Informationsstand des Bündnis gegen Antisemitismus Kassel am 15. Mai 2023 ab 14:00 Uhr
Veranstaltung mit Alex Feuerherdt am 15. Mai 2023 um 19:00 Uhr im Philipp-Scheidemann-Haus
Vor 75 Jahren, am 14. Mai 1948, wurde der Staat Israel gegründet. Das hat man in Israel und in den jüdischen Gemeinden Deutschlands nach dem jüdischen Kalender in diesem Jahr schon am 25 April gefeiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzungen in Israel hat der israelische Präsident an die Erfolge des gemeinsamen Aufbauwerks für ein jüdisches und demokratisches Gemeinwesen erinnert. Uns vom BgA-Kassel geht es darum, am Jahrestag der israelischen Unabhängigkeitserklärung die gesellschaftlichen Hintergründe in unserem Land zu beleuchten, die in den Debatten über den Staat Israel immer wieder zu Tage treten.
Die Gründung des Staates Israel ist Ausdruck der nationalen Selbstbestimmung des jüdischen Volkes. Theodor Herzl schreibt in Der Judenstaat: „Wir sind ein Volk, ein Volk. Wir haben überall ehrlich versucht, in den uns umgebenden Volksgemeinschaften unterzugehen und nur den Glauben der Väter zu bewahren. Man läßt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwengliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut, wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrien; […] Wir sind ein Volk – der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu […]“.
Trotz Jahrzehnte währender Bemühungen der israelischen Regierungen, mit den arabischen Nachbarn einen Ausgleich zu erzielen und eine friedliche Koexistenz zu entwickeln und obwohl Israel von Beginn an und bis heute der einzige demokratische Staat im Nahen Osten ist, wird bis heute der jüdische Staat – insbesondere von den palästinensischen Gruppierungen als Provokation und die nationale Selbstbestimmung der Juden von vielen Moslems nicht nur im Nahen Osten – als Beleidigung und Provokation angesehen. Diese Haltung wird von einer Mehrheit der in der UN Vollversammlung vertretenen Staaten geteilt. Immer wieder wird Israel dort als Beispiel eines aggressiven Apartheidstaats verteufelt und verurteilt. Trotz einer stabilen Demokratie, erwiesener Rechtsstaatlichkeit und Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, bleibt Israel auch nach 75 Jahren in den Augen eines bedeutenden Teils der Weltöffentlichkeit ein Unstaat, ein „Jude unter den Staaten“.
Auch in Deutschland dient der Staat Israel dem antijüdischen Ressentiment als Projektionsfläche, das uns in regelmäßigen Abständen die immer wiederkehrende Renaissance eines seit 1945 überwunden geglaubten irrationalen antisemitischen Wahns vor Augen führt. Die Gründung des Staates Israel ist die Antwort auf 2000 Jahre Judenhass und auf den in der Moderne fortexistierenden Antisemitismus. „Die Judenfrage besteht. Es wäre töricht, sie zu leugnen. Sie ist ein verschlepptes Stück Mittelalter, mit dem die Kulturvölker auch heute beim besten Willen noch nicht fertig werden konnten.“ (Theodor Herzl) Bis heute erinnert Israel die nichtjüdischen Gesellschaften – auch und ganz besonders Deutschland – daran, dass in ihnen ein jeder Vernunft spottender, irrationaler Wahn fortbesteht. Es ist also nicht nur der ewige Antisemit, der angesichts der schieren Existenz eines jüdischen Gemeinwesens glaubt, sein Unwesen treiben zu müssen, nein, es ist auch das in Abneigung und oft verkapptem Hass verkehrte schlechte Gewissen der deutschen Gesellschaft zu beklagen, dass das Bild der Gesellschaft vom israelischen Staat vollkommen verzerrt ist.
Wie zur Zeit des Dreyfuss-Prozesses oder des Berliner Antisemitismusstreits im 19. Jahrhundert stößt der Antisemitismus zwar auch heute auf teils deutliche Kritik, dennoch brechen antisemitische Ressentiments bis in die Gegenwart immer wieder aufs Neue hervor,
- wie man es im deutschen Blätterwald und den sog. Qualitätsmedien allzu oft lesen und in den öffentlich rechtlichen Medien vernehmen kann,
- wie man es 2022 während der 100 Tage auf der documenta 15 in Kassel sehen und erleben konnte,
- wie man es z.B. an der ungebrochenen Popularität eines bedeutenden Rockmusikers der Gegenwart deutlich ablesen und/oder
- wie man es an den regelmäßig wiederkehrenden islamistisch unterlegten und von linken Gruppen und Personen unterstützten Hassdemonstrationen gegen Israel,
- und wie man es an der in einigen Städten Deutschlands zunehmenden Gefahr für Juden, tätlichen Übergriffen ausgesetzt zu sein und der allgemein hohen Zahl an antisemitischen Vorfällen beobachten kann.
Das deutsch-israelische Verhältnis ist seit Israels Staatsgründung vor 75 Jahren weder störungsfrei noch entspannt. Zum einen erinnern die lebenden Juden Deutschland immer daran, dass der Antisemitismus eine zentrale Rolle bei der Konstituierung der deutschen Volksgemeinschaft einnahm und die deutsche Nation es als Schicksalsaufgabe ansah, eine Welt zu schaffen, in der das Judentum als „Gegenvolk“ ausgerottet werden sollte. Der nach der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg Jahrzehnte lang währenden Verdrängung der deutschen Verbrechen und der bis heute andauernden Herausstellung, Opfer eines „verdammten Krieges“ (Guido Knopp) zu sein, folgte ab Mitte der Achtziger Jahre das Mantra von der „historischen Verantwortung“ und der „Wiedergutmachung“ deutscher Schuld in Form inbrünstigen Gedenkens. Dieses Gedenken gipfelt regelmäßig darin, dass der Holocaust zu einem Teil eines nationalen Selbstverständnisses erklärt wird. In Verkehrung der klassischen Schuldabwehr der Nachkriegszeit stellt sich diese heute als kaum kaschierte Anmaßung dar, von den Überlebenden der Schoah und ihren Nachkommen Vergebung zu erwarten, ja diese fast einzufordern.
Gänzlich unerträglich wird es, wenn gerade aus der deutschen Ecke – wo man angeblich so mustergültig seine Lektion aus dem Nationalsozialismus gelernt hat – in Oberlehrermanier Verhaltensmaßregeln an Israel erteilt werden. Wie reagiert ein Land „angemessen“, das permanent von unterschiedlichen palästinensischen Terrororganisationen, mit Raketen, Schusswaffen und Messern, angegriffen wird? Wie soll reagiert werden, wenn kein Verhandlungsangebot Grundlage für Gespräche sein kann und darf, u.a. weil der Iran den palästinensischen Terror direkt protegiert und Israel das Existenzrecht radikal abspricht? Was prädestiniert uns Deutsche Israel gegenüber zum Ratgeber? Wollen wir besser wissen, ob Terroristen durch Nachsicht und Toleranz zur Duldung eines israelischen Staates bereit sind oder wären, wo doch Nachgeben der israelischen Seite bisher in fast allen Fällen das Gegenteil erreichte? So hat z.B. 2005 die Räumung des Gazastreifen durch Scharon lediglich die Terroraktivität der Hamas von dort aus erhöht.
Am Tage der Unabhängigkeitserklärung Israels steht für uns die Forderung nach einer unverbrüchlichen und bedingungslosen Solidarität mit dem Staat Israel im Vordergrund. Wir fordern von den politischen Vertretern, sich für ein Ende der Finanzierung der palästinensischen Terrororganisationen stark zu machen, deren Aktionen und Organisationen auf deutschem Boden zu verbieten und von der Bundesregierung zu verlangen, endlich wirksame Schritte gegen die antisemitische Mullah-Diktatur im Iran zu unternehmen. Dafür werden wir, wie fast jedes Jahr, mit unserem Info-Stand auf dem Friedrichsplatz in Kassel werben.
Ab 19:00 Uhr haben wir dann Alexander Feuerherdt dazu eingeladen, anlässlich des 14. Mai 1948 einen kritischen Blick auf das Bild Israels in der „internationalen Gemeinschaft“, in der deutschen Gesellschaft und deutschen Politik zu werfen.
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Alex Feuerherdt ist freier Publizist und veröffentlicht regelmäßig Texte zu den Schwerpunktthemen Israel/Nahost, Antisemitismus und Fußball, unter anderem in der Jüdischen Allgemeinen, in der Jungle World und auf Mena-Watch. Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von „Vereinte Nationen gegen Israel“ (2018) sowie „Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand“ (2020), beide erschienen bei Hentrich & Hentrich.