Ein Maulheld und das große Einseifen

Oder: Niemand hat die Absicht ein Gedicht zu lesen
(28.08.2017)

Schlamperei, das mit dem vertrauten Strom der Rede Schwimmen, gilt für ein Zeichen von Zugehörigkeit und Kontakt: man weiß, was man will, weil man weiß, was der andere will. (Adorno)

„Obwohl sich Franco Berardi von seinem KZ-Vergleich distanzierte, nahm er vom Inhalt seiner Thesen nichts zurück. ‚Ich werde das Wort Auschwitz nicht mehr benutzen, aber das Konzept bleibt‘, sagte Berardi, der einen 20-minütigen Vortrag hielt. ‚Wenn die italienische Regierung Hilfsorganisationen kriminalisiert und die Leute lieber ertrinken lässt, dann nenne ich das Vernichtung.’“ fasste die HNA am 26.08.2017, ohne den Widerspruch in der getätigten Aussage in Gänze zu durchdringen, die Quintessenz des Abends zusammen, an dem ursprünglich die Performance „Auschwitz on the beach“ stattfinden sollte. Auch der HR versuchte am 25.08.2017 dem Clou des Berardi auf die Schliche zu kommen: „Ich wollte den Namen Auschwitz als Schutzschild benutzen, gegen den Faschismus, der wiederkommt. Gegen den Holocaust, der am Horizont lauert!“ zitiert der HR Berardi und verwies darauf, dass er keineswegs bedauere, das Gedicht geschrieben zu haben. „Mein Gedicht ist nicht schlecht, aber wenn es Leiden hervorruft, ist es nichts wert“, sagte er. (HR, 25.08.2017)

Die ursprüngliche Absicht, die Performance „Auschwitz on the beach“ wurde im Zusammenspiel der Infostelle Antisemitismus Kassel und der Jüdischen Gemeinde erfolgreich skandalisiert und führte zum schrittweisen Zurückrudern der Verantwortlichen. Der verkündete Wunsch, gegen den Autor strafrechtlich vorzugehen, führte vorhersehbar zu nichts, denn sowohl Auschwitz überall zu entdecken, nur dort wo es war nicht und auch Antisemitismus ist in seiner nach 1945 gesellschaftlich weitgehend akzeptierten Form („Israelkritik“) nicht strafbar, sondern Bestandteil politischer Kultur. Auch die Hoffnung auf die Zivilgesellschaft, die ja gerade das mit schlafwandlerischer Sicherheit hervorbringt, was zu kritisieren ist, und deren Empörungswelle ein Berardi so hervorragend zu reiten versteht, ist naiv.

Die Reaktionen der politischen Schlafmützen aus Hessen und Kassel lassen vermuten, dass die vorher gemachten dicke Backen eher der Furcht um den guten Ruf der Stadt Kassel geschuldet waren, als einer grundsätzlichen Kritik an Performance und Künstler. Nachdem die documenta verkündete, die Performance abzusagen, begrüßten laut HNA am 23.08.2017 der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle und der Hessische Minister Boris Rhein diesen Schritt. Geselle wird in der HNA zitiert: „Ich begrüße es, dass die Performance nun einen neuen Titel – Shame on us – und ein neues Format bekommen hat. Ich bin allen Beteiligten dankbar, dass wir diese Lösung gefunden haben.“ Auch Werner Fritsch, Ressortleiter Kultur bei der HNA, kommentierte gestern erleichtert: „Ihre Entscheidung, statt der Performance nun eine Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema anzusetzen, ist daher doppelt richtig. Geselle heimste sich dadurch unverdienten Ruhm ein, die Aktion, Auschwitz zu relativieren verhindert zu haben, was aber nicht der Fall war, denn das Gedicht sollte trotzdem verlesen werden. Man konnte also getrost annehmen, dass sie das „Gedicht“ Berardis nicht gelesen oder verstanden hatten, aber auch nicht so genau hingeschaut haben, was Kurator und documenta-Leiter Szymczyk von sich gegeben hatte, um Berardi und seine Aktion zu rechtfertigen. (Das Parlament der Körper. Shame on us …)

Als dann genau dies ruchbar wurde, ließen sich die Vertreter der Zivilgesellschaft in Gänze einseifen und gaben sich dem Dialog, anstatt der begrifflichen Mühe hin, und anstatt einer angebrachten Kritik des faulen Obstes, gaben sie dem politischen Großmaul und Desperado die Möglichkeit, sich als Opfer von (unberechtigten) Beschwerden und Anschuldigungen zu inszenieren und um dem Ganzen eine Krone aufzusetzen, ließ sich eine Vertreterin der Kasseler Zivilgesellschaft dazu hinreißen, Berardi als Helden zu küren. Wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung hatten sich Vertreter der jüdischen Gemeinde und andere mit der documenta-Leitung und Berardi getroffen und sich über einen Verzicht auf den Vortrag des Gedichtes verständigt.

Eine inhaltliche Kritik der Aktion, aus der hätte hervor gehen können, dass Berardi kein Marxist, wie es in den Medien hieß, sondern ein Maulheld ist, ein üblicher Vertreter der Gesinnungsethik und des gesellschaftlich konformen Antisemitismus eben, wurde von keinem der Beteiligten geleistet. Die Wortmeldungen, der Vergleich sei obszön und linksradikal, die moralische Empörung, wie sie von der Vertreterin der jüdischen Gemeinde in Kassel geäußert wurde, „es ist aus unserer Sicht höchst unverantwortlich und ein Ausdruck mangelnder Empathie gegenüber diesen Menschen, die Begriffe Auschwitz und Zyklon B im Rahmen einer künstlerischen und politischen Veranstaltung zu instrumentalisieren.“ ist so richtig wie hilflos, sie dringt nämlich nicht zum Kern der Sache vor. Und so erwies sich die Verabredung auf das Gedicht zu verzichten als heiße Luft, und die frohlockende Meldung, die Veranstalter hätten ob des Protestes der Zivilgesellschaft eingelenkt, als frommer Wunsch.

Hätte Berardi tatsächlich einen Vergleich angestrengt, was wäre dagegen zu sagen gewesen. Es ist ja tatsächlich so, dass unter europäischer Regie Internierungslager in Libyen und anderswo errichtet werden, in denen unter der Regie von nicht selten islamistischer Banden, Flüchtlinge festgesetzt werden und wo man lieber nicht wissen möchte, was dort passiert und wie es den Geflohenen dort ergeht. Teilweise werden sie von jenen Banden auch der Sklaverei zugeführt oder bevor sie das vermeintliche Sprungbrett nach Europa erreichen, vergewaltigt, ausgeraubt und getötet, um dann im Wüstensand verscharrt zu werden, auf dem Sinai tut sich in diesem Sinne ebenfalls eine Gruppe islamistischer Brüder hervor, die man durchaus auch als Gesinnungsgenossen der Hamas bezeichnen darf. Dass sich also die Behandlung der Flüchtenden nur graduell von der in Dachau oder Buchenwald praktizierten unterschiedet kann angenommen werden. Nur stehen Buchenwald und Dachau aber nicht für das, was den Nationalsozialismus ausmacht, auch wenn dies gemeinhin so propagiert wird.

Die unmenschliche, bisweilen terroristische und oft willkürliche Behandlung von Unangepassten, politischen Gegnern und anderen gesellschaftlichen dropouts war die Methode des Faschismus aber auch des Stalinismus. Diese Methoden, tatsächliche und vermeintliche politische Gegner und Unangepasste einzuschüchtern war sicher ein, wenn auch nicht der spezifische Bestandteil nationalsozialistischer Herrschaft. Die Ausrottung z.B. der Kommunisten, „Asozialen“ und Homosexuellen als Personen, war nicht das Ziel der deutschen Volksgemeinschaft und nationalsozialistischen Herrschaft. Schwor der Betroffene ab, „bewährte“ er sich, hatte er durchaus ein Chance zu überleben und Teil der Volksgemeinschaft zu werden.

Der ideologische Kern des Nationalsozialismus ist hingegen der Antisemitismus und dieser läuft auf die Vernichtung des Juden hinaus. Wer als Jude identifiziert wurde, verkörperte das Gegenprinzip der Volksgemeinschaft und sollte folglich „ausgemerzt“ werden. Wer so tut, als wäre autoritäre Herrschaft und politische Verfolgung, verkörpert durch das Konzentrationslager, das Prinzip des Nationalsozialismus, verkennt und leugnet die Quintessenz des Nationalsozialismus und der deutschen Volksgemeinschaft. Für den Nationalsozialismus stehen eben weniger Dachau und Buchenwald, als vielmehr Auschwitz, Sobibor, Treblinka und Maidanek, sowie die unzähligen Vernichtungsaktionen deutscher Streitkräfte im Osten.

Aber um Vergleiche um so z.B. die Unterschiede herauszuarbeiten und einen angemessenen Begriff davon zu entwickeln, was in Nordafrika und im Mittelmeer passiert, darum ging es nicht. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Erregung eines öffentlichen Ärgernisses zur Erheischung maximaler Aufmerksamkeit das Ziel war, um sein Kunsthandwerk an den Mann und an die Frau zu bringen: Auschwitz sells.

Im Beharren Berardis, weiter von Vernichtung und Holocaust zu reden und somit etwas verklausuliert zwar, aber trotz aller öffentlicher Empörung eben doch das Chiffre Auschwitz zu bemühen, wird auch deutlich, warum er von seinem Gedicht nicht abrückt, sondern sich als verfolgte Unschuld darstellt. In der theatralischen Geste, das „Gedicht“ zu zerreißen – es fehlte nur noch, es an den Pantheon verbotener Bücher zu heften – der Beifall vieler wäre ihm Gewiss gewesen, ist eine pathetisch Überhöhung der Unart überführter Antisemiten, die meinen, mit einem „war nicht so gemeint“ und man bedaure, Gefühle verletzt zu haben, sei das Problem aus der Welt. Dass ihm dann noch der Titel des Helden angetragen wurde, dürfte dafür sorgen, dass der Maulheld zukünftig Vorwürfe mit dem bekannten bonmot des Antisemiten pariert: Einige meiner besten Lobsprecher sind Juden.

Der wesentliche Kern der Sache ist jedoch die kurze Sentenz, in der er Israel unterstellt, Gauleiter zu sein und diesen dann noch unmittelbar mit ZyklonB in Beziehung zu setzen. Diese Argumentationsfigur in den Juden die Nazis von heute zu sehen, war und ist Bestandteil der Ideologie des nach 1945 gesellschaftlich konformen Antisemitismus, nämlich „Israelkritik“ und Antizionismus. Diese Ideologie findet sich auch bei einigen anderen Kunstwerken der documenta im Ausstellungsteil an der Hauptpost. Außer dem Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (Wo Engagement drauf steht …) hat davon aber bisher keiner Notiz genommen, was wiederum Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände und der der Zivilgesellschaft ist.

Das „Gedicht“, das keineswegs aus der Welt ist, kann hier nachgelesen werden: „Resignation letter.“

Das BgA-Kassel protestierte am Abend, an dem Berardi eine Bühne geboten wurde. Die Rede zur Protestkundgebung kann hier nachgelesen werden: „Bifi statt Bifo„.

Und dann war ich da – […] Sonst nur noch Dunkelheit für mich. Ich war Wachs in seinen Händen gewesen, und seine Komplizen waren Wachs gewesen. Er hatte sie ebenso hereingelegt, wie sie ihm geholfen hatten, die anderen hereinzulegen – und ich hatte ihn laufenlassen. (Dashiell Hammett)

(jd)

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