Treffen sich ein Konförderierter und der Autor eines Nazissen-Kitsch-Romans – was sich wie der Beginn eines Tarantino Filmes anhört, an dessen Ende all die unsympathischen Protagonisten ein hoffentlich blutiges Ende finden – wird in Kassel nun Wirklichkeit. Aber die Kasseler Story ist kein Film von Tarantino, sondern die Real-Fiktion für die Deutschlands zweitliebster Amerikaner Oliver Stone die Fiktion produziert und praktischer Weise gleichzeitig den Schuldablass mit formuliert – Auch der Ami gehört vor den Nürnberger Gerichtshof, nicht wegen der Indianer, nein wegen des Verbrechens am kommenden Kasseler Preisträger.
Auf Edward Snowden können sich alle einigen, vom Sarrazinversteher Bernhard Schlink bis zum Sarazenenversteher Heribert Prantl. Deshalb dürfen diese beiden Gegenpole der deutschen Ideologie – der Erforscher dessen, was an Tabubruch gerade noch geht und der Vertreter der politischen Korrektheit in ihrer dogmatischen Form – jetzt dem hoffentlich noch nicht ganz oder teilweise an Ramsan „Ramsay“ A. Kadyrows Privatzoo verfütterten EDV-Experten eine Laudatio halten.
Ohne die geringste Ahnung von der Ideologie der amerikanischen Rechtslibertären* zu haben, und ohne jedwede Bereitschaft, für größere Diskretion bei der Abfassung des eigenen Emailverkehrs auch nur einen müden Cent auszugeben (vgl., Nobody, not even You, really cares about mass surveillance), ist man sich hierzulande einig, dass es sich bei Snowden um einen mutigen Menschen- und Bürgerrechtler** handelt, dem politisches Asyl gebührt.
Auf dem ersten Blick könnte man den Ideologen der Rechtslibertären zugestehen, dass sie die Rechte des Individuums gegen den Staat stärken möchten. Aber ihre Ablehnung des Staates ist nicht etwa eine Ideologiekritik am Staatsfetisch, wie sie etwa Willy Huhn geleistet hat, sondern lediglich Ressentiment gegen das Abstrakt-Allgemeine, welches der Rechtslibertäre im Gegensatz zum durchschnittlichen Linksdeutschen nicht im privatem sondern im staatlichen Sektor des Kapitalismus verkörpert sieht. So wie Globalisierungsgegner den „guten“ Staat gegen das „böse“ Kapital ins Feld führen wollen, so möchten Ron Paul oder Ayn Rand das „gute“ Kapital vom „bösen“ Staat und Snowden das postbürgerliche Subjekt von einem imaginierten auf es selbst angesetzten big brother befreien. Diesen Weltbildern ist gemein, dass sie kein Verständnis dafür haben, dass sich Staat, Volk, Kapital, irre gewordenes Subjekt und Arbeit gegenseitig bedingen und keinesfalls Antagonisten sind.
Aus dem Ressentiment gegen Abstraktion und Vermittlung entsteht struktureller Antisemitismus. Es ist daher auch kein Zufall, dass sich bei der Prämierung sowohl Prantl von der Süddeutschen Zeitung als auch der Nazi-Schmonzetten-Autor Schlink einfinden. Prantl, der es als wohlfeilen Ausdruck liberalen Verständnisses von Meinungsfreiheit verbucht, dem mittlerweile verblichenen SS-Günni einen prominenten Platz für sein Gedicht mit letzter Tinte eingeräumt zu haben, Karikaturen gegen den Willen ihrer Schöpfer antisemitisch zu verwenden und der von Holocaustleugnern professoral beeindruckte Schlink, zudem Meister literarisch aufgemotzter Schuldabwehr, huldigen an diesem Wochenende im Kreise der Kasseler Prominenz den, wie einige bedauernd festgestellt haben, zur Preisverleihung nicht in Kassel weilenden Gepriesenen.
Das links wie rechts zu findende Ressentiment gegen Juden, hilfsweise das gegen die Vermittlung und Abstraktion macht es bei allen sonstigen Gegensätzen eben möglich, dass Guardian und Junge Freiheit in Sachen Snowden am selben Strang ziehen. Dass Rechtslibertäre letzten Endes nicht den Zwangs- und Gewaltcharakter des Staates kritisieren, sondern lediglich dessen abstrakte und vermittelte Form, zeigt sich ja schon allein daran, dass Snowden ausgerechnet beim ehemaligen KGB-Funktionär Putin Zuflucht gesucht hat. Gegen staatliche Gewalt hat er also offensichtlich gar nichts einzuwenden, wenn diese nur direkt und unvermittelt durch Knochenbrecher angewendet wird.
Von Ron Paul oder Ayn Rand hat hierzulande kaum jemand etwas gehört. Zwar fehlt es in Deutschland bekanntlich keineswegs an Zeitgenossen, die sich vor Chemtrails, Reptiloiden und Impfstoffen fürchten, aber wer in Deutschland einen ideologischen Überbau für Größenwahn und Paranoia sucht, der wird sich im Zweifel nicht als souveränes Individuum und Ein-Mann bzw. Ein-Frau Staat, sondern als Angehöriger eines imaginären deutschen Reiches definieren.
Mit anderen Worten, der Wahnsinn des an sich selbst irre gewordenen postbürgerlichen Subjekts nahm*** in den USA die Form des Hyperindividualismus, in Deutschland hingegen die des Zwangskollektives an. Die Ideologie, die Snowden antreibt, ist dem durchschnittlichen deutschen Betrachter somit so fremd, dass es problemlos möglich war, einen Zeitgenossen, dessen wenige deutschen Spießgesellen wie ein André F. Lichtschlag auch gerne mal in der Jungen Freiheit publizieren, als linksliberalen Bürgerrechtler und neuen Martin Luther King zu verkaufen – obwohl die allgemeinen Bürgerrechte in den USA ja gerade gegen die Vertreter jenes Gedankengutes, für das Ron Paul und Edward Snowden stehen, durchgesetzt wurden. Und weil eben auch der gewöhnliche grün-links-sozial-liberale „Amerikakritiker“ und die sich mit ihrer nationalen Herkunft gern versöhnt sehenden Bürger und Kasseler Honoratioren bei der Preisverleihung im Beisein der örtlichen Presse gern ein Stelldichein in schicken Anzügen und Abendkleidern geben und Kassel samt OB einen guten Eindruck machen wollen und sollen, so hält eben nicht ein Lichtschlag oder ein Kasseler Reichsbürger die Laudatio, sondern ein Prantl und der Schlink.
(jh / jd)
*Snowden wird sowohl von Linksliberalen als auch von Anhängern der Tea-Party-Bewegung und Libertären wie Ron Paul gefeiert. (zu den Affinitäten des Snowden – nicht nur, aber auch zu den Rechtslibertären, vergl.: Sean Wilenz, Would you feel differently about Snowden, Greenwald, Assange, if you knew what they really thought? in: New Republic 2014; und: Barton Gellman, Jerry Markon, Edward Snowden says motive behind leaks was to expose ’surveillance state‘, in: Washington Post, 2013)
**Dass Snowden durchaus auch zurecht als Verräter betrachtet werden kann, dessen Taten auch Menschenleben gefährdeten (und vielleicht heute noch gefährden) kann hier nach gelesen werden. Dass diese Erkenntnis nicht gleichbedeutend damit ist, ihm eine Kugel verpassen zu wollen, versteht sich eigentlich von selbst, wird dort aber auch noch mal ausgeführt: (NSA-Affäre: Edward Snowden ist und bleibt ein Verräter).
***Dies hat sich inzwischen auf Grund der in der Obama-Ära eingetretenen Europäisierung bzw. Verdeutschung des ehemaligen Westens geändert. Der Protektionist und Semifaschist Trump hat inzwischen den Tea-Party-Wichteln den Rang abgelaufen.