Zwischen „Auschwitz on the beach“ und Zustimmung zu den Pogrompalästinensern

Der Lange Sommer des Antisemitismus in Kassel – Eine Chronik1

Unsere Broschüre online: Die documenta 15 und der Antisemitismus-Skandal. Wer Antizionisten einlädt, erntet Antisemitismus 2

Prolog

Auf der documenta 14 wird im August 2017 die Performance „Auschwitz on the beach“ mit Franco Berardi aufgeführt. Das Mittelmeer ist Auschwitz, Benjamin Netanyahu wird als Gauleiter bezeichnet. Das BgA-Kassel protestiert damals. Wichtige Personen aus der Stadtgesellschaft werten den antisemitischen Künstler durch eine Diskussionsveranstaltung auf.

08. Dezember 2021: The Question of Funding wird in einem Artikel der HNA erwähnt.

07. Januar 2022: Der Artikel „Documenta fifteen: Antizionismus im lumbung“ wird auf unserem Blog und auf Ruhrbarone veröffentlicht. Im Mittelpunkt stehen die Rolle des Khalil Sakakini Cultural Center in Ramallah und die Rolle Yazan Khalilis (The Question of Funding). Ferner decken wir die antiisraelischen und antisemitischen Bekenntnisse der meisten Personen aus der künstlerischen Leitung (Findungskommission / Beirat und der Ruangrupa) auf.

09. Januar 2022: Wir schreiben den Oberbürgermeister der Stadt Kassel und Aufsichtsratsvorsitzenden der documenta gGmbH Christian Geselle an.

12. Januar 2022: d15 erklärt, sie unterstütze in keiner Weise Antisemitismus sondern das Anliegen, „Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus … entgegenzutreten.“

12. Januar 2022: Thomas E. Schmidt bringt mit dem Artikel „Verschweigen, das geht nicht mehr“ in der Zeit die überregionale Debatte ins Rollen.

15. Januar 2022: Die HNA veröffentlicht im Artikel „Ist die documenta antisemitisch?“ die wichtigsten Punkte unserer Kritik.

16. Januar 2022: Pressemitteilung Geselle: „Mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa kuratieren […] zum ersten Mal Vertreter aus Asien die documenta, die auch die Perspektive des globalen Südens berücksichtigen. […] Die Freiheit der Kunst [sei] zu wahren und zu verteidigen [..] Aufgabe aller, die an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben. Eine Überprüfung […] dürfe es nicht geben.“

19. Januar 2022: In einer Presseerklärung der d15 ist die Rede von verfälschenden oder rassistischen Diffamierungen. Die Erklärung verweist auf das Recht, sich gegen Diskriminierung einzusetzen und auf die notwendige Kontextualisierung. Ein „Expert*innenforum We need to talk“ wird angekündigt. Später wird klar, dass der für diese Runde auch vorgesehene Wissenschaftler Nathan Sznaider nicht näher über das Konzept dieser Veranstaltung, auf der auch „antipalästinensischer Rassismus“ diskutiert werden soll, in Kenntnis gesetzt wurde. Er und andere schlagen daraufhin die Einladung aus. Das „Expert*innenforum“ kommt nicht zustande.

27. Januar 2022: Am Holocaustgedenktag besucht Geselle mit einer Delegation aus Ramat Gan und Ruangrupa-Mitgliedern das ruru-Haus. Die Tatsache, dass in der documenta-Leitung die Mehrheit erklärte Gegner des jüdischen Staates sind, war seit 20 Tagen bekannt.

Screenshot der Internetseite der Stadt Kassel vom 27. Januar 2022

07. Februar 2022: Die documenta GmbH mahnt – mutmaßlich nach einer rechtlichen Prüfung unserer Darstellungen – das BgA-Kassel und die Ruhrbarone wegen Urheberrechtsverletzung ab. Wir hatten, dem Prinzip Lumbung folgend, eine Graphik genutzt, um unserer Kritik an der d15 zu illustrieren. Kostenpunkt: 2147,00 EUR.

16. März 2022: Die Staatsministerin Claudia Roth kommt nach Kassel und erklärt: „Antisemitismus ist keine Meinung, für Antisemitismus, für Rassismus, für jede Form der Menschenfeindlichkeit ist in unserer Gesellschaft überhaupt kein Platz“ und weiter: „Das Engagement aller Beteiligter im Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist noch einmal deutlich unterstrichen worden, und ich messe den Versuchen aller Beteiligter, die notwendigen Diskussionen offen und transparent zu führen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei. Ich würde mich freuen, wenn deren Gesprächsangebot zu einer friedlichen und lösungsorientierten Debatte breite Zustimmung erhält.“

21. März 2022: Wir Schreiben Claudia Roth an und bitten um ein Gespräch. Eine Antwort gab es nicht.

25. Mai 2022: Der Zentralrat der Juden, das American Jewish Comitee (AJC) und die WerteInitiative melden sich zu Wort. Man dürfe sich von Begriffen wie „Weltoffenheit“, „Multiperspektivität“ und „Diversität“ nicht täuschen lassen […] „Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ordinärer israelbezogener Antisemitismus“, heißt es in einer Erklärung des AJC.

30. Mai 2022: Unbekannte hinterlassen in den Ausstellungsräumen WH22 Graffity-Schmierereien. Geselle wirft den Kritikern der Ausstellung vor, die Künstler durch Straftaten einschüchtern zu wollen. In der Berliner Zeitung ist gar von Morddrohungen die Rede. Candize Breitz redet davon, die Medien hätten die Täter in rassistischer Weise angestiftet.

15. Juni 2022: Christian Geselle, Angela Dorn (Kulturministerin Hessen) und Sabine Schormann (Generaldirektorin d15) feiern im Auestadion die Eröffnung der Ausstellung und weisen die Kritik als von außen aufgezwungen und unangemessen zurück.

16. Juni 2022: Die d15 wird eröffnet. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier übt offen Kritik. Bundeskanzler Olaf Scholz weigert sich, die d15 zu besuchen. Das BgA-Kassel und ca. 150 aus Deutschland angereiste Gleichgesinnte demonstrieren gegen Antisemitismus auf der Ausstellung. Aus Kassel beteiligen sich lediglich die Junge Union, das Junge Forum DIG und Einzelpersonen. Gleichzeitig findet eine Kundgebung für Palästina statt, auf der u.a. unter Beteiligung verschiedener Aussteller der mittlerweile strafbewehrte Slogan „From the River to the Sea“ skandiert wird.

16. Juni 2022: Das Kollektiv The Question of Funding überläßt die Räume des WH22 den Galeristen Eltiqa. Diese kommen aus dem Gaza. Ihre Kunstwerke richten sich nicht gegen die Hamas-Diktatur sondern gegen Israel.

17. Juni 2022: Taring Padi hängt das berüchtigte Banner „People’s Justice“ auf.

08. Juli 2022: Als einzige Künstlerin verweigert sich Hito Steyerl dem postmodernen Spektakel. Sie lässt ihre Kunstwerke abbauen.

18. Juli 2022: Frau Schormann wird als Generaldirektorin abberufen. Nachfolger ist Axel Fahrenholtz.

10. August 2022: Axel Fahrenholtz sagt in einem Interview: „Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz.“

09. September 2022: Das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung wird eingesetzt, um als antisemitisch identifizierte bzw. diskutierte Werke zu analysieren.

10. September 2022: Mitglieder des Gremiums zur fachwissenschaftlichen Begleitung kommen zu dem Ergebnis, dass „die Vorführung der unter dem Namen ‚Tokyo Reels Film Festival‘ gezeigte Kompilation von propalästinensischen Propagandafilmen aus den 1960er-1980er [Jahren] […] zu stoppen [ist].“ Die Mitglieder begründen diese Forderung damit, dass nicht nur „die antisemitischen und antizionistischen Versatzstücke“ in den Filmen „hoch problematisch“ seien, sondern auch die zwischen den Filmen eingefügten Kommentare der Künstler, weil diese „den Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus des Quellmaterials durch ihre unkritische Diskussion legitimieren.“

10. September 2022: Künstler der documenta verkünden in der Erklärung We are angry, we are sad, we are tired, we are united: Letter from lumbung: „Resistance to the State of Israel is resistance to settler colonialism, which uses apartheid, ethnic cleansing, and occupation, as forms of oppression.“ Die Kritik der fachwissenschaftlichen Begleitung wird als unwissenschaftlich zurückgewiesen. Es werden Bilder in den Räumen der Ausstellung aufgehängt, die sich positiv auf BDS beziehen. Zu den Unterzeichnern gehören die Ruangrupa – also die Kuratoren der „Weltkunstausstellung“ – und drei Personen aus dem Artistic Team, Frederikke Hansen, Gertud Flentge und Lara Khaldi, sprich die künstlerischen Leitung der d15, u.a. die Kollektive Archives des luttes des femmes en Algérie, INLAND, Party Office, Subversive Film, Taring Padi, The Question of Funding und Trampoline House sowie die Einzelpersonen Graziela Kunsch, Jumana Emil Abboud, Kiri Dalena, Lara Khaldi, Safdar Ahmed und viele andere mehr.

25. September 2022: Nach Beendigung der documenta erklärt Geselle: „Einzelne Kunstwerke verletzten durch mangelnde Einordnung Gefühle, […]“. Die beiden Protagonisten Reza Afisina und Iswanto Hartono erhalten Gastprofessuren an der Uni Kassel und an der Uni Hamburg.

24. Februar 2023: Die RIAS Hessen veröffentlicht eine Broschüre zum Antisemitismus rund um die documenta 2022. Einige Tage später wird der Jahresbericht der RIAS veröffentlicht. Die RIAS führt aus: „Für Jüdinnen und Juden habe die Documenta fifteen 100 Tage lang zusätzliche Angst vor antisemitischen Anfeindungen im Alltag bedeutet. […] Insgesamt registrierte die Recherchestelle 179 antisemitische Vorfälle in Hessen im vergangenen Jahr – also etwa an jedem zweiten Tag im Jahr einen.“

Epilog

Im Frühjahr 2023 soll eine neue Findungskommission für die kommende d16 zusammengestellt werden. Auch an die Ruangrupa wird der Wunsch herangetragen, sich an dieser zu beteiligen. Als am 07.10.2023 die Einsatzgruppen der Hamas in Begleitung zahlreicher Zivilisten das Grenzgebiet zu Israel überfallen und ein Pogrom ungeahnten Ausmaßes anrichten und Teilnehmer einer Rave-Party abschlachten, entführen und vergewaltigen, bekunden die beiden Gastprofessoren aus Kassel und Hamburg und ruangrupa-Mitglieder Iswanto Hartono und Reza Afisina auf Instagram ihre Sympathien für die in Berlin jubelnden Sympathisanten der Hamas.

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1 Die hier veröffentlichte Chronik wurde am 22. Februar 2024 auf unserer Veranstaltung „Die documenta 15 und der Antisemitismus-Skandal. Wer Antizionisten einlädt, erntet Antisemitismus“ vorgetragen.

2 Die zweite überarbeitete und korrigierte Auflage unserer Broschüre ist vergriffen. Gegen eine Spende von 5,00 € können Exemplare der ersten Auflage erstattet werden, die einige wenige Druck- und Formatfehler enthält.

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