tatsächlich auch durch die vage Hoffnung gespeist wurde, dass das Ziel deutscher Aggressionspolitik der Osten, sprich die Sowjetunion sei. Im Fordergrund stand jedoch die durch den 1. Weltkrieg bedingte Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung in Frankreich und England und die falsche Annahme, dass Deutschland eine Politik auf der Grundlage rationaler Erwägungen verfolgte, die Verhandlungen und Kompromisse hätte ermöglichen können.

In eigener Sache:

Die Verfolgung der Juden und die Kritik des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel

Dem Bündnis gegen Antisemitismus (BgA) Kassel wird aktuell in einem offenen Brief (1) vorgeworfen, den Stolpersteine in Kassel e.V. zu verfolgen, wie es die Antisemiten mit den Juden getan hätten. Gegen Anwürfe von Briefschreibern lohnt es sich in der Regel nicht zu reagieren. Doch dieser offene Brief wurde von jemand verfasst, der sowohl regionaler Repräsentant des Vereins „Gegen Vergessen und für Demokratie“, als auch der „Geschichtswerkstatt Rückblende“ ist. Beide Organisationen verstehen sich als seriös und staatsnah, beide sind aktiv in der Region. Aber der Reihe nach.

Das BgA

Ein Vertreter des BgA-Kassel bei der Jagd auf Mitglieder des Stolpersteine in Kassel e.V.

Das Vorspiel

Das BgA-Kassel hatte mehrmals den Stolpersteine in Kassel e.V. kritisiert. (2) Anlass war, dass ein Mitglied dieses Vereins im August 2014 eine antiisraelische Hassrede hielt, die man mit Fug und Recht als antisemitisch bezeichnen kann. (3) Bei dieser Rede war auch der Vorsitzende des Vereins, Jochen Boczkowski zugegen. Doch anstatt gegen den Antisemitismus nicht nur dieses Redners zu protestieren, hielt dieser ein Schild hoch, auf dem zu lesen war: „Endlose Kriege – Israel schafft sich ab“. Im Herbst 2015 fand dann eine Podiumsdiskussion im Sara-Nussbaum-Zentrum statt, auf der auch Jonas Dörge (BgA-Kassel) sprach. Jonas Dörge wiederholte den Vorwurf gegen den Verein, bettete diesen aber in eine grundsätzliche Kritik der Gedenkkultur in Deutschland ein und erinnerte darüber hinaus an die fragwürdige Ideologie, die der Hauptprotagonist der mittlerweile europaweit agierenden Stolpersteininitiative, Gunter Demnig, vertritt.

Mindestens ein Mitglied des Vereins, das zugleich die Gedenkstätte Breitenau in Guxhagen (Schwalm-Eder-Kreis, Nordhessen) leitet und der örtliche Vertreter des Vereins „Gegen Vergessen …“ waren im Publikum zugegen und verwahrten sich gegen die am „Stolpersteine …e.V.“ gerichtete Kritik. Man könne nicht das Fehlverhalten eines Mitglieds auf den ganzen Verein übertragen. Warum der Verein, der für das Gedenken an tote Juden eintritt, nicht gegen die Diffamierung des jüdischen Staates – Israel – auftritt, diese nahe liegende Frage stellten die beiden sich nicht. Dass man einen Verein in die Pflicht nehmen kann, wenn dessen Vorsitzender sich zu auch für diesen Verein relevanten Themen äußert oder eben nicht äußert, dieses Argument überhörten beide.

Im Nachgang der Diskussion verfasste Jonas Dörge dann eine scharfe Polemik gegen den Gedenkbetrieb in Kassel (Kritik und Affirmation). Diese in Teilen harsche Kritik zum Anlass nehmend, wirft der Verfasser des offenen Briefs Jonas Dörge und dem BgA-Kassel nicht nur die polemischen Spitzen, sondern erneut vor, den Verein „Stolpersteine …“ für das Verhalten eines einzigen Mitglieds haftbar zu machen. Gegen einen Verein, der sich der Erinnerung an die umgebrachten Kasseler Juden verschreibt, zu den antisemitischen Aufmärschen und zur antisemitischen Rede eines Mitglieds (öffentlich) eisern schweigt, ist das einzige Mittel der Vernunft die Polemik. Auch die Kritik an der Gedenkkultur angesichts ihrer Selbstbezüglichkeit und des Hangs, die Shoah im Gedenken kommensurabel zu machen und sich ihrer zur Förderung des Ansehens der Stadt zu bedienen, ist berechtigt. Dies als „Dummheit, Niederträchtigkeit und menschenverachtende Gesinnung“ zu bezeichnen ist oberflächlich, selbstgerecht und unverfroren.

So weit so gut. Wir haben uns x-mal zum Thema Stolpersteine in Kassel geäußert, auch die Kritik an der deutschen Gedenkkultur ist immer wieder unser Thema, wir hätten uns also angesichts der Anwürfe des offenen Briefes auch in Schweigen hüllen können.

Die Parallele – und das Gerücht über die Juden

Was uns bewogen hat, auf den offenen Brief zu reagieren, ist die folgende Passage:

„Eine jahrhundertelang geübte Form von Antisemitismus ist auch das Anprangern des Fehlverhaltens eines Einzelnen zum Zwecke der Diffamierung und Ausgrenzung einer ganzen Gruppe. Ein Beispiel: … ein Einzelner aus dem Kreis der jüdischen Viehhändler hat seine Kunden in unanständiger Weise übervorteilt. Gewissenlose Agitatoren nahmen dies … zum Anlass, um alle Juden … an den Pranger zu stellen. … Wenn ein Mitglied des Kasseler Vereins „Stolpersteine“ völlig unakzeptable Aussagen macht, benutzen Sie [Herr Dörge / Das BgA-Kassel] diese unentschuldbare Entgleisung eines Einzelnen zur pauschalen Diffamierung des ganzen Vereins.“

Der Verfasser setzt hier also die Kritik des BgA-Kassel am „Stolpersteine …e.V.“ mit der Agitation von Antisemiten gleich, gleichzeitig verharmlost er die antisemitischen Reden als „unentschuldbare Entgleisungen“ und „unakzeptable Aussagen“. Doch es wird noch schlimmer. Der Verfasser vertritt die These, dass eine Ursache des Antisemitismus das Fehlverhalten von einzelnen Juden sei. Beim betrügerischen Viehhändler fallen dem Verfasser dann schlafwandlerisch jüdische Kreise ein. Hier spricht aus dem Verfasser auch noch das von Adorno als grundlegendes Diktum des Antisemitismus erkannte „Am Gerücht über die Juden muss doch etwas dran sein!“ Mit diesen Zeilen führt der Verfasser den antisemitischen Wahn auf einen rationalen Kern zurück, auf das Verhalten bestimmter Juden eben.

Der Brief wurde nicht nur an das BgA-Kassel gesandt, sondern an den Kreis der Kooperationspartner des Vereins „Gegen Vergessen …“, also an alles was im Kasseler Gedenkbetrieb Rang und Namen hat. Anstatt nun diese blamablen Aussagen des Verfassers aufzugreifen und entsprechend zu intervenieren, gab es nur eine dürre Reaktion der DIG Kassel. In einer Email der DIG an das BgA-Kassel hieß es: „Es entsteht der Eindruck, dass wir mit dem „BgA“ eine Zusammenarbeit pflegen. Das ist so aber nicht richtig und auch nicht von unserer Seite gewollt.“

(1) Der Brief kann bei uns angefordert werden.

(2) Die Beiträge sind unter den Tags „Stolpersteine“ des bga-kassel und „Stolpersteine“ auf Schwerer Sand zu finden.

(3) Die Reden des Ulrich Restat und Abraham Melzer wurden in „Tränen lügen nicht“ auf den antisemitischen Inhalt hin analysiert. Das Sara-Nussbaum-Zentrum hatte ein Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung in Auftrag gegeben, das zu einem ähnlichen Ergebnis führte.

(bga-kassel)

Denn er weiß nicht worüber er schreibt

Wie ich es sehe oder Herr Dr. Ippen sieht etwas, was Du nicht siehst

Dr. Ippen ist Verleger. Als Verleger versteht er sein Geschäft. Die HNA verfügt trotz rückläufiger Zahlen über eine beeindruckend hohe Anzahl an Leserinnen und Lesern und Abonnenten, die so manche überregionale Zeitungen in den Schatten stellt. Geschäftsleute sollten wie Fußballer, Schauspieler und andere Künstler lieber den Mund halten, oder den Stift zur Seite legen, wenn es um Politik geht. Doch der Verleger äußert sich regelmäßig immer samstags in seiner Zeitung in der Kolumne „Wie ich es sehe“ zu allen möglichen Themen. Meist gibt er dann seine, im Duktus eines Wortes zum Sonntag daher kommende, den Zeitgeist reproduzierenden, Kommentare zum Besten – nicht weiter erwähnenswert.

Unrecht

Wer von „Unrecht“ im Zusammenhang des NS redet, hat nicht alle Tassen im Schrank – Aber das Problem ist anders gelagert.

Dieses Mal äußert er sich zum Hype um „Nazi-Jäger“ Fritz Bauer. Nachdem also letztes Jahr gleich zwei Kinofilme sich dem Thema Bauer widmeten, folgte nun ein Fernsehfilm in der ARD. Daneben wurden auf den Kanälen des öffentlich rechtlichen diverse Dokumentarfilme produziert und gezeigt. Aus all diesen kulturindustriellen Produkten wurde mehr oder weniger deutlich, dass Bauer in den fünfziger und sechziger Jahren ziemlich alleine da stand, dass sein Wirken auf massive Widerstände traf, dass seine Erfolge mit bitteren Kompromissen verbunden waren und auf einem nervenaufreibenden Kampf mit einem widerwillig bis sabotierend agierenden Justizapparat beruhten. Das ist der aktuelle und höchst offiziöse state of the art.

Im Gegensatz zu den fünfziger und sechziger Jahren wird Bauer heute also zum Nationalhelden erkoren. Klar, die um die es Bauer ging, sind alle tot, oder fast tot und viel wichtiger, die Schuldabwehr und Verdrängung als beherrschende Bestandteile postnazistischer Ideologie in der Bundesrepublik wurden nach Weizsäckers Rede zum 8. Mai und der Wehrmachtausstellung in den Neunzigern nach und nach von einer zunehmend obsessiv betriebenen Gedenkkultur und der ihr zugehörigen Ideologie abgelöst. Erst heute sind wir Weltmeister der Erinnerung und Aufarbeitung, 1953 waren wir nur „wer“ und Fußballweltmeister.

Ippen mutet daher an wie einer, der 1960 in die Zeitreisemaschine gesetzt wurde und heute ausgestiegen ist. Geradezu grotesk, aberwitzig und aus der Zeit gefallen kommen seine Behauptungen daher, in Deutschland hätte es eine „systematisch praktizierte Verfolgung und Bestrafung von NS-Verbrechen“ in der Folge der Nürnberger Prozesse gegeben. In den Entnazifizierungsverfahren wären „alle irgendwie (sic!) Belastete, …, ihrer Ämter enthoben worden“, „der Wiederaufbau in der Politik, in der Justiz und in der Verwaltung erfolgte im Geist von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“ und dieser „Neuaufbau konnte sich auf die beste deutsche demokratische Tradition stützten.“ Viele der Spitzenpersönlichkeiten, wären aus den Lagern oder aus der Emigration zurückgekehrt und sie hätten die junge Bundesrepublik geprägt.“

Ippen hat nicht begriffen, dass es heute dem Ruf Deutschlands mehr dient, in akribischer Forschungsarbeit darzulegen, dass so gut wie alle Institutionen der Bundesrepublik, insbesondere aber die Justiz, die Wirtschaft, die Universitäten usw. von ehemaligen Nazis durchsetzt waren, die lediglich nicht mehr ihren Arm hoben, wenn sie ihren Vorgesetzten grüßten und nicht im altersstarrsinnig anmutenden Trotz und bar jeglicher Kenntnis, diese Binsenwahrheit abzustreiten und das Gegenteil zu behaupten. Auch die Erkenntnis, dass der Antisemitismus nicht plötzlich verflogen war, sondern es nun einfach nicht mehr opportun war, offen Hass auf Juden zu artikulieren, sondern es den Juden zu neiden, dass sie und nicht die Volksgemeinschaft Opfer der Nazis waren, hat sich mittlerweile herumgesprochen und dass die den Deutschen von den Alliierten aufgegebene Entnazifizierung eine Farce war, in der sich die Subjekte der Volksgemeinschaft gegenseitig bescheinigten, unbelastet gewesen zu sein, ist seit mehreren Jahrzehnten Bestandteil des Allgemeinwissens.

Erst das Bekenntnis zur Erkenntnis, dass das Nachkriegsdeutschland durch die Kontinuität und nicht durch einen Neuanfang geprägt war, erlaubte es, dass man die damals nicht erfolgte Aufarbeitung um so mehr an der des „Unrechtsstaates DDR“ wiedergutmachen musste, dass man sich als Gewissen der Welt gerieren kann, um um so unbefangener mit Regimes wie dem Iran und Saudi Arabien Geschäfte zu machen und zur Not auch mal Israel daran zu erinnern, es mit der Verteidigung seiner Sicherheit und die seiner Bürger nicht zu weit zu treiben und doch mal die „schmutzige Vergangenheit“ der eigenen Staatswerdung „aufzuarbeiten“, um endlich Frieden im Nahen Osten zu schaffen.

Und nur dann, wenn man heute zugibt, dass die Ahnen im NS-Regime auch als Täter „verstrickt“ gewesen sind, dass es daher logischerweise eben keine Stunde Null gegeben hat, nur dann kann man die deutsche Volksgemeinschaft als traumatisierte Nachkommen der Tätergemeinschaft in einer gesamtnationalen Familienaufstellung exkulpieren um sich heute völlig unbefangen in eine Reihe mit den Nachkommen der Opfern stellen und nicht indem man das Geschwafel von der Scham des Opportunisten Heuss zum besten gibt – dann ist man im deutschen Konsens angekommen.

Ippen! Setzten sechs!
(jd)

Die Deutschen sind Opfer – Eine Ausstellung in Kassel

„Man sucht die ‚geschichtliche’ Nähe zum deutschen Massenmord an den europäischen Juden.“ (S. Salzborn)

Bis heute noch ist in Kassel in den Räumen der Volkshochschule eine Ausstellung zu besichtigen. Die Ausstellung heißt: „Erzwungene Wege.“ Scheinbar harmlos, seriös und ausgewogen kommt der Text daher, der die Intention der Ausstellung darlegt. Es heißt: „Themen sind Heimat, Fluchtwege, Lager, Rechtssituation und Dialog über das Geschehene. Sie berichten von traumatischen und existenziellen Erfahrungen der Leidtragenden. Hauptursache für Vertreibungen ethnischer Gruppen und Minderheiten war die Idee des ethnisch homogenen Nationalstaates. Menschen wurden auf den Weg gezwungen oder vernichtet, weil sich Staaten davon eine Frieden fördernde Wirkung versprachen oder weil sie gewaltsamen Hegemonialansprüchen im Weg standen.“ Zum Ende dieser Passage fällt dann noch diese Bemerkung: „Zudem waren Rassismus und Antisemitismus Motive für Vertreibung und Vernichtung.“

Keine Ausstellung - Völkische Kunst am Bau in Kassel: Schlesien bleibt unser!

Keine Ausstellung – Völkische Kunst am Bau in Kassel: Schlesien bleibt unser!

Antisemitismus und Rassismus, Motiv der Vertreibung? Der Deutschen? Die Umsiedlung der Deutschen war ein völkerrechtlich legaler und legitimer Akt und beanspruchte aus antinazistischen Gründen angesichts der deutschen Volkstumspolitik im 19. und im frühen 20. Jahrhundert, künftiges Konfliktpotential in Osteuropa zu verringern. (vgl. Salzborn)

In mehreren Tafeln der Ausstellung werden verschiedene historische Aktionen der Vertreibung, Umsiedlung und Bevölkerungstransfers nebeneinander gestellt. In zeitlicher Anordnung beginnt die Ausstellung mit dem Völkermord an den Armeniern, dann folgen mehrere Tafeln zum Holocaust, im Mittelpunkt dann die „Flucht und Vertreibung“ aus „Deutschlands frühere[m] Osten“. Zur Sprache kommen noch Umsiedlung im Zusammenhang nationalsozialistischer Volkstumspolitik, Vertreibung und Umsiedlungen im Kontext der griechisch-türkischen Kriege, sowie der Konflikte zwischen Polen, den baltischen Staaten, Finnland und der Sowjetunion. Die Ausstellung annonciert, keine Gewichtung (sic!) vornehmen zu wollen, sondern sich dem Postulat der „unteilbaren Humanitas“ zu verpflichten. Unklar, nebulös und suggestiv wird von einer Opferzahl von 80 – 100 Millionen gesprochen, Tote, Umgesiedelte, Geflohene, Vertriebene?

Zum Thema Holocaust vermeldet die Ausstellung, die Ermordung der Juden sei nicht Thema dieser Ausstellung. Vielmehr werde „der schrittweise Prozess der Vertreibung bis zum Holocaust“ gezeigt. Diese Aussage ist von höchster Perfidität. Eine Ausstellung, die auch vom Holocaust spricht, dann aber die Ermordung der Juden nicht zum Thema machen will, hat das Thema verfehlt. Die Intention einer Ausstellung, die statt von antisemitischer Rassenpolitik und Formierung einer deutschen Volksgemeinschaft von einer „Vertreibung der Juden aus dem öffentlichen Leben“ spricht, ist durchsichtig, sie instrumentalisiert das Thema Holocaust für eigene Zwecke.

Die nur mühsam hergeleitete Verwendung des Begriffs Vertreibung für die nationalsozialistische Diffamierungs-, Ausgrenzungs- und Rassenpolitik gegen die Juden, sowie die der Arisierung und Verfolgung bis zum Jahr 1938/39 kaschiert noch nicht einmal ansatzweise den Anspruch, die Deutschen als Opfer „ohne Gewichtung“ neben die von den Deutschen ermordeten Juden zu stellen – Ein Anspruch den Erika Steinbach einmal so formulierte: „Im Grunde genommen ergänzen sich die Themen Juden und Vertriebene miteinander. Dieser entmenschte Rassenwahn hier wie dort, der soll auch Thema … sein.“ (zit. n. Salzborn)

Der Versuch einmal mit dem sattsam bekannten Jonglieren mit Zahlen, Hundertmillionen Opfer hier, 6 Millionen dort, den Holocaust zu einem Verbrechen unter vielen anderen zu diminuieren und dann aber umgekehrt die Vernichtung der Deutschen unausgesprochen als logische Konsequenz einer Vertreibung zu suggerieren, ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Leugnung des deutschen Verbrechens an den Juden und der Menschheit und der Adelung der deutschen Volksgemeinschaft als herausragendes Opfer einer allgemein konstatierten Vertreibungspolitik in Europa des 20. Jahrhunderts. (jd)

Antisemiten als Namensgeber Kasseler Straßen

Über ein nicht ganz so erfolgreichen Versuch der Aufklärung

Die Juden fühlten schon längst, daß der Kampf der Völker, welche mit Frankreich für ihre nationale Wiedergeburt ringen und kämpfen, ihr eigener Kampf sei […] Es ist Zeit, ruft ihnen ein französischer Demokrat zu, daß Ihr auch an Euch selbst denkt, und an Eurer eigenen Wiedergeburt zu arbeiten beginnt. Eins schließt übrigens das Andere nicht aus. Wenn ich für die Wiedergeburt meines eigenen Volkes arbeite, so habe ich darum meine humanitären Bestrebungen nicht aufgegeben. Die heutige nationale Bewegung ist nur ein neuer Anlauf auf dem Wege, den die französische Revolution seit ihrem Beginne eingeschlagen hat. Das französische Volk hat seit dem Anfange seiner großen Revolution […] alle Völker zu Hilfe gerufen. […] Der Lärm der Reaktion […] betäubt […] in Deutschland das in eine Art wilder Begeisterung für seine ‚Kriegsherren‘ hineingeschwindelte Volk. Alle andere Völker vernehmen und verstehen den Ruf Frankreichs. Auch an unser antikes Volk ist dieser Ruf ergangen, und ich will meine Stimme mit der französischen vereinigen, um wenigstens meine Stammesgenossen in Deutschland vor dem reaktionären Gepolter zu warnen.
(Moses Hess, Rom und Jerusalem, 1862)

Das BgA-Kassel beabsichtigte im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus 2015 mit der symbolischen Umbenennung der Körnerstraße, Arndtstraße und Jahnstraße, sowie der Karl-Branner-Brücke in Kassel darauf aufmerksam zu machen, dass nicht die Person Karl Branner in den Focus einer Diskussion um die geschichtliche Bedeutung vom Nationalsozialismus zu stellen ist, sondern vielmehr die Namensgeber der zuerst genanten Straßen.

Die Straßennamen verweisen darauf, dass eine Debatte um den deutschen Nationalsozialismus anders geführt werden muss, würde man den Anspruch hegen, sich kritisch der Geschichte des Nationalsozialismus zu stellen. Es wären dann mindestens auch noch auf die Brentanostraße und die Arnimstraße (sowie die Germaniastraße, dies aber vornehmlich aus anderen Gründen) hinzuweisen. Eine Ausführliche Auseinandersetzung zum Thema findet sich hier: Das Blücherviertel – Ein Stadtviertel der nationalen Wiedererweckung?

Transparent

Zu Beginn an der Ecke Körnerstraße / Blücherstraße mit unserem Banner und etwas mehr als einem Dutzend GesinnungsgenossInnen

Unsere Aktion war nicht besonders erfolgreich. Vorab informierten wir die Anwohner der Unterneustadt und den Ortsbeirat, über unsere Absicht und Sichtweise mit einem Brief an die Anwohner, der auch im Viertel verteilt wurde. Unterstützung erhielten wir von ein paar Genossinnen und Genossen aus der Kasseler Antifa und aus Göttingen. So waren wir immerhin ein Grüppchen mit gut 15 Leuten. Wir schritten zur Tat und kletterten auf die Stangen, an denen die Straßenschilder befestigt sind.

Aktion_Israel-Jacobson-Straße

Der antisemitische Hetzer und Demokratieverächter Ernst M. Arndt wird mit Israel-Jacobson-Straße verhüllt

Das blieb nicht unbemerkt. Anwohner beschwerten sich, dass unsere Schilder den Straßenverkehr behindern würden und eine Gefahr für sein Auto darstelle. „Wer bezahlt denn den Schaden, der an meinem Auto entsteht? Doch wohl nicht ihr!“ schimpfte ein Anwohner der nachdem Rechten sah. Ein anderer suchte die Diskussion und legte sich für Körner ins Zeug: „Bedenkt bitte, eure Aktion sei eine Beleidigung seiner Angehörigen. Wenn jemand gegen eine Besatzung kämpft, wäre dies doch ein zu würdigender Verdienst!“ Schließlich bemerkte er unser Anliegen, den Antisemitismus der Namenspaten der Straßen im Blücherviertel zu thematisieren und führte an: „Ja, gegen Antisemitismus sei er auch, aber, was Israel sich so erlaube …“

Aktion_Rudolf-Hallo_geschafft

Für Rudolph Hallo mussten wir hoch hinaus

Die meisten Bürger des Viertels nahmen jedoch keine Notiz von unserer Aktion oder beobachteten uns hinter geschlossenen Gardinen. Irgendwann kreuzte die Polizei auf. Ob unsere Aktion genehmigt sei, fragten sie uns, wir könnten doch nicht einfach daher kommen und Straßenschilder überhängen, belehrten sie uns. Doch können wir, entgegneten wir und versuchten auf unser legitimes Anliegen hinzuweisen. Doch war nicht die Legitimität unserer Aktion das Anliegen der Polizei, sondern die Legalität. Die Ordnungshüter bedeuteten uns unter Androhung schwerwiegenderer Folgen, die Schilder schleunigst wieder abzuhängen.

Wir lernten, in Deutschland muss nicht nur vor der Revolution die Bahnsteigkarte gelöst werden, sondern auch eine Genehmigung eingeholt werden, wenn man die Namen antisemitischer, völkischer und kriegsverherrlichender deutschnationale Hetzer aus dem Stadtbild tilgen will.

Aktion_Saul-Asher

Späte Rache für Saul Asher – Seinen Namen antatt des Bücherverbrenners und antisemitischen Hetzers Ludwig Jahn

Am Abend führte dann Martin Blumentritt aus, warum die genannten Namensgeber zu Recht von uns problematisiert werden. Sie widmeten ihr Leben und Schaffen der militanten Beschwörung des Deutschtums, dem Franzosenhass und dem Hass auf die Juden.

Aktion_an der Körner Str

Den Kriegsmaulhelden Körner überdeckten wir mit dem Schild Rudolf Hallo, hier in einer leichter zu erreichenden Höhe

An den Schildern zu Arndt, Jahn und Körner steht u.a. „Dichter“, „Freiheitskämpfer“, „bedeutender Lyriker“ und „Turnvater. Initiator der deutschen Turnbewegung“. Angesichts dessen, dass sie alle Begründer des deutschen Weges waren, der 1933 bis 1945 in die absolute Barbarei führte, eine Verharmlosung, die an eine faustdicke Lüge grenzt.

Aktion_Branner-Brücke

Moses Hess deswegen an der Karl Branner Brücker, weil er als Erster angesichts des Zusammenhangs von deutschem Nationalismus und Judenhass die Notwendigkeit des Zionismus erkannte.

Wir hatten die lokalen Medien zu unserer Aktion eingeladen. Sie ließen auf sich warten.

 

Das Prinzip Gegenaufklärung – Ein Professor und sein Stichwortgeber an einer Schule

Das Friedrichsgymnasium in Kassel, das seinen Schülerinnen und Schülern „ein Lernen für die Gegenwart und die Zukunft“ ermöglichen will und sich dadurch hervortut, sich mit ihnen an dem in Kassel notorischen Stolpersteinprojekt zu beteiligen, lädt am 8. Dezember 2015 Prof. Dr. Werner Ruf zu einer Podiumsdiskussion mit Dr. Rabani Alekuzei ein. Thema sind die Terroranschläge in Paris.

Alekuzei ist SPD-Mitglied, Stadtverordneter in Kassel und regelmäßiger Unterzeichner des Ostermarsches. Werner Ruf war Professor für internationale Politik an der Uni Kassel, sieht sich selbst als Berater der Bundesregierung und gilt als Nah-Ost-Experte. Er dürfte neben dem mittlerweile verstorbenen Peter Strutynski einer der maßgeblichen Masterminds der Kasseler Friedensbewegung sein. Ist es bedenklich dass Anhänger der Friedensbewegung an einer Schule den Schülern Frage und Antwort stehen? Ein kurzer Blick auf das Verständnis des Professors aus Edermünde zum Islam dürfte klarstellen, mit wem wir es hier zu tun haben.

In einem Aufsatz zum „Der politische Islam – Eine Widerstandsbewegung“ stellt Ruf sein Verständnis vom Islamismus bzw. vom politischen Islam dar. Er stellt drei Punkte heraus. Der politische Islam sei weniger eine religiöse Bewegung denn eine politische, der Islamismus tue sich vor allem durch karitative Tätigkeit hervor und drittens sein Hauptargument, der Islamismus sei eine Antwort auf die vom Westen, bzw. vom Imperialismus zu verantwortenden Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse, Unterdrückung und Kriege. Nicht fehlen darf der Hinweis darauf, dass der Westen und Israel schließlich diese Bewegung initiiert hätten.

Islamisten sind eine Protestbewegung, …

Die semifaschistischen Muslimbrüder werden als „fortschrittlich“ eingestellte Vertreter eines modernen Nationalismus dargestellt, die blutrünstigen algerischen Islamisten als „Protestbewegung“. Den Terror der verschiedenen Ableger der Muslimbrüder setzt er in Anführungsstrichen um dann zu behaupten, offene Gewalt sei nicht das „primäre Charakteristikum“ des politischen Islam, im Gegenteil, die politische Gewalt ginge „mehrheitlich von Akteuren aus, die sich nicht auf den Islam bezogen.“ Die Al Qaida-Führer Bin Laden und az-Zawahiri werden schließlich als Gewährsmänner dafür herangezogen, zu beweisen, dass die Al Qaida nichts mit Religion zu tun habe. Die politische Agenda dieser Bewegung(en) sei ein politischer Diskurs, „der in kompromissloser Radikalität die alten Forderungen des – säkularen! – arabischen Nationalismus aufnimmt.“ Und der sei angesichts der Politik des Westens mehr als berechtigt.

Und dann folgt eine geradezu unglaubliche Rechtfertigung. Diese Bewegungen übten „Widerstand gegen den imperialistischen Westen“ aus und fänden darin die Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung, da diese „ihr alltägliches soziales Elend in Systemen erleben, die gekennzeichnet sind durch Korruption und brutale Unterdrückung im Inneren und durch die fremde Gewalt in Palästina, Irak und Afghanistan.“ Deswegen, das sagt er zwar nicht aber suggeriert es oder meint es vielleicht sogar, haben die Pariser Bürger, die in Tel Aviv, Jerusalem, in Madrid, London und New York usw. zurecht mit ihrem Leben bezahlt, leben diese doch in den kapitalistischen Metropolen des Imperialismus und profitieren von den durch diesen durchgesetzten Verhältnissen. Und die zahllosen Opfer des Terrors im Irak, in Syrien, in Nigeria, im Tschad usw., die zählen offensichtlich sowieso nicht im Weltbild dieses Professors.

… nein, sie sind Friedenskämpfer und Sozialarbeiter

Dem Anschlag am 11. September in New York gewinnt Ruf sogar noch eine „antiimperialistische Symbolik“ ab, was dazu führe, dass „die wachsende Gewalttätigkeit des sich auf den Islam berufenden Widerstands .. in weiten Kreisen der arabisch islamischen Welt Stolz und Selbstbewusstsein“ fördere – und, dass darf natürlich nicht fehlen, „ganz so wie die Selbstmordanschläge von Palästinensern in Israel die Botschaft vermitteln: Der Feind ist übermächtig, aber wir können ihn treffen, verletzen, verwunden; wir können Rache üben! Die Hauptziele dieses Widerstands aber sind politische … nämlich auch Israel zu einem diesen Namen verdienenden Friedensschluss mit den Palästinensern zu zwingen …“

Wir haben es also nicht mit blutrünstigen Terroristen, mit würdigen Nachfolgern des nationalsozialistischen Terrors zu tun, sondern mit Friedenskämpfern und so der Subtext des Professors mit dem ewigen Störenfried, dem Juden.

Der Hinweis des Friedenkämpfer Ruf, dass diese Bewegung eben nicht nur eine Friedensbewegung, sondern auch eine karitative sei, darf schließlich nicht fehlen.

Ausführlich legt Ruf das karitative Moment des Islam dar, um dem Argument, diese Tätigkeit sei nur ein taktisches Moment, mit dem Hinweis dieses sei islamische Tradition und Teil der Religion zu entgegen. Dass Suppenküchen, Kleiderkammern und soziale Unterstützung konstitutives Element der meisten faschistischen Bewegungen ist, um die Volksgemeinschaft, resp. die Umma zu formieren, das wird natürlich unterschlagen. Die Terrortruppe Hisbollah wird von ihm dann sogar noch als die größte Hilfsorganisation im Libanon gelobt, die sich sogar den Alkoholikern widme, sofern die Alkohol trinkenden Barbesucher nicht vorher schon von den islamistischen Tugendwächtern liquidiert worden sind.

Nicht nur eine Meinungsäußerung

Vor knapp 40 Jahren musste der Wissenschaftler Peter Brückner dafür büssen, sich nicht von dem Mescalero-Aufruf distanziert zu haben, dem man nachsagte, den Terror der RAF und den Mordanschlag gegen Buback begrüßt zu haben, was er so nicht tat. Dass heute ein Professor Emeritus eine so deutliche Freisprechung und gar Rechtfertigung des islamistischen Terrors vornimmt, ohne dass auch nur irgendjemand daran Anstoß nimmt, ist sehr befremdlich.

Man könnte nun anführen, die Schülerinnen und Schüler des Friedrichsgymnasiums in Kassel hätten ja die Möglichkeit, den Verharmloser des Terrors auf den Zahn zu fühlen und seine Thesen mithilfe ihrer Lehrer kritisch zu hinterfragen und ihn dann mit Schimpf und Schande vom Podium zu jagen. Doch Werner Ruf ist Professor, der mit der Aura des Experten auftritt, mit Bescheidwissen und Fakten, Weglassungen und Verdrehungen arbeitet, dem die Schülerinnen und Schüler nicht gewachsen sein dürften, weil ihnen schlicht das Hintergrundwissen fehlen dürfte um dem Professor damit parieren zu können und, man muß es befürchten, von Lehrern unterrichtet werden, die Ruf klammheimlich oder offen Beifall zollen.

Es geht uns nicht darum, zu fordern, dem Professor aus Edermünde Meinungsäußerungen zu verbieten, sich als Nah-Ost-Experte oder Politikberater zu gerieren usw., dass kann er ungestört in diversen einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften und im Café Jihad ja tun. Diese Zeitschriften werden von unbelehrbaren Zeitgenossen und Friedensfreunden gelesen und das Café von ebensolchen Frühstücksverleumdern besucht. Hier ist jede Hoffnung auf Aufklärung und Vernunft vergebens.

Dass Ruf als hoch dotierter Wissenschaftler einer Universität jahrelang hauptamtlicher Ideologe der Friedensbewegung sein konnte ist schlimm genug, dass er – nun zwar mutmaßlich ehrenamtlich – an einer Schule ein Podium für seine Ideologie geboten bekommt, eine Schule, die einen öffentlichen Bildungsauftrag hat, ist jedoch ein Skandal. (jd)

Offener Brief an das Friedrichsgymnasium