Zwischen „Auschwitz on the beach“ und Zustimmung zu den Pogrompalästinensern

Der Lange Sommer des Antisemitismus in Kassel – Eine Chronik1

Unsere Broschüre online: Die documenta 15 und der Antisemitismus-Skandal. Wer Antizionisten einlädt, erntet Antisemitismus 2

Prolog

Auf der documenta 14 wird im August 2017 die Performance „Auschwitz on the beach“ mit Franco Berardi aufgeführt. Das Mittelmeer ist Auschwitz, Benjamin Netanyahu wird als Gauleiter bezeichnet. Das BgA-Kassel protestiert damals. Wichtige Personen aus der Stadtgesellschaft werten den antisemitischen Künstler durch eine Diskussionsveranstaltung auf.

08. Dezember 2021: The Question of Funding wird in einem Artikel der HNA erwähnt.

07. Januar 2022: Der Artikel „Documenta fifteen: Antizionismus im lumbung“ wird auf unserem Blog und auf Ruhrbarone veröffentlicht. Im Mittelpunkt stehen die Rolle des Khalil Sakakini Cultural Center in Ramallah und die Rolle Yazan Khalilis (The Question of Funding). Ferner decken wir die antiisraelischen und antisemitischen Bekenntnisse der meisten Personen aus der künstlerischen Leitung (Findungskommission / Beirat und der Ruangrupa) auf.

09. Januar 2022: Wir schreiben den Oberbürgermeister der Stadt Kassel und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH Christian Geselle an.

12. Januar 2022: d15 erklärt, sie unterstütze in keiner Weise Antisemitismus sondern das Anliegen, „Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus … entgegenzutreten.“

12. Januar 2022: Thomas E. Schmidt bringt mit dem Artikel „Verschweigen, das geht nicht mehr“ in der Zeit die überregionale Debatte ins Rollen.

15. Januar 2022: Die HNA veröffentlicht im Artikel „Ist die documenta antisemitisch?“ die wichtigsten Punkte unserer Kritik.

16. Januar 2022: Pressemitteilung Geselle: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratieren […] zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. […] Die Freiheit der Kunst [sei] zu wahren und zu verteidigen [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben.“

19. Januar 2022: In einer Presseerklärung der d15 ist die Rede von verfälschenden oder rassistischen Diffamierungen. Die Erklärung verweist auf das Recht, sich gegen Diskriminierung einzusetzen und auf die notwendige Kontextualisierung. Ein „Expert*innenforum We need to talk“ wird angekündigt. Später wird klar, dass der für diese Runde auch vorgesehene Wissenschaftler Nathan Sznaider nicht näher über das Konzept dieser Veranstaltung, auf der auch „antipalästinensischer Rassismus“ diskutiert werden soll, in Kenntnis gesetzt wurde. Er und andere schlagen daraufhin die Einladung aus. Das „Expert*innenforum“ kommt nicht zustande.

27. Januar 2022: Am Holocaustgedenktag besucht Geselle mit einer Delegation aus Ramat Gan und Ruangrupa-Mitgliedern das ruru-Haus. Die Tatsache, dass in der documenta-Leitung die Mehrheit erklärte Gegner des jüdischen Staates sind, war seit 20 Tagen bekannt.

Screenshot der Internetseite der Stadt Kassel vom 27. Januar 2022

07. Februar 2022: Die documenta GmbH mahnt – mutmaßlich nach einer rechtlichen Prüfung unserer Darstellungen – das BgA-Kassel und die Ruhrbarone wegen Urheberrechtsverletzung ab. Wir hatten, dem Prinzip Lumbung folgend, eine Graphik genutzt, um unserer Kritik an der d15 zu illustrieren. Kostenpunkt: 2147,00 EUR.

16. März 2022: Die Staatsministerin Claudia Roth kommt nach Kassel und erklärt: „Antisemitismus ist keine Meinung, für Antisemitismus, für Rassismus, für jede Form der Menschenfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft überhaupt kein Platz“ und weiter: „Das Engagement aller Beteiligter im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist noch einmal deutlich unterstrichen worden, und ich messe den Versuchen aller Beteiligter, die notwendigen Diskussionen offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ich würde mich freuen, wenn deren Gesprächsangebot zu einer friedlichen und lösungsorientierten Debatte breite Zustimmung erhält.“

21. März 2022: Wir Schreiben Claudia Roth an und bitten um ein Gespräch. Eine Antwort gab es nicht.

25. Mai 2022: Der Zentralrat der Juden, das American Jewish Comitee (AJC) und die WerteInitiative melden sich zu Wort. Man dürfe sich von Begriffen wie „Weltoffenheit“, „Multiperspektivität“ und „Diversität“ nicht täuschen lassen […] „Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ordinärer israelbezogener Antisemitismus“, heißt es in einer Erklärung des AJC.

30. Mai 2022: Unbekannte hinterlassen in den Ausstellungsräumen WH22 Graffity-Schmierereien. Geselle wirft den Kritikern der Ausstellung vor, die Künstler durch Straftaten einschüchtern zu wollen. In der Berliner Zeitung ist gar von Morddrohungen die Rede. Candize Breitz redet davon, die Medien hätten die Täter in rassistischer Weise angestiftet.

15. Juni 2022: Christian Geselle, Angela Dorn (Kulturministerin Hessen) und Sabine Schormann (Generaldirektorin d15) feiern im Auestadion die Eröffnung der Ausstellung und weisen die Kritik als von außen aufgezwungen und unangemessen zurück.

16. Juni 2022: Die d15 wird eröffnet. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier übt offen Kritik. Bundeskanzler Olaf Scholz weigert sich, die d15 zu besuchen. Das BgA-Kassel und ca. 150 aus Deutschland angereiste Gleichgesinnte demonstrieren gegen Antisemitismus auf der Ausstellung. Aus Kassel beteiligen sich lediglich die Junge Union, das Junge Forum DIG und Einzelpersonen. Gleichzeitig findet eine Kundgebung für Palästina statt, auf der u.a. unter Beteiligung verschiedener Aussteller der mittlerweile strafbewehrte Slogan „From the River to the Sea“ skandiert wird.

16. Juni 2022: Das Kollektiv The Question of Funding überläßt die Räume des WH22 den Galeristen Eltiqa. Diese kommen aus dem Gaza. Ihre Kunstwerke richten sich nicht gegen die Hamas-Diktatur sondern gegen Israel.

17. Juni 2022: Taring Padi hängt das berüchtigte Banner „People’s Justice“ auf.

08. Juli 2022: Als einzige Künstlerin verweigert sich Hito Steyerl dem postmodernen Spektakel. Sie lässt ihre Kunstwerke abbauen.

18. Juli 2022: Frau Schormann wird als Generaldirektorin abberufen. Nachfolger ist Axel Fahrenholtz.

10. August 2022: Axel Fahrenholtz sagt in einem Interview: „Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz.“

09. September 2022: Das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung wird eingesetzt, um als antisemitisch identifizierte bzw. diskutierte Werke zu analysieren.

10. September 2022: Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung kommen zu dem Ergebnis, dass „die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigte Kompilation von propalästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er [Jahren] […] zu stoppen [ist].“ Die Mitglieder begründen diese Forderung damit, dass nicht nur „die antisemitischen und antizionistischen Versatzstücke“ in den Filmen „hoch problematisch“ seien, sondern auch die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler, weil diese „den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren.“

10. September 2022: Künstler der documenta verkünden in der Erklärung We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from lumbung: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression.“ Die Kritik der fachwissenschaftlichen Begleitung wird als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Es werden Bilder in den Räumen der Ausstellung aufgehängt, die sich positiv auf BDS beziehen. Zu den Unterzeichnern gehören die Ruangrupa – also die Kuratoren der „Weltkunstausstellung“ – und drei Personen aus dem Artistic Team, Frederikke Hansen, Gertud Flentge und Lara Khaldi, sprich die künstlerischen Leitung der d15, u.a. die Kollektive Archives des luttes des femmes en Algérie, INLAND, Party Office, Subversive Film, Taring Padi, The Question of Funding und Trampoline House sowie die Einzelpersonen Graziela Kunsch, Jumana Emil Abboud, Kiri Dalena, Lara Khaldi, Safdar Ahmed und viele andere mehr.

25. September 2022: Nach Beendigung der documenta erklärt Geselle: „Einzelne Kunstwerke verletzten durch mangelnde Einordnung Gefühle, […]“. Die beiden Protagonisten Reza Afisina und Iswanto Hartono erhalten Gastprofessuren an der Uni Kassel und an der Uni Hamburg.

24. Februar 2023: Die RIAS Hessen veröffentlicht eine Broschüre zum Antisemitismus rund um die documenta 2022. Einige Tage später wird der Jahresbericht der RIAS veröffentlicht. Die RIAS führt aus: „Für Jüdinnen und Juden habe die Documenta fifteen 100 Tage lang zusätzliche Angst vor antisemitischen Anfeindungen im Alltag bedeutet. […] Insgesamt registrierte die Recherchestelle 179 antisemitische Vorfälle in Hessen im vergangenen Jahr – also etwa an jedem zweiten Tag im Jahr einen.“

Epilog

Im Frühjahr 2023 soll eine neue Findungskommission für die kommende d16 zusammengestellt werden. Auch an die Ruangrupa wird der Wunsch herangetragen, sich an dieser zu beteiligen. Als am 07.10.2023 die Einsatzgruppen der Hamas in Begleitung zahlreicher Zivilisten das Grenzgebiet zu Israel überfallen und ein Pogrom ungeahnten Ausmaßes anrichten und Teilnehmer einer Rave-Party abschlachten, entführen und vergewaltigen, bekunden die beiden Gastprofessoren aus Kassel und Hamburg und ruangrupa-Mitglieder Iswanto Hartono und Reza Afisina auf Instagram ihre Sympathien für die in Berlin jubelnden Sympathisanten der Hamas.

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1 Die hier veröffentlichte Chronik wurde am 22. Februar 2024 auf unserer Veranstaltung „Die documenta 15 und der Antisemitismus-Skandal. Wer Antizionisten einlädt, erntet Antisemitismus“ vorgetragen.

2 Die zweite überarbeitete und korrigierte Auflage unserer Broschüre ist vergriffen. Gegen eine Spende von 5,00 € können Exemplare der ersten Auflage erstattet werden, die einige wenige Druck- und Formatfehler enthält.

Hate to say I told you so

Eine Chronologie: Frühe Kritik – Schuldabwehr, Ignoranz und Antisemitismus auf der Weltkunstaustellung in Kassel

Am 07. Januar 2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir die grundlegende Ausrichtung der documenta, die Zusammensetzung der künstlerischen Leitung und des documenta-Beirates und führten am Beispiel der Gruppe The Question of Fundig aus, dass ein systematischer Zusammenhang von Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus besteht, der in den auf der Weltkunstausstellung zu erwartenden Kunstwerken Ausdruck finden wird. Unsere Annahme, dass die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet, war substantiell und wohl begründet.

In dem nun veröffentlichten Abschlussberichtes des vom Aufsichtsrat der documenta GmbH berufenen Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen heißt es:

„Die documenta fifteen fand vom 18. Juni bis 25. September 2022 unter der künstlerischen Leitung des Kurator*innenkollektivs ruangrupa statt. Bereits im Vorfeld der Ausstellungen waren Befürchtungen laut geworden, dass es bei der Ausstellung zu antisemitischen Vorfällen kommen könnte. Diese bewahrheiteten sich bereits am Eröffnungswochenende durch den Fund zweier antisemitischer Darstellungen in dem Werk People’s Justice des Künstler*innenkollektivs Taring Padi. Auch gegen andere Werke wurden in den folgenden Wochen Antisemitismusvorwürfe erhoben.“1

Zunächst nahmen einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (wie Zeit, NZZ,Welt, BILD, FAZ und sogar die TAZ und der Spiegel) unsere Anfang Januar 2022 veröffentlichte Kritik auf2, der sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) anschlossen.3 Ein Problembewusstsein ließen jedoch weder Christian Geselle als Aufsichtsratsvorsitzender der documenta GmbH und – bis auf die FDP, die Junge Union Kassel, das Sara Nussbaum Zentrum und das Jungen Forum DIG – irgendein anderer relevanter Akteur der Stadt und der „Zivilgesellschaft“ erkennen. Im Gegenteil. Geselle ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.4 In erschütternder Ignoranz oder Ahnungslosigkeit tat dann Geselle vor der Kamera der Hessenschau kund, im Falle der völkisch-nationalistischen und antisemitischen Propaganda des umstrittenen Künstlerkollektivs aus Palästina handele es sich um die künstlerische Befassung mit landwirtschaftlichen Fragen. Dies sei von der Kunstfreiheit gedeckt.5

Am Holocaustgedenktag 27.01.2022 besuchte eine Delegation aus Kassels Partnerstadt Ramat Gan Kassel. Obwohl die Diskussion um die fragliche Ausrichtung der documenta in der überregionalen Presse schon im Gange war und es klar war, wen man nach Kassel geholt hatte, ließ es sich der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Geselle nicht nehmen, sich mit den Teilnehmern der Delegation aus Israel vor dem ruru-Haus abzulichten. Dort, so hieß es in einer Pressemitteilung der Stadt, wurden „sie durch die documenta‐Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann und Reza Afisina, Mitglied der documenta fifteen‐Kuratorengruppe ruangrupa, begrüßt.“6 Reza Afisina unterzeichnete, wie viele andere Protagonisten der documenta 15, die Erklärung A Letter Against Apartheid in der ausdrücklich auch der kulturelle Boykott Israels gefordert wird.

Auch die künstlerische Leitung der documenta 15 wies jede Kritik zurück und versuchte den Spieß umzudrehen. In der ersten ausführlicheren Erklärung wurde am 12.01.2022 dementiert, dass es jemals zu Antisemitismus auf der documenta 15 kommen könnte und man warf den Kritikern vor, rassistisch zu diffamieren und verfälschende Berichte lanciert zu haben. Man erklärte den Hass auf Israel als eine Form sich in lokalen Kontexten angesichts „herausfordernder Fragen unserer Gegenwart“ zu engagieren. Um diesen entsprechend zu kontextualisieren und als legitime Stimme erklären zu können, kündigten die documenta-Macher ein internationales Expertenforum an, das „Stimmen aus verschiedenen Bereichen, darunter Kolonialismus- und Rassismusforschung, Land Right Studies, Indigenous Studies, Holocaust- und Antisemitismusforschung“ versammeln sollte, um in einer Debatte über das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von „steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie zu diskutieren.“7

Nach diesem Potpourri aus Nebelkerzen, postkolonialer Holocaustrelativierung und islamischer Opferideologie verkündete Geselle: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete, dass er keine Anzeichen dafür sehe, „dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta infrage gestellt werde.“ Gleichzeitig war es ihm wichtig darauf hinzuweisen, dass die Menschen in Palästina ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben hätten. In freier Assoziation fügte Geselle hinzu, genau dies sei das Ansinnen der geladenen Künstler nach ökonomischer und sozialer Autonomie.8 Mit Menschen in Palästina meinte Geselle die Palästinenser. Freilich gibt es Palästina nur als geographische Bezeichnung eines Landstriches, zwischen Jordanien und dem Mittelmeer. In der nationalen Ideologie der Palästinenser ist, wenn von Palästina als anzustrebender Staat die Rede ist, genau dieser geographische Raum gemeint. Die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free!“ sagt genau dies aus. Nichts anderes bedeutet die angestrebte ökonomische und soziale Autonomie, die vom Oberbürgermeister den Künstlern als zentrales Anliegen völlig richtig zugeschrieben wird, ohne zu verstehen, was er damit gesagt hat.

An dieser Grundhaltung änderte sich bis zur Eröffnung der documenta 15 nichts. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. „Er appellierte, genau hinzuschauen: Es würden Fragen diskutiert, die bei der Ausstellung überhaupt nicht zur Debatte stünden.“9 (Hervorhebung d.d.V.)

Antisemitismus auf dem Friedrichsplatz und fehlende fachliche Kompetenz

Am 18.06.2022 hängte die Agitprop-Truppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, das – unter anderem – eine bösartige Karikatur eines Juden zeigte, die abgesehen von der SS-Rune am Hut auch im Stürmer hätte stehen können. Das Banner wurde zunächst verhüllt und erinnerte in diesem Zustand – ein Schuft, wer Böses dabei denkt – an die Ka’aba oder doch zumindest an den von Christo verhängten Reichstag als Symbol des wiedergutgewordenen Deutschland. Erst nach diesem dummdreisten Versuch, einen Schandfleck auch noch zu heiligen, musste das Banner schließlich verschwinden. Die „Tokyo Reels“, eine Ansammlung von Propagandafilmchen zum Ruhme der antisemitischen Söldnerbande PFLP, liefen hingegen vom ersten bis zum letzten Tag der documenta.

Nachdem dem Coup der Taring Padi, zeigte sich Geselle zerknirscht und gab sich wütend und enttäuscht. Und wie immer wenn es zu antisemitischen Vorfällen kommt, nicht den Juden wird damit in erster Linie Schaden zugefügt, sondern es sei „ein immenser Schaden für unsere Stadt und die documenta entstanden.“10 Vor dem Hintergrund, dass die Führung der documenta 15 mit Israel-Hassern durchsetzt war, dass es der Gruppe Taring Padi gelang ein „Protest – Banner“11 aufzuhängen, war es dem Oberbürgermeister weiterhin wichtig zu warnen, die „documenta fifteen nicht unter Generalverdacht“ zu stellen, denn die künstlerische Leitung habe „sich ebenfalls klar gegen Antisemitismus, Rassismus und jegliche Art von Diskriminierung positioniert.“12 Wie sich eine künstlerische Leitung, die sich überwiegend der Boykottbewegung gegen Israel verbunden fühlt, klar gegen Antisemitismus aussprechen kann – blieb nicht nur das Geheimnis des Oberbürgermeisters und Aufsichtsratsvorsitzenden.

Auf der etwa einen Monat später folgenden Sitzung des Aufsichtsrates war erneut die Rede davon, dass der documenta Schaden zugefügt worden sei, Vertrauen sei verloren gegangen, dies gelte es nun zurückzugewinnen. Man schickte die Generaldirektorin Sabine Schormann in die Wüste. Darüber nachzudenken, dass man die Antisemiten von Taring Padi, The Question of Funding, Hamja Ahsan – um nur die schlimmsten zu nennen – nach Hause schickt und die Kuratoren nun an die kurze Leine nimmt, galt nach wie vor als Sakrileg. Nach dem Motto, wenn Du nicht mehr weiter weißt, bilde einen Arbeitskreis, empfahl der Aufsichtsrat der Gesellschafterversammlung „eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen, die sich aus Wissenschaftler*innen zum Gegenwartsantisemitismus, deutschen sowie globalen Kontext und Postkolonialismus sowie der Kunst zusammensetzt.“13 Ein paar Tage später ernannte der Aufsichtsrat Alexander Fahrenholtz zum Nachfolger Schormanns. In einem Interview in der deutschen welle gab der neue Geschäftsführer folgenden bemerkenswerten Satz von sich: „Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz.“14

Die, die genau hinschauten und die, die weiter machten!

Das dann gebildete Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen schaute genau hin, nahm die Arbeit auf und wurde, wie einige Journalisten, Besucher und Kritiker vorher auch, fündig. Am 10.09.2022 veröffentlichen einige Mitglieder des Gremiums eine Erklärung, die sich ausschließlich der Filmvorführung der Gruppe Subversive Film widmete. Dort konnte man dann von denen lesen, die genau hinschauten, was für Fragen auf der Ausstellung im Focus einiger Künstler standen:

„Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen. Hoch problematisch an diesem Werk sind nicht nur die mit antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente, sondern die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler:innen, in denen sie den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren. […] Israel wird ein ‚faschistischer‘ Charakter vorgeworfen und unterstellt, einen ‚Genozid‘ an den Palästinensern zu betreiben – es wird dadurch mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleichgesetzt. Eine solche Gleichsetzung der israelischen Politik mit der der Nationalsozialisten ist etwa nach der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance, die von vielen Nationen, darunter auch einigen Ländern des Globalen Südens, übernommen wurde, als antisemitisch zu bewerten. […] Nach Auffassung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums ist das ‚Tokyo Reels Film Festival‘ das eklatanteste Beispiel für eine Einseitigkeit der documenta fifteen in Hinblick auf den arabisch-israelischen Konflikt, mit dem sich vergleichsweise viele Werke beschäftigen.“15

Auch wenn es diese Personen aus dem Gremium nicht wörtlich ausführen, unsere Einschätzung über die documenta 15, die von zahlreichen anderen Journalisten, Kritikern und jüdischen Verbänden geteilt wurde, war richtig. Doch die harsche Kritik der Experten blieb ohne Konsequenz. Die Standardfloskeln, vor einem Generalverdacht zu warnen und doch erst mal die Ausstellung zu besuchen, blamierten sich vor der Wirklichkeit. Die Argumentation des, von der HNA dreimal ins Feld geführte, Joseph Croitorus bis auf das Banner der Taring Padi nirgends Antisemitismus und Israelhass erkennen zu wollen, erwies sich, wie die früheren Versuche einiger Experten aus der Szene der Kulturschaffenden, die documenta 15 reinzuwaschen, den Israelhass und Antisemitismus zu relativieren und die Kritiker des Rassismus zu überführen, als völlig substanzlos.

Die documenta-Macher stellten ihre Ohren auf Durchzug, gerierten sich als Opfer16 und verbannten die Kritik des Gremiums förmlich vor die Tür. Sie bekannten sich bis zum Schluss trotzig zum palästinensischen Volkstumskampf17 und wie zum Hohn spuckten die von Ruangrupa angeführten Künstler in einer Erklärung allen in Gesicht, die der Meinung waren, man müsse mit den Künstlern den Dialog führen indem sie sich ausdrücklich mit dem Kampf gegen Israel solidarisierten, Plakate mit solidarischem Bezug zu BDS aufhingen und am Porticus des Fridericianums ein Transparent aufhängten, auf dem Solidarität mit dem Palästinensischen Volk gefordert wurde. In einem hellen Moment erkannte selbst der wankelmütige von Busse: „Ihre jüngste Erklärung ist ernüchternd, sogar erschütternd. Sie kehrt sämtliche Vorwürfe um, sieht überall Bösartigkeit und Diskriminierung, […] Sie bekennt sich zum Widerstand gegen den Staat Israel, zum antikolonialen Kampf, der die Künstler vereine.“18

Jubelkasseler, Gastprofessuren und ein verlogenes Lob vom Aufsichtsrat

Die documenta 15 wurde planmäßig zu Ende geführt. Ignoranten, Weichspüler und Jubelkasseler verabschiedeten im Beisein des Oberbürgermeisters die Künstler voller Begeisterung19 und die Israel-Hater unter den Kuratoren von Ruangrupa Iswanto Hartono und Reza Afisina bekamen zu ihrer Gastprofessur an der Uni-Kassel zum Dank dafür, den größten Antisemitismusskandal in der Kulturszene der letzten Jahre arrangiert zu haben, noch die in Hamburg20 obendrauf. Das Expertengremium arbeitete weiter und veröffentlichte dann am 06.02.2023 das 130 Seiten starke Gutachten, das an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Was wir im Januar 2022 aufgrund eindeutiger Indizien angenommen hatten war eingetreten, bzw. wurde noch übertroffen. Das Gutachten lässt sich genau so zusammenfassen, wie es die ansonsten in unverbrüchlichen Lokalpatriotismus der documenta verbundene HNA – nach reichlicher Überlegung – dann tat: als „Ohrfeige für ein Scheitern aller an der d15 Beteiligten.“21 Freilich ließ es sich der Journalist von Busse nicht nehmen, an der dem Gutachten zugrundeliegenden ausführlich dargelegten und begründeten Antisemitismusdefinition herumzukritteln. Alles ist relativ: Die 2021 erarbeitete Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) sehe die dem Gutachten des Expertengremiums zugrundeliegende Arbeitsdefinition der International Holocaust Rememberence Alliance (IHRA) als zu weit gefasst: „Legitime Kritik an Israel, etwa an der Besatzung palästinensischer Gebiete, werde ungerechtfertigterweise als antisemitisch diskreditiert.“ Ein Vorwurf den die mit dem palästinensischen Volkstumskampf verbundenen engagierten Künstlern und ihre Apologeten ungern hören.22

Nach der Veröffentlichung des Gutachtens ließ Geselle verlauten: „Der Aufsichtsrat begrüßt insbesondere die klare Einordnung der kritisierten Kunstwerke und die Hinweise zum Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich geschützter Kunstfreiheit und gleichzeitig verantwortlichem Umgang mit antisemitischen Darstellungen in diesem Zusammenhang.“23 Diese Erklärung ist ein skandalöses Ausblenden der von ihm zu verantwortenden massiven Fehlleistungen vor, während und nach der documenta 15. Anstatt selbstkritisch mit sich selbst und seinen Mitverantwortlichen (insbesondere Frau Angela Dorn und Claudia Roth) ins Gericht zu gehen, bemüht sich der Aufsichtsratsvorsitzende nun um die Darstellung seiner selbst, als sei er es gewesen, der sich von Beginn an die Vorbeugung und Bekämpfung von Antisemitismus im Zuge der Kunstschau auf die Fahne geschrieben hatte.

Die Erklärung erstaunt umso mehr, als dass der Aufsichtsrat erneut an die renitente Ruangrupa herantrat, um sie für die Mitarbeit in der Findungskommission der kommenden documenta zu gewinnen. Ruangrupa sagte ab, in Adam Szymczyk fand man jedoch eine weitere einschlägig vorbelastete Person, die Bereitschaft zeigte, in der kommenden Findungskommission mitzuarbeiten. Er hat nicht nur den A Letter Against Apartheid unterschrieben sondern es auf der documenta 14 den Antisemiten Franco Berardi ermöglicht, die Performance „Auschwitz on the Beach“ aufzuführen.24

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1 Abschlussbericht Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, Nicole Deitelhoff u.a. 2023, S.5.

2 So hieß es beispielsweise in der TAZ: „Das Kassler Bündnis gegen Antisemitismus wirft den Verantwortlichen vor, die documenta 15 als Plattform zur Verbreitung israelfeindlicher und antisemitischer Positionen zu missbrauchen. In einem ausführlich mit Belegen gespickten Beitrag des Bündnisses heißt es, dass schon die Findungskommission für die künstlerische Leitung mit entsprechenden Personal besetzt war.“ Kunstfreiheit und Antisemitismus, taz.de, 14.01.2022.

3 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Welt, 25.05.2022.

4 Pressemitteilung, kassel.de, 16.01.2022.

5 Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022.

6 Pressemitteilung, kassel.de, 27.01.2022.

7 Nachdem die documenta zunächst mit einer nichtssagenden Erklärung reagierte, in der es hieß: „Die documenta fifteen unterstützt in keiner Weise Antisemitismus. Sie vertritt die Forderung der Freiheit von Kunst und Wissenschaft und unterstützt das Anliegen, Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten reagierte“, schob sie am 19.01.2022 eine Erklärung nach. Dort konnte man lesen: „Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der documenta fifteen vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte. Für die documenta fifteen haben ruangrupa und das Künstlerische Team Positionen eingeladen, die sich im Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemitismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form von gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ ().

8 Das sagen … OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022

9 „Geselle nannte die Diskussion voller vorschneller Urteile ‚medial aufoktroyiert‘. .“ Pressekonferenz zum Start der documenta fifteen im Auestadion Kassel, HNA 15.06.2022.

10 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

11 Presseerklärung kassel.de, 20.06.2022.

12 Presseerklärung kassel.de, 21.06.2022.

13 Erklärung des Aufsichtsrates, 16.07.2022.

14 Interview. Alexander Farenholtz: „Die documenta ist besser als ihr Ruf“, dw.com, 10.08.2022.

15 Presseerklärung der unterzeichnenden Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen, 10.09.2022. Diese Erklärung wurde von 5 Mitgliedern des Gremiums unterzeichnet. Die am gleichen Tag veröffentlichte Presseerklärung des Gremiums selbst, fiel etwas zurückhaltender aus. Aber auch dort hieß es unmissverständlich wie in der oben zitierten Erklärung: „Auf der Ebene der ausgestellten Werke ist es aus Sicht des Gremiums die dringlichste Aufgabe, die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigten Kompilation von pro-palästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen.“

16 Die Findungskommission (documenta-Beirat) verkündete in einem Statement: „Der von Medien und Politiker*innen auf das gesamte Team der documenta fifteen ausgeübte Druck ist unerträglich geworden“ und sprachen von einer Instrumentalisierung der Kritik des Antisemitismus um „Kritik am Staat Israel“ und „seiner Besatzungspolitik“ abzuwehren. Presseerklärung documenta.de, 15.09.2022.

17 In der Erklärung „We are angry, we are sad, we are tired, we are united. Letter from lumbung community“ führen die Unterzeichner aus, zu der zahlreiche Künstler und ruangrupa gehören: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression. […] The Palestinian anti-colonial struggle emerges in many lumbung artists’ works because of the historical solidarities between these transnational anti-colonial struggles.“ e-flux.com10.09.2022.

18 Standpunkt. Am Ende bleibt ein Scherbenhaufen, HNA 17.09.2022.

19 Wie es sich für Antisemiten gehört, konnten diese auf einen israelischen Juden verweisen, der ihnen die Freundschaft erklärte. „Vor der Abschlussveranstaltung waren noch einmal Tausende Menschen zur d15 gekommen. Am Rande hatte der indonesische Künstler Setulegi vom Künstlerkollektiv Taring Padi eine Performance genau an jener Stelle auf dem Friedrichsplatz veranstaltet, wo zu Beginn der documenta das Banner abgebaut worden war. Setulegi kam nicht allein: Begleitet von dem Berliner Künstler Guy David Briller, einem israelischen Juden, markierte der Indonesier zunächst mit Mehl den Standort des abgehängten Banners.“ Ende der documenta 15: Applaus zum Abschluss, HNA, 25.09.2022.

20 Dazu die Flugschrift des Bündnis gegen Antisemitismus Hamburg „Deutschland spricht. Zeitenwende des Antisemitismus, 1./2. Februar 2023„.

21 Das Gutachten erschien am 06.02.2023 und rief ein großes Echo in den Medien hervor. Die HNA erläuterte 3 Wochen später den Inhalt des Gutachtens in dem Artikel: „Echokammer für Antisemtismus“, HNA, 28.02.2023.

22 „Den AutorInnen der ‚Jerusalem Declaration on Antisemitism‘ geht es nicht um eine Präzisierung der Antisemitismus-Definition der IHRA, sondern um die Freisprechung vom Antisemitismusverdacht, sofern es um Äußerungen oder Aktionen gegen Israel geht. Sie wollen einen Freibrief für israelbezogenen Antisemitismus.“ schreibt Matthias Küntzel in seiner Intervention: Aber irgendwie doch, perlentaucher.de, 30.03.2021.

23 Presseerklärung documenta.de, 06.02.2023.

24 Stefan Laurin, Documenta setzt weiter auf Israelhass, ruhrbarone.de, 11.11.022. Zur Franco Berardi ausführlich unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen, bgakasselblog.wordpress.com, 05.09.2018.

Freiheit der Kunst? It‘s politics, stupid!

Knapp daneben ist auch vorbei

Die HNA titelte am Montag, den 23. Januar: „Gutachten des Juristen Christoph Möllers entlastet documenta“.1 Der Autor der HNA fasst die Position des Gutachters wie folgt zusammen: „Meinungs- und Kunstfreiheit sind nur so weit beschränkbar, wie sie andere Rechte verletzen“, was nach Ansicht des Juristen im Fall der vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa verantworteten Ausstellung nicht der Fall gewesen sei. Weiter wird Möllers zitiert: „Jede freiheitliche Verfassung schützt auch Meinungsäußerungen, die uns schrecklich oder obszön erscheinen“ und dann folgt eine zentrale These des Gutachtens: sich antisemitisch oder rassistisch zu äußern erscheine skandalös, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt.“

Abgesehen davon, dass der Autor des Gutachtens die Initiative GG 5.3. Weltoffenheit beriet, also dem Dunstkreis der „israelkritischen“ Szene zuzurechnen ist2, kann den zentralen Aussagen des Gutachtens zugestimmt werden – alleine, die documenta und ihre Verantwortlichen werden durch dieses Gutachten nicht entlastet. Und, viel wichtiger ist: Das Gutachten hat mit dem Problem, welches am Beispiel der documenta zu Tage trat, relativ wenig zu tun. Der Anspruch politisch zu sein, wurde von den documenta-Machern ausdrücklich formuliert. Zur politischen Agenda gehörte für eine beträchtliche Zahl der documenta-Macher der Kampf gegen Israel.3 Zu diesem Kampf gehörte die Forderung Israel auch kulturell zu boykottieren. Dieser politischen Agenda galt (und gilt) es zu widersprechen. Sicher, es gab angesichts dieser politischen Ausrichtung auch die Forderung, die documenta 15 abzubrechen oder zu schließen. Vor dem Hintergrund der impertinenten Abwehr jeglicher Kritik seitens der Verantwortlichen sowie der passiven wie aktiven Unterstützung antiisraelischer Aktivisten und veritabler Antisemiten, denen man eine weltweit beachtete und mit Steuergeldern geförderte Bühne geboten hat, sind diese Stimmen aber eher als verständliche Empörung und Teil des notwendigen politischen Protests zu werten, als eine direkte Aufforderung die künstlerische Freiheit zu unterbinden.

Auch wir vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel haben nicht gefordert, die antizionistischen Aktivisten und Kollektive anzuklagen, zu bestrafen oder gar zu verhaften, also die Meinungsfreiheit von Künstlern und Aktivisten zu beschneiden. Im Mittelpunkt unserer Argumentation stand die Kritik an der politischen Ausrichtung der Kuratoren, der geladenen Künstler und Kollektive und nicht die Forderung, die documenta zu schließen und Ruangrupa nach Hause zu schicken. Der Fokus unser Kritik richtete sich explizit gegen die öffentliche Förderung einer Weltkunstausstellung, die von bekennenden Israelhassern und Antizionisten kuratiert und geleitet wurde.

Die Freiheit der Kunst: Das Banner „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ und der Bezug auf die palästinensische Terrorgruppe PFLP bleiben am Ausstellungsgebäude hängen.

Zur Chronik eines absehbaren Skandals

Der Skandal, der in der Präsentation von im Stil des Stürmers gehaltenen Karikaturen von Juden auf dem zentral gelegenen Friedrichsplatz kulminierte, war nicht nur absehbar, es war ein Skandal mit Ansage!

Vor gut einem Jahr – also fünf Monate vor der Eröffnung der documenta – stellten wir heraus, dass es nicht verwunderlich ist, dass Ausstellungsmacher, die überwiegend als Antizionisten und Israelhasser zu bezeichnen sind, Künstler und Künstlerkollektive engagierten, die die Abschaffung Israels fordern oder sich antisemitisch äußerten und äußern. Wir stellten heraus, dass die Unterstützung und Förderung antisemitischen und antizionistischen Gedankenguts einer Traditionslinie zuzuordnen ist, die man, mit dem SS-Soldaten und Partisanenbekämpfer Werner Haftmann beginnend, über den völkischen Ideologen Joseph Beuys fortführend bis hin zur explizit politischen, postmodernen und poststrukturalistischen Ausrichtung der Ausstellungen, die man spätestens seit Carolyn Christov-Bakargiev und Adam Szymczyk nachverfolgen kann.4

Insbesondere vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung aus dem Jahr 2019, der darauf folgenden Diskussion im deutschen Kulturbetrieb und den politischen Auseinandersetzungen um die Ruhrtriennalen – in Zusammenhang mit der Einladungen des israelfeindlichen Ideologen des Post-Kolonialismus Achille Mbembe und des Auftritts der Band Young Fathers – hielten wir es für geboten, die kuratorische Tätigkeit von Ruangrupa zu hinterfragen, sie öffentlich zu kritisieren und auch dazu beizutragen, dass durch öffentlichen Druck auf die Kuratoren der eine oder andere Künstler wieder nach Hause geschickt wird.5

Am Beispiel der documenta konnte man deutlich den Zusammenhang von offen geäußerter Gesinnung, unverblümtem politischem Aktionismus und der Indienststellung des Kunstwerkes für eine politische Agenda sehen. Wir machten das vor einem Jahr insbesondere am Beispiel der Gruppe The Question of Funding deutlich, die als eines der ersten Kollektive von Ruangrupa für die documenta 15 ausgewählt wurden. Am Beispiel dieser Gruppe und ihrer Protagonisten, die aus dem Umfeld des ursprünglich der Palästinensischen Autonomiebehörde unterstellten Khalil Sakakini Cultural Centers kommen, konnte man die politische Instrumentalisierung des Kunstwerkes im Dienste des Kampfes gegen den jüdischen Staat deutlich aufzeigen. Das Zentrum der Palästinensischen Autonomiebehörde, welches ursprünglich auf der Liste der eingeladenen Künstler stand, das Kollektiv The Question of Funding (das dann an dessen Stelle trat) und seine Protagonisten sind in der Tradition des gewalttätigen Kampfes arabischer Freischärler und Terroristen gegen die jüdischen Einwohner und Einwanderer in Palästina und ihrem Bestreben, einen jüdischen Staat zu gründen und zu verteidigen, zu sehen. Die Begeisterung des Namensgebers des Kulturzentrums für Hitler verweist darauf, dass der palästinensische Nationalismus im Nationalsozialismus einen Verbündeten fand. Eine Tradition, die sich bis heute fortsetzt, nur dass deren wichtigste Bündnispartner heute einerseits der politische Islam, andererseits linke und linksextreme Parteien, Gruppen und Personen sind, die sich vor allem im akademischen Betrieb und in der staatlich geförderten Kulturszene, in mächtigen NGOs und Parteienstiftungen tummeln und die bis hinein in die Ministerialbürokratie zu finden sind.

Einer politischen Agenda muss politisch geantwortet werden

Insbesondere angesichts der ausdrücklich gewollten und formulierten politischen Positionierung der Ausstellung und ihrer zahllosen Protagonisten und Aussteller war und ist eine politische Reaktion auf die dort propagierte Agenda vollkommen berechtigt. Protest, Skandalisierung und das Mittel der Polemik waren und sind auch gerade deswegen die einzig adäquate Reaktion, weil sich von Beginn an die politisch Verantwortlichen, von Oberbürgermeister Christian Geselle, bis zur hessischen Ministerin Angela Dorn, zur Staatsministerin Claudia Roth und bis hin zur Direktorin der Ausstellung Sabine Schormann weigerten das offensichtliche Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.6 Sie stemmten sich nicht nur gegen jede Form der Debatte, vielmehr gingen sie so weit, den Kritikern Rassismus und Demokratiefeindlichkeit vorzuwerfen und sie als von außen kommende Störenfriede zu denunzieren.

Gerade der Versuch, das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel mundtot zu machen, indem man uns und den Blog Ruhrbarone mit einer ungerechtfertigten und völlig überzogenen Abmahnung beschwerte und das durchsichtige Manöver, unsere Kundgebung zur Eröffnung der Ausstellung zu unterbinden, zeigte, dass eine Diskussion mit den Kritikern nicht erwünscht war und verwies auf die ignorante und autoritäre Haltung der Verantwortlichen. Den Stellungnahmen der Ausstellungsmacher und der ihnen zur Seite springenden „Experten“ aus den Kulturredaktionen einschlägiger Presseorgane und Rundfunksender, die nicht nur offensichtliche Tatsachen leugneten, sondern den Kritikern der documenta Rassismus, wahlweise die Nähe zum Rechtsextremismus oder Linksextremismus und das Schüren von Gewalt vorwarfen, wurde weder widersprochen noch wurden sie kommentiert. In der HNA präsentierte man angesichts der eindeutig antiisraelischen Propagandastückchen den faktenresistenten Dünnbrettbohrer Joseph Croitoru, der selbst in der Präsentation von Propagandafilmchen über palästinensische und japanische Terroristen keine antisemitische Propaganda sehen wollte. Croitoru und vor allem Elke Buhr dienten mit ihren Methoden der Auslassungen und Verharmlosungen7 nicht nur der nordhessischen Lokalzeitung immer wieder dazu, die Kritiker der Übertreibung, Falschinterpretation und Inkompetenz zu überführen.

Nicht die Freiheit der Kunst ist in Gefahr – Die Ignoranz vor dem Antisemitismus ist die Gefahr

Die Vernichtung der Juden durch die vom Nationalsozialismus geführte deutsche Volksgemeinschaft war und ist ein in der Geschichte der Menschheit einmaliges Ereignis. Dieser deutschen Tat liegt der Antisemitismus als treibendes Element zugrunde. In mannigfaltiger Art und Weise wird seither versucht, den kritischen Blick auf den Antisemitismus zu verwässern. Heute wird das jedoch meist nicht mehr von Historikern und Politikern mit rechts-nationalem Hintergrund betrieben, vielmehr von Agitatoren der postmodernen Linken, die an den Universitäten und im Kulturbetrieb dominant vertreten sind.8 Heute wird Antisemitismus als eine Erscheinung der „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ dem Rassismus, der Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit usw. gleichgestellt, teils sogar untergeordnet. Zum anderen wird Antisemitismus mit dem Verweis auf eine „Multiperspektivität“ und eine angebliche Sichtweise des „Globalen Südens“ relativiert und das Erschrecken angesichts dessen Artikulation als Ausdruck einer zu vernachlässigenden, weil eurozentristischen, deutschen (im Grunde genommen jüdischen) Empfindlichkeit deklariert. Derlei Manöver tragen immer dazu bei, dass die deutsche Geschichte und die in ihr zu Tage tretende Quintessenz des Antisemitismus relativiert und aus dem Blick genommen wird.9

Wenn die Verantwortung vor der deutschen Geschichte, wenn das „Nie wieder!“, wenn der Bundestagsbeschluss gegen die antisemitische BDS-Bewegung und die Behauptung einer Staatsräson, Israel, den Staat der Holocaustüberlebenden und ihrer Nachkommen, gegen Bestrebungen ihn zu vernichten, zur Seite zu stehen, irgendeine Bedeutung haben sollen, dann ist und bleibt es wichtig und völlig legitim, allen Propagandisten des Israelhasses entgegenzutreten und dafür einzutreten, dass diesen nicht auch noch zu einem mit Steuergeldern finanzierten Renommee des Erhabenen im Kulturbetrieb und Seriösen an den Universitäten verholfen wird.

Das einzufordern und darauf zu beharren, bedeutet keine Einschränkung der Kunstfreiheit, sondern hätte im letzten Jahr nur bedeutet, die Kuratoren der documenta 15, also Ruangrupa und ihre Spießgesellen nicht als Bereicherung und willkommene Gäste Kassels zu feiern, ihnen nicht ob ihrer vermeintlichen Freundlichkeit und Fröhlichkeit Honig um‘s Maul zu schmieren, sie nicht mit Posten an den Universitäten in Kassel und Hamburg zu belohnen, sondern ihnen klar und unmissverständlich zu verdeutlichen: Wir stehen fest an der Seite Israels, wir verachten und verurteilen jede antisemitische Propaganda, auch wenn sie im Mäntelchen der Kunst und als „Israelkritik“ daherkommt. Es hätte heißen müssen: Wir weisen jeden Versuch zurück, die kritische Debatte über Antisemitismus und den Zusammenhang von Israelhass, Antizionismus und Antisemitismus mit einer Agenda über „Islamophobie“ und „antipalästinensischen Rassismus“ zu kontern oder Kritik am Antisemitismus als Rassismus zu denunzieren.

Die Rede Frank-Walter Steinmeiers zur Eröffnung der documenta 15 oder die Weigerung des Bundeskanzlers Olaf Scholz, die documenta zu besuchen und ebenso die vielfach und fundiert geäußerte Kritik in renommierten, überregional erscheinenden Presseorganen10 machten deutlich, dass in der politischen Klasse und in der öffentlichen Diskussion bis zu einem gewissen Grade die Einsicht vorherrscht, Israelhass und Antisemitismus ist nicht kommentarlos zu übergehen.

Davon ist man im Kulturbetrieb meilenweit entfernt. Das beweist das Bestreben, nicht nur Ruangrupa, sondern auch Adam Szymczyk in die kommende Findungskommission berufen zu wollen. Deren Aufgabe wird es sein, den Kurator oder das Kuratorenteam für die nächste documenta auszuwählen.11 Nicht zuletzt die von den Aufsichtsorganen der documenta 15 bzw. die vom Bundesministerium beauftragten Gutachten verweisen auf den Holzweg, auf dem sich der semistaatliche Kulturbetrieb befindet. Angesichts des mit großen Summen öffentlicher Gelder finanzierten Kulturbetriebes ist es widersinnig, von staatlicher Einflussnahme zu fabulieren, die die Freiheit der Kunst gefährde. Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland nicht gefährdet, vielmehr besteht die Gefahr, dass die Kritik an der politischen Ausrichtung des staatlich protegierten Kulturbetriebs als unliebsam, als Nestbeschmutzung, wenn nicht gar als jüdische Einflussnahme denunziert wird. Es stellt sich also die Frage, warum Kritik an der selbst gewählten ideologischen Ausrichtung des staatsnahen Kulturbetriebes in die Nähe verfassungsfeindlicher Bestrebungen gerückt wird, oder als Gefahr angesehen wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken und die Freiheit der Kunst in Frage zu stellen. Es geht weiter um die Frage, warum in einer vom Kulturbetrieb geführten politischen Auseinandersetzung Widerspruch nicht geduldet wird, oder dieser erst dann statthaft sein soll, wenn staatlich veranlasste Gutachten das bestätigen, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen oder das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel von Beginn an formulierte.12

Am Beispiel der documenta wird und wurde deutlich: Es geht um das schamlose Ignorieren eines gesellschaftlichen Problems in Deutschland und das Problem heißt Antisemitismus, Antizionismus und Israelhass.

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1 Am 20. Januar 2023 erschien in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Lehren aus dem Documenta-Skandal. Zwischen Antisemitismus und Kunstfreiheit“ ein Artikel mit dem Titel „Einmischung unerwünscht. Was in Möllers‘ Kunstfreiheits-Gutachten steht“ und ein Interview mit dem Juristen Christoph Möllers, der das Gutachten geschrieben hat. In der HNA fasste der Autor der HNA Mark-Christian Busse am 23. Januar 2022 die zentralen Aussagen des Gutachtens unter dem Titel „Kunstfreiheit geht sehr weit. Gutachten entlastet documenta“ zusammen.

2 Die Initiative GG 5.3., die auch in Kassel Anhänger fand, wendete sich explizit gegen den Bundestagsbeschluss zur BDS-Bewegung, siehe unseren Beitrag: Israel zur Rechenschaft ziehen – Unterstützer auch in Kassel. Zur Rolle Möllers: Stefan Laurin, Documenta: Gutachten und Wirklichkeit, Ruhrbarone, 25.01.2023.

3 Der von zahlreichen in der künstlerischen Leitung der documenta tätigen Personen sowie von 4 der 10 Mitglieder des Kollektivs Ruangrupa, unterzeichnete „A Letter against Apartheid“ fordert unter anderem den kulturellen Boykott Israels. Siehe dazu mehr in unserem Beitrag: Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?

4 Dem Antizionismus und der „Israelkritik“ verpflichteter Agit-Prop wurde mindestens seit der documenta X präsentiert. Die von Catherine David kuratierte documenta X veranstaltete die Gesprächsreihe „100 Tage – 100 Gäste“. Zu einem der Gespräche wurde der Israel feindlich gesinnte Wissenschaftler und Begründer des Postkolonialismus Edward Said geladen. Dieses aufgezeichnete Gespräch sollte dann Auftakt der Gesprächsreihe „We need to talk“ sein, mit der die Macher der documenta 15 versuchten, die Kritik an der antizionistischen und israelfeindlichen Ausrichtung der documenta 15 zu konterkarieren. (Zu Edward Said, vgl., Andreas Harstel, Das Gründungsdokument des Postkolonialismus. Edward Saids Orientalism und Israel, in: Die Untiefen des Postkolonialismus, 2021, S. 184 – 197.) Auf der documenta 12 präsentierte Peter Friedel mit „Brownie“ die „Giraffe gegen Zionismus„, mit ausdrücklicher Erlaubnis der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev konnten während der documenta 13 Aktivisten der Aktivisten-Gruppe doccupy den dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ nachempfundenen Slogan „Konsum macht froh“ mitten auf dem Friedrichsplatz präsentieren (vgl. unseren Beitrag: Doccupy – It’s antisemitism, Stupid!) und den kulturpolitischen Skandal um die Performance „Auschwitz on the beach“ auf der documenta 14 hatte Adam Szymczyk zu verantworten. (Vgl. hierzu unseren Beitrag: Ein Maulheld und das große Einseifen).

5 Die aktuelle Diskussion über den geplanten Auftritts der Band Pantera auf dem Festival Rock am Ring zeigt, dass ein solches Vorgehen durchaus als legitim erachtet wird. Obwohl der Bassist der Gruppe Pantera Phil Anselmo sich mehrfach für seinen Auftritt im Jahr 2016 entschuldigte und von seinem Gebahren distanziert hat, wurde die Band wegen dieses Auftritts aus dem Programm genommen. (Vgl.: Pantera. Metalband tritt doch nicht bei „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ auf, Spiegel 24.01.2023) Eine öffentlich wahrnehmbare Position, die hier die Freiheit der Kunst reklamierte, ist uns nicht bekannt. Die israelfeindlichen Akteure haben ihre Positionen nie revidiert, im Gegenteil, in mehreren Erklärungen wurden sie sogar bekräftigt. Der auch von der Ruangrupa mit unterzeichnete Aufruf „We are angry, we are sad, we are tired, we are united“ spricht sich mit dem Satz „The question is not the right of Israel to exist; the question is how it exists“deutlich gegen den jüdischen Staat aus.

6 Der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta GmbH sprach völlig kenntnisfrei von agrarischen Themen, der sich die auf der documenta vertretenen palästinensischen Gruppen angenommen hätten. Siehe: Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? Hessenschau, 19.01.2022. Die Staatsministerin Claudia Roth sah nach der Veröffentlichung der windigen Apologie des Khalilis durch Croitorus in der FAZ (die ein paar Tage später auch in der HNA erschien) alle Vorwürfe als entkräftet an. Vgl., Das Humboldtforum ist nicht der Vatikan. Ein Gespräch mit der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, FAZ, 07.02.2022.

7 In der HNA wurden mehrere Statements von Joseph Croitorus veröffentlicht, in denen dieser gegen jede Evidenz antizionistische und antisemitische Inhalte in Aussagen von Künstlern und Kunstwerken leugnete. So wurde von Croitoru z.B. der ehemalige Präsident des Khalil Sakakini Cultural Centers und Sprecher der Gruppe The Question of Funding Yazan Khalili davon freigesprochen, mit seinem Engagement für die Abschaffung Israels einzutreten. Er äußere sich kritisch gegen jeden Nationalismus, auch gegen den palästinensischen. (Joseph Croitoru: Künstler Yazan Khalili zum Antisemitismus-Vorwurf. Gründlich missverstanden, HNA, 10.02.2022) Die in einigen renommierten Sendungen herumgereichte Kulturjournalistin Elke Buhr meinte den Tatbestand, dass die Verantwortung eines Kulturzentrums, das sich nach einem Verehrer Hitler benennt mit der Verantwortung von Bewohnern einer Straße auf eine Stufe zu stellen, die nach Wagner benannt ist. Wenn jemand wie Khalili unter Emanzipation der Juden versteht, dass diese sich vom Zionismus zu lösen hätten, ist das ein Plädoyer gegen den jüdischen Staat. Die vermeintliche auch gegen den palästinensischen Nationalismus gerichtete Kritik läuft dagegen ins Leere, weil es gar keinen palästinensischen Staat gibt. An anderer Stelle meinte Croitoru es gebe in dem Filmprojekt Tokyo Reals keine Verbindungen von Japanischer Roter Armee zu palästinensischen Terrorgruppen (Joseph Croitoru, Pauschale Vorwürfe so nicht haltbar, HNA, 15.09.2022), obwohl sogar im documenta-Handbuch klar formuliert wurde, dass die Gruppe Subversive Film die „transnationalen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Befreiungsbewegungen durch eine Institutionalisierung der Archivierungsarbeit“ wiederaufbauten und damit heutige „Solidaritäts-Konstellationen“ reaktiviere. (documenta fifteen Handbuch, S. 190). Die HNA wiederholte daher immer wieder die Behauptung „die documenta-Kritiker haben einige Fehler gemacht. Sie legten mit immer neuen Vorwürfen nach (von denen ein Großteil widerlegt wurde).“ (z.B., Matthias Lohr, Kritiker von Ruangrupa müssen zuhören, HNA, 14.10.2022)

8 Dazu z.B.: Ingo Elbe, „…it’s not systemic“ Antisemitismus im postmodernen Antirassismus, in: ders., Gestalten der Gegenaufklärung. Untersuchungen zu Konservatismus, politischem Existentialismus und Postmoderne, Würzburg 2020, S. 242 – 275.

9 Grundlegend dazu: Steffen Klävers, Decolonizing Auschwitz. Komparativ-postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Oldenburg 2019.

10 In den großen überregionalen Zeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, Neue Züricher Zeitung, in den gewöhnlich eher „israelkritischen“ Organen Süddeutsche Zeitung und TAZ und vor allem in der Die Welt wurden – freilich erst nachdem wir unseren Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“ hier und auf dem Blog Ruhrbarone veröffentlichten – sowohl die israelkritische Schlagseite der documenta 15, die Tatenlosigkeit der Aufsichtsorgane, als auch verschiedene Kunstwerke kritisch rezipiert.

11 Adam Szymczyk soll neben Carolyn Christov-Bakargiev, Roger Buergel und anderen in der neuen Findungskommission vertreten sein. Die Ruangrupa wurde angefragt, lehnte ein Beteiligung aber ab. Vgl.: Bewährte Kräfte, in SZ, 11.11.2022. Dass diese Auswahl Besorgnis in der Jüdischen Allgemeinen hervorrief, verleitete den Kulturredakeur der HNA zur kenntnisfreien Behauptung die Kollegin des jüdischen Presseorgans würden reflexartig reagieren, denn Szymczyk sei in Sachen Antisemitismus nichts vorzuwerfen. Das „Schnüffeln“ nach öffentlichen Bekenntnissen der Kulturfunktionäre gegen Israel sei eine Reminiszenz an die McCarthy Ära. (Mark-Christian von Busse, Reflexhafte Urteile, HNA, 19.01.2023)

12 Der Aufsichtsrat der documenta GmbH (in dem Vertreter der Stadt Kassel, des Landes Hessens und dem Grunde nach auch des Bundes sitzen) beauftragte eine Expertenkommission, einige Kunstwerke zu überprüfen, ob sie antisemitische oder israelfeindliche Propagandawerke sind. Es gab zwar eine unterschiedliche Gewichtung in den Stellungnahmen der Mitglieder des „Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen“. In der am 10.09.2022 (also kurz vor dem Ende der Ausstellung) veröffentlichten Presseerklärung spricht das Gremium im Zusammenhang der „Kompilation pro-palästinensischer Propagandafilmen“ des Kollektivs Subersive Film von mit „antisemitischen und antizionistischen Versatzstücken versehenen Filmdokumente[n]“ und von „Israelhass und Glorifizierung von Terrorismus“ in den eingefügten Kommentaren.

Ein Kasseler Credo: Antisemitismus? Politik darf nie inhaltlich eingreifen!

Es war nicht alles schlecht. (Ein deutscher Journalist)

Der besondere Zauber einer jeden documenta, der auch diesen Sommer wieder für ein besonderes Flair und eine internationale Atmosphäre in unserer Stadt gesorgt hat, wurde diesmal leider getrübt. (Ein deutscher Bürgermeister)

Das klassische Phänomen des Antisemitismus nimmt aktuelle Gestalt an. Der alte besteht weiter, das nenn ich mir Koexistenz. Was war, das blieb und wird bleiben: der krummnasige, krummbeinige Jude, der vor irgendwas – was sag ich? – der vor allem davonläuft. So ist er auch zu sehen auf den Affichen und in den Pamphleten der arabischen Propaganda, an der angeblich braune Herren deutscher Muttersprache von einst, wohlkaschiert hinter arabischen Namen, mitkassieren sollen. Die neuen Vorstellungen aber traten auf die Szene gleich nach dem Sechs-Tage-Krieg und setzen langsamerhand sich durch: der israelische Unterdrücker, die mit dem ehernen Tritt römischer Legionen friedliches palästinensisches Land zerstampft. Anti-Israelismus, Anti-Zionismus in reinstem Vernehmen mit dem Antisemitismus von dazumal. Der ehern tretende Unterdrücker-Legionär und der krummbeinige Davonläufer stören einander nicht. Wie sich endlich die Bilder gleichen! (Jean Améry, Der ehrbare Antisemitismus, 1969)

documenta 15: 100 Tage Antizionismus – 100 Tage Israelhass – 100 Tage Antisemitismus

Jean Améry formulierte diese Sätze im Jahre 1969 angesichts der zu beobachtenden Wende unter den Linken in ihrer Haltung zu Israel, die von Bewunderern Israels zu Israelhassern wurden. Was er beschrieb ist seit diesen Jahren in immer wieder kehrenden Wellen zu beobachten: Der ehrbare Antisemitismus, der nicht von Nazis und Faschisten artikuliert wird, sondern von Akademikern, Schriftstellern, Politikern, Publizisten und Aktivisten der Linken, indem sie sich mit den Kampf der palästinensischen Nationalbewegung gegen Israel solidarisierten und indem sie Israel das vorwarfen, was sie kurz zuvor noch ihren Vätern vorwarfen, nämlich einen Vernichtungskrieg zu führen. Liest man die eingangs zitierten Sätze Amérys, fällt sofort ins Auge: in einigen Bildern und Exponaten der documenta 15 konnte man genau das illustriert sehen, was er 1969 beschrieb.

100 Tage der documenta 15 sind vorbei. Es waren 100 Tage, an denen Agitation gegen Israel möglich war, während denen Kritikern des Antizionismus und Antisemitismus Rassismus unterstellt wurde, an denen antiisraelische Agitation unter den Schutz der Kunstfreiheit gestellt wurde. Es waren 100 Tage, während denen jüdischen Verbänden unzulässige Einflussnahme vorgeworfen wurde. Es waren 100 Tage, während denen Kritikern an der dezidiert politischen Ausrichtung der documenta 15 die Forderung nach Zensur und das Handeln als Kolonialherren unterstellt wurde. Es waren 100 Tage, während denen man erfolglos der Chimäre vom Diskurs nachjagte. Es waren 100 Tage, während denen man sich von den unbelehrbaren Antisemiten, die beanspruchten, die Sichtweise des Südens zu vertreten, an der Nase herumführen ließ.

In der Presseerklärung der Stadt Kassel zur Verabschiedung der documenta 151 wird der Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta-gGmbH Christian Geselle zitiert: „Einzelne Kunstwerke verletzten durch mangelnde Einordnung Gefühle, […]“ Die Kunstwerke, die er vielleicht meinte, waren das Banner der Taring Padi und die Filme, die das Kollektiv Subversive Film zeigte, vielleicht auch der Guernica-Gaza-Zyklus des Antisemiten Mohammed al Hawajri, die PFLP-Anleihen des Hamja Ahsan, die am Porticus des Fridericianums angebracht waren, die israelfeindlichen und antisemitischen Karikaturen, die das Kollektiv Archives des luttes des femmes en Algérie ausstellte. Nicht die fehlende Einordnung, der in den genannten Werken z.T. offen ausgedrückte, z.T. in Form antizionistischer Propaganda daherkommende Antisemitismus verletzte mit Sicherheit Gefühle, insbesondere die der betroffenen Juden.

Kontextualisierung und Antisemitismus

Aber Antisemitismus ist nicht nur zu kritisieren, weil er Gefühle verletzt. Dazu im Folgenden eine kurze Einordnung (Kontextualisierung): Antisemitismus ist keine Meinungsäußerung, keine Bildsprache, kein Kunstwerk, das provoziert oder Gefühle verletzt. Antisemitismus ist die wahnhafte Weltanschauung des Antisemiten. Jean Paul Sartre formulierte mit dem Satz – „Der Antisemit will den Tod des Juden“ – das, worauf der Antisemitismus hinausläuft. Der Jude gilt in der Wahnidee des völkischen Deutschen als die Verkörperung des Gegenprinzips zum deutschen Volk. Spätestens seit 1948 gilt der nationalbewusste Jude als derjenige, der die islamische und arabische Idee von der Umma infrage stellte, in der es für ihn – wenn überhaupt – nur den Platz als Dhimmi gab und gibt. Die deutschen Volksgemeinschaft schickte sich daher an, den Juden zu vernichten, den panarabischen Nationalisten und arabischen Muslimen im Nahen Osten ging und geht es um die Vertreibung der meisten Juden aus dem Nahen Osten – was sie seit 1948 konsequent umsetzten – und um die Vernichtung des jüdischen Staates. Letzteres umzusetzen verhinderte alleine die Israelische Armee.

Die deutschen Volksgemeinschaft war es, die in den Jahren 1933 – 1945 das umsetzte, was Sartre als das wesentliche Motiv des Antisemiten beschrieb. Auschwitz war, ist und bleibt die Essenz des Antisemitismus.

Heute ist es die PLO, die nach wie vor Israel nicht anerkennt, wenn sie in ihrer Charta2 schreibt, dass die Schaffung Israels völlig illegal sei und wenn sie den Juden abspricht, eine Nation zu sein. Das sind Formulierungen, die auf die Vernichtung Israels, die Zerschlagung der jüdischen Nation zielen und die auf die Vertreibung der in Israel lebenden Juden hinausläuft. Es sind Formulierungen, die im Zuge der Osloer Friedensverträge hätten längst gestrichen sein müssen, die aber bis heute aufrecht erhalten werden und damit Gültigkeit besitzen.

Heute ist es die Hamas, die in ihrer Charta3 diese islamische Hadithe zitiert: „Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken“. Es ist die Hamas, die in ihrer Charta formuliert: „Palästina darf weder als Ganzes noch in Teilen aufgegeben werden“ und die sich auf die Protokolle der Weisen von Zion beruft. Auch das sind Formulierungen, die auf die Vernichtung Israels und die Zerschlagung der jüdischen Nation zielen, die auf die Vertreibung der in Israel lebenden Juden hinausläuft.

Die PLO herrscht in den palästinensischen Autonomiegebieten der Westbank, die Hamas im Gaza-Streifen. In diesen Gebieten leben, von den schwer bewachten Siedlungen in der Westbank abgesehen, keine Juden mehr. Sie sind „judenfrei“, so wie die meisten arabischen Staaten es seit 1948 auch sind. Beide Gruppen repräsentieren die palästinensische Nationalbewegung, mit der sich eine große Anzahl von Künstlern der documenta 15 solidarisch erklärten. In der von vielen Künstlern und „Kulturschaffenden“ präferierten Ideologie des Postkolonialismus4, wird die palästinensische Nationalbewegung als zu unterstützende antikoloniale Befreiungsorganisation gesehen, Israel als die Kolonialmacht. Dem Kolonialismus werden vergleichbare Methoden zur Unterdrückung oder gar Ausrottung der Kolonisierten unterstellt, wie sie das nationalsozialistische Deutschland zur Umsetzung der Judenvernichtung anwandte.

PLO und Hamas repräsentieren die palästinensische Nationalbewegung, mit deren Agenda sich auch die Mehrheit der Findungskommission resp. des documenta-Beirats, des Artistic-Teams und Ruangrupa solidarisch erklärten. Das war seit Januar durch unsere Recherche bekannt und wurde zuletzt in der Erklärung der „lumbung community“, also den Künstlern und Kollektiven der documenta 15, „We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from lumbung community“ noch einmal ausdrücklich betont.

Vom Kasseler Credo nicht einzugreifen

Von einer Ausstellung, auf der es möglich war, dass antisemitische Karikaturen von und über Juden gezeigt wurden, kann kein Zauber ausgehen, wie es Geselle formuliert hat. Es war eine Ausstellung, die völlig zurecht und zum Glück in einigen überregionalen Zeitungen scharf kritisiert wurde. Wenn Geselle bedauert, „dass viele Bilder und Schlagzeilen, die über die documenta und Kassel gezeichnet wurden, negativ haften blieben“ bestraft er den Boten der schlechten Nachricht und unterschlägt oder verharmlost das der Botschaft zugrundeliegende Problem, nämlich den Antizionismus, den Israelhass und den Antisemitismus, der auf der documenta 15 möglich war. Sein Statement zeugt auch davon, dass er vom Wesen des Antisemitismus nichts begriffen hat. Und weil das so ist, haben er als Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-gGmbH, wie auch zunächst die Generaldirektorin Dr. Sabine Schorman und ihr Nachfolger Alexander Fahrenholtz und die anderen politisch Verantwortlichen, die hessische Ministerin Angela Dorn und auch die Staatsministerin Claudia Roth, auch nichts von der Notwendigkeit begriffen, dem Antisemitismus entgegenzutreten. Alle folgten dem von Geselle auf der Abschiedsveranstaltung nochmals verkündeten Motto: „Politik darf nie inhaltlich eingreifen.“ Was für ein Unsinn. Mit diesem Kasseler Credo haben sie den Propagandisten des palästinensischen Volkstumskampfes das Feld überlassen.

Geselle fordert nun, es „müsse dringend eine neue Basis geschaffen werden. Ziel muss sein, eine kulturpolitische Debatte einzuleiten und Gespräche wiederaufzunehmen. Es gilt, auf Augenhöhe zu diskutieren.“ Dabei sei „wieder Maß und Mitte zu finden.“

Mit Antisemiten und Israelhassern diskutiert man nicht, schon gar nicht auf Augenhöhe. Es ist die Aufgabe jeder Politik, einzugreifen, wenn sich Antisemitismus artikuliert. „Nie wieder Auschwitz!“ heißt nicht „Maß und Mitte“ zu finden, sondern klar zu äußern: Antisemiten und Antizionisten ist kompromisslos entgegenzutreten und das heißt auch unmissverständlich Solidarität mit Israel zu üben.

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1 15. Ausgabe der Weltkunstausstellung endet – Kassel freut sich auf die documenta 16 im Jahr 2027, Presseerklärung der Stadt Kassel, 25.09.2022.

2 Wikipedia: Palästinensische Nationalcharta.

3 Wikipedia: Hamas-Charta.

4 Vgl. dazu: Steffen Klävers, Postkoloniale Normalisierung: Anmerkungen zur Debatte um eine koloniale Qualität von Nationalsozialismus und Holocaust, Rote Ruhr Uni 2022.

Kassel: 100 Tage Israelhass – 100 Tage Antizionismus – 100 Tage Antisemitismus

Am 10.09.2022 erklärten Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen es zur dringlichsten Aufgabe „die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigte Kompilation von propalästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er des Kollektivs ‚Subversive Film‘ zu stoppen“. Eine richtige Erklärung, die fast drei Monate zu spät kommt und angesichts der Tatsache, dass die documenta am 25.09.2022 die Tore schließt schlicht deplatziert wirkt.

Die Autoren sehen die Ursache für die monierte Einseitigkeit der präsentierten Positionen im kuratorischen Konzept der künstlerischen Leitung, „das bewusst auf Kontrolle über die Zusammenstellung und Präsentation der Ausstellung verzichtet hat.“ Das ist nur die halbe Wahrheit, denn im Fall der Kuratoren, sprich mit der Ruangrupa haben wir es mit Überzeugungstätern zu tun.

Wer Antizionisten kuratieren lässt bekommt Antisemitismus geliefert

Am 07.01.2022 und in den folgenden Tagen und Wochen deckten wir auf, dass in den leitenden Gremien der documenta (Ruangrupa, Artistic Team, documenta-Beirat) bekennende Israelgegner, Befürworter antiisraelischer Boykottinitiativen und Antizionisten vertreten waren.

Die Verantwortung für die insgesamt problematische Ausrichtung der documenta 15 lässt sich am folgenden Beispiel darstellen. Mit der unter Beteiligung Christian Geselles erfolgten Berufung der Findungskommission wurde das faule Ei in das Nest gelegt. In dieser Findungskommission, die später als documenta-Beirat fortgeführt wurde, sind mit Amar Kanwar, Charles Esche, Gabi Ngcobo, Elvira Dyangani Ose, Ute Meta Bauer mindestens fünf Personen dem antizionistischem Spektrum zuzuordnen.1 Auch der Städeldirektor Philippe Pirotte fiel zumindest mit indifferenten Positionen zum Thema Israel, Antizionismus und Antisemitismus auf.2 Dieses Gremium berief die Ruangrupa, von der mindestens vier Personen dem antizionistischen Spektrum oder der Szene der Israel-Boykottbewegungen zuzuordnen sind. Die Ruangrupa kuratierte das palästinensische und antiisraelische Kollektiv The Question of Funding, welches wiederum dem Antisemiten Mohammed Al Hawajris die Möglichkeit bot, seine Machwerke der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Angesichts dieser auch von uns dargelegten Problematik organisierten wir am 18.06.2022, dem Eröffnungstag der documenta, zusammen mit Malca Goldstein-Wolf eine Kundgebung. Aus Kassel schlossen sich lediglich das Junge Forum DIG und die Junge Union Kassel dieser Kundgebung an.

Dort sagten wir in unserem Beitrag:

„Die documenta GmbH ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die von der Stadt Kassel und dem Land Hessen als Gesellschafter getragen und zudem durch die Kulturstiftung des Bundes finanziell unterstützt wird. Akteure wie Ruangrupa wurden von einer Expertenkommission explizit eingeladen und vom Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle bestätigt. Dass die Dämonisierung Israels im Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts nicht die Ausnahme sondern die Norm ist, hätte umso mehr eine vorherige Kontrolle bedingen müssen, die zum Resultat hat, dass es nicht öffentlich als solche erkennbare Antisemiten sind, deren Arbeit man mit zigmillionen Euro an Steuergeldern fördert und deren Ressentiments man eine internationale Bühne bietet.“3

Im Redebeitrag vom Jungen Forum DIG hieß es:

„Auch unter den Künstlern der jetzigen Documenta sind eingefleischte Israelhasser, die Kunst anfertigen, die mit dem Begriff ‚BDS-Kunst‘ noch milde umschrieben ist. […] Es ist also zu befürchten, dass die Documenta durch das Agieren ihrer Leitung und ihrer Künstler den Beschluss des Bundestages de Facto untergräbt und so einer antisemitischen Bewegung verhilft, weiter salonfähig zu werden. Dieser Antisemitismus des Kulturbetriebs darf nicht unwidersprochen bleiben, […]“4

Dieses Bild steht für das Verhältnis des Aufsichtsrates zum Kuratorenteam Ruangrupa bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Erklärung der fachwissenschaftlichen Begleitung. Das Bild zeigt Christian Geselle mit den beiden Antizionisten Ade Darmawan und Farid Rakun

Es war also schon vor der Eröffnung der documenta klar, was zu erwarten war. Denn wer Antizionisten einlädt, eine Ausstellung zu kuratieren, darf sich nicht wundern, dass Antisemitismus präsentiert wird. Den absehbaren antisemitischen Umtrieben auf der documenta 15 wurde, als es noch sinnvoll und notwendig war, von den politisch Verantwortlichen nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil der Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-GmbH Christian Geselle, die hessische Ministerin Angela Dorn und die Bundesministerin Claudia Roth wischten die Kritik mit den Hinweisen auf die Kunstfreiheit und auf eine Multiperspektivität seit Januar vom Tisch und widerholten diesen Standpunkt auch auf der Pressekonferenz am 16.06.2022. Der Tenor der Kritikabwehr seitens der Kuratoren, der ausstellenden Künstler und Kunstkollektive lautete damals wie heute: Die Kritik am Antisemitismus und Israelhass der Kuratoren und einiger Künstler sei eine rassistische Kampagne der Medien, der Antizionismus und Antisemitismus sei „legitime Kritik“ an Israel als Kolonial- oder Apartheidstaat.

Es kam, wie es von uns und verschiedenen anderen kritischen Stimmen befürchtet wurde. Der „Guernica – Gaza – Zyklus“ des antisemitischen Künstlers Mohammed Al Hawajris wurde schon kurz vor der Eröffnung bekannt. Am Eröffnungstag kam es zu dem krassesten Fall, als die Gruppe Taring Padi das Banner „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz präsentierte, das einen Juden im Stil des Stürmers karikierte. Die antisemitischen und israelfeindlichen Graphiken, die die Gruppe Archives des luttes des femmes en Algérie präsentierte und die Anleihen an ein Logo der Terrorgruppe PFLP, die der antisemitischen Künstler Hamja Ahsan direkt am Eingang des Fridericianums präsentierte, wurden einige Tage später bekannt und kritisiert.

Dass auf der documenta 15 antisemitische Propaganda-Filme gezeigt werden ist nicht neu

Am 20.06.2022 erschien in der Süddeutschen Zeitung der Artikel „Hinter den Propaganda-Filmen in Kassel steht ein Ex-Terrorist und RAF-Freund“.5 Dort konnte man unter anderem lesen: „Besonders problematisch sind Filmarbeiten des Kollektivs Subversive Films aus Brüssel und Ramallah, zu sehen an den Documenta-Spielorten Hübner-Areal und Gloria-Kino unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival. Das Künstlerkollektiv um Mohanad Yaqubi und Reem Shillem traf sich, wie sie auf der Website der Documenta schreiben, vor dem Projekt mit dem japanischen Agit Prop-Filmemacher und ehemaligem Mitglied von Terrororganisationen Masao Adachi, dies war demnach der Ausgangspunkt ihres Projekts. Danach erhielten sie Filme aus den Siebzigern diverser Regisseure mit Propaganda auch für die palästinensische Sache. Der 1939 geborene Adachi war lange führender Kader der Japanischen Roten Armee. Diese trainierte in den Siebzigerjahren im Libanon für einen ‚revolutionären Krieg‘. Die Terrorgruppe verübte eine Reihe von Anschlägen in etlichen Ländern, darunter den Anschlag auf den Flughafen in Tel Aviv am 30. Mai 1972. Dabei starben 26 Menschen, 80 wurden verletzt. […] Problematisch sind die Werke nicht, weil sie die palästinensische Binnenperspektive einnähmen – das tun sie gerade nicht. Zu sehen ist Propaganda, und zwar eine in Demokratien gewachsene. In einem heute unfassbaren Revolutionskitsch werden etwa wild geschnittene Bilder aus US-Western assoziiert mit den Palästinensern, diese also implizit als moralisch angeblich überlegene Ureinwohner verherrlicht. Was ein vergiftetes Kompliment ist, transportiert es doch alle Stereotypen vom edlen Wilden und läuft damit der Intention der Documenta entgegen, Menschen des globalen Südens eine Stimme zu geben. […] Den Film „The Urgent Call of Palestine“ hat der damalige Direktor der PLO-Organisation für Kunst und Nationale Kultur Ismail Shammout verantwortet. Es zeigt die Sängerin Zeinab Shaath, wie sie auf Englisch singt, die Alternative zum Kämpfen sei der Tod. Andere Filmausschnitte preisen die japanischen Unterstützer palästinensischer Kämpfer wie eine schlechte Dauerwerbesendung. Das Kollektiv beruft sich auf den Archivgedanken, es will bewahren. Wer aber in die Werke hereinschaut, bekommt den Eindruck, dass die Künstler auf der Documenta auch eine neue radikale Unterstützerwelle für Palästinenser initiieren möchten. […] Und da fragt sich dann doch, ob das Oberkollektiv Ruangrupa kuratiert, also die Arbeiten mit ausgewählt und begleitet hat. Wenn ja, haben sie diese Propaganda so gewollt. Und wenn nein: ist es ohnehin ein Fehler.“

Die ausführliche Kritik Kia Vahlands an den Machwerken der Tokyo Reels Film Festival war also schon lange bekannt und blieb auch nicht unbeachtet. Verschiedene andere überregionale Zeitungen, u.a. Die Welt, griffen das Thema auf. Dagegen sind die Ausführungen des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung, die zwei Wochen vor dem Ende der documenta veröffentlicht wurden, recht dürr.

Die Erklärungen der Gesellschafter der documenta, also Christian Geselles, Angela Dorns und Claudia Roths, die sich dem Votum des Gremiums anschließen, dürften, weil viel zu spät, folgenlos bleiben oder der Kosmetik dienen. Sie liefern, weil sie die Ursachen des kulturpolitischen Skandals ersten Ranges nicht benennen, letztendlich auch keine Erklärung, sondern beschreiben, wie es schon nach der Präsentation der Nazi-Ästhetik durch Taring Padi geschah, nur das, was nicht mehr zu leugnen ist. Nicht nur „dass die Documenta GmbH zuvor immer betont hatte, dass die Entscheidungen für den künstlerischen Teil der Ausstellung allein bei Ruangrupa liege, wirkt zunehmend bizarr.“6

In zwölf Tagen schließt die sogenannte Weltkunstausstellung. Angesichts dieser Tatsache ist es jetzt für wirksame Schritte gegen die Präsentation antisemitischer und antizionistischer Machwerke zu spät. Angemessen wäre es die Ruangrupa und ihre Spießgesellen „unehrenhaft zu entlassen“, sprich sie nach Beendigung der „Weltkunstausstellung“ ohne Verabschiedung zum Gehen aufzufordern. Und Kassel sollte der Schandtitel „Antisemita-Stadt“ zuerkannt werden.

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1 Entscheiderin nannte Israel „Apartheidstaat“. Der Antisemitismusskandal auf der documenta war absehbar, in: Tagesspiegel, 12.07.2022.

2 Pirotte äußerte sich laut HNA wie folgt: „Die Antisemitismusvorwürfe gegen Künstler und Kuratoren der documenta fifteen seien eine Instrumentalisierung, um das Projekt zu diskreditieren“, in: Antisemitismus auf drei Ebenen, HNA, 13.09.2022.

3 Siehe unseren Beitrag: Solidarität mit Israel – Dem Antisemitismus entgegentreten – Stoppt BDS.

4 Siehe Fußnote 1

5 Hinter den Propaganda-Filmen in Kassel steht ein Ex-Terrorist und RAF-Freund, in: SZ, 20.06.2022.

6 Documenta. „Die Gesellschafter schließen sich dem Votum“ an, in: FR, 13.09.2022.

Sie wussten was sie taten

Die Probleme einer Weltanschauung und die Ignoranz der politisch Verantwortlichen

Am 09.01.2022 schrieben wir dem Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH eine E-Mail. Hier der Text:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Christian Geselle,

Sie stehen persönlich dafür ein, dass Kassel eine besondere Verbundenheit zu Israel und zur Partnerstadt Ramat Gan auszeichnet. Seit zwei Jahren wird zum Zeichen der Verbundenheit mit Israel am 14. Mai die Fahne Israels am Rathaus gehisst. Wir begrüßen diese auch heute nicht selbstverständliche Haltung in der Kommunalpolitik.

Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der documenta-GmbH können Sie sicherlich nicht alle Persönlichkeiten und Künstler kennen, die im Rahmen der kommenden documenta fifteen kuratiert werden und dort in den diversen Gremien sitzen. Der Bundestag fordert in seinem Beschluss vom 17. Mai 2019, „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“, Organisationen und Personen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen nicht mit öffentlichen Geldern finanziell zu fördern und hat Länder, Städte und Gemeinden aufgefordert, sich dieser Haltung anzuschließen.

Mit der „Künstlergruppe“ „The Question of Funding“ aus Ramallah, die zunächst als „Cultural-Center Khalil Sakakini (KSCC)“ vorgestellt wurde, ist jedoch genau eine Gruppe als „member“ des „lumbung“ geladen worden, die die BDS-Bewegung und ähnliche Initiativen unterstützt. Auch weitere Künstler, die sich in dieser Richtung engagieren, werden als member des lumbung genannt. Das verwundert nicht, weil in den verschiedenen Gremien der documenta fifteen Unterstützer der Boykottbewegung gegen Israel agieren.

Das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel hat eine Presse-Erklärung und einen ausführlichen Blogbeitrag zu dem unmittelbar dem KSCC zuzurechnenden Personenkreis, zu den zu verurteilenden Bezügen des KSCC und zu weiteren Personen aus dem Unterstützerkreis der Boykottbewegung gegen Israel veröffentlicht.

Wir wünschen uns eine klare Stellungnahme und Intervention von Seiten der Stadt und von Ihnen als Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta-GmbH, der Absicht von BDS-Unterstützern und anderen Boykottbefürwortern gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“ im Rahmen der international beachteten documenta auszustellen und zu agieren, entgegenzutreten.

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Eine Antwort gab es nicht.

Inkompetenz, Desinteresse und Abwehr der Kritik auf allen Ebenen

Was war der Anlass unserer E-Mail?

Am 07. 01.2022 veröffentlichten wir den Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“. Dort kritisierten wir in einigen Sätzen die grundlegende Ausrichtung der documenta, die unseres Erachtens in einem systematischen Zusammenhang mit Antizionismus, Israelhass und Antisemitismus steht. Wir nannten Gründe dafür, warum die Gefahr bestand, dass die Kunstausstellung antizionistischer Propaganda eine Bühne bietet. In der Findungskommission, die als documenta-Beirat während der documenta 15 fortgeführt wird, sitzt mit Amar Kanwar eine Person, die die Boykottbewegung gegen Israel unterstützt und mit Charles Esche eine, die den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung kritisierte. Im aus fünf Personen bestehenden „Artistic Team“, der künstlerischen Leitung der documenta 15, unterstützen vier den antiisraelischen Hassbrief „A Letter Against Apartheid“. Die von der Findungskommission berufene ruangrupa besteht aus zehn Personen. Sie soll die kuratorische Arbeit der documenta 15 übernehmen. Vier, davon die beiden führend tätigen Ade Darmawan und Farid Rakun gehören zu den Unterstützern dieses Briefes oder andere antiisraelische Pamphlete. Der „A Letter Against Apartheid“, und das ist in diesem Kontext das Entscheidende, fordert auch den kulturellen Boykott Israels. Er steht für die Parole: Israelis raus!

Wir stellten am Beispiel der kuratierten palästinensischen Gruppe „The Question of Funding“ heraus, dass deren Protagonisten, insbesondere einer der beiden bekannten Akteure dieser Gruppe, Yazan Khalili, sich in antisemitischer Art und Weise öffentlich geäußert hat und zu den Unterstützern der BDS-Bewegung zählt. Ferner stellten wir heraus, dass diese Gruppe aus dem Umfeld des „Khalil Sakakini Cultural Centers“ kommt, das zu den Mitgründern der antisemitischen BDS-Bewegung gehört und sich nach einem palästinensischen Pädagogen und Nationalisten benennt, der sowohl antisemitische Aussagen getroffen als auch sich lobend über Hitler geäußert hat.

Sofern der Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung und die Bekenntnisse der Stadt Kassel und ihrer Repräsentanten zu Israel, zu den hier lebenden Juden und zur deutschen Vergangenheit irgendeine politische Bedeutung haben sollen, gab es zu diesem Zeitpunkt genug Gründe, erstens mit uns in Kontakt zu treten, zweitens darauf hinzuwirken, dass die Arbeit der Kuratoren kritisch begleitet wird und drittens vielleicht sogar zu erwägen, das „Artistic Team“ abzulösen und die Gruppe „The Question of Funding“ nach Hause zu schicken.

Ein Problembewusstsein ließen weder Christian Geselle noch irgendein anderer Akteur der Stadt erkennen. Im Gegenteil. Der Oberbürgermeister ließ am 16.01.2022 in einer Pressemitteilung verlauten: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratieren 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. Dabei seien unter anderem die Hinterfragung von Machtverhältnissen und dekoloniale Ansätze zentrale Gegenstände. […] Die Freiheit der Kunst zu wahren und zu verteidigen sei [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben […]“.1

Nachdem zunächst die CDU-Fraktion eine Resolution für die Stadtverordnetenversammlung entwarf, in der die Überprüfung der von uns geschilderten Tatsachen gefordert wurde, zog die CDU nach der Stellungnahme des Oberbürgermeisters und der dünnen Erklärung der documenta, sie wende sich auch gegen Antisemitismus, diese Resolutionsentwurf zurück.2

Die documenta reagierte am 12.01.2022 mit einem vollkommen inhaltsleeren Dementi, das in der überregionalen Presse auf Unverständnis stieß.3 Einige Tage später, am 19.01.2022 folgte dann eine ausführlichere Stellungnahme in der zunächst die Rede von rassistischen Diffamierungen und von Falschmeldungen war: man habe Künstler eingeladen, die sich im „Sinne der lumbung-Praxis mit künstlerischen Mitteln für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren. […] Grundlage der documenta fifteen ist die Meinungsfreiheit einerseits und die entschiedene Ablehnung von Antisemtismus, Rassismus, Extremismus, Islamophobie und jeder Form gewaltbereitem Fundamentalismus andererseits.“ Die Macher der documenta kündigten dann an, unter dem Titel „We need to talk! Art – Freedom – Limits“ eine vielstimmige Debatte zu führen.4 Für den Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gmbH Christian Geselle war damit alles erledigt. In dem ihm eigenen Stil ließ er am verlautbaren: „Für mich ist die Angelegenheit mit dieser Erklärung erledigt“. Die HNA berichtete am 20.01.2022, der Kasseler Oberbürgermeister sehe keine Anzeichen dafür, dass das Existenzrecht Israels seitens der documenta fifteen infrage gestellt werde. Die Menschen in Palästina hätten ebenso das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches und würdevolles Leben – ein Wunsch, den die Künstler mit ihrem Ansinnen einer ökonomischen und sozialen Autonomie zum Ausdruck brächten.“ Geselle und die hessische Kunstministerin Angela Dorn sahen keine Notwendigkeit, das Gremium des Aufsichtsrates einzuberufen.5

Am 16. März besuchte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth Kassel. Auf sie dürfte zurückgehen, dass sich die documenta-Macher dazu herabließen, eine Diskussion zu simulieren. In der HNA führte sie aus, dass sie es gewesen sei, die diese Gesprächsreihe angeregt hätte. Die HNA zitiert Roth: „Antisemitismus ist keine Meinung, für Antisemitismus, für Rassismus, für jede Form der Menschenfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft überhaupt kein Platz. Das ist nicht verhandelbar. Das Existenzrecht Israels infrage zu stellen, ist absolut inakzeptabel.“ Man müsse sich zwar auch auf Menschen aus Weltregionen wie Indonesien einlassen, die einen anderen kulturellen und religiösen Hintergrund haben. […] Nach dem Gespräch mit Ruangrupa teilte Roth gestern mit, sie habe sich ein Bild von den Vorbereitungen gemacht und wolle den Verantwortlichen sowie den Gesellschaftern Dank und Respekt aussprechen: „Das Engagement aller Beteiligter im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist noch einmal deutlich unterstrichen worden, und ich messe den Versuchen aller Beteiligter, die notwendigen Diskussionen offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ich würde mich freuen, wenn deren Gesprächsangebot zu einer friedlichen und lösungsorientierten Debatte breite Zustimmung erhält.“6

Dieses Statement nahmen wir dann wiederum zum Anlass, der Kulturstaatsministerin am 21.03.2022 eine E-Mail zu schreiben:

Sehr geehrte Frau Staatministerin Claudia Roth,

am 16.03.2022 besuchten Sie, Frau Staatsministerin Roth, Kassel. Anlass war ein Gespräch mit den künstlerischen Leitern der documenta fifteen, Ruangrupa. Gegen das Künstler- und Kuratorenkollektiv aus Indonesien hatte es wegen der Nähe zur israelkritischen BDS-Bewegung Antisemitismusvorwürfe gegeben. In einem Gespräch mit der HNA verkündeten Sie, dass Sie „den Versuchen aller Beteiligten, die notwendige Diskussion offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit“ beimessen. Die documenta stehe „beispielhaft als geschützter Raum für eine offene Debatte.“

Wir, die Mitglieder des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (BgA-Kassel), hatten in einem am 07.01.2022 veröffentlichten Blogartikel nachgewiesen, dass zahlreiche Personen in wichtigen Gremien der documenta 15 dem Umfeld der Israel-Boykott-Bewegung angehören oder zu den Kritikern des Bundestagsbeschlusses zur antisemitischen BDS-Bewegung zählen. Ferner hatten wir darauf hingewiesen, dass mit „The Question of Funding“ eine Personengruppe aus dem unmittelbaren Umfeld des palästinensischen „Khalil Sakakini Cultural Centrum (KSCC)“ von den Documenta – Verantwortlichen zur Weltausstellung eingeladen wurde. Das KSCC war, bevor es sich in eine NGO wandelte, eine Institution der Palästinensischen Autonomiebehörde und ist nach dem palästinensischen Nationalisten, einem Anhänger Hitlers und einem Befürworter des Terrors, Khalil al-Sakakini benannt. Die beiden Personen, Yazan Khalili und Fayrouz Sharkawi, die bisher für diese Gruppe in Erscheinung getreten sind, sind Anhänger der Boykottbewegung gegen Israel. Deren Sprecher, Yazan Khalili, hat sich außerdem mit antisemitischen Äußerungen und Gewaltfantasien hervorgetan.Unsere Recherche fand große Beachtung in den Medien.

Versuche, die Argumentation des BgA-Kassel zu entkräften, erwiesen sich als substanzlos.

[…]

Wir vom BgA-Kassel interpretieren die gegen uns an den Tag gelegte Gesprächsverweigerung und die gleichzeitig gegen uns unternommenen rechtlichen Schritte jedoch als Verweigerung, sich mit unangenehmen Fragen auseinander zu setzten. Uns drängt sich der Verdacht auf, dass es nicht darum geht, eine offene Debatte zu führen, sondern die angeschlagene Reputation der documenta 15 zu retten. Es ist offensichtlich, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus, Boykott-Bewegung gegen Israel unter den „Kulturschaffenden“ und in der postmodernen Kunst-Szene nicht stattfinden soll. Diese Auseinandersetzung ist jedoch notwendig und falsche Rücksichtnahme wäre hier fehl am Platz.

[…].

Wir jedenfalls werden diese Debatte öffentlich führen! Außerdem gehen wir davon aus, wenn Sie dabei bleiben, dass eine offene und transparent zu führende Diskussion notwendig sei, dass am Ende auch an uns vom BgA-Kassel seitens der Stadt und den Verantwortlichen der documenta und aus Kunst und Kultur ein Gesprächsangebot gerichtet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Eine Antwort gab es auch auf dieser Ebene nicht.

Dass genau der von allen Beteiligten angeführte postkoloniale Ansatz, vulgo „Sichtweise des globalen Südens“ oder die sogenannte Multiperspektivität problematisch ist, sollte seit den Ereignissen um die Ruhrtriennale 2020 und der darauf folgenden Debatte bekannt sein. Uns ist klar, dass es nicht die Aufgabe eines Bürgermeisters einer Provinzstadt ist, die verschiedenen Facetten der Diskussionen und Auseinandersetzungen zum zeitgenössischen Antisemitismus, zur postmodernen Ideologie im Allgemeinen und zum Postkolonialismus im Besonderen zu kennen. Vor dem Hintergrund des Bundestagsbeschlusses und spätestens nach unserer E-Mail hätte es aber gute Gründe gegeben, einfach mal beim BgA-Kassel nachzufragen, anstatt dieses dem Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit auszusetzen. Aber es kam noch schlimmer. Weil wir angeblich eine urheberrechtlich geschützte Zeichnung des lumbung verfremdeten und zur Illustration unseres Blogbeitrages nutzten, erreichte uns am 07.02.2022 ein Abmahnschreiben einer renommierten Anwaltskanzlei im Auftrag der documenta-gGmbH. Aus dem Text des Abmahnschreibens ging hervor, dass man wohl zuerst versuchte, uns der „unzulässigen Meinungsäußerung“ zu überführen. Zusammengefasst, man nahm uns zwar ernst, versuchte uns aber mundtot zu machen.

Obwohl dann einige Autoren wichtiger überregionaler Zeitungen (Die Zeit, NZZ, FAZ, TAZ und Die Welt und zuletzt sogar Spiegel) so etwas wie ein Problembewusstsein hatten7 und sich im Mai dann auch der Zentralrat der Juden, die WerteInitiative und das American Jewish Comittee (AJC) sehr deutlich zu Wort meldeten8, fochten dies weder die Verantwortlichen und die Leitung der documenta 15, noch die lokale Politik oder andere Akteure der sogenannten Zivilgesellschaft in Kassel an. Noch am Mittwoch, den 15.06.2022, also unmittelbar vor der Eröffnung der documenta 15, feierten sich Christian Geselle, Angela Dorn und Sabine Schormann im Auestadion selbst und Kassel und wiesen die mittlerweile immer deutlicher werdende Kritik als von außen aufgezwungen und dem Gegenstand als unangemessen zurück. Wie zum Trotz überließen sie dem Israelfeind Agus Nur Amal (Pmtoh) die Bühne.

Der offene Antisemitismus war kein Zufall

Am 18.06.2022 hängte die Gruppe Taring Padi das nun weltbekannte Banner auf, dessen Mitte eine im Stil des Stürmers gehaltenen Karikatur eines Juden zeigte. Hätte die Partei „Der Dritte Weg“ oder „Die Rechte“ ein solches Banner aufgehängt, halb Kassel hätte auf den Beinen gestanden und „No Pasaran!“ skandiert. Man hätte nicht nur die Entfernung des Plakats, sondern mit dem sattsam bekannten Slogan „Nazis raus!“ die Verbannung der Gruppe aus Kassel gefordert. Nichts dergleichen passierte anlässlich des Propaganda-Coups durch die Gruppe Taring Padi. Man nahm die fadenscheinige Entschuldigung der Gruppe hin, die im Duktus fast gleichlautend daher kam, wie man ihn von rechten Politikern vernehmen kann, wenn sie bei antisemitischen Rülpsern erwischt werden. Man suchte den Diskurs und war froh, dass zunächst mit Meron Mendel ein Experte engagiert werden konnte, der sowohl weiß, wovon er spricht, wenn er sich zum Thema Antisemitismus äußert und der gleichzeitig, sich dem von der documenta verkündeten Dogma der Multiperspektivität unterwerfend, die palästinensische Perspektive als legitim betrachtet und keinen strukturellen Zusammenhang von Postkolonialismus und Antisemitismus erkennen will.9

Allen, bis auf den Anführer der VVN-BdA Kassel, Ulrich Schneider10, war klar, dass die Karikatur des Juden auf dem indonesischen Banner antisemitisch ist. Dennoch, die einhellige Verurteilung des Banners – wohlgemerkt nicht der Gruppe – verstellt die Debatte, um die es eigentlich gehen müsste: Warum war es möglich und was hat es zu bedeuten, dass eine sich progressiv gebende Gruppe einen Juden im Stürmer-Stil als Repräsentant für das Schlechte in der Welt präsentiert?

Das jetzt abgehängte Banner der Gruppe Taring Padi wäre ohne die Judenkarikatur und ohne den Mossad-Mann genauso unbeanstandet goutiert worden, wie das am Opernplatz aufgehängte Bild, in dem die Ami-Sau unten rechts im Bild zu finden ist, oder die zahllosen Papp-Aufsteller am Hallenbad Ost, die in bisweilen rassistischer Überzeichnung, Kapitalisten und Politiker als Ratten und Schweine darstellen. In diesen vermeintlich kritischen Darstellungen von Unterdrückung und Ausbeutung sowie der Illustration des Kampfes für eine angeblich bessere Welt zeigt sich die gemeinsame Grundlage der Ideologie der umworbenen Aktivisten aus dem Süden und der saturierten Kunstschaffenden und -konsumenten in den Metropolen des sich selbst hassenden Westens.

Die Ideologie, die sich im Banner der Gruppe Taring Padi mit oder ohne Jude in der Mitte darstellt, ist geprägt von einem simplen Gut-Böse-Dualismus, der Personalisierung abstrakter Herrschaftsverhältnisse, einem zivilisationsfeindlichen Zurück-zur-Natur-Mythos und in der Verherrlichung des Landlebens. Die als Befreiung interpretierte Anbetung des Kollektivs und autochtone Tradition und die letztendlich autoritäre Verachtung des Individuums paart sich mit der auf der documenta allenthalben gefeierten Ursprünglichkeit, die sich in der politischen Aufladung der präsentierten Kollektive, Gemüsebeete, und Komposthaufen darstellt. Heraus kommt dabei ein Gebräu einer Weltanschauung, die sich durch die Feindschaft gegenüber der Moderne und ihrer Ideen von der Freiheit des Individuums, der Aufklärung, von der Befreiung aus der Knechtschaft und aus den Zwängen der Natur auszeichnet und die der Nährboden antisemitischer Weltanschauung ist. Dieses Konglomerat an Vorstellungen von einer „anderen Welt“ der ruangrupa und ihrer Protegés und Anhänger kommt als eine Weltanschauung der Antimoderne daher, die schlicht und ergreifend eine offene Flanke zum Antisemitismus hat. Und zu dieser Weltanschauung gehört das Bündnis mit den Antizionisten aus dem Nahen Osten, wie der Komposthaufen zum Gemüsebeet an der documenta-Halle. Aus diesen Gründen war die von Mendel erwogene Schnüffelei nach weiteren offen antisemitischen Exponaten fehl am Platze.

Es ist kein Wunder, dass so lupenreine Antisemiten wie Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, dass beinharte Israelfresser wie Khalid Albaih, Jumana Emil Abboud, das Party-Office und mindestens 60 weitere Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“ auf der documenta präsentiert werden11, nur dass diese es im Gegensatz zu den Indonesiern vielleicht verinnerlicht haben, dass man nach 1945 in Deutschland den Juden nicht (mehr) mit Hakennase und blutunterlaufenen Augen, ihn nicht als Gottesmörder oder blutrünstigen Militär präsentiert. Das macht man zuhause, wenn die Weltöffentlichkeit nicht hinschaut. Sie wissen, dass man es ihnen als „Israelkritik“ durchgehen lässt, wenn die einzige Demokratie im Nahen Osten als Apartheid-Regime bezeichnet wird und wenn Israel selbst dafür verantwortlich gemacht wird, wenn die Hamas Israel mit Raketen beschießt. In der Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien des Bundestages konnte man nachvollziehen wie das funktioniert. Einer der beiden Sprecher der ruangrupa, Ade Darmawan, äußerte sich gemäß eines Artikels des Tagesspiegels wie folgt: „‘Es gibt keinen stillen Boykott gegen Israel oder gegen Juden.‘ Jüdische und israelische Künstler seien bei der documenta vertreten, würden auf eigenen Wunsch namentlich nicht genannt, da sie mit dem Konzept des Nationalstaates nicht in Verbindung gebracht werden möchten.“12 Damit dürfte er den antizionistischen Konsens der documenta 15 ausgedrückt haben, den Yazan Khalili so ausdrückte, dass er die Juden vom Zionismus emanzipieren wolle. Nach der Expertise der Elke Buhr und eines Joseph Croitoru ist das kein Antisemitismus, nach Meron Mendel Ausdruck des legitimen Widerstandes gegen die „Besatzung“ und als Äußerung mindestens von der Kunstfreiheit gedeckt. Zwar ist Antizionismus nicht das gleiche, wie Antisemitismus, aber es gibt keinen Antizionismus ohne Antisemitismus. Dieser Zusammenhang wurde nirgends deutlicher als auf der aktuellen documenta. Dafür stehen die Gruppe Taring Padi, die Personen Mohammed Al Hawajri, Hamja Ahsan, Khalid Albaih, das Party-Office u.a.

Die offensichtliche Hoffnung der Ausstellungsmacher, dass man zwar die Judenkarikatur des Taring-Padi-Banners von Experten und Juristen als antisemitisch definieren lässt, die Bildreihe Gaza-Guernica aber als schlechte Kunst, als „Israelkritik“ oder im Rahmen der Multiperspektivität als künstlerischen Ausdruck des legitimen Widerstands gegen die „Besatzung“ durchgehen lässt, dürfte also nicht ganz abseitig sein. Zudem werden die Bilder Gaza-Guernica an einem Ort präsentiert, der den traditionsbewussten Kasseler Bürger an die „Luftgangster“ erinnert, die in ihrer Vorstellung gleich der Legion Condor, die wunderschöne Stadt Kassel aus Rachsucht in Schutt und Asche legten.

Es stellt sich die Frage, ob es die Sache besser gemacht hätte, wenn man, wie es sich mittlerweile herausgestellt hat, auf den Rat Claudia Roths gehört hätte, die Arbeit der Kuratoren kritisch zu begleiten.13 Die HNA berichtete jüngst, dass auch die documenta-Generaldirektorin versuchte, einen Dialog mit dem Zentralrat der Juden mit Vertretern des „Artistic Teams“ über den Ansatz der Multiperspektivität zu initiieren. Ob man über die Naivität, die den Versuch auszeichnet, Vertreter des Zentralrats der Juden mit Israelhassern an einen Tisch zu setzen, lachen oder weinen soll, ist die eine Frage. Dass man es gleichzeitig für eine probate Maßnahme hält, die Gegner und Feinde Israels durch die Teilhabe an der Erinnerungskultur Deutschland davon abzuhalten, ihrem Hass Ausdruck zu verleihen ist die andere Frage.14 Dass darüber hinaus der Zentralrat der Juden, oder die örtliche Jüdische Gemeinde herangezogen werden, wenn es um die Frage Antisemitismus, Antizionismus, Israelhass und „Israelkritik“ geht, verdeutlicht, dass man Antisemitismus offensichtlich für ein jüdisches Problem hält.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Oberbürgermeister Christian Geselle, die hessische Ministerin Angela Dorn und die Bundesministerin Claudia Roth, sie alle wussten vom Problem und schwiegen oder taten so, als ob die Luftnummern Hauensteins, Buhrs und des Dünnbrettbohrers Croitorus und letztlich auch die Versuche der tragischen Figur Mendels die Quadratur des Kreises hinzubekommen, irgendeine Substanz gehabt hätten. Obwohl Mendel bekanntlich die palästinensische Sichtweise für legitim hält, immer wieder davor warnte, die documenta unter Generalverdacht zu stellen, musste er erfahren, dass man im WH22 mit Juden nicht spricht und dass auf seiner Diskussionsveranstaltung der Vertreter der ruangrupa (und Unterzeichner des „A Letter Against Apartheid“) Ade Darmawan sich frech hinstellte und bekundete: Hier bin ich.15

Geselle, Dorn und Roth sind für das Desaster, dass vor den Augen der Weltöffentlichkeit faktisch Nazi-Propaganda gegen Juden und Israel betrieben wurde, politisch verantwortlich. Als Generaldirektorin steht Frau Sabine Schormann im engeren Sinne in der Verantwortung dafür, was im Namen der documenta der Öffentlichkeit präsentiert wird. Direkt dafür verantwortlich sind die Künstlerische Leitung, also die ruangrupa und das leitend tätige „Artistic Team“. Während Schormann sich vielleicht nicht ganz der Tragweite ihrer den Antisemitismus relativierenden und verharmlosenden Ideologie von der Multiperspektivität bewusst ist, sind die Vertreterinnen des „Artistic Teams“ und Teile des documenta-Beirats, sowie der ruangrupa Überzeugungstäter. Letzteres war durch unsere Veröffentlichung seit Januar bekannt.

Wollte man das, was mit dem Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung intendiert wurde, ernst nehmen, müssten alle hier genannten Beteiligten von ihren Funktionen entbunden werden. Die ruangrupa und alle hier genannten members of the lumbung müssten schlicht nach Hause geschickt werden.

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1 Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen: Stellungnahme von Oberbürgermeister und documenta-Aufsichtsratsvorsitzenden Christian Geselle, Pressemitteilung, 16.01.2022

2 Die Resolution der CDU ist am 13.01.2022 formuliert worden. Dort hieß es: „Die Stadtverordnetenversammlung distanziert sich von jeglichen antisemitischen Umtrieben, die möglicherweise im Umfeld der Organisation der documenta 15 Raum greifen. Die Organisatoren der documenta 15 mögen Stellung dazu nehmen, ob der Vorwurf zutrifft, dass Unterstützer der so genannten BDS-Bewegung und andere Boykottbefürworter gegen Israel, namentlich der Gruppe „The Question of Funding“, im Rahmen der international beachteten documenta ausstellen und agieren. Falls das der Fall ist, verwahrt sich die Stadtverordnetenversammlung ausdrücklich und nachdrücklich gegen antisemitische Tendenzen im Rahmen des Programms der documenta 15.

3 Statement zu den Antisemitismusvorwürfen, 12.01.2022.

4 Stellungnahme zu Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen, 19.01.2022.

5 Das sagen OB Christian Geselle und Kunstministerin Angela Dorn, HNA, 20.01.2022.

6 „Für die Freiheit kämpfe ich wie eine Löwin“, Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf Ruangrupa und war bei der HNA zum Gespräch, HNA, 17.03.2022.

7 Israelkritik, Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit sind keineswegs dasselbe, Die Zeit, 02.02.2022; Documenta in der Kritik. Hetzkunst, FAZ, 13.01.2022; Kassel. Antisemiten, Sexisten und falsche Indianer?, NZZ, 10.01.2022; Kunstfreiheit und Antisemitismus. Debatte um BDS und documenta 15, taz, 14.01.2022; Wie man die rote Linie klar und deutlich markiert, Die Welt, 22.01.2022. In der Folge war es vor allem Die Welt, die kontinuierlich Kritik an der documenta 15 formulierte.

8 Dahinter verbirgt sich ordinärer Antisemitismus, Die Welt, 25.05.2022.

9 Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sieht den Vorwurf des Antisemitismus gegen das Kollektiv nicht begründet. Klaren Antisemitismus würde er der NGO „auf keinen Fall“ vorwerfen, sagt er. Es gebe sicherlich Grauzonen, wo sich der legitime Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung mit antisemitischen Narrativen vermische, so Mendel. Doch habe sich die Organisation nicht besonders durch Antisemitismus hervorgetan. Palästinenser hätten sehr wohl das Recht, die Forderung zu stellen, dass Israel boykottiert werde, unterstreicht der Bildungsstättendirektor. „Diese Forderung würde ich nicht per se als antisemitisch sehen.“ Vorwürfe gegen Kasseler Kunstschau. Hat die Documenta ein Antisemitismusproblem?, Deutschland Funk, 13.01.2022.

10 Die HNA zitiert am 23.06.2022 Dr. Ulrich Schneider wie folgt: „Dagegen verteidigt der Historiker Ulrich Schneider (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) das Kollektiv und weist darauf hin, dass die ‚Figur mit einem Schweinegesicht‘ und einem Helm, auf dem Mossad steht, Teil einer Gruppe von Geheimdiensten ist. Es würde aber nur die Mossad-Figur kritisiert. Die Antisemitismusvorwürfe entbehrten jeglicher Grundlage.“

11 Hier sind die Unterzeichner des „Letter Against Apartheid“ und anderer Pamphlete aufgelistet, die als Künstler auf der documenta 15 präsentiert werden oder für diese tätig sind. Die Liste wurde von Markus Hartmann zusammengestellt, dem wir an dieser Stelle zu danken haben. https://bgakasselblog.files.wordpress.com/2022/07/documenta-fifteen-beteiligte-an-antisemitischen-briefen-1.pdf

12 Documenta-Skandal ist Thema im Bundestag. Kasseler Verantwortliche bleiben fern, Tagesspiegel, 06.07.2022.

13 Skandal um antisemitische Kunstwerke. Documenta-Leitung ließ Claudia Roth abblitzen, Spiegel, 27.06.2022.

14 Was Schormann unternommen hat, HNA, 09.07.2022 In der HNA wird berichtet, dass Schormann für die Künstlerische Leitung einen Besuch an den Kasseler Gedenkstätten initiierte. Den toten Juden zu gedenken, den Antizionismus jedoch mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung zu begegnen, sind typisch für die deutsche Erinnerungskultur. Nichts verdeutlicht das so, wie die Kombination der Stolpersteine vor dem Kasseler Kino Gloria indem den japanischen und palästinensischen Terroristen unter dem Motto „antiimperialistischen Solidaritätsbeziehungen“ zwischen Japan und Palästina gehuldigt wird. Die Attentäter der japanischen „Roten Armee“ und palästinensischer Terroristen ermordeten am 30.05.1972 auf dem israelischen Flughafen Lod 26 Menschen. Vgl.: Documenta ehrt Initiatoren eines Selbstmordattentats, Mena-Watch, 24.06.2022.

15 Obwohl Meron Mendel mehrfach Verständnis für Sache der Palästinenser geäußert hat, die Kritik des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel als unzutreffend zurückgewiesen hat, musste er erfahren, dass der Künstler Al Hawajri aus dem Gazastreifen nicht mit Juden reden wolle und biss mit seinem Vorhaben, sich als Experte der documenta 15 zum Zwecke der Sensibilisierung in Sachen Antisemitismus anzudienen auf Granit und . Vgl.: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen“, Meron Mendel über das Versagen der Documenta-Verantwortlichen – und den antisemitismus-Vorwurf als politisches Spiel, Tagesspiegel 24.06.2022; Eine Unverschämtheit, die keiner bemerkte, FAZ, 01.07.2022; Antisemitismus-Eklat. Meron Mendel nicht länger Berater der documenta, hessenschau, 08.07.2022.

Illustrationen: There ist no Antizionism without Antisemitism!

Der durch die im WH22 ausgestellte Bilderserie „Guernica-Gaza“ bekannt gewordene Künstler aus dem Gaza-Streifen Mohammed Al Hawajri (Eltiqa) hat hier ein Bild geschaffen, das eindeutig das antisemitische Stereoptyp vom Juden als Christusmörder bemüht und dieses antijüdische Feindbild auf die aktuelle Situation des Konflikts zwischen Israel und Palästinensern überträgt. Jesus tritt mit dem Schlüssel auf dem Rücken vor seine Mörder. Der Schlüssel steht für den Anspruch der Palästinenser auf das israelische Staatsgebiet. Das Bild ist nicht auf der documenta 15 ausgestellt, verbürgt aber die Weltanschauung des ausstellenden Künstlers, der vom Kollektiv The Question of Funding eingeladen wurde.

Der Künstler Khalid Albaih, der für das Kollektiv Trampolin House auf der documenta ausstellt, hat sich auch als israelfeindlicher Karikaturist versucht. Einige seiner Karikaturen präsentieren seine Weltsicht von der Grausamkeit und von dem mörderischen Wesen der israelischen Politik. Hier wird Palästina tranchiert.

Jumana Emil Abboud ist eine der wenigen Künstlerinnen, die als Personen und nicht als Kollektiv als member des Lumbung auf der documenta 15 kuratiert wurden. Auch sie hat den „A Letter Against Apartheid“ unterzeichnet und verbreitet durch Steuern finanziert im documenta-Handbuch und auf der Ausstellung anitiisraelische Propaganda: „Abbouds Arbeit für die documenta fifteen erweitert ihre bisherige künstlerische Praxis um das Thema Wasser. […] In den sogenannten ‚Wünschelruten-gänger*innen‘-Workshops […] ging es darum, den hier lebenden Menschen ihr Recht auf Wasser symbolisch zurückzugeben. Der Verlust von Wasserrechten erscheint hier als Bestandteil der Siedlungspolitik des israelischen Staates: Wasser wird von den Quellen in Palästina abgezapft und in nahe gelegene Neusiedlungen umgeleitet. […] Um ‚Rückgabe des Wassers‘ geht es sowohl in konkreter als auch in kultureller Hinsicht.“

Antisemitismus im Nah-Ost-Konflikt und in der Kunst der postbürgerlichen Gesellschaft

Eine Tagung am 16. Juli 2022 in Kassel. Beginn 14:00 Uhr
Phillip-Scheidemann-Haus, Holländische Str. 72

Mit der Einladung des Kollektivs „The Question of Funding“ aus Ramallah wurde eine antiisraelische Künstler- und Aktivistengruppe zur documenta 15 eingeladen. Unsere im Zusammenhang dieser Einladung getätigten Recherchen förderten zu Tage, dass zahlreiche Funktionäre und Macher der Kunstausstellung zur antiisraelischen und bisweilen auch antisemitischen „israelkritischen“ Szene der Kulturschaffenden gehören. Dieses Phänomen ist nicht ganz neu, das Gespräch mit Edward Said auf der documenta 10, die „antizionistische Giraffe“ des Künstlers Peter Friedl auf der documenta 12 und der Auftritt des Antisemiten Franco Berardi auf der documenta 14 verweisen darauf, dass wir es mit einem systematischen Zusammenhang zu tun haben.

„Aber BDS ist eine breite und vielschichtige Bewegung, in der leider Antisemitismus nicht ausgeschlossen ist, die aber auch weltweit von einer Vielzahl von Kulturschaffenden unterstützt wird – die dies als Zeichen friedlichen Protests in Ausübung von Kunst und Meinungsfreiheit verstehen.“ Dr. Sabine Schormann (Generaldirektorin documenta).

„Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratierten 2022 zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen.“ Christian Geselle (Aufsichtsratsvorsitzender documenta GmbH und Oberbürgermeister der Stadt Kassel)

Stehen diese beiden Zitate für die Problematik die sich in der skandalösen Entwicklung der Debatte um die manifeste Israelfeindlichkeit, den Antizionismus und teilweise auch den Antisemitismus im Zusammenhang der aktuellen documenta 15 ausdrückt? Stehen sie für die Ignoranz oder die schlichte Unkenntnis darüber, mit wem wir es mit der antisemitischen Bewegung BDS zu tun haben? Was hat dies alles mit der politischen Ideologie der postmodernen Linken, insbesondere der des Postkolonialismus zu tun? Es scheint uns kein Zufall zu sein, dass das Konzept der documenta 15 sich wie eine Mischung aus dem „Tag der Erde“, einem Tag der Offenen Tür eines Eine-Welt-Ladens oder als ein Potpourri des Veranstaltungskalenders des Palästina-Fan-Clubs aus dem Café Buch-Oase liest. Gibt es also eine notwendig ideologische Nähe der documenta-Macher zu den Volkstumskämpfern im Nahen-Osten und worin liegt diese begründet? Was hat die stoische Abwehrhaltung und das fehlende Problembewusstsein der politisch Verantwortlichen in Stadt und Land angesichts der geladenen Gäste und der politischen Schlagseite der documenta-Macher zu bedeuten?

Diesen Fragen wollen wir auf zwei Podien nachgehen.

1. Podium: BDS und die Rolle des Antisemitismus im Nah-Ostkonflikt mit Alex Feuerherdt und Ralf Balke

Auf dem ersten Podium wird es darum gehen, die Entwicklung, den politischen Charakter und die gesellschaftliche Bedeutung der BDS-Bewegung herauszustellen, um dann auf die spezifische Rolle des Antisemitismus als ein zentrales Element in der Ideologie der palästinensischen Nationalbewegung einzugehen.

Alex Feuerherdt ist freier Autor. Er schreibt u.a. für Jungle World und Mena-Watch. Feuerherdt ist zusammen mit Florian Markl Autor des Buches: Die Israelboykottbewegung. Alter Hass im Neuem Gewand, (Hentrich & Hentrich, 2020).

Ralf Balke ist Historiker und Journalist und schreibt u.a. für die Jüdische Allgemeine und Jungle World. Balke hat über den Einfluss der NSDAP in Palästina mit der Arbeit „Die Landesgruppe der NSDAP in Palästina“ promoviert. Balke hat u.a. das Buch „Israel. Geschichte, Politik, Kultur“ (C.H. Beck, 2013) veröffentlicht.

2. Podium: Antisemitismus und das Kunstwerk in der postbürgerlichen Gesellschaft mit Justus Wertmüller und Jan Gerber

Das zweite Podium wird die Entwicklung der Szene der „Kulturschaffenden“ im Kulturbetrieb der Gesellschaft des „antirassistischen“ Deutschland aufzeigen, um dann einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie sich im kulturpolitischen Ansatz der documenta die pseudokritische Weltsicht postkolonialer und postmoderner Ansätze als Verfall jeder Kritik darstellt, dessen notwendiges Produkt der Hass auf Israel und die Zivilisation ist.

Justus Wertmüller ist Autor und Redakteur der Zeitschrift Bahamas. 2015 hat er im Aufsatz „Der deutsche Anschlag auf die Souveränität“ über den Zusammenhang von Souveränitätsverzicht, Djihad und der Veralltäglichung des Ausnahmezustandes im postnationalen Deutschland geschrieben.

Jan Gerber ist Historiker und Politikwissenschaftler, Herausgeber und Autor mehrerer Bücher über die Geschichte und Gegenwart der Linken. Zuletzt hat er den ersten Band der „Hallischen Jahrbücher“ mit dem Schwerpunkt „Die Untiefen des Postkolonialismus“ (Edition Tiamat, 2021) und das Buch „Geschichtsoptimismus und Katastrophenbewusstsein, Europa nach dem Holocaust“ (Vandenhoeck & Ruprecht, 2022) herausgegeben.

Aufruf zur Kundgebung: 18. Juni 2022

Solidarität mit Israel – Dem Antisemitismus entgegentreten – Stoppt BDS

Dem Israelboykott keine Bühne auf der mit Steuergeldern finanzierten documenta 15!

18. Juni ab 14:00 Uhr, Friedrichsplatz, Kassel

Die documenta ist eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die weltweit Beachtung findet. Recherchen des Bündnisses gegen Antisemitismus Kassel förderten zu Tage, dass zahlreiche Anhänger der BDS-Bewegung und Kritiker des Bundestagsbeschlusses sowohl unter den berufenen Künstlern als auch in den Leitungsgremien der documenta 15 vertreten sind. Auch im Kuratorenteam „ruangrupa“ unterstützen die führenden Mitglieder Ade Darmawan und Farid Rakun Israelboykottbewegungen. Zahlreich sind insbesondere auch in den leitenden Gremien der documenta die Unterstützer des notorisch gegen Israel hetzenden „A Letter against Apartheid“.

Ohne dass es jemanden aufgefallen oder gar aufgestoßen wäre, wurde 2021 das palästinensische Kollektiv „The question of Funding“ in den „lumbung“ – das künstlerische Herz der documenta – berufen. Das Kollektiv steht in der Tradition des palästinensischen Nationalisten Khalil al Sakakini, der sich als Anhänger Hitlers bezeichnete. Akteure dieses Kollektivs, wie Yazan Khalili, sind Anhänger verschiedener Israelboykottinitiativen und treten für die Abschaffung Israels ein.

Nachdem die Recherchen des BgA-Kassel überregional in den Medien Beachtung fanden, taten die Stadt Kassel, die leitenden Kräfte der documenta und die politisch Verantwortlichen im Land Hessen zunächst alles dafür, dass unter den Augen der Weltöffentlichkeit und im Namen der Kunstfreiheit, Antizionismus als zu tolerierende Position einer multiperspektivischen Sicht auf die Welt als Kunst zu gelten habe. Unter dem Verweis auf die Freiheit der Kunst, wurde der Zusammenhang von Israelhass, Antizionismus und Antisemitismus schlicht ignoriert. Es reichte aus, dass die documenta 15 erklärte, Antisemitismus zu verurteilen. Der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta Christian Geselle dekretierte: Eine Überprüfung findet nicht statt!

Nach dem sich die gerade berufene Kulturstaatsministerin Claudia Roth – ebenfalls Kritikerin des BDS-Beschlusses – einschaltete, rangen sich die Verantwortlichen der documenta 15 dazu durch, eine Diskussionsrunde zu organisieren, um über Antisemitismus und Islamophobie (sic!) zu diskutieren. Im April wurde klar, dass die Hälfte der geladenen „Experten“ entweder Kritiker des BDS-Beschlusses oder Anhänger der BDS-Bewegung sind. Nachdem bekannt wurde, dass die documenta auch die Expertise des Zentralrats der Juden Deutschlands ausschlug, wurde die angekündigte Diskussion wieder abgesagt. Im Nachgang verkündete die Kulturstaatsministerin, Boykotten gegen israelische Künstlerinnen und Künstler im Kulturbetrieb sei gemeinsam entgegenzutreten.

Wie das bei einer Kunstschau funktionieren soll, in der leitende Personen (Kuratoren, Künstlerische Leitung und Verantwortliche für die Öffentlichkeitsarbeit) Israel als Apartheidssystem verunglimpfen, die den Beschluss des Bundestages zur antisemitischen BDS-Bewegung ablehnen und die Künstler aus Palästina eingeladen haben, die offen die BDS-Bewegung unterstützen und Israel abschaffen wollen und deren Generaldirektorin Sabine Schormann keinerlei Problembewusstsein über den Zusammenhang von Israelhass, Antizionismus und Antisemitismus zeigt, bleibt das Geheimnis derer, die sich mit den Erklärungen und Absichtserklärungen der Kulturstaatsministerin zufrieden geben.

Wir geben uns nicht damit zufrieden, einfach abzuwarten, ob die künstlerischen Aktionen der Antizionisten und Israelhasser sich vielleicht gerade im Bereich des zu Duldenden bewegen.

Wir verurteilen, dass mit viel öffentlichen Geldern Antisemiten, Israelhassern und Antizionisten eine Bühne geboten wird, die weltweit Beachtung findet.

Auch auf der documenta muss gelten: Keine Toleranz dem Antizionismus – Gegen Antisemitismus heißt: Stoppt BDS!

Bündnis gegen Antisemitismus Kassel

TIP – Thunder in Paradise

AG Antifa (Uni Halle)

Junges Forum DIG Kassel

Bündnis gegen Antisemitismus Kiel

und Einzelpersonen

Karl Pfeifer, Simon Wiesenthalpreisträger (Wien)

Malca Goldstein-Wolf (Köln)

Jonas Dörge (Kassel)

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Kein Platz für Antisemitismus auf der documenta?

Hätten sie lieber geschwiegen! Wie die documenta auszog um einen Brief zu schreiben – oder Künstler bleibt bei deinem Pinsel

Don‘t talk about BDS. Über die postmodernen Taschenspielertricks in den „Blank Spots“

Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung

Don‘t talk about BDS

Über die postmodernen Taschenspielertricks in den „Blank Spots“

Nachdem wir in unserem Beitrag „Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung“ aufdeckten, dass in den Gremien der documenta 15 zahlreiche Kritiker des Bundestagsbeschlusses zu Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) und aktive Befürworter dieser und ähnlicher Boykottbewegungen gegen Israel sitzen, dass mit Ade Darmawan und Farid Rakun zwei Sprecher der ruangrupa Boykottinitiativen gegen Israel unterstützten und dass u.a. mit der Gruppe „The Question of Funding“ (QoF) antisemitische Aktivisten auf der documenta 15 präsentiert werden sollen, erklärte die documenta 15 am 12.01.2022 zunächst, sie unterstütze Antisemitismus in keiner Weise. Wie das mit unserem unwiderlegten Befund zusammen passt, darüber verlor die documenta kein Wort.

Zur Erinnerung. An zentraler Stelle des Beschlusses des Bundestages vom 19.04.2019 zu BDS heißt es:

Seit Jahren ruft die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (abgekürzt BDS) auch in Deutschland zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler auf. Der allumfassende Boykottaufruf führt in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Dies ist inakzeptabel und scharf zu verurteilen. Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch. Die Aufrufe der Kampagne zum Boykott israelischer Künstlerinnen und Künstler sowie Aufkleber auf israelischen Handelsgütern, die vom Kauf abhalten sollen, erinnern zudem an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte. „Don’t Buy“-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten wecken unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!“ und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern.

Auf die zentrale These, „die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch“ und die politische Bedeutung des Bundestagsbeschlusses wurde bis heute von keinem der Sprecher der documenta 15 eingegangen. Auch der offensichtliche Widerspruch in der folgenden Mediendebatte von der oft bemühten Freiheit der Kunst einerseits und vom Boykott gegen Israel andererseits wurde nicht ansatzweise thematisiert.

Eine Woche nach der ersten Reaktion kündigte die documenta 15 an, sie wolle „im Sinne einer offenen und vielstimmigen Debatte […], zeitnah zu einem internationalen Expert*innenforum We need to talk! Art – Freedom – Limits (Arbeitstitel)“ einladen. Auch jetzt wurde nicht auf die Tatsache reagiert, dass sich Israelgegner auf der documenta wie Fische im Wasser bewegen können, vielmehr wurden nur die Kritiker an den Pranger gestellt. So hieß es am 19.01.2022 z.B: „Verfälschende Berichte oder rassistische Diffamierungen, wie sie aktuell gegen Beteiligte der documenta fifteen vorgebracht werden, verhindern einen kritischen Dialog und eine produktive Debatte.“ Worin diese Verfälschungen oder rassistischen Diffamierungen bestünden, wurde nicht erläutert. Wie auch. Weder hatten wir verfälscht, noch rassistische Stereotype bemüht.1 In der Erklärung hieß es, offensichtlich in Bezug auf das palästinensische Kollektiv QoF, man habe „Positionen eingeladen, die sich […] für ihre jeweiligen lokalen Kontexte engagieren.“ Wie das Engagement im lokalen Kontext aussieht, beschrieben Sprecher der Gruppe QoF selbst so: Es gehe darum, Tanz und Musik als Medium des Widerstandes insbesondere auf das Jahr 1948, die „Nakba“, Flucht und Vertreibung, zu beziehen. Der Tanz bewerkstellige, dass man mit „Freude, Stolz und Vertrauen“ gemeinsam agieren könne, um das 1948 vernichtete „soziale und kulturelle Gewebe“ zu kitten.

1948 brachen die arabischen Staaten im Bunde mit palästinensischen Nationalisten einen Krieg vom Zaun, um den gerade gegründeten Staat Israel zu vernichten und die Juden ins Meer zu treiben. Im Zuge der Kampfhandlungen im britischen Mandatsgebiet Palästina kam es zu Flucht und Vertreibung eines beträchtlichen Teils der arabischen Bevölkerung. Zum gleichen Zeitpunkt setzte die Vertreibung der alteingesessenen jüdischen Bevölkerung auch aus den arabischen Staaten ein, die von den Kampfhandlungen im ehemaligen britischen Mandatsgebiet überhaupt nicht berührt waren.

Darüber hinaus gehe es um „soziale, wirtschaftliche Umwälzungen und um Autonomie als Voraussetzung der Befreiung“. Diese habe in der Landwirtschaft zu beginnen, um nicht mehr Obst und Gemüse aus Israel kaufen zu müssen.2 Unverblümt ist von Autarkie zum Zwecke des Boykotts israelischer Waren die Rede. Dass die Protagonisten der QoF nicht nur mühsam kaschierte völkischen Ideologie vertreten, sondern einen antisemitischen Antizionismus, verdeutlichen einige Kunstwerke Khalilis, seine antisemitischen Gewaltfantasien und die von ihm verkündete Absicht, dass es ihm darum gehe, die Juden vom Zionismus zu emanzipieren.3

Die HNA illustriert den Bericht über die Gesprächsreihe mit schlafwandlerischer Sicherheit im Duktus der Macher der documenta. Die antisemitischen Terrorangriffe der Hamas sind hier eine „Facette eines tiefgreifenden Konflikts“

In der Lesart der documenta 15 ist dieser offensichtliche Zusammenhang jedoch nur Ausdruck von „Dekontextualisierungen oder Verkürzungen“ und von „Verengen von Diskursräumen“ seitens der Kritik. In Umkehrung bedeutet das: Es geht den Verantwortlichen der documenta darum, das spezifisch ideologische Wesen des Antisemitismus als wahnhafte Weltanschauung zu verwischen, um in erweiterten „Diskursräumen“ den Rassismus um den Antisemitismus zu verlängern, Antizionismus und Antisemitismus zu dekontextualisieren, indem man Antizionismus und Israelhass als Form der Abwehr von Kolonialismus kontextualisiert. Eine leicht zu durchschauende Farce vormoderner Rabulistik!

Knapp drei Monate benötigten die Macher der documenta, um herauszufinden, wie man eine Erweiterung von Diskursräumen bewerkstelligt, um schwierige Antworten auf die „herausfordernden Fragen der Gegenwart“ zu finden. Es ginge darum, so in einer weiteren Erklärung vom 11.04.2022, „diesem komplexen Thema in Kunst und Kultur aus nationaler und internationaler Perspektive Raum zu geben.“ Immer dann, wenn man erklären möchte, dass die Abschaffung Israels keineswegs antisemitisch, vielmehr nur eine „lokale Perspektive“ sei, müssen das Zauberwort „komplex“ und eine flugs halluzinierte „zunehmende Islamophobie“ her, um nicht über Israelhass und Antisemitismus sprechen zu müssen.

Es ist von „Ausblendungen“ im Zusammenhang einer „historischen Verantwortung Deutschlands“ die Rede. Darauf stellt der bemüht wirkende Begriff „Blank Spots“ ab, mit dem man die Podien benennt, zu denen gut zwei Dutzend Gäste eingeladen wurden. Vor dem Hintergrund dieser historischen Verantwortung sei in Deutschland eine „besonders sensibilisierte diskursive Kultur entwickelt worden.“ Um die tatsächlich jedoch nur vermeintlich verantwortungsvolle diskursive Kultur in Deutschland zu desensibilisieren, präsentiert man zur Einführung der ganzen Veranstaltung den Godfather des Postkolonialismus und Antizionisten Edward Said.4 Im Prinzip ist damit die Stoßrichtung klar. Entsprechend des annocierten multiperspektivischen5 Ansatzes erfolgte die Zusammensetzung der Podien. Dort präsentiert man einerseits honorige Wissenschaftler wie Marina Chernivsky, Raphael Gross und Natan Sznaider, die in Sachen Antisemitismus sehr wohl etwas zu sagen haben und die auch wissen dürften, mit wem man es in Sachen BDS zu tun hat. Diesen setzt man als „Sprecher“ eines „Blank Spots“ den in Sachen des relativistischen Meinungspluralismus erfahrenen Lavierer vom Dienst, Diedrich Diederichsen6 und den Diskursgauner Meron Mendel7 vor die Nase und präsentiert – sozusagen als Kronzeugen der Anklage gegen Israel – Omri Boehm8 und Eyal Weizman9. Für Boehm und Weizman ist Israel ein Apartheidsystem und eine illegitime Besatzungsmacht, das brutalen Siedlerkolonialismus betreibt. Gleichzeitig sind sie wie Mendel Fürsprecher eines „legitimen palästinensischen Widerstandes“ und verbreiten Lügengeschichten über Israel. Und weil man eben über Antisemitismus nicht reden will ohne beim „antimuslimischen Rassismus“ oder gar bei einem „anti-palästinensischen Rassismus“ zu landen, bringt man es fertig, ein Podium mit der palästinensischen Aktivistin und erklärten Feindin Israels Mezna Qato10 und der Aufklärungsgegnerin Sultan Doughan11 zu besetzen. Dazu wird mit Sarah El Bulbeisi eine Forscherin präsentiert, deren Anliegen es ist, den palästinensischen Opfer- und Vertriebenenkult und deren zentrale Buzzwords von „Apartheid“ und „Siedler-Kolonialismus“ als Standards in der deutschen Wissenschaft zu etablieren.12 Das alle drei im Zusammenhang mit Israel von “kolonialer Auslöschung“, „Apartheid“, von “Siedler-Kolonialismus”, „ethnischer Säuberung“ und von “racial supremacy of Jewish-Zionist nationals” sprechen versteht sich von selbst.13

So kann und wird es nicht darum gehen zu klären, was Antisemitismus ist, wie und warum er sich nach Auschwitz auch und insbesondere als Hass auf Israel oder in der sogenannten Israelkritik ausdrückt und warum nicht nur der Globale Süden ein Problem mit einem Land hat, das so groß, besser so klein wie Hessen ist. Statt sich dem Kern, der Bedeutung und den Erscheinungsformen einer wahnhaften Weltanschauung unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen anzunähern, geht es den documenta – Macherinnen offensichtlich darum, den, dem verantwortungsvollen Deutschland zugeordneten Begriff vom Antisemitismus, in der annoncierten Absicht einem multiperspektivischen Ansatz zu verfolgen, durch eine Sichtweise des Südens zu ersetzen oder zumindest als gleichwertig gegenüber zu stellen. Dazu muss man der Auffassung sein, dass das deutsche bzw. europäische und das internationale Verständnis und die wissenschaftliche Herleitung von Antisemitismus und Rassismus angeblich divergieren. Von daher würde die Kritik am Handeln des israelischen Staates in Deutschland (und Europa) „in historischer Verantwortung“ eben anders wahrgenommen als aus der Perspektive des „Globalen Südens“. Unschwer ist daran zu erkennen, dass wir es hier mit einer Sichtweise zu tun haben, in der die Wahrheit relativ ist und zu einer Sache der Perspektive wird. Ganz offensichtlich soll damit der unauflösliche Zusammenhang von Antisemitismus, Antizionismus, Israelhass und die „Kritik an Israel“ aufgelöst werden. Und weil dieser Zusammenhang nicht nur bei Linken und Linksradikalen in Europa ein wesentliches Moment der politischen Ideologie ist, sondern auch bei palästinensischen Nationalisten und Islamisten, schiebt man, sozusagen als doppelten Boden, die Mär vom „antimuslimischen Rassismus“ nach, die dann noch von einem „antipalästinensischen Rassismus“ getoppt wird.

Es wird deutlich: Die Veranstaltungsreihe dient nicht zur Auseinandersetzung darüber, dass es nach Auschwitz nicht nur in Deutschland schlicht nicht zur Debatte zu stehen hat, ob und wie sich die jüdische Nation dagegen wappnet, dass sich das, wofür die deutsche Nation 1933 – 1945 angetreten ist, nicht wiederholt. In einer Welt voller Antisemiten und umgeben von Staaten, deren oberste Zielsetzung die Vernichtung Israels ist (in welcher Spielart auch immer), muss sich Israel so einrichten, dass es sicher überleben kann. Auch wenn das Ziel von der Abschaffung des jüdischen Staates als „Kunstwerk“ mit Perspektive des globalen Südens gedeutet und präsentiert wird: So etwas ist und bleibt antisemitisch und ist nicht akzeptabel. Auch nicht im Namen der Freiheit der Kunst auf einer documenta in Kassel!

Das zur Ankündigung der Veranstaltungsreihe von der HNA kongenial illustrierte14 Statement der Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: „BDS sei eine breite und vielschichtige Bewegung, in der leider Antisemitismus nicht ausgeschlossen sei“ diktierte sie der Presse in den Notizblock. Eine Bewegung, die von palästinensischen Terrorgruppen im Rahmen antijüdischer Riots (der sogenannten Intifada) initiiert wurde, mag vielfältig sein, sie hat ein einigendes Band, den Antisemitismus. Schormann führt weiter aus, als sei das ein Argument gegen die politische Einordnung der Bewegung, dass diese Bewegung von einer Vielzahl von Kulturschaffenden unterstützt werde, die die Unterstützung dieser Bewegung „als Zeichen friedlichen Protestes in Ausübung in Kunst- und Meinungsfreiheit verstehen.“ Eben! Genau das und die in dieser Aussage zum Ausdruck gebrachte bestechende Unlogik sind das Problem, was sich nicht erst seit und auf dieser documenta manifestiert. Vielmehr führt genau diese Haltung dazu, dass nicht nur die Generaldirektorin einer Kunstausstellung Antisemitismus tatsächlich als legitimen friedlichen Protest in Ausübung von Kunst und Meinungsfreiheit ansieht, sondern hunderte, oft staatlich bestallte Kulturschaffende, die sich zum Stelldichein auf diversen Unterschriftenkartells zusammenfinden um ihren Unmut über den Kampf gegen Antisemitismus kund zu tun. Damit diese Sichtweise nicht mit der zur „Stadträson“15 erklärten Staatsräson Deutschlands kollidiert, dienen offensichtlich die Blank Spots dem Zweck, Antisemitismus nicht als Antisemitismus erscheinen zu lassen. Kassel: Jeder blamiert sich so gut er kann.

Die Erkenntnis, dass Antisemitismus auch eine tatsächlich verbreitete „Sichtweise des Südens“, insbesondere aber unter den Palästinensern ist, wird zum ideologischen Konstrukt des weißen Mannes aus dem Westen erklärt, damit dieser nicht über Kolonialismus und Rassismus reden muss. Der Kreis schließt sich indem der ebenfalls auf einem der Podien vertretene Berliner Kurator Anselm Franke darüber munkelt, rechtsextreme Plattformen im Netz, die sich als Verteidiger Israels gerierten, argumentierten auf eine ähnliche Weise, wie Marine Le Pen oder die AfD. Sie verbreiteten rassistische Stereotypen über Muslimen.16 Die Macher der documenta versuchen offensichtlich mit ihrer Reihe „We need to talk“, den politischen Skandal dadurch zu vertuschen, in dem man eine Debatte über Antisemitismus simuliert und mit dem Finger auf die zeigt, die das Ganze als Täuschungsmanöver oder als Volte postmoderner Ideologie durchschauen. So werden Personen mit unterschiedlichen Positionen zur Ruhigstellung der aufgeschreckten Öffentlichkeit auf den Podien präsentiert, aber der Gegenstand des politischen Skandals, nämlich BDS-Unterstützern und -aktivisten eine Bühne zu bieten, wird per Taschenspielertrick zum Verschwinden gebracht. Notfalls wird ein Frageverbot verhängt. Und wenn in der jüngsten Stellungnahme der documenta vom 14.04.2022 behauptet wird, „soweit BDS-Anhänger*innen antisemitische Positionen vertreten, wird dies von der documenta nicht geschützt,“ erweist sich dies als billiger Trick, weil man zuvor schlicht den Antisemitismus der palästinensischen Aktivisten als unzulässige Erkenntnis oder wie der Christian Geselle, Oberbürgermeister Kassel, zur landwirtschaftlichen Frage erklärt hat.17

„Kindermörder – Israel“, „From the river to the sea – Palästina must be free“ usw. wird sicher nicht als Kunstwerk präsentiert. Aber Yazan Khalili, Emil Abboud, die unbekannten Subjekte der Kollektive QoF und Eltiqa u.a. wissen genau, wie sie ihr Kunsthandwerk zu präsentieren haben, damit es als Illustration einer zerstörerischen Fremdherrschaft eines konstruierten Staates über eine organische Einheit von einer Gemeinschaft und ihrer Landschaft zur Kenntnis genommen und auf einer Weltausstellung als Kunst akzeptiert wird.

Die hier zitierten Pressemeldungen der documenta 15 sind auf der homepage unter der Rubrik Presse zu finden.

1 Sowohl die als Kunstexpertin präsentierte Elke Buhr als auch Joseph Croitoru, der versuchte, Khalilis Agit-Prop gegen Israel zu relativieren, konnten die von uns dargelegten Vorwürfe nicht entkräften.

2 Mit Tanzen in den Widerstand. HNA, 08.12.2021.

3 Yazan Khalili, The Utopian Conflict, 2014 (*The Utopian Conflict : yazan khalili).

4 Die zentrale Rolle des Postkolonialismus auf Edward Said ist gerade hinsichtlich des Themas, Antisemitismus, Shoah, Nationalsozialismus, Deutschland, Israel und politischer Islam bezeichnend. Said blendet sowohl den deutschen Einfluss im Nahen Osten, die deutsche Orientalistik, als auch die, für die jüngere Geschichte des Nahen Ostens entscheidende Rolle des Holocaust aus. Die systematische Ausblendung der Rolle Deutschlands durch Said prägt daher den bis heute dominanten Blick des Postkolonialismus auf den Nahen Osten, in dem Israel unter Ausblendung des Antisemitismus sowohl in Europa als auch im Nahen Osten als Produkt des Kolonialismus gesehen wird. Said steht daher nicht nur für die unschwer zu erkennende antizionistische Propaganda sondern für die unzertrennliche Einheit von Postkolonialismus und Antizionismus. Dazu: Andreas Harstel, Das Gründungsdokument des Postkolonialismus. Edward Saids Orientalism und Israel, in: Hallische Jahrbücher #1. Schwerpunkt: Die Untiefen des Postkolonialismus, Jan Gerber (Hg.), Berlin 2021.

5 „Gebe es keinen differenzierten, multiperspektivischen Austausch, ‚laufen wir Gefahr, dass die Kunstfreiheit unterminiert wird‘“, so die dem künstlerischen Leitungsteam der documenta zugehörende Ayşe Güleç. Dieser multiperspektivische Ansatz setzt auf den von der multidirektionalen Erinnerung auf, der eine scheinbar progressive „Verflechtung von Antisemitismus- und Rassismuserfahrung bemüht, die dazu führt, ein volkspädagogisch getrübtes Bild der Realität zu produzieren und letztlich die Gefahr, die für Juden von Akteuren jenseits des gemeinsamen Gegners ‚deutsche Dominanzkultur‘ oder ‚US-White Suremcy‘ ausgeht, herunterzuspielen.“ Ingo Elbe, S. 234.

6 Diedrich Diederichsen gehört zu den fünf Verfassern eines Postscriptums zu einem Text der Redaktion Zeitschrift Texte zur Kunst, in dem diese reklamierte, die Notwendigkeit einer Kritik des Antisemitismus gegen einen relativistischen Meinungspluralismus zu verteidigen. In dem Postskriptum heißt es: „Wir halten die damit nahegelegte Identifikation der von durchaus heterogenen Kräften getragenen Organisation des BDS mit Antisemitismus für politisch fatal, und zwar unabhängig davon, wie man selbst zum BDS stehen mag. […] im Heft als Ganzem [sind] arabische und palästinensische Stimmen ebenso wenig vertreten wie Gegenpositionen zur Einschätzung der Organisation des BDS durch Jüd*innen und Israelis.“ (Zur Debatte um „TEXTE ZUR KUNST“, HEFT 119 Stellungnahme von Susanne Leeb, Jenny Nachtigall, Juliane Rebentisch, Kerstin Stakemeier und Diedrich Diederichsen).

7 Meron Mendel ist „Sprecher“ des Blank Spots 2. Mendel steht für den Versuch, den Postkolonialismus vor sich selbst zu retten. So erkennt er zusammen mit Saba-Nur Cheema zum Beispiel in dem Artikel „Postkoloniale Theoretiker: Leerstelle Antisemitismus in der taz vom 25./26.04.2020 durchaus richtig im Intersektionalitätskonzept der Postcolonial Studies einen untauglichen Ansatz, dem Antisemitismus gerecht zu werden und fordert von diesem Forschungsansatz ein, einen Begriff von Antisemitismus zu bilden. Gleichzeitig versucht er aber den Begriff Antisemitismus aus den Konflikten im Nahen Osten krampfhaft herauszuhalten, wenn er zum Beispiel formuliert, dass es eine legitim Empörung über aktuelles israelisches Regierungshandeln gibt und man sich von einer binären Aufteilung der Welt in Gut und Böse fernzuhalten habe. Angesichts der Debatte um die documenta 15 äußerte er sich noch deutlicher: „Palästinenser hätten sehr wohl das Recht, die Forderung zu stellen, dass Israel boykottiert werde, unterstreicht der Bildungsstättendirektor. ‚Diese Forderung würde ich nicht per se als antisemitisch sehen.‘“ (Vorwürfe gegen Kassler Kunstschau – Hat die Documenta ein Antisemitismusproblem? | deutschlandfunkkultur.de ).

8 Omri Boehm hat sich einen Namen damit gemacht hat, dass er die Apartheidlüge gegen Israel verbreitet und in seinem Buch „Israel – eine Utopiedie erwiesenermaßen falsche Behauptung aufstellt, Theodor Herzl habe Palästinenser vertreiben wollen. Er tat sich als Kämpfer gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestages hervor, wobei er wiederum durch die Verbreitung von Unwahrheiten aufgefallen ist: Der Deutsche Bundestag habe „behauptet“, dass es „antisemitisch“ sei, „auf der schieren Gleichheit von Juden und Palästinensern zu bestehen“. In Wahrheit steht in der Resolution nichts, was auch nur in die Richtung einer solchen Aussage ginge. Siehe: Stefan Frank, Die Methode Omri Boehm (Teil 1): Juden als Täter, in: mena-watch, 21.07.2021.

9 Eyal Weizman spricht für sich selbst: „I support the BDS movement. It is a form of civil action directed at Israeli colonial practices …“(Extending Co-Resistance: An Interview with Eyal Weizman — Kareem Estefan ).

10 Mezna Qato ist eine Vertreterin des Konzepts des „Settler Colonialism“. (Wikipedia) Dieser Ansatz geht im Gegensatz zum klassischen Verständnis vom Kolonialismus davon aus, dass es im „settler colonialism“ darum geht, die alteingesessene Bevölkerung auszurotten statt sie wie im klassischen Kolonialismus auszubeuten. Zusammen mit anderen plädiert sie in dem Aufsatz „Past is Present: Settler Colonialism in Palestine“ für einen BDS überschreitender Ansatz um den Zionismus und Siedler-Kolonialimsus zu bekämpfen. Es heißt dort: „At its core, this internationalist approach asserts that the Palestinian struggle against Zionist settler colonialism can only be won when it is embedded within, and empowered by, broader struggles – all anti-imperial, all anti-racist, and all struggling to make another world possible.“

11 Soultan Doughan plädiert zusammen mit der ebenfalls auf einem Podium präsentierten Hannah Tzuberi im Aufsatz „Säkularismus als Praxis und Herrschaft: Zur Kategorisierung von Juden und Muslimen im Kontext säkularer Wissensproduktion“ für die Überwindung eines „entkörperten Blickes von Nirgendwo, der religiöse Gefühle, Praktiken und Überzeugungen durch Begriffe wie Freiheit, und Gleichheit trenne um sie gegen das was als Religion indentifiziert wird zu mobilisieren. In dem Aufsatz geht es um sogenannte „muslimische und jüdische Körperpraktiken“, die in einem säkularen Staat problematisiert und reproduziert würden.

12 Joseph Ben Prestel: Rezension zu: El Bulbeisi, Sarah: Tabu, Trauma und Identität. Subjektkonstruktionen von PalästinenserInnen in Deutschland und der Schweiz, 1960–2015. Bielefeld 2020, in: H-Soz-Kult, 01.03.2021, (<www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-50839>). Sarah El Bulbeisi Referenzen sind u.a. Auftritte im einschlägigen Café Palestine, im Weltnetz.tv und für die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft.

13 Thomas Wessel „Schade um die Documenta“. Die postkoloniale Drehtür (III), Ruhrbarone, 19.04.2022.

14 „Pauschlierungen sind falsch“ documenta nennt Details der Gesprächsreihe zu Antisemitismus und Rassismus, HNA, 12.04.2022, Siehe Abbildung.

15 „Deutschland habe aus seiner Vergangenheit heraus eine herausragende Verantwortung für Menschen jüdischen Glaubens und den Staat Israel. Das sei Staatsräson für die Bundesrepublik Deutschland und ebenso ‚Stadträson‘ für die Stadt Kassel.“ (Pressemitteilung Stadt Kassel 16.01.2022) Nur gut dass es Israel gibt, das die Verantwortung für Juden (und nicht nur Menschen jüdischen Glaubens) selbst wahrnimmt und nicht auf Deutschland und schon gar nicht auf Kassel angewiesen ist.

16 Zum Frageverbot und über Frankes Mutmaßungen über „rechtsextreme Plattformen im Netz“, vgl.: Ärger um die Documenta. Darüber reden wir nicht, FAZ, 14.04.2021.

17 Hessenschau, Antisemitismusvorwürfe gegen documenta-Teilnehmer. Ist das alles von der Kunstfreiheit gedeckt? 19.01.2022.

Documenta fifteen: Antizionismus und Antisemitismus im lumbung

update 30.01.2022: Auslöser unser Recherche war der HNA-Artikel „Mit Tanzen in den Widerstand“. In diesem Artikel wurde vom ersten Beitrag der Reihe Konteks berichtet, in dem die Gruppe „The Question of Funding“ vorgestellt wurde. Im Video kommen Yazan Khalili und Fayrouz Sharkawi zu Wort. Zu Yazan Khalili haben wir uns ausführlich geäußert. Fayrouz Sharkawi, ist die Direktorin und „weltweite Mobilisationskoordinatorin von Grassroots Al-Quds“. Über diese von der EU mit reichlich Mitteln ausgestatteten Gruppe schreibt Stefan Frank, ihr Hauptanliegen seien Hasskampagnen gegen Tourismus in Israel.

update 19.01.2022: Es hört nicht auf. Der künstlerischen Leitung (ruangrupa) untersteht ein „künstlerisches Team“. Dieses besteht aus fünf Personen. Vier von Ihnen gehören der israelkritischen oder israelfeindlichen Szene an. Es sind mit Ayşe Güleç und Andrea Linnenkohl zwei weitere Unterzeichnerinnen der Erklärung „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“, mit Gertrude Flentge eine Unterstützerin des „A Letter against Apartheid“, die vierte im Bunde ist die schon im Text erwähnte ehemalige Direktorin des Khalil Sakakini Cultural Centrum, Lara Khaldi.
update 17.01.2022: Nachdem der Oberbürgermeister der Stadt dargelegt hat, es gebe nichts zu überprüfen, druckte die HNA am 17.01.2022 ein Bild des Oberbürgermeisters ab, auf dem er mit Ade Darmawan und Farid Rakun (beide ruangrupa) abgebildet wurde. Farid Rakun hatten wir in der Überprüfung der verschiedenen „Kunstschaffenden“ der documenta fifteen übersehen. Entsprechend haben wir unsere Recherche ergänzt.
update 16.01.2022: Die Passage über Al-Sakakini wurde nach Lektüre der deutschen Ausgabe „Tom Segev, Es war einmal Palästina“, erweitert und in einem Punkt korrigiert. Die Angaben zur Aktivistin Lara Khaldi wurden ergänzt. Ferner haben wir klarer herausgestellt, dass es sich bei Khalilis Schilderungen einer Schlägerei in einem Amsterdamer Lokal mutmaßlich nicht um ein tatschlichen Vorgang handelt, sondern um antisemitische Gewaltfantasien.

Pressemitteilung (deutsch): Das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel verurteilt die Beteiligung antiisraelische Aktivisten an der documenta fifteen.

Press Release (english): The Alliance against Anti-Semitism, Kassel (Germany), condemns the participation of anti-Israeli activists in Documenta Fifteen

Die braunen Schatten

Die documenta ist das wichtigste, periodisch wiederkehrende kulturelle, vielleicht sogar gesellschaftliche, Ereignis in Kassel. Auch wenn in früheren Zeiten manch einer mit dem, was dort als Kunst präsentiert wurde, seine Probleme hatte: Insgesamt sind die Menschen in Kassel davon angetan, dass ihre Stadt alle fünf Jahre den Flair einer Weltstadt hat. Weltoffenheit und Modernität, ja sogar Extravaganz, sind Zuschreibungen von denen die piefige, graue Provinz- und Verwaltungsstadt im nördlichen Hessen hofft, etwas Glanz zu erhaschen. Seit Jahren nennt sich diese Stadt sogar documenta-Stadt. Doch es liegt einer brauner Schatten auf der documenta. Das fängt mit den Begründern1 an, setzt sich über den völkischen Ideologen und in Kassel verehrten Josef Beuys2 fort und fand in der Präsentation der Performance „Auschwitz on the beach“ auf der Documenta 143 einen vorläufigen Höhepunkt. Seit dem Ableben von J. Beuys kommt dieser braune Touch jedoch nicht mehr im altbackenen, modrigen Geruch des längst Vergangenen oder völkisch-anthroposophisch Verquasten daher, vielmehr tritt er in einem Gewand auf, das als fortschrittlich, kritisch, engagiert, empathisch, kultur- und identitätssensibel daherkommt.

Für Kasseler Verhältnisse durchaus überraschend, wagte sich der Kunstverein Kassel an das Thema documenta und Nazivergangenheit und spart dabei Beuys nicht aus. So lobenswert es ist, den Kasseler Baum-Filz-und-Fett-Heiligen in‘s Visier zu nehmen: Der Kunstverein bleibt bedauerlicher Weise bei Beuys stehen. Obwohl er reklamiert, neben rassistischen, völkischen und patriachalen auch antisemitische Muster in Kunst und Kultur kritisch aufzuarbeiten, ist weder von „Auschwitz on the beach“ noch von anderem antiisraelischem Kunsthandwerk, wie es schon auf der Dokumenta 14 gezeigt wurde, die Rede. Schon gar nicht von den gegenaufklärerischen Tendenzen, wie sie spätestens im links-identitär und postmodern gewendeten Kunstbetrieb seit Längerem regelmäßig auftauchen.4 Ganz im Gegenteil: Alleine schon das äußerliche Erscheinungsbild, der Habitus, der Jargon und die Präsentation der documenta fifteen im Internet und in ihren einschlägigen Veröffentlichungen machen die Verbundenheit der Politikkunsthandwerker mit der postmodernen Ideologie der identitär gewendeten Linken und insbesondere dem dieser Ideologie zuzuordnenden Post-Kolonialismus deutlich.

Kasseler Tristesse, Kunsthandwerk und „lokale Ekosisteme“ mit Fahne für Kunstfreiheit und Israelkritik (Foto J.D.)

In der Reisscheune mehr Antisemitismus wagen

Ein wichtiges Standbein des postmodernen Kunstbetriebes ist bekanntlich die „Israelkritik“, der Antizionismus, bisweilen auch der offene Antisemitismus und die Verbundenheit mit der palästinensischen Sache.5 Unter der Aufsicht des Kasseler Oberbürgermeisters Christian Geselle beginnt das Elend der documeta fifteen schon mit der Benennung der Findungskommission, die später die Funktion des Documentabeirats übernehmen soll. In der Findungskommission, resp. im Documentabeirat, sitzen mit Amar Kanwar und Charles Esche die im Kulturbetrieb offensichtlich unvermeidlichen Vertreter der Fraktion der „Israelkritik“ mit am Tisch. Amar Kanwar gehört zu den BDS-Unterstützern6 und Charles Esche hat die Erklärung staatlich alimentierter Kulturmanager „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ unterschrieben7, die sich gegen die Verurteilung der antisemitischen Initiative BDS durch den Bundestag wendet.

Die Findungskommission verkündete unter großem Jubel, dass die indonesische Künstlergruppe „ruangrupa“ die Funktion des Kuratorenteams der 15. documenta übernehmen wird. Ihr soll während der laufenden Ausstellung der oben genannte Beirat zur Seite stehen. Und natürlich findet man auch in der ruangrupa mit Ada Darmawan und mit Farid Rakun antizionistische und israelfeindliche Protagonisten. Ada Darmawan ist Unterstützer des an Schärfe die BDS-Resolution übertreffenden „A Letter Against Apartheid“ und Farid Rakun hat den „Open letter to the Fundacao Bienal Sao Paulo“ unterzeichnet. Dieser richtet sich gegen die finanziellen Zuwendungen seitens des israelischen Staates und Consulates für den Funacao Bienal des Sao Paulo.8 Rakun und Darmawan sind nicht nur zwei Mitglieder der ruangrupa, sondern treten regelmäßig als deren Sprecher auf.

Ein großes Gebäude in der Innenstadt wurde zum „ruruHaus“ erklärt. Es ist der Standort der ruangrupa und soll das Herzstück der documenta fifteen werden. Der ruangrupa beigeordnet ist ein „Artistic Team“ oder ein „künstlerisches Team“. Dieses „Artistic Team“ dürfte, so die Neue Züricher Zeitung, die eigentliche kuratorische Arbeit übernehmen. Dieses für die kommende documenta also sehr wichtige, vielleicht sogar zentrale Team besteht aus fünf Personen. Vier von Ihnen gehören der mindestens israelkritischen, wenn nicht gar israelfeindlichen Szene an. Es sind mit Ayşe Güleç und Andrea Linnenkohl zwei weitere Unterzeichnerinnen der Erklärung „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“, mit Gertrude Flentge eine Unterstützerin des „A Letter against Apartheid“, die vierte im Bunde ist Lara Khaldi. Sie war Direktorin des Khalil Sakakini Cultural Centrum auf das wir noch kommen werden. Sie ist außerdem Unterzeichnerin der Initiative „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“. Doch nicht nur diese Erklärung wurde von der Dame unterzeichnet. Mit „Free Palestine / Strike MoMA: A Call to Action“ unterzeichnete Khaldi zusammen mit Yazan Khalili – auf den noch zu kommen sein wird – einen Aufruf, den palästinensischen Kampf gegen Israels Kolonialregierung und Apartheidsystem zu unterstützen.9 Sie nahm 2015 darüber hinaus an einer von Judith Butler und Slavoj Zizek organisierten Konferenz „Boycott, Divestment ans Sanctions against Israel“ (BDS) im Goethe-Institut Ramallah teil, auf der u.a. das uneingeschränkte Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge gefordert wurde – eine Chiffre, die die Liquidierung des jüdischen Staates bedeutet.10

Screenshot der Homepage der documenta fifteen. Die Vorstellung der „Kulturschaffenden“ Lara Khaldi aus Jerusalem. Ihre Tätigkeit in den Jahren 2011 – 2013 wird ausgespart.

Die ruangrupa hat das sogenannte „lumbung“ ins Leben gerufen, was kein alkoholisches Mischgetränk ist, sondern „kollektiv verwaltete Reisscheune“ bedeutet. Der Lumbung gehört zur dörflichen Kultur Javas wie das Lynchen des chinesischen Krämers.11 Wiewohl weder einheimische Radschas (Rajas) noch die niederländischen Kolonialherren etwas gegen kollektiv verwaltete Reisscheunen in den Dörfern einzuwenden hatten, gilt diese Praxis als irgendwie widerständig. Genauso widerständig wähnt man sich im Lumbung, trotz der Tatsache, dass die öffentlichen Geldgeber und potenten Sponsoren heute genauso wenig etwas dagegen haben, was dort als widerständig präsentiert wird, wie einst der Radscha oder Kolonialherr gegen das Lumbung. Die ruangrupa suchte die Beteiligten am lumbung aufgrund „ihrer inspirierenden Modelle, ihrer tief in den lokalen sozialen Strukturen verwurzelten künstlerischen Praxis und ihrer organisatorischen und wirtschaftlichen Experimente“ ein. Man reklamiert einen kollektiven Ressourcenfundus, das Prinzip Gemeinschaftlichkeit und Rituale. Durch interdisziplinär entwickelte Aktionen und Räume sollen soziale Beziehungen verflochten werden und man setzt auf eine organische Entwicklung einer öffentlichen Form, um „in und mit der Gesellschaft zu leben.“12

Bei diesem postmodernen Wortgeklapper folgt die postkolonial romantische Verklärung von Blut und Boden auf dem Fuße. Laut HNA ging es zum Auftakt des Gesprächsformates um „die Musikalität des Bodens, um Tänze und Klänge, deren Bezug zum Land – und wie sich daraus widerständiges Handeln bildet.“13

Ein Kulturzentrum mit üblen Leumund: Im Bunde mit den Nazis mit Tanz gegen die Juden

Und wo die Sympathisanten für die Befreiung vom Joch der Juden und für die Meinungsfreiheit für Antisemiten agieren, wo Blut und Boden zum Klingen gebracht werden und der Widerstand getanzt wird, darf naturgemäß (pun intended) auch das palästinensische Heldenvolk nicht fehlen. Dieses ist, wie es die HNA berichtet, vertreten durch ein bisher völlig unbekanntes Künstlerkollektiv namens „The Question of Funding“. Im Namen dieses Kollektivs stellten ein Yazan Khalili und eine Fayrouz Sharkawi den Volkstanz Dabke in der Reihe Konteks vor. In dem Video, so kann man in dem Artikel nachlesen, berichtete dieses Künstlerkollektiv davon, eine Autarkie der Gemeinschaft vor Ort anzustreben. Der Autor der HNA berichtet, dass Yazan Khalili „einen freien Wirtschaftskreislauf – ohne dass auf den Märkten Ost und Gemüse aus Israel eingekauft werden müsse“ anstrebt.

Zu Yazan Khalili kommen wir später noch. Die zweite im Video, Fayrouz Sharkawi, ist die Direktorin und „weltweite Mobilisationskoordinatorin von Grassroots Al-Quds“, die sich laut audiatur-Online auf Hasskampagnen gegen Tourismus in Israel spezialisiert hat. Diese Gruppe unterstützt offensiv die BDS-Kampagne. Die zweite Führungsperson der Gruppe „Grassrouts Al-Quds“ Amany Khalifa findet es lächerlich, „wenn die Palästinensische Autonomiebehörde von Koexistenz mit Israel spricht“.14

Kommen wir zurück zum Künstlerkollektiv aus Palästina. „The Question of Funding“? Dies verwundert zunächst: In der Presseerklärung der documenta vom 18. Juni 2020 wurde ein Khalil Sakakini Cultural Center, Ramallah, Palestine angekündigt. Auch in der Vorankündigung auf Facebook und in der Presse war noch von einem „Khalil Sakakini Cultural Center (KSCC)“ die Rede. Liest man den Text der Pressemitteilung weiter, findet man dort folgenden Satz: „In this collective, we begin from the question of funding as a way to engage culturally with politics an economy, […].“ 15 Nachtigall ick hör dir trapsen.

Screenshot der Facebookseite documeta fifteen. Szene im Garten des Khalil Sakakini Cultural Centers. Rechts im Bild Yazan Khalili

Werfen wir einen Blick auf den Namensgeber dieses Khalil Sakakini Cultural Centers. Warum wurde ein Kulturzentrum in Ramallah nach ihm benannt, welche Verbindung hat das besagte Kulturzentrum zu Question of Funding und warum ist die Ruangrupa möglicherweise darum bemüht, selbige Zusammenhänge zu verschleiern.

Khalil al-Sakakini (1878-1953) war, so kann bei Wikipedia in Erfahrung gebracht werden, „ein palästinensischer Pädagoge, Schriftsteller und arabischer Nationalist“. Er war „Anhänger des Nationalsozialismus […], befürwortete die Politik von Adolf Hitler und übernahm die von ihm propagierte Idee der jüdischen Weltverschwörung“.16 Er gehörte – wie die zeitgenössischen Gründer der SSNP und der Ba’ath Partei – der damals noch zahlenmäßig starken christlichen Minderheit unter den Arabern an. Wie überall in der Welt, verbreitete sich auch unter den Arabern im Nahen Osten die Idee von einer Nation. Der stark durch den Islam geprägten Nationalbewegung der arabischen Palästinenser unter Mohammed Amin al-Husseini glaubten die christlichen Arabern eine gemeinsame Kultur und Sprache als Bezugspunkt nationaler Identität entgegensetzen zu können, nicht zuletzt auch, um den Status des Dhimmi in einer islamischen Nation entgehen zu können. Im Gegensatz zu seinen oben genannten Zeitgenossen betätigte sich al-Sakakini jedoch nicht als Parteigründer, sondern als Reformpädagoge, sozusagen als mittelöstliches Gegenstück zu Steiner. Laut Wikipedia gab es in der so gegründeten Schule „weder Examen, Auszeichnungen noch Bestrafungen für die Schüler, stattdessen mussten sowohl Schüler als auch Lehrer sich selbst evaluieren. Der Schwerpunkt im Unterricht lag vermehrt auf Musik und Sport, und anstatt wie bisher in Türkisch erfolgte der Unterricht nun in arabischer Sprache.“

Sakakini war als Pädagoge und Schriftsteller in Jerusalem ein bekannter Mann. Bei diesem suchte der von den osmanischen Herrschern als Spion verdächtigte Alter Levine Zuflucht. Sakakini nahm ihn auf. Später begründete er das so: „Er [Levine] suchte Schutz in der Kultur meines Volkes, […] Durch seine Bitte, ihm in meinem Haus Schutz zu gewähren, hat er mir eine große Ehre erwiesen, denn sie erlaubt es mir, den Geist unserer Geschichte und unserer Kultur unter Beweis zu stellen […] ich hoffe, mein Volk wird darüber frohlocken, dass ein Fremder bei ihm Schutz gesucht hat […].“ Auch wenn Sakakini einen von der türkischen Obrigkeit verfolgten Juden versteckte, wird in der Rechtfertigung deutlich, der Jude ist der Fremde und ein Gast. Sakakini und Levin wurden kurz vor der Eroberung Jerusalems durch die Briten von türkischen Polizisten verhaftet, verschleppt und sollten gehängt werden. In letzter Sekunde wurden sie durch den Sieg Allenbys über die Osmanen und deren deutsche und KUK Verbündeten gerettet. In der Zeit in der Sakakini Levine beherbergte, unterhielten beide sich angeregt. Sakakini „verabscheute den Zionismus“ und lehnte die Zuwanderung der Juden ab. „Durch die zionistische Eroberung Palästinas werde das Herz der arabischen Nation mit Füßen getreten.“17

Arabische Notablen traten noch unter osmanischer Herrschaft mit einer Petition an die türkischen Machthaber, den Juden den Landkauf zu verbieten. Al-Sakakini war der Meinung, dass das Land den Arabern gehöre, sie „hätten ihre Kultur und Sprache in ganz Palästina verbreitet.“ In ferner Vergangenheit, hätten die Juden einmal Anspruch auf das Land gehabt, „dieser sei aber schon lange verfallen; der arabische Anspruch sei ‚lebendig‘ […] Seiner Ansicht nach bedrohte die jüdische Besiedlung Palästinas die ganze arabische Welt.“18 1929 kam es zu Unruhen und Protesten der arabischen Bewohner Palästinas. Sie richteten sich sowohl gegen die britische Mandatsmacht als auch gegen die jüdischen Bewohner des Jishuw. Insbesondere unter dem wachsenden Einfluss des Mufti al-Husseini verwandelte sich Palästina in einen Kriegsschauplatz, indem sich Sakakini als nationalistischer und judenfeindlicher Agitator auszeichnete. Er schrieb, „dass er den Briten nichts schulde, denn sein Volk sei nicht befreit worden.“ Die Proteste der Araber „richteten sich sowohl gegen die Juden als auch gegen die Regierung, die die Juden unterstützte. ‚Die gesamte Welt wird erkennen, dass die arabische Nation keine leichte Beute ist‘, notierte Sakakini, und: ‚In jedem Fall wir das Leben unerträglich werden.'“19 Sakakini schrieb an seinen Sohn, „Man gewöhne sich an ein Leben des absoluten Terrors. ‚[…] Sie [die arabischen Kämpfer] werfen Bomben, schießen, verbrennen Felder, zerstören jüdische Zitrusplantagen in Jaffa, sprengen Brücken, durchtrennen Telefonleitungen und stürzen Strommasten um. Jeden Tag legen die Araber einen Heroismus an den Tag, […]'“.20

Ebenso enthusiastisch unterstützte er den arabischen Aufstand von 1936-39. Am 16. Mai 1936 wurden drei Juden beim Verlassen des Edison-Kinos in Jerusalem getötet. Sakakini pries den Täter: „Nichts kann sich mit solchem Heldentum messen, außer das Heldentum von Scheich al-Kassam.“21 Der Mörder wurde von der Polizei gesucht und kam bei einer Schießerei mit der Polizei und Soldaten, die den von Terroristen überfallenen Polizisten zur Hilfe kamen, ums Leben. Sakakini kannte ihn und pflichtete dem Vater des Mörders bei, der seinen Sohn als Helden feierte. Sakakini meinte, im Heroismus des Terrors drücke sich der Geist der Nation aus.22

Al-Sakakini war, wie der Anführer der arabischen Palästinenser, Mohammed Amin al-Husseini und andere arabische Nationalisten, Anhänger der Nazis. Sakakini lebte eine Zeit lang in der deutschen Kolonie, wo auch die Töchter des Reform-Pädagogen die deutsche Schule besuchten. „Nach Hitlers Machtergreifung übernahm die Schule die Erziehungsideale des neuen Regimes.“ Mit den deutschen Kindern sangen Sakakinis Kinder das Deutschlandlied und das NS-Kampflied „Die Fahne hoch“. Sakakini hoffte, „das nationalsozialistische Deutschland werde die Briten schwächen und auf diese Weise Palästina von den Juden befreien. In seinem Tagebuch bekundete er mehrmals explizit seine Sympathien“ für den Nationalsozialismus. „Hitler habe der Welt die Augen geöffnet. Bevor er an die Macht gekommen sei, hätten die Menschen die Juden und ihren grenzenlosen Einfluss gefürchtet. Hitler habe der Welt jedoch gezeigt, dass die Juden gar nicht scharf schossen. Die Deutschen hätten als erste den Juden die Stirn geboten und keine Angst vor ihnen gehabt. Tatsächlich sei die Welt von zwei Nationen zum Narren gehalten worden: den Juden und den Briten. Hitler habe die Juden in ihre Schranken gewiesen, […]“. Als es dem berüchtigten Nazi-Verbündeten und gesuchten Kriegsverbrecher al-Husseini nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gelang aus der alliierten Gefangenschaft nach Kairo zu fliehen, notierte al-Sakakini: „Welch freudige Nachricht.“23

Auf Grund seiner antibritischen Ansichten unterstützte al-Sakakini auch den italienischen Faschismus,24 wiewohl Mussolini – im Gegensatz zu Hitler – keinerlei Hehl daraus machte, die arabische Bevölkerung im nach Klima und Bodenbeschaffenheit für die italienische Besiedlung geeigneten Fezzan ausmorden oder vertreiben zu wollen, und dies auch umsetzte.25 Soweit, dass al-Sakakini wegen einem bisschen Völkermord mit Mussolini gebrochen hätte, ging sein arabischer Nationalismus nun auch wieder nicht.

Aber ach, der Befreiung der unterdrückten arabischen Völker durch Hitler stand die Übermacht der jüdischen Weltverschwörung entgegen, denn diese kontrollierten nach Auffassung al-Sakakinis bekanntlich Presse und Rundfunk. Die Vollendung der Vernichtung des Judentums gelang den Nazis trotz tatkräftiger Unterstützung des Mufti al-Husseinis nicht. Trotzdem hielt die Mehrheit der wenigen Überlebenden des Holocausts nichts daran in Europa und Deutschland zu bleiben. Viele Überlebende wanderten in die USA aus, andere versuchten, trotz der Politik Großbritanniens sie daran zu hindern, auch nach Erez-Israel auszuwandern. Dies empörte Khalil al-Sakakini. Er sinnierte: „Wenn dies ein menschliches Problem ist, soll die Menschheit es doch lösen.“ Doch die Juden beuteten den Holocaust in parasitärer Weise aus, auch hier bedauerte Sakakini den „jüdischen Einfluss in den Vereinigten Staaten“. Als Gegenmittel empfahl er den USA, sie sollten ihren jüdischen Bürgern das Wahlrecht entziehen. In Palästina bevorzugte er andere Methoden: „das Schwert sei mächtiger als das Buch“.26

Antisemitische Gewaltfantasien eines Palästina-Aktivisten im Lumbung

Nach genau so einem ‚Goldstück‘ musste ein Kulturzentrum im hippen Ramallah benannt werden. Gegründet 1996 als Unterabteilung des palästinensischen Kultusministeriums, machte man 1998 eine NGO daraus. Schon 2005 gehörte das KSCC zu den Unterzeichnern eines Aufrufs, in dem zum akademischen Boykott Israels aufgerufen wurde und es gehört somit auch zu den 171 Organisationen, die am 9. Juli 2005 den gemeinsamen BDS-Aufruf unterzeichneten. An dieser Ausrichtung hat sich bis heute nichts geändert.27

Direktor des KSCC war von 2015-19 Yazan Khalili.28 Er wird in einem weiteren Video, neben der schon erwähnten Khaldi von der ruangrupa als Sprecher des Kollektivs „Question of Funding“ vorgestellt, das wie oben ausgeführt, mittlerweile an Stelle des KSCC als lumbung member genannt wird.29 An Khalili kann studiert werden, wie Kunst, Engagement und politische Agitation formvollendet eins und zum Programm werden. So findet Khalili, dass besonders die palästinensischen Arbeiten selbst dann, wenn sie politisch nicht eingebunden sind, politisch sind. Das Kunstwerk ordnet er bedingungslos der palästinensischen Sache unter. Und da sei selbst für kritische israelische Künstler, die die „Besatzung“ und den Status Quo im Nahen Osten kritisierten, kein Platz, denn diese betrieben „whitewashing the occupation“.30

Screenshot der Internetseite Yazan Khalilis: Interpretation des israelischen Ausweises als Praxis eines Apartheid-Regimes

Abgesehen von seiner Tätigkeit als politischer Kunsthandwerker31 und Kulturmanager betätigt sich dieser umtriebige Geselle auch als Architekt, Fotograf und seiner eigener Heldenerzählung gemäß auch als antisemitischer Schläger. Khalili erzählt in einem Interview, er habe in Amsterdam einen Kellner eines Restaurants verprügelt. Der soll es gewagt haben zu bemerken, Khalili könnte dem Äußeren nach auch Israeli sein. Das konnte, Khalili nicht auf sich sitzen lassen.32 Kurz gesagt: Sein Lebenslauf liest sich so, als hätte jemand einen Bahamas-Redakteur damit beauftragt, an Hand einer fiktiven satirischen Biographie zu veranschaulichen, was in der Kulturindustrie im Allgemeinen und im staatlich subventionierten Kunstbetrieb im Besonderen so alles schiefläuft.

Auf diesem Kunstwerk (und weiteren dieser Serie) hat Khalili die israelisch-jüdischen Siedlungen ausgekrazt. Er spricht von der Möglichkeit einer ikonoklastischen Zukunft und kryptisch davon, dass Gewalt in Form der künstlerischen Darstellung gegen die abgebildete Gewalt ausgeübt wird. „Juden Raus!“ als Kunst? (Screenshot der Internetseite Khalilis)

Volkstumskampf und die Frage der Finanzierung heute

In Khalilis Interviews und schriftliche Äußerungen finden sich immer wieder Formulierungen, die an die von Parteilinken zurückliegender Zeiten erinnern und die durch den Kontrast zum heutzutage in diesen Kreisen als zeitgemäß empfundenen postkolonialen Jargon – den Khalili ansonsten routinemäßig beherrscht – erst Recht hervorstechen. Es kann vermutet werden, dass diese Brüche von ihm nicht – wie etwa bei Zizek – bewusst als stilistisches Mittel eingesetzt werden, sondern das innere Unbehagen des Autors ausdrücken, sich auf einem von halbstaatlichen NGOs dominierten Kunstmarkt (von Khalili unpräzise, aber nicht ganz falsch als „neoliberal“ beschrieben) aktiv um Fördergelder bemühen zu müssen. Dazu muss er sich mit dem Problem herumschlagen, dass staatliche und halbstaatliche US-amerikanische und europäische Geldgeber kulturellen Organisationen, die dem Umfeld terroristischer Gruppen wie der Hamas, der PFLP und dem Islamic Jihad nahestehen, den Geldhahn zudrehen oder zudrehen könnten. Nicht umsonst lautet der Deckname, unter dem mutmaßlich das KSCC jetzt in der Reisscheune auftritt, „A Question of Funding“, also übersetzt: „eine Frage der Finanzierung“.

Früher war mehr Lametta, als PFLP und DFLP und weitere Gruppen im Umfeld der PLO noch auf Unterstützer mit martialisch klingende Beinahmen wie Schakal oder Schattenmann hörten und Schutzgelder mit tatkräftiger Vermittlung durch Altnazi und BKA-Chef Paul Dickkopf von diversen Airlines akquiriert werden konnten und im Yachthafen von Marbella milliardenschwere Waffendeals von Oliver North vielleicht auch Uwe Barschel mit den staatgewordenen Terrorpaten an der Syrte oder am persischen Golf abgeschlossen wurden. Den „international man of mystery“ gibt es nicht mehr, genauso wenig wie den Arbeiter- und Bauernstaat, der im Namen der internationalen Solidarität gleich ganze Schiffladungen an Schießgerät an die Waffenbrüder im Nahen Osten zur Bekämpfung des ewigen Zionisten lieferte.33 Er wird in Zeiten, wo sich in den Plattenbauvierteln von Yarmouk mit einer Handvoll Euros gedungene Hazara aus dem Teheraner Drogensumpf und ebenso deklassierte (oder zumindest wohlstandsverwahrloste) Jungs aus Dagenham, St. Denis und Delmenhorst gegenseitig an den Hals gehen und umfangreiche Finanzierung der palästinensischen Autonomiebehörde und durch die EU und die UNRWA erfolgt, schlicht nicht mehr gebraucht. Und auch CDU-Politiker werden heute eher mit Maskendeals und Bierdeckel als mit dubiosen Geldtransfers in dunkel Kanäle Richtung Iran in Verbindung gebracht. Stattdessen müssen nun todlangweilige Shaggydog Stories darüber, dass Captain Khalili auf der Allenby-Brücke von der israelischen Armee letzten Endes eben nicht nach Fotos kontrolliert wurde her. Nebenbei wir die Beweisführung bemüht, warum die freie Rede in Israel eine besonders fiese Form der Zensur sei. Alles garniert mit endlosen Zoom-Meetings und Powerpoint-Präsentationen, die im e-flux Journal, der antizionistischen Haus-Postille Khalilis und Konsorten breit getreten werden.34

Selbstverständlich ist nicht nur der Verein, als dessen Vorsitzender oder Vertreter Khalili agiert, sondern auch dieser selbst, als natürliche Person, BDS-Unterstützer. Man lernt, was mit dem oft eingeforderten ‚kritisch-solidarisch‘ gemeint ist, denn die BDS-Bewegung erscheint Khalili offensichtlich als zu gemäßigt: Statt lediglich passiv-aggressiv die Vernichtung Israels durch ein „Rückkehrrecht“ zu betreiben, solle man doch lieber von vorneherein offen und ehrlich verlangen, die Existenz des zionistischen Staates zu beenden (Zitat: „ending the existence oft the Zionist state“).35 Und er setzt noch einen drauf. Wie schon in seiner Rechtfertigung als antisemitischer Schläger erklärt er den jüdischen Staat („the establishment of israel“) als Fortsetzung der rassistischen „christo-European oppression“. Israel sei nichts als ein Ghetto, in dem den Juden eine nationale Identität aufoktroyiert worden sei, die es gar nicht gäbe. Aber vielleicht meint er es doch nur gut, wenn er fordert, die Emanzipation der Palästinenser sei nur durch die Emanzipation der Juden von ihrer nationalen Identität zu erreichen. Das politische Projekt des BDS sei erst dann am Ziel, wenn Israel kein jüdischer Staat mehr sei.36

Screenshot der Facebookseite documeta fifteen auf der das Lumbung-Member Jumana Emil Abboud vorgestellt wird: Zur folkloristischen Erzählung gehört es, den von der antisemitischen Hamas beherrschten Gaza und seine Bewohner als Teil des palästinensischen Ganzen zu sehen. Die Trennung der Menschen sei Ergebnis eines konstruierten Staates Israel („architecture of the Israeli state“), der Kolonisierung „Palästinas“ und des Apartheidregimes, heißt es in einer Erklärung, die Emil Abboud unterzeichnet hat.

Alleine ist Khalili im Lumbung nicht. Vielmehr kann er sich dort wie ein Fisch im Wasser oder wie ein Reiskorn im Reisbeutel fühlen. Unter den „Lumbung Members“ finden sich weitere Fürsprecher des Boykotts Israels, wie Marwa Arsanios (Unterzeichner des Aufrufs „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“), der 2021 verstorbene Jimmie Durham (Unterzeichner des Aufrufs „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“), Jumana Emil Abboud (Unterzeichnerin des „A Letter Against Apartheid“37 und Yasmine Eid-Sabbagh (Unterzeichnerin der „Campaign to boycott the oral History Conference at the Hebrew University of Jerusalem“).38 Da auch in der Findungskommission bzw. im Documentabeirat, in der ruangrupa und im Artistic Team des ruruHauses wie geschildert ihre Gesinnungsgenossen sitzen und zu allem Überfluss die Bundesregierung mit Claudia Roth eine Fürsprecherin der Antisemiten im Kunstbetrieb als Staatsministerin ernannt hat39, ist Widerspruch nicht zu erwarten.

Der Bundestag gegen BDS und die Kasseler Äquidistanz

Der Bundestag hat am 17. Mai 2019 einen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ angenommen. Dort heißt es u.a. „ Der Bundestag beschließt, […] keine Organisationen finanziell zu fördern, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Keine Projekte finanziell zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen. Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure dazu aufzurufen, sich dieser Haltung anzuschließen.“40 Auch wenn sich die Szene um die documenta gerne mit der Aura des Kritischen umgibt, ist es korrekt, diese wiederkehrende Kunst-Show als eine im wesentlichen mit öffentlichen Geldern finanzierte – also keineswegs staats- und gesellschaftskritische – Ausstellung zu bezeichnen. Der Gesamtetat der documenta wird in großen Teilen von der Stadt Kassel, dem Land Hessen und vom Bund finanziert. Auch die Sponsoren der vorhergehenden documenta dürften wieder dabei sein. Immer wieder prominent erwähnt in unzähligen Werbebroschüren gehören zu diesen u.a. die Sparkassen Finanzgruppe, der VW-Konzern und die Deutsche Bahn. Auch sie zählen nicht gerade zu den Kapitalgruppen, die als besonders staatskritisch gelten.

„Deutschland habe aus seiner Vergangenheit heraus eine herausragende Verantwortung für Menschen jüdischen Glaubens und den Staat Israel. Das sei Staatsräson für die Bundesrepublik Deutschland und ebenso „Stadträson“ für die Stadt Kassel.“ OB Geselle mit den Israelboykott-Unterstützern und ruangrupa-Sprechern Ade Darmawan und Farid Rakun. (HNA am 17.01.2022 über die Stellungnahme des Oberbürgermeister Christian Geselle)

In Kassel, wo „das Gedenken an die Opfer [des Nationalsozialismus‘] seit vielen Jahren gelebte Wirklichkeit ist“, betont man zu bestimmten historischen Daten geschichtsbeflissen das eigene Engagement gegen Antisemitismus und die besondere Verbundenheit mit Israel. Man ist froh über die nach 1945 wiederauferstandene Jüdische Gemeinde und ihre neu errichtete Synagoge, preist die Städtepartnerschaft mit der israelischen Stadt Ramat Gan an und hisst neuerdings am Tag der Gründung Israels auch die Fahne Israels.

Doch angesichts des real existierenden Hasses auf Israel, der alle paar Jahre von den Freunden der Befreiung Palästinas von den Juden auf den Straßen Kassels organisiert wird, zeigt man Indifferenz und den wackeren Kämpfern für das Menschenrecht auf Israelkritik aus Kreisen der Kasseler Friedensbewegung ist man – zumindest in Teilen – zugetan. So steht zu befürchten, sofern der Bundestagsbeschluss den politischen Vertretern in den Aufsichtsgremien der documenta überhaupt etwas sagt, dass man sich der Phalanx der Israel-Boykottaktivisten in der Reisscheune im kommenden Sommer nicht in den Weg stellen wird! Ob der sich bis dato ahnungslos gebende, aber als Beuys-Fan bereits in Erscheinung getretene, Jörg Sperling vom documenta-Forum, das die Ausstellung kritisch begleiten soll, noch eines Besseren besinnt, bleibt abzuwarten. Dass der Antizionismus und Judenhass des Deutschen liebsten Heldenvolks im Verständnis der den Kulturbetrieb umkreisenden politisch Verantwortlichen zum Abbild der Zeit (Angela Dorn) oder zur wunderbaren Verschiedenheit unserer Gesellschaft (Claudia Roth) gehört41, ist ja nun wirklich nichts Neues: Da beißt der Beuys den Filz nicht ab.

1 So war der Kurator und wichtigste Berater Arnold Bodes Werner Haftmann Mitglied in der SA, der NSDAP und an Erschießungen und Folterungen in Italien beteiligt. Vgl.: Bert Rebhandl, Die Documenta und der Nationalsozialismus: Verspätete Aufarbeitung, in: Der Standard, 22. Juni 2021.

2 Grundlegend zum Ideologen Josef Beuys, vgl., Frank Gieseke, Albert Markert, Flieger, Filz und Vaterland. Eine erweiterte Beuys Biographie, Berlin 1996; Aktuell setzt sich die Initiative „Beuys Behind the Scenes“ mit dem Mythos Beuys ausführlich und kritisch auseinander.

3 Zur Performance „Auschwitz on the Beach“ auf der documenta 14, vgl.: Bündnis gegen Antisemitismus Kassel, „Ein Maulheld und das große Einseifen Oder: Niemand hat die Absicht ein Gedicht zu lesen“, 05. September 2017

4 Kasseler Kunstverein: wir sind alle gespenster. haunting infrastructures. versuchsanordnung zu ns-kontinuitäten. Mit Natasha Sadr Haghighan, Judith Raum und Martha Rosler beteiligen sich mindestens drei Künstler, die den Aufruf „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ unterzeichnet haben, an diesem Projekt. Der Aufruf „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ stellt sich explizit vor den Aufruf „GG 5.3 Weltoffenheit“, der sich gegen den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Initiative wandte. Er wurde mittlerweile von weit über Tausend „Kunstschaffenden“ aus der ganzen Welt, auch von einigen aus Kassel, unterzeichnet. Der Aufruf findet sich auch auf der Seite der Initiative BDS. Zu den beiden Aufrufen siehe: Alex Feuerherd, Weltoffen für Antisemitismus, in: Mena-Watch 16.12.2020; Stefan Laurin, Staatskünstler wollen mehr Antisemitismus wagen, in: Ruhrbarone, 10. Dezember 2020; ders., Initiative GG 5.3 Weltoffenheit: Die geheuchelte Sorge um die “Marginalisierten”, in: Ruhrbarone, 11. Dezember 2020. Zum Wandel der Kunst zum politischen Kunsthandwerk sei exemplarisch die Leiterin der documenta-13 Carolyn Christov-Barkargiev erwähnt, die, geleitet von einem „nachhumanistischen Weltbild“, für das Wahlrecht von Bienen und Erdbeeren eintrat und es der Bewegung Occupy ermöglichte, den Rahmen der Kunstausstellung für ihre Propaganda zu nutzen, vgl.: Kia Vahland, Über die politische Intentionen der Erdbeere, in: SZ, 08.06.2012 und Catrin Lorch, Malerisches Bild des Widerstandes, in: SZ 10.06.2012. Von der documenta 14 wurde der Obelisk Olu Oguibes als das Kunstwerk ausgewählt, das in Kassel bleiben sollte. Den Obelisken kann man als Hommage an die „Willkommenskultur“ des Jahres 2015 interpretieren, die paradigmatisch für die postmoderne Selbstaufgabe und Infragestellung bürgerlicher Staatlichkeit steht. Zum Souveränitätsverzicht und der Veralltäglichung des Ausnahmezustandes im postnationalen Deutschland, vgl.: Justus Wertmüller, Der deutsche Anschlag auf die Souveränität. Ein Plädoyer für miesepetrigen Defätismus in der Flüchtlingsdebatte, in: Bahamas 75/2015.

5 Über die Rolle des Staates, der von ihm alimentierten Kunstschaffenden und deren Haltung zu Antisemitismus und Israelhass, vgl.: Paulette Gensler, In Sorge um die Staatsabhängigkeit. Boycott, Divestment, Sanctions und die bürgerliche Freiheit der Kunst, in: Bahamas 87/2021. Allgemein zur Affinität der postmodernen und identitär gewendeten Linken zum Antisemitisus vgl.: Ingo Elbe, Gestalten der Gegenaufklärung, Würzburg 2020, S. 144ff.

6 Die Mitglieder des documenta-Beirates werden hier genannt. Amar Kanwar gehört zu den Unterzeichnern der indischen Kampagne „InCACBI Condemns the Growing Partnership between the State of Gujarat and the State of Israel“.

7 Siehe FN 4.

8 Im 2021 „A Letter against Apartheid“, der unter anderem auch vom Kurator der documenta 14 Adam Szymczyk unterstützt wird, heißt es: „Israel is the colonizing power. Palestine is colonized. This is not a conflict: this is apartheid.“ Der „Open letter to the Fundacao Bienal Sao Paulo“ richtet sich gegen die finanzielle Unterstützung der genannten Bienale. Es heißt dort: „In accepting this funding our artistic work displayed in the exhibition is undermined and implicitly used for whitewashing Israel’s ongoing agressions and violation of international law an human rights.“

9 Der von Angela Davis und anderen initiierte Brief „Free Palestine/Strike MoMA: A Call to Action“ bezichtigt Israel und die USA des „Siedler-Kolonialismus, Imperialismus“ und des „rassistischen Kapitalismus“. Das MOMA betreibe „artwashing“ des israelischen Apartheid-Regimes. Siehe: Hakim Bishara, Angela Davis, Fred Moten, and 250+ Artists Sign Letter Condemning MoMA’s Ties to Violence Against Palestinians, hyperallergic.com, 21.05.2021

10 U.a. in der NZZ wurde das per Pressemitteilung vorgestellte „Artistic Team“ vorgestellt. Vgl.: Christian Saehrendt, Labern und Chillen in der Kasseler Reishütte, in: NZZ, 22.06.2021 . Auf der Internetseite der documenta fifteen wird Lara Khaldi , geboren in Jerusalem (Palästina) kurz vorgestellt. Unter dem Begriff „Künstlerisches Team und Koordination“ werden die Mitglieder des dort dann „künstlerischen Teams“ vorgestellt. Gremien der documenta beschließen: Documenta Fifteen findet planmäßig 2022 statt. Dass sie Direktorin des KSCC war, wird vornehm verschwiegen. (Siehe FN 28) Der Aufruf „Free Palestine / Strike MoMA: A Call to Action“ ist hier zu finden. Über die Konferenz zu BDS im Goethe-Institut Ramallah berichtete Honestly Concerned am 26.10.2015.

11 Diese mit Bedacht gewählte Formulierung mag für den Leser flapsig ja anmaßend daher kommen. Chinesen waren in Süd-Ost-Asien immer wieder Opfer von Pogromen. Dazu: Khouw Siang Hok, Immer wieder Opfer – Bei Machtwechseln geht es den Indonesiern chinesischer Abstammung schlecht, asienhaus.de, 11.10.1998

12 Abschnitt „Lumbung“ auf der Internetseite der documenta fifteen (lumbung – documenta fifteen (documenta-fifteen.de), sowie unter „lumbung-Mitglieder und Teilnehmer*innen“ auf universes.art.

13 Mark-Christian von Busse, Mit Tanzen in den Widerstand, in: HNA, 08.12.2021.

14 Grassroots Al-Quds „gibt einen eigenen Reiseführer heraus (Wujood, Arabisch für „Sein“, „Existenz“), der dazu ermuntern soll, bei Israelreisen alles Israelische auszusparen. ‚Wir rufen Touristen dazu auf, israelische Geschäfte zu boykottieren und palästinensischen Tourismus zu unterstützen‘, sagt Fayrouz Sharkawi, […]“, siehe: Stefan Frank, Kampagne gegen Tourismus nach Israel: „Grassroots Al-Quds“ auf Europatournee, in: AUDIATUR ONLINE, 20.09.2019.

15 Im „Press announcement: documenta fifteen and lumbung practice. Announcement of the first lumbungmembers“ vom 18. Juni 2020 heißt es: “This is a mind map. We have been trying to figure out how collectives that are formed organically can extend their collectivity to the community, how to scale up horizontally while keeping a skeletal body that takes the task of accumulating knowledge produced and shared through the collectives. Ideology is in the structures that ideas and bodies work and move through, and we see our structure in the landscape we live in, which is not flat like a coastal landscape, nor steep like a mountain, but with many hills and valleys, tops and bases, which one can move between while simultaneously being on the top of a hill and in the bottom of a valley. In this collective, we begin from the question of funding as a way to engage culturally with politics and economy, rethinking funding and re-proposing it as a value that grows through community engagement and collective movement.” Und so wurde das KSCC auch mehrfach als eines der ersten Lumbung-Teilnehmer vorgestellt. Vgl. hierzu etwa: Christian Saehrend in der NZZ (ob cit.); Catrin Lorch, Reisspeicher, in: SZ, 18.06.2020 , Louise Steiwer, Collectivist Documenta, in: kunstkritikk.com, 24.06.2020, oder Documenta in Kassel. Hallo, Fifteen!, in: monopol, 17.07.2020. In der Historie der Einträge sowohl auf Facebook als auch auf der Internetseite von documenta fifteen lässt sich nachvollziehen, dass der Name KSCC mit dem unverdächtig klingenden Namen „The Question of Funding“ ersetzt wurde. Das Dementi des ehemaligen KSCC-Direktors Khalili wirkt da eher als Nebelkerze. Siehe: Joseph Croitoru, Hat man ihn missverstanden? Ein Sprecher eines auf der Documenta 15 eingeladenen Künstlerkollektivs, Yazan Khalili, äußert sich zum Vorwurf des Antisemitismus, FAZ, 31.01.2021

16 Wikipedia

17 Tom Segev, Es war einmal ein Palästina. Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, München 2005, S. 21ff.

18 Tom Segev, S. 119f.

19 Tom Segev, S. 379ff.

20 Tom Segev, S. 399.

21 Tom Segev, S. 397. al-Kassam war ein Imam, den „Charisma, Mystizismus und nationaler Eifer“ auszeichnete. Er reiste im Land herum und hielt religiöse und politische Predigen und „ermutigte seine Anhänger zum Aufbau terroristischer Zellen, um Anschläge auf Briten und Juden zu verüben.“ Er selbst kam bei einer Schießerei mit britischen Sicherheitskräften uns Leben. (S. 392f).

22 Tom Segev, S. 397f.

23 Tom Segev, S. 450.; S. 548; auch: Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006, S. 20

24 eda.

25 Aureliana Sorrento, Italien und Libyen. Kompliziertes Erbe der Kolonialzeit, in: Deutschlandfunk, 29.07.2020.

26 Tom Segev, S. 541; S. 399. Über den Mufti al-Husseini grundlegend.: Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers, ob cit. und: Matthias Küntzel, Nazis und der Nahe Osten. Wie der Islamische Antisemitismus entstand, Leipzig 2019.

27 Der NGO-Monitor führt das Khalil Sakakini Cultural Center als eine Organisation der Palestinian NGO Network (PNGO) auf, die 2005 den Aufruf „Comprehensive Academic Boycott of Apartheid Israel unterzeichneten. („Extremist Palestinian NGOs Renew Boycott Campaign“ » ngomonitor (ngo-monitor.org) ). Auf dem mit 9. Juli 2005 datierten Aufruf „Calls for Boycott, Divestment and Sanctions against Israel By Palestinian Civil Society“, dem Gründungsdokument der BDS-Bewegung, findet sich das KSCC unter Nummer 59 der das Pamphlet unterzeichnenden Organistionen. (Calls for Boycott, Divestment and Sanctions against Israel By Palestinian Civil Society) In diesem Umfeld bewegt sich das KSCC auch noch im Jahr 2020. Das KSCC unterstützte die Kampagne des Rates der palästinensischen Menschenrechtsorganisationen (PHROC) für gezielte Sanktionen gegen Israel. (Die palästinensische Zivilgesellschaft bekräftigt ihre Forderung nach sofortigen gezielten Sanktionen zum Stopp der Annexion und Apartheid Israels – BDS-Kampagne ).

28 Biographische Angaben über Yazan Khalili, der wie viele andere „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ unterzeichnet hat, findet man zum Beispiel hier: ( http://edgeofarabia.com/artists/yazan-khalili ).

29 Yazan Khalili und Lara Khaldi (siehe FN 9) werden in einem Video der „ruangrupa“ (https://www.frieze.com/video/watch-now-ruangrupa-yazan-khalili-lara-khaldi-conversation) vorgestellt. Die Khaldi war von 2011 – 2013 Direktorin des KSCC und stellt dort regelmäßig aus. people – Sharjah Art Foundation.

30 David Kim: I, The Artwork: A conversation with Yazan Khalili, in: e-flux Journal, 90, April, 2018; Yazan Khalili and Marwa Arsanios, What We Talk about When We Talk about Crisis: A Conversation, Part 1, in: e-flux Journal 111, September 2020.

31 So präsentiert z.B. das Kunstwerk „Apartheid Monochromes“ aus dem Jahr 2017 Leinwände in verschiedenen Farben. Diese sollen die von Israel 1949 bis 2005 in den Identitäts-Papieren vorgenommene Unterscheidung nach Nation oder Volksgruppe des Besitzers („jüdisch“, „arabisch“, „beduinisch“, oder „tscherkessisch“) darstellen. Diese Unterscheidung determiniere die unterschiedliche politische, ökonomische und soziale Stellung ihres jeweiligen Besitzers. ( http://www.yazankhalili.com/index.php/project/apartheid-monochromes/ ) Das Werk des Künstlers dient augenscheinlich der simplen propagandistischen Aussage, die Gestaltung wird dem funktionalen Zweck unterworfen.

32 Im Streitgespräch, das der Schlägerei mit dem Kellner eines indischen Restaurants vorausgegangen sei, erweist sich Khalili als gelehriger Schüler seines Mentors Sakakini. Die Israelis seien keine Menschen aus dem Nahen Osten, sondern sie seien kämen von dort, wo der Kellner bedient („they’re from over here“) und jetzt seien sie jemandes anderes Problem („they become someone else’s problem“). Er bemüht hier das Stereotyp des ewigen (wandernden) Juden. Dann erklärt er weiße Christen als diejenigen, die die Juden in den Gaskammern ermordet hätten und anstatt sich bei den ermordeten Juden zu entschuldigen, hätten diese mit den Zionisten zusammengearbeitet um die Überlebenden in den Nahen Osten zum Zweck eines europäischen Kolonialprojekts zu exportieren. Hier bemüht er ein weiteres Stereotyp antisemitischer Delegitimierung Israels, das nämlich von der Zusammenarbeit der Zionisten mit den Nazis zum Zwecke ihres nationalen Projekts. Opfer des europäischen Kolonialpolitik seien nicht nur die arabischen Ureinwohner sondern auch die arabischen Juden, die so Teil des Kolonialprojektes wurden. Nicht die arabischen Staaten vertrieben nach 1948 die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden dort lebenden Juden, sondern die Zionisten hätten die arabischen Juden von den Arabern getrennt und trügen die Schuld daran, dass die Araber die arabischen Juden jetzt verachteten („especially the Arab Jews, who were disassociated from their Arab origins to become part of the European project of colonization, so they’re now despised by all other Arabs“). Khalili gerät in seiner Erzählung über den „stupid motherfucker white European“ in Rage und skandiert „ Racism without Racists“ worauf ein Kampf ausgebrochen sei, in dem er den Kellner in das Gesicht schlug („broke his face into pieces“) und die Einrichtung demolierte. Die Aussagen sind in einem Interview mit Yazan Khalili zu finden: „Does That Make You Feel Bitter? Relieved? Blasé?“ (Does That Make You Feel Bitter? Relieved? Blasé? – WdW Review – Program – FKA Witte de With (fkawdw.nl) )

33 Über das unübersichtliche Geflecht aus Nazis, Neonazis, linksextremen palästinensischen Gruppen, eines sehr speziellen Schweizer Bankers (der Schattenmann), Agenten und Diplomaten der DDR und arabischer Nationen, vgl.: Thomas Riegler, Das „Spinnennetz“ des internationalen Terrorismus. Der „Schwarze September“ und die gescheiterte Geiselnahme von Schönau 1973, in: VfZ 4/2012, Heft 4. Die hier genannten windigen Personen aus dem Geheimdienstmilieu (oder im Falle fiktionalisierter Charaktere, deren reale Vorbilder) tauchen immer wieder in, wie sollte es anders sein, recht spekulativen Abhandlungen auf. Beispielhaft sei hier genannt: Markus Kompa, Barschels Mörder, Teil 1 und 2, heise.online.de. Die aktive Unterstützung des bewaffneten Kampfes gegen Israel durch die DDR beschreibt ausführlich: Jeffry Herff, Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967 – 1989, Göttingen 2019.

34 Das e-flux Journal präsentiert nicht nur einschlägige Kunstschaffenden und ihre Arbeiten, sondern hat den „A Letter against apartheid“ am 26.05.2021 unkommentiert veröffentlicht. (https://www.e-flux.com/announcements/397676/a-letter-against-apartheid/) Khalili erzählt von einem Erlebnis an einem Checkpoints israelischer (und palästinensischer) Sicherheitskräfte an der Grenze zu Jordanien: „Its one of the toughest ceckpoints to pass through in the region“. Nachdem er trotz angezeigtem Fotografie-Verbot so tat als ob er es täte, wird er gefilzt und sein Smartphone wird kontrolliert. Er wirft dem israelischen Grenzer vor, er sei paranoid. Nachdem dieser feststellte, dass keine Fotos auf dem Smartphone zu finden waren, gibt er Khalili das Smartphone zurück, lässt ihn passieren und gibt ihm lächelnd auf den Weg: „[…] Now take your stuff and get out of here.“ Fiese Israelis aber auch, noch nicht einmal die handelsüblichen Methoden der nahöstlichen Sicherheitskräfte werden gegen zwar verquere aber harmlose Künstler angewandt. Yazan Khalili, Freedom of Speech, Freedom of Noise, in: e-flux Journal 97, Feb. 02.2019.

35 Yazan Khalili, The Utopian Conflict, 2014 (*The Utopian Conflict : yazan khalili )

36 Ebda.

37 Vgl. FN 8.

38 Der im Jahr 2013 lancierte Boykottaufruf gegen israelische Universitäten und Museen, wirft allen israelischen Universitäten vor, Besatzung, Siedler-Kolonialismus und Apartheid zu fördern. Den Aufruf findet man u.a. hier: (https://bdsmovement.net/news/campaign-boycott-oral-history-conference-hebrew-university-jerusalem).

39 Stefan Frank, Kulturstaatsministerin stellt sich schützend vor antisemitische Kampagne, in: mena-watch, 27.11.2021.

40 Bundestag verurteilt Boykottaufrufe gegen Israel, bundestag.de (Deutscher Bundestag – Bundestag verurteilt Boykottaufrufe gegen Israel )

41 Jörg Sperling sah zu Beginn des Jahres 2012 keine komplette Abkehr von der Vergangenheit. Aber „nichts ist vom künstlerischen Konzept erkennbar, keine Künstler*innen sind bekannt […]“, vgl.: Ein Jahr vor der documenta 15, Zeit.de, 06.01.2021. Angela Dorn, die sowohl hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst als auch stellvertretende Vorsitzende des documenta-Aufsichtsrates ist, hofft, „dass die documenta ein ‚Abbild ihrer Zeit‘ sein könne.“ Vgl.: Ingo Arend, Documenta 15 soll wie geplant stattfinden, in: SZ, 02.07.2021; Die neu ernannte Staatssekretärin der Bundesregierung Claudia Roth führt in einem Interview aus: „Bisher nimmt leider viel zu wenig der wunderbaren Verschiedenheit unserer Gesellschaft Raum im kulturellen Diskurs ein, beispielsweise sollten Menschen mit Migrationsgeschichte, LGBTIQ und Frauen mehr Aufmerksamkeit bekommen. Ich bin sehr gespannt auf die Dokumenta 15 im kommenden Jahr, die sich ja einer ganz neuen Arbeitsweise verschrieben hat …“, in: Vier Fragen an Claudia Roth, FAZ, 29.12.2021.