Todesmärsche und die Anführungsstriche

Dem dpa-Artikel über den „Marsch des Lebens“, der von vielen jungen Menschen, vor allem aus Israel, anläßlich des israelischen Holocaustgedenktages (Yom Hashoa) begangen wird, fügt die HNA am 17. April eine Graphik über die Todesmärsche bei. Der Begriff Todesmärsche wird in dieser Graphik in Anführungsstriche gesetzt, ohne Anführungsstriche der Begriff Evakuierung. Auf den „Evakuierungen“ wurden die Insassen der Lager „in Richtung Westen geschickt“, so die Beschriftung der Graphik – eine perfide Verharmlosung und Begriffsverwirrung.

Anführungsstriche und Evakuierung

Anführungsstriche und die Sprache des Verdrängens

Die Insassen wurden nicht „in den Westen geschickt“, sondern in den Tod. Hinsichtlich der mörderischen Konsequenz der Märsche, ist man sich in der Forschung lange schon einig. Die Rolle der Todesmärsche ist hingegen umstritten. Während lange die Todesmärsche als ein charakteristisches Merkmal für die Endpase des Naziregimes, einem Untergang in Gewalt, Feuer und Blut, galten, hat Daniel Jonah Goldhagen diese Märsche als Bestandteil der Endlösung beschrieben. Goldhagen beschrieb die Märsche als eine gebräuchliche Vernichtungsstrategie gegen Juden seit der Besetzung Polens, die zum Ende des Naziregimes zur vorherrschenden Vernichtungsmethode an den übrig gebliebenen Juden und Jüdinnen wurde.

Dem steht entgegen, dass Juden zwar nach wie vor den Hauptteil der Opfer ausmachten, jedoch eine Gruppe unter vielen waren, die den Massakern am Ende des Naziregimes zum Opfer fielen. Sie sollten, so der israelische Historiker Daniel Blatman als die „letzte Phase der Nazi-Völkermorde (Plural!)“ betrachtet werden. „Die Morde wurden zwar innerhalb eines bekannten Konsenses vollzogen, aber die Besonderheit und Identität der Opfer war verwischt.“

Es ging also nicht darum, Häftlinge aus einem Lager in ein anderes zu überführen, sie zu evakuieren, sondern die Märsche waren ein Terror- und Mordinstrument, dass in den letzten Monaten und Wochen des NS-Regimes die Funkion der nationalsozialistischen Konzentrationslager dezentralisierte. Die noch bis in den Sommer 1944 vorherrschenden wirtschaftlichen Erwägungen, die KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte bis zum Letzten auszubeuten, wurde von einer nihilistischen Mordlogik abgelöst. Sie waren keine Evakuierungmaßnahmen – sondern Todesmärsche, ohne Anführungsstriche.

Daniel Blatman, Die Todesmärsche. Völkermord und Massaker als Ergebnis des Zerfalls der Gesellschaft, in: Einsicht 13, Frühjahr 2015, S. 40-49

(jd)

 

 

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