Hätten sie lieber geschwiegen!

Wie die documenta auszog um einen Brief zu schreiben – oder Künstler bleibt bei deinem Pinsel

Ob ein Offener Brief1 eine adäquate Aktion ist, um auf gesellschaftliche Probleme zu reagieren, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. In der Regel bespiegeln sich damit die Verfasser, die sich in einem Gestus der Empörung bzw. einer moralischen Erhabenheit gefallen und sie vergewissern sich mit solchen Veröffentlichungen der eigenen Gefolgschaft. Da es in dem aktuellen Brief der documenta 15 keine erkennbaren Personen als Verfasser gibt, bleibt das übrig, was Offene Briefe ebenfalls intendieren, eine gesellschaftlich relevante Debatten auszulösen. Das ist gründlich schief gegangen. Mehr als einen wiederholten Versuch, die antisemitische BDS-Bewegung2 reinzuwaschen haben die Verfasser nicht zustande gebracht. Entsprechend verheerend ist, bis auf wenige Ausnahmen, das Echo in den Medien.

Nachdem wir im Januar d.J. aufgedeckten, dass mehrere Akteure der documenta 15 und der eingeladenen Künstler aus dem Umfeld der antisemitischen BDS-Bewegung kommen oder diese direkt unterstützen, wurde unsere Kritik daran, Antizionismus und Antisemitismus auf einer mit öffentlichen Geldern finanzierten Kunstausstellung eine Bühne zu geben, mit großer Empörung zurückgewiesen. Antisemitismus habe keinen Platz auf der documenta 15 und Antisemitismus würde wie Rassismus, politische Gewalt und „Islamophobie“ verurteilt. Um das zu unterstreichen, wollte man sich diesen Themen widmen und kündigte eine Veranstaltungsreihe an. Für die politisch Verantwortlichen war mit diesem Statement ‚der Drops gelutscht‘. Mehr als dieses Bekenntnis und die Ankündigung zu einer Diskussion sollte es nicht geben.

Nachdem die documenta 15 die Veranstaltungsreihe präsentierte, stellte sich heraus, dass etwa die Hälfte der geladenen Gäste dem BDS-Umfeld oder denen zuzurechnen sind, die den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen BDS-Bewegung kritisieren. Außerdem sollte sich eins der drei Podien mit „anti-palästinensischem Rassismus“3 beschäftigen. Beabsichtigt war, die Veranstaltungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit im You-Tube-Format abzuhalten. Diese Konzeption wurde in der Presse vielfach kritisiert. Nachdem dann auch noch öffentlich bekannt wurde, dass die Expertise des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgeschlagen wurde, sagte die documenta die Veranstaltung ab.

Auf den Offenen Brief umfänglich einzugehen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Drei Anmerkungen erlauben wir uns aber hier.

Der Rassismus-Reflex

Von Beginn an, versuchte man uns des Rassismus zu überführen. In dem Offenen Brief versuchen die Autoren dies erneut. Als Beweis des gegen uns erhobenen Vorwurfes des Rassismus diente dieses Mal unsere Sottise über den Lumbung. Wir hatten angesichts des penetranten Exotismus, der im Begriffsgeklapper der documenta4 deutlich wird – und der gemäß ihres Säulenheiligen, Edward Said, bei jedem Europäer als Ausweis seines schändlichen Orientalismus taugen dürfte – es uns ironisch zu bemerken erlaubt, Lumbung sei kein alkoholisches Mixgetränk. Von „Lumumba“ war bei uns keine Rede, diese Assoziation tätigten die Verfasser des Briefes selbst. Dieser Name sei eine „rassistische Scherzbezeichnung“ eines Mischgetränkes. Naja, das kann man so sehen, aber auch die andere Variante ist wird kolportiert, dass in den späten Sechzigern Studenten dieses Getränk auch in solidarischer Absicht, den afrikanischen Revolutionär zu ehren, tranken. Ist das Glas Vodka Jelzin ein Statement gegen den russischen Chauvinismus oder macht man sich mit Putin gemein, trinkt der Hipster ein Glas Afri-Cola in rassistischer Absicht, oder um Trump eins auszuwischen? Was ist eigentlich mit „Sex on The Beach“? Die Antworten darauf, mein Freund, die wissen nur die Sprachmagier und Getränkespezialisten der postmodern und identitär gewendeten Linken.

Dagegen spielt die zweite Zeile der Überschrift des Briefes „Wie ein Gerücht zum Skandal wurde“ offensichtlich auf eine Formulierung Theodor W. Adornos an, der in der Minima Moralia formulierte: „Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ Die Tatsache, dass der Künstler Yazan Khalili antisemitische Topoi nutzt(e), dass der Namensgeber des Centers, dessen Präsident er war, sich tatsächlich positiv auf Hitler bezog, wird in eine wahnhafte Behauptung umgedeutet, die der der Antisemiten ähnlich ist. Rassismus und Antisemitismus alles eine Soße und der Kritiker des Antisemitismus ist der eigentliche Antisemit.5

Israel, der Völkerrechtsverbrecher

Dann folgte eine Bemerkung, die zeigt, woher der Wind weht. „Die realen Probleme der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung“ ließen sich genauso wenig wie die Widersprüche des Widerstandes gegen sie in Gesprächsrunden auflösen.

Israel ist so klein wie Hessen. Die Israel umgebenden arabischen Staaten reichen vom Atlantik bis hin zum Irak. Einen Staat Palästina hat es nie gegeben. Die Gründung eines arabischen Staates, zu dem auch Gebiete der Westbank gehören hätten sollen, verhinderten die arabischen Angriffskrieger im Jahre 1948. Jordanien besetzte in diesem Krieg dieses Gebiet einschließlich der Altstadt Jerusalems. Die in diesem Gebiet und in Jerusalem seit Jahrhunderten lebenden Juden wurden vertrieben. Im Krieg von 1967 wurden die jordanischen Truppen von der Westbank geschlagen und zogen ab. Jerusalem konnte befreit werden. Eine Aufteilung der Westbank zwischen den dort lebenden arabischen Bewohnern und den z.T. zurückgekehrten jüdischen und neu hinzugezogenen jüdischen Bewohnern im Rahmen eines Friedensvertrages wurde durch den seit 1967 permanent geführten Terrorkrieg palästinensischer Gruppierungen gegen Israel hintertrieben. Die israelischen Truppen in der Westbank dienen dem Schutz der dort lebenden Juden.

Wenn die documenta nun meint, anstatt sich der zeitgenössischen Kunst zu widmen, bedauern zu müssen, eine „völkerrechtswidrige israelische Besatzung“ mit den Mitteln des Diskurses nicht lösen zu können und darüber hinaus „Widersprüche des Widerstandes“ gegen das offensichtlich als Völkerrechtsverbrecher identifizierte Israel lamentierend beklagt, zeigt das, dass unser Befund und unsere Kritik mit der israelfeindlichen Schlagseite der documenta 15 schlicht richtig ist.

Die documenta 15: Ein Nest der Antizionisten

Der Offene Brief wurde in der einschlägigen Berliner Zeitung und auf der Internetplattform e-Flux veröffentlicht. e-Flux? Da war doch was! Am 26. Mai 2021 veröffentlichte e-Flux den „A Letter Against Apartheid“.6 In diesem Brief heißt es u.a.:

„Israel is the colonizing power. Palestine is colonized. This is not a conflict: this is apartheid […] „ethnic cleansing“ […] „Israeli settler colonial rule in 1948“ […] „We ask governments that are enabling this crime against humanity to apply sanctions, to mobilize levers of international accountability, and to cut trade, economic and cultural relations.“ 

Dieses hetzerische Schriftstück übertrifft die antiisraelische Agitation der Stellungnahme Initiative „GG 5.3 Weltoffenheit“ und des Briefes „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“ bei weitem. Unterzeichnet oder unterstützt wurde dieser Brief von vier der fünf Personen, die im „Artistic Team“ tätig sind, und von weiteren Personen, die im Zusamenhang der documenta zu erwähnen sind:

Adam Szymczyk (Leiter der documenta 14)

Ade Darmawan (ruangrupa; documenta 15)

Amar Kanwar (documenta-Beirat; documenta 15)

Andrea Linnenkohl („General Coordinator der documenta 15“; Artistic Team; documenta 15)

Ayşe Güleç (Artistic Team; documenta 15)

Farid Rakun (ruangrupa)

Gertrud Flentge (Artistic Team; documenta 15)

Iswanto Hartono (ruangrupa)

Kasia Wlaszczyk (Koordination öffentliche Programme; documenta 15)

Jumana Emil Abboud (Lumbung; documenta15)

Lara Khaldi (Artistic Team; documenta 15)

Lydia Antoniou (Kuratorische Assistenz; documenta 15)

Nancy Naser al Deen (Assistenz Koordiantion öffentliche Programme; documenta 15)

Noor Abed (Kuratorische Assistenz; documenta 15)

Reza Afisina (ruangrupa)

Yazan Khalili (Lumbung; documenta 15)

Keine weiteren Fragen!

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1 Offener Brief: Antisemitismus-Vorwurf gegen Documenta: Wie ein Gerücht zum Skandal wurde. Jüngst wurden Antisemitismus-Vorwürfe an die Documenta laut. Eine Gesprächsreihe wurde abgesagt. Hier äußern sich jetzt erstmals die Macherinnen, in: Berliner Zeitung, 09.05.2022; Antisemitism Accusations against documenta: A Scandal about a Rumor. ruangrupa. This is a letter from ruangrupa, the artistic team of documenta fifteen, and some curators of the recently canceled forum. We need to Talk! Art — Freedom — Solidarity reflecting an ongoing debate in Germany around the upcoming edition of documenta, in: e-Flux.com, 07.05.2022

2 Auf den antisemitischen Charakter der BDS-Bewegung gehen ausführlich Alex Feuerherdt und Florian Markl ein. Dies.: Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in Neuem Gewand, Leipzig 2021.

3 Es existieren in Israel wie in allen modernen Gesellschaften rassistische Vorurteile. Diese werden gegenüber Arabern, Beduinen aber auch gegen Juden afrikanischer und arabischer Herkunft gehegt. Im Gegensatz zu allen Nachbarnationen gibt es dagegen in der israelischen Gesellschaft und Politik ein Problembewusstsein. Dass es ein weit verbreitetes Misstrauen in der israelischen Bevölkerung gegenüber arabischen Israelis und Palästinensern gibt, hat seine Ursache in der fortdauernden terroristischen Kampagne verschiedener palästinensischer und islamistischer Gruppierungen. Dieses ist Ansatzpunkt zahlreicher gesellschaftlicher Initiativen, die um das gegenseitige Verständnis und die Aussöhnung bemüht sind. Neben dem ausgeprägten Judenhass in den arabischen Staaten und auch unter der Bevölkerung der palästinensischen Autonomiegebiete, existiert gegenüber den Nachkommen der 1948 aus dem Mandatsgebiet Palästina geflohenen, vertriebenen und ausgewanderten arabischen Bevölkerung, den Palästinensern, allerdings eine Politik der Unterdrückung und Diskriminierung, insbesondere in Syrien, im Libanon und in Jordanien. In Israel haben die israelischen Araber die vollen Bürgerrechte.

3 Ekosistem, Majelis, Meydan, Sobat etc., sollen die Weltoffenheit und Multiperspektivität verdeutlichen. Damit der interessierte Besucher der Kunstausstellung bei diesem Kauderwelsch mitreden und „neue Perspektiven und Ideen“ begreifen kann, dazu braucht es extra einen Glossar.

4 Auch wenn immer wieder behauptet wird Elke Buhr und Joseph Croitoru hätten irgendwelche unserer Feststellungen widerlegt, entspricht dies nicht den Tatsachen. Der Versuch des Historikers Jens Hansens Khalil al Sakakini reinzuwaschen ist bezeichnend. Sakakini habe auf die Befreiung durch die deutschen Truppen Rommels gehofft. Vgl.: ders., Wer war Khalil Al Sakakini? Eine Tagebuchreise nach Palästina, 20.04.2022. Rommels Naziwehrmacht folgten die SS-Verbände Walter Rauffs auf dem Fuße um das „Problem“ (Yazan Khalili) mit den Juden auch im Nahen Osten endzulösen.

5 Über den penetranten Versuch, aus unterschiedlichen Beweggründen das Thema Rassismus ins Spiel zu bringen, wenn es um Antisemitismus geht, sei hier auf Stephan Grigat verwiesen. Ders.: Antisemitismus bei documenta15. Rassismus und „Islamophobie“, TAZ, o.D.

6 A letter against apartheid, in: e-Flux.com, 26.04.2021.

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