Rosenzweig als Gewährsmann für die Erlösung von einer Anmaßung?

In Kassel ist der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik als Gastdozent für die Rosenzweigprofessur berufen worden. Dass Brumlik ein kritisches Verhältnis zum jüdischen Staat plagt, ist hier schon erwähnt worden und hinlänglich bekannt (Antisemitismus als Meinung). Dass möglicherweise die Kuratoren dieser Kasseler Professur ein Interesse daran hatten, ihn darum zu berufen, ist zu befürchten, bedient doch gerade einer wie Brumlik das sehr deutsche Bedürfnis einen Frieden im Nahen Osten sich zu wünschen, der endlich eine Erlösung von der jüdischen Anmaßung verspricht, Nation zu sein.

Brumlik hielt am 20. April seine Antrittsvorlesung über Franz Rosenzweigs Haltung zum Zionismus. Und siehe da, auch Brumlik bediente sich der rhetorischen Figur, seinem Zweifel an Israel (von ihm, wie von vielen „Freunden“ Israels, auch als Sorge um Israel bezeichnet) einen seiner Ansicht nach Berufenen voran zu stellen. Brumlik erklärte einleitend jüdische Siedlungen und Jerusalem als israelische Hauptstadt zum aktuellen Hauptproblem im Nahen Osten. Der Holocaust könne als Begründung des israelischen Staates nicht herangezogen werden, hier schob er eine Bemerkung Ben Gurions vor, die Empathie gegenüber den Überlebenden sei höchstens Philanthropie, ergo irrelevant. Der Zionismus, so Brumlik, sei als Bewegung von der militanten Politik des israelischen Staates und allerlei dort umtriebiger Faschisten zerstört worden. Danach arbeitete er sich am Wandel Rosenzweigs Haltung zum Zionismus ab.

Auch 1929 gab es Menschen mit Weitblick - man staunt, sogar in der Labourparty. (Jüdische Wochenzeitung für Cassel, Hessen und Waldeck, 14. Juli 1929)

Auch 1929 gab es Menschen mit Weitblick – man staunt, sogar in der Labourparty. (Jüdische Wochenzeitung für Cassel, Hessen und Waldeck, 14. Juli 1929)

Rosenzweig gehörte zu den innerhalb der jüdischen Community vor 1933 häufiger anzutreffenden Kritikern des Zionismus. Bis zu seinem Lebensende blieben Rosenzweig trotz einer gewissen Annäherung an diese Idee immer noch Zweifel daran, ob es denn mit seiner Idee vom Judentum vereinbar sei, einen jüdischen Staat zu gründen. Die nach dem Vortrag an Brumlik gerichtete Frage, ob er denn tatsächlich Jerusalem und die jüdischen Siedlungen als Haupthindernis für einen Frieden im Nahen Osten sehe, was ja im Umkehrschluss bedeuten würde, dass wenn Israel die Siedlungen räumte und Jerusalem als Hauptstadt aufgebe, Frieden im Nahen Osten einkehren würde, beantwortete er mit seiner bekannten These, dass nur die binationale Konstitution eines Staates im Nahen Osten – sprich die Liquidation Israels als jüdischer Staat, eine Lösung des Konfliktes versprechen würde. Das Land Israel sei in seiner Heiligkeit Gott vorbehalten, damit erkor Brumlik Rosenzweigs frühe metaphysische Gedanken über Judentum und Staatlichkeit zum Feigenblatt seines metaphysischen Antizionismus.

Antizionismus kann auch auf die grobe Art vertreten werden. Wie das gemacht wird, exekutieren nicht nur die deutsche Friedensbewegung und Antiimperialisten, sondern kann man auch am Beispiel Englands Sozialdemokraten / Sozialisten studieren. Das war nicht immer so. In London stellte im Jahr 1929 der Vorsitzende der nationalen Exekutive der britischen Arbeiterpartei Herbert Morrison den Standpunkt seiner Partei vor: „Die britische Arbeiterpartei verfolge mit großer Sympathie die Anstrengungen des jüdischen Volkes, einen jüdischen Staat entstehen zu lassen. Wir haben Interesse an der Errichtung einer jüdischen Heimstätte und eines jüdischen Staates in Palästina.“ So konnte man es in der von Sally Kaufmann in Kasseler herausgebrachten Jüdischen Wochenzeitung im Jahre 1929 lesen.

Was sagt uns dies heute? Es dürfte kein Problem sein, Protagonisten in der Geschichte des Judentums und des Zionismus zu finden, die die Augen vor Antisemitismus nicht verschließen und für die daher ein jüdischer Staat im Nahen Osten eine Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit war und ist. Vertreter der Geisteswissenschaften, die dieses Erbe würdig vertreten, gibt es auch heute. (jd)